Urteil des BVerwG vom 30.05.2014

Beweisantrag, Gefahr, Prozessrecht, Aufklärungspflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 34.14
VGH A 11 S 2519/12
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
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beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 26. Februar 2014 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf den Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde hat keinen
Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht sei dem in der mündlichen Ver-
handlung hilfsweise gestellten Antrag, zum Beweis der Tatsachen, dass
„der Kläger von den Taliban vor seiner Flucht geschlagen,
misshandelt, eingesperrt und verletzt wurde, und zwar
wegen angeblichen nichtislamischen Verhaltens und um
ihn gefügig zu machen, für die Taliban zu kämpfen, dies
bei einer Rückkehr jederzeit wieder möglich ist bei einer
Rückkehr oder Abschiebung, dass dies weiterhin für einen
so jungen Menschen, wie der Kläger, ein traumatisches
Erlebnis darstellt, welches er bis heute noch nicht ver-
arbeitet hat, auch wenn er noch nicht in psychiatrischer
Behandlung ist, dass er deshalb bei einer Rückkehr re-
traumatisiert werden würde und damit die Erkrankung sich
akut verschlimmert, dass auf jeden Fall seine Darlegun-
gen zu den Vorfluchtgründen der Wahrheit entsprechen
und glaubhaft sind, dass er darüber hinaus sich hier in
Deutschland so integriert hat, so westlich sich assimiliert
hat, dass er bei einer Rückkehr keine Möglichkeit der In-
tegration in die afghanische Gesellschaft mehr hat, unab-
hängig von der Gefahr für die Taliban auch keine Exis-
tenzmöglichkeit mehr hätte, nachdem sein Vater nicht
mehr aufgetaucht ist,
1. ein Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe,
Weyermannstraße 10, CH 3008 Bern, und
2. ein Gutachten von Herrn Dr. Thomas S. , wie bereits be-
nannt, einzuholen."
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in verfahrensfehlerhafter Weise nicht nachgegangen und habe dadurch das
rechtliche Gehör des Klägers verletzt.
1.1. Während sich die Voraussetzungen für die Ablehnung eines in der mündli-
chen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrags aus § 86 Abs. 2 i.V.m.
Abs. 1 VwGO ergeben, wird mit einem nur hilfsweise gestellten Beweisantrag
lediglich die weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO an-
geregt (Beschlüsse vom 10. Juni 1999 - BVerwG 9 B 81.99 - Buchholz 310 § 86
Abs. 1 VwGO Nr. 302 m.w.N., vom 19. August 2010 - BVerwG 10 B 22.10 -
juris Rn. 10 und vom 26. Juli 2012 - BVerwG 10 B 21.12 - juris Rn. 3; Urteil vom
26. Juni 1968 - BVerwG 5 C 111.67 - BVerwGE 30, 57 <58> = Buchholz 310
§ 86 Abs. 2 VwGO Nr. 9). Die von der Beschwerde der Sache nach geltend
gemachten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO)
sind nur dann ausreichend dargelegt, wenn substantiiert vorgetragen wird, hin-
sichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat,
welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür
in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei
Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getrof-
fen worden wären. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren
vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf
die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt
wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermitt-
lungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müs-
sen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 m.w.N.). Es kann offenbleiben,
ob die Ausführungen der Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderun-
gen an eine Gehörs- und Aufklärungsrüge genügen. Denn das Berufungsge-
richt hat seine Aufklärungspflicht und das rechtliche Gehör des Klägers nicht
dadurch verletzt, dass es die vom Kläger begehrte Beweiserhebung nicht vor-
genommen hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bun-
desverwaltungsgerichts verletzt die Ablehnung eines Beweisantrags nur dann
das rechtliche Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. etwa
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BVerfG, Beschluss vom 8. November 1978 - 1 BvR 158/78 - BVerfGE 50, 32
<36>). Die prozessrechtliche Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem
Mangel leidet, ist vom materiellrechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts
aus zu beurteilen, selbst wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr,
Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO
Nr. 183 S. 4).
Ein Beweisantrag ist u.a. unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich
um einen Ausforschungs- und Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also
lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlan-
gen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen
(vgl. Beschlüsse vom 2. Juli 1998 - BVerwG 11 B 30.97 - Buchholz 451.171 § 6
AtG Nr. 2 = NVwZ 1999, 654 und vom 2. April 1998 - BVerwG 7 B 79.98 - juris).
Auch Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweis-
erhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen
aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung
nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden (vgl. Be-
schlüsse vom 5. Oktober 1990 - BVerwG 4 B 249.89 - Buchholz 442.40 § 9
LuftVG Nr. 6 und vom 29. März 1995 - BVerwG 11 B 21.95 - Buchholz 310 § 86
Abs. 1 VwGO Nr. 266). So liegt es, wenn für den Wahrheitsgehalt der Beweis-
tatsache nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, d.h. wenn
sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aus der Luft
gegriffen“, „ins Blaue hinein“, also „erkennbar ohne jede tatsächliche Grundla-
ge“ behauptet worden sind (vgl. Beschlüsse vom 29. April 2002 - BVerwG 1 B
59.02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60, vom 30. Juni 2008 - BVerwG 5 B
198.07 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 98 Rn. 5 m.w.N. und vom 12. März 2010
- BVerwG 8 B 90.09 - juris; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Au-
gust 1996 - 2 BvR 1968/94 - juris - und BGH, Urteil vom 25. April 1995 - VI ZR
178/94 - MDR 1995, 738). Welche Anforderungen vom Tatsachengericht an die
Substantiierung gestellt werden dürfen, bestimmt sich zum einen danach, ob
die zu beweisende Tatsache in den eigenen Erkenntnisbereich des Beteiligten
fällt, und zum anderen nach der konkreten prozessualen Situation (vgl. Be-
schlüsse vom 25. Januar 1988 - BVerwG 7 CB 81.87 - Buchholz 310 § 86
Abs. 1 VwGO Nr. 196 S. 14 und vom 19. Oktober 2011 - BVerwG 8 B 37.11 -
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ZOV 2011, 264; Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Bd. II,
§ 86 Rn. 73 f. m.w.N.).
1.2 Nach diesen Grundsätzen, von denen im rechtlichen Ansatz zutreffend auch
das Berufungsgericht ausgegangen ist, findet das Vorgehen des Berufungsge-
richts im Prozessrecht eine hinreichende Stütze und verletzt insbesondere nicht
die Aufklärungspflicht des Gerichts und das rechtliche Gehör des Klägers. Da-
bei kann offenbleiben, ob der vorsorglich gestellte Beweisantrag, den das Ge-
richt zulässigerweise erst im Urteil beschieden hat (stRspr, Urteil vom 24. No-
vember 2011 - BVerwG 3 C 32.10 - Buchholz 418.72 WeinG Nr. 33), schon
deswegen unzulässig war, weil die erforderliche Verständlichkeit und Klarheit
fehlt, er insbesondere eine Aneinanderreihung einer Vielzahl von Beweisthe-
men völlig unterschiedlicher Art enthält, die nicht in dem gebotenen Maße den
genannten Beweismitteln zugeordnet werden, sondern die gesamte Fallfrage
des Bestehens eines Abschiebungsverbots zum Gegenstand der Beweiserhe-
bung machen will (vgl. Beschluss vom 19. Dezember 2012 - BVerwG 10 B
28.12 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 73 Rn. 4).
1.2.1 Soweit der Beweisantrag auf Tatsachen in Bezug auf eine (Vor-)Verfol-
gung durch die Taliban gerichtet war, ist das Berufungsgericht diesem im Ein-
klang mit den vorbezeichneten Grundsätzen als unsubstantiiert nicht nachge-
gangen, weil der Kläger selbst nicht behauptet habe, von Taliban misshandelt
und eingesperrt worden zu sein. Die hiergegen gerichteten Ausführungen der
Beschwerde zu den Vorbringen des Klägers in den Anhörungen durch das Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge, das Verwaltungsgericht Stuttgart, die das
Berufungsgericht ausweislich der Wiedergabe im Tatbestand ersichtlich zur
Kenntnis genommen hat, sowie der Anhörung durch das Berufungsgericht
selbst weisen nicht darauf, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen nicht
erwogen habe. Dass der Vater des Klägers durch die Taliban entführt worden
sei, entzieht der Bewertung des Berufungsgerichts nicht die Grundlage, die an
die Alkoholverteilung vor der Moschee anknüpfenden Ereignisse seien nach der
Schilderung des Klägers gerade nicht den Taliban zuzurechnen, auch habe der
Kläger selbst mit keinem Wort erwähnt, dass es Taliban gewesen sein könnten,
die ihn hätten gefügig machen wollen, damit er für sie kämpfe. Das Beschwer-
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devorbringen stützt den Vorwurf, das Berufungsgericht habe das Vorbringen
des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und erwogen und erst auf dieser
Grundlage die Behauptungen im Beweisantrag als unsubstantiiert bewertet, der
Sache nach auf eine unzutreffende Bewertung des nur ungenau wiedergege-
benen klägerischen Vorbringens, das dessen tatsächliche Inhalte vernachläs-
sigt.
1.2.2 Damit entfällt zugleich die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme zur
Traumatisierung des Klägers durch Übergriffe der Taliban und die Gefahr einer
Retraumatisierung. Das Berufungsgericht weist zudem darauf hin, dass der Klä-
ger keine nachvollziehbaren und (etwa durch ein ärztliches Attest) belegten An-
haltspunkte dafür vorgetragen habe, dass bei ihm - aus welchen Gründen auch
immer - überhaupt eine Traumatisierung vorgelegen haben könnte (s.a. - zu
den Anforderungen an die Substantiierung eines Sachverständigenbeweisan-
trags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Be-
lastungsstörung zum Gegenstand hat - Urteile vom 11. September 2007
- BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff.
AufenthG Nr. 30 und - BVerwG 10 C 17.07 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff.
AufenthG Nr. 31; diesen Substantiierungsanforderungen genügt der Beweisan-
trag offenkundig nicht). Allein der Umstand, dass der Kläger bei der Schilderung
bestimmter, in der Beschwerde näher bezeichneter Vorfälle begonnen hat zu
weinen, weist nicht auf eine (behandlungsbedürftige) Traumatisierung. In
Wahrheit kritisiert die Beschwerde im Gewande der Verfahrensrüge unter Ver-
nachlässigung des tatsächlichen Vorbringens des Klägers die Beweiswürdigung
des Berufungsgerichts; damit kann sie indes keinen Erfolg haben.
1.2.3 Zu den weiteren Bestandteilen des Beweisantrags hat das Berufungsge-
richt zutreffend darauf hingewiesen, dass sie nicht auf hinreichend bestimmte
Beweistatsachen gerichtet sind (Grad der Assimilierung) bzw. sie sich zu der
dem Gericht vorbehaltenen Bewertung von Erkenntnismitteln (Existenzmöglich-
keit unabhängig von der Gefahr für die Taliban) bzw. dem Gericht vorbehalte-
nen Aufgabe verhalten zu beurteilen, ob die Darlegungen zu den Vorfluchtgrün-
den der Wahrheit entsprechen und glaubhaft sind. Das Beschwerdevorbringen
setzt sich hiermit nicht auseinander.
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2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG; Gründe für eine abweichende Festsetzung nach § 30 Abs. 2 RVG
liegen nicht vor.
Prof. Dr. Berlit
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Prof. Dr. Kraft
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