Urteil des BVerwG vom 28.07.2005

Rasse, Hundesteuer, Satzung, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 34.05
OVG 14 A 1819/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juli 2005
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht V a l l e n d a r und Prof. Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 16. Februar 2005 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
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Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schluss-
entscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenent-
scheidung in der Hauptsache.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 1 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Diver-
genz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) gestützten Rügen führen nicht zur Zulassung
der Revision (1. und 2.). Die angegriffene Entscheidung des Berufungsgerichts leidet
jedoch an einem von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung
beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Ver-
fahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das
Berufungsgericht zurück (3.).
1. Die von der Beschwerde geltend gemachten Grundsatzrügen werfen
keine Rechtsfragen auf, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung in dem angestrebten
Revisionsverfahren zugänglich wären (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
a) Die erste Frage (Beschwerdebegründung S. 8), die die Vereinbarkeit
der für gefährliche Hunde im Gemeindegebiet der Beklagten geltenden erhöhten Be-
steuerung von Hunden der Rasse Kuvasz mit dem allgemeinen Gleichheitssatz
(Art. 3 Abs. 1 GG) zum Gegenstand hat, ist mit zahlreichen tatsächlichen Annahmen
zur von der Beschwerde behaupteten Ungefährlichkeit dieser Hunderasse verknüpft,
die vom Berufungsgericht so nicht festgestellt wurden. Die aufgeworfene Rechtsfrage
könnte schon deshalb von dem in der Revision grundsätzlich auf die Tatsachen-
feststellungen des Berufungsgerichts beschränkten Bundesverwaltungsgericht nicht
geklärt werden.
b) Auch die zweite von der Beschwerde aufgeworfene Frage (Beschwer-
debegründung S. 16),
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ob ein Normgeber (…) darauf verzichten (kann), die Sachrichtigkeit
einer Regelung und das Vorliegen des dieser Regelung zugrunde gelegten Le-
benssachverhalts zu prüfen, wenn ein anderer, höherrangiger Normgeber be-
reits von der Sachrichtigkeit und einem bestimmten zugrundeliegenden Le-
benssachverhalt bzw. von bestimmten Tatsachen ausgegangen ist,
ist wiederum unter anderem mit der tatsächlichen Annahme verknüpft,
dass "der Lebenssachverhalt bzw. die Tatsachen wissenschaftlich nicht zu begrün-
den sind, weil (dieser Normgeber) sich auf eine bloße, nicht wissenschaftlich über-
prüfte Annahme stützt", die vom Berufungsgericht so nicht festgestellt wurde und
deshalb aus den gleichen Gründen wie die vorangehende Frage nicht zur Zulassung
der Revision führen kann.
Soweit der Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts, der hinter der von
der Beschwerde aufgeworfenen Frage steht, einer Prüfung am Maßstab von Bun-
desrecht zugänglich ist, lassen sich die damit verbundenen Fragen im Übrigen ohne
weiteres aus dem Gesetz beantworten, ohne dass es hierfür der Zulassung der Re-
vision bedürfte.
aa) Der vom Berufungsgericht eingenommene Standpunkt, dass der ört-
liche Steuersatzungsgeber, der sich mit Lenkungsabsicht entscheidet, erhöhte Steu-
ersätze für solche Hunde einzuführen, die nach den Vorgaben des Landesordnungs-
rechts wegen ihrer Rassezugehörigkeit als gefährlich gelten, und damit einer vom
Landesrecht vorgegebenen Typisierung folgt, deshalb nicht gehalten sei, von sich
aus weitere, eigene Untersuchungen darüber anzustellen, ob die durch die landes-
rechtlichen Rasselisten vorgenommene Typisierung von Hunden, bei denen ein er-
hebliches Gefährdungspotenzial vermutet wird, sachgerecht ist, verstößt nicht gegen
höherrangiges Bundesrecht. Er ist insbesondere mit dem Rechtsstaatsprinzip und
dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar.
Es steht außer Frage, dass ein Satzungsgeber Regelungen eines ande-
ren Normgebers durch Verweisung oder wörtliche Aufnahme in seinen Normtext ü-
bernehmen kann, wenn er dieselbe oder eine vergleichbare Regelung erlassen und
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sich dabei den Wertungen der übernommenen Normierungen anschließen will. Dabei
braucht der Satzungsgeber die der übernommenen Regelung zugrundeliegenden
Erkenntnisse und Tatsachen nicht notwendig selbst erneut zu erheben und auf ihre
sachliche Richtigkeit zu überprüfen, sofern es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass
sie offensichtlich falsch sind. Nur wenn Letzteres der Fall ist, wäre er gehindert,
gleichsam sehenden Auges eine in erheblicher Weise auf offensichtlich unrichtigen
Annahmen begründete Regelung zu übernehmen. Selbst wenn die andere Norm
- was die Beschwerde unter Berufung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 3. Juli 2002 (BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347) geltend macht - etwa aus
kompetenzrechtlichen Gründen nichtig sein sollte, wäre davon nicht notwendig die
sachliche Richtigkeit der von diesem Normgeber getroffenen Auswahl der als mit
besonderem Gefährdungspotenzial angenommenen Hunderassen und damit deren
Verwertbarkeit für den kommunalen Satzungsgeber in Frage gestellt.
Mithin verlangen weder das Rechtsstaatsprinzip noch der hier in Rede
stehende allgemeine Gleichheitssatz, dass jede Gemeinde komplexe und strittige
Tatsachenfragen zum Gefährdungspotenzial bestimmter Hunderassen je für sich
selbst erheben muss, bevor sie eine hierauf gestützte ordnungs- oder steuerrechtli-
che Regelung erlassen darf. Es dient im Gegenteil der Rechtseinheit und ist in ho-
hem Maße verfahrensökonomisch, wenn die Gemeinden sich hierzu der Erkenntnis-
se des Normgebers auf Landesebene bedienen, sofern sie davon ausgehen können,
dass die der dortigen normativen Konzeption zugrundeliegenden Annahmen - für den
ordnungsrechtlichen Umgang mit gefährlichen Hunden - auch für ihren Rege-
lungszweck - der steuerrechtlichen Lenkung der Population gefährlicher Hunde -
nutzbar gemacht werden können. Ist dies der Fall, sind die Gemeinden auch nicht
gehindert, auf dieser Grundlage vorgenommene normative Wertungen des Landes-
gesetz- oder -verordnungsgebers in ihren eigenen Rechtsetzungswillen aufzuneh-
men. Dies sieht das Berufungsgericht im Grundsatz offenbar ebenso.
bb) Mit dieser Auffassung wird auch nicht - wie die Beschwerde meint -
das in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwal-
tungsgerichts immer wieder betonte Gebot in Frage gestellt, dass der Normgeber
gehalten ist, insbesondere eine auf unsicherer Tatsachengrundlage erlassene Rege-
lung gleichsam "unter Kontrolle zu halten", indem er sowohl die Auswirkungen der
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Regelung als auch den Erkenntnisfortschritt in tatsächlicher Hinsicht beobachtet und
daraus gegebenenfalls die erforderlichen Konsequenzen zieht (vgl. etwa BVerfG,
Urteil vom 16. März 2004 - 1 BvR 1778/01 - BVerfGE 110, 141 <166>; BVerwG, Ur-
teil vom 19. Januar 2000 - BVerwG 11 C 8.99 - BVerwGE 110, 265 <276>; Be-
schluss vom 24. Oktober 2001 - BVerwG 6 C 3.01 - BVerwGE 115, 189 <194 f.>).
Nimmt nämlich ein Satzungsgeber die Regelung eines anderen Normgebers in sein
eigenes Regelwerk auf, gilt sie kraft seiner Rechtsetzungsmacht mit der Folge, dass
er von Anfang an in vollem Umfang verantwortlich ist für ihre Vereinbarkeit mit höher-
rangigem Recht, auch soweit sie von der Richtigkeit etwa jener tatsächlichen An-
nahmen und Erkenntnisse abhängt, die der Regelung des Landesnormgebers
zugrunde liegen. Dies umschließt auch die beschriebene Pflicht des Satzungsgebers,
die übernommene Regelung unter Kontrolle zu halten und gegebenenfalls zu
korrigieren. Auch hierbei kann er sich freilich etwaigen Reaktionen des anderen
Normgebers auf mögliche neuere Erkenntnisse und Entwicklungen anschließen.
cc) Aus dieser uneingeschränkten Verantwortung des Satzungsgebers
für die Rechtmäßigkeit der übernommenen Regelung folgt zugleich, dass Einwände
gegen sie nicht - wie das Berufungsgericht meint - mit der Erwägung abgewehrt wer-
den dürfen, hierauf könne es von vornherein nicht ankommen, weil die Vorschrift
zulässigerweise von dem anderen Normgeber übernommen worden sei und der Sat-
zungsgeber sie daher auch hinsichtlich der ihr zugrundeliegenden tatsächlichen An-
nahmen nicht auf ihre Richtigkeit habe überprüfen müssen. Dieser Standpunkt ver-
kennt die aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip folgende eigene Verantwor-
tung jedes Normgebers für das durch ihn gesetzte Recht. Zugleich "immunisiert" das
Berufungsgericht dadurch die von dem Satzungsgeber erlassene Vorschrift gegen
Angriffe auf ihre Rechtmäßigkeit. Das ist nicht vereinbar mit dem Anspruch des Bür-
gers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Denn im Grund-
satz gebietet diese Rechtsschutzgarantie eine umfassende Nachprüfung des Verfah-
rensgegenstandes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <111>, Beschluss vom
22. Oktober 1986 - 2 BvR 197/83 - BVerfGE 73, 339 <373>; BVerwG, Urteil vom
18. März 2004 - BVerwG 3 C 24.03 - BVerwGE 120, 227 <231>). Diesen Anforde-
rungen genügt ein Tatsachengericht nicht, wenn es - wie hier das Berufungsgericht -
eine Beweisregel aufstellt, die im Ergebnis dazu führt, dass der von der übernom-
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menen Vorschrift Betroffene - hier der mit einer erhöhten Hundesteuer für gefährliche
Hunde Belastete - die Regelung ohne Rechtsschutzmöglichkeit hinnehmen muss,
selbst wenn sie rechtswidrig ist. Das Berufungsgericht schneidet ihm durch seinen
Rechtsstandpunkt den Einwand ab, dass die Listen von Hunderassen mit einem
erheblichen Gefährdungspotenzial schon vom Landesverordnungsgeber unter
Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zusammengestellt wurden und - ungeachtet dessen,
dass der Satzungsgeber hierzu keine eigenen Ermittlungen anstellen musste - nun
auch auf kommunalrechtlicher Ebene an dem gleichen Fehler leiden. Diese Verkür-
zung des Rechtsschutzes ist nicht zu rechtfertigen.
Die Vereinbarkeit seines Standpunktes mit Bundesrecht vermag das
Berufungsgericht auch nicht dadurch zu erreichen, dass es eine eigene Überprü-
fungspflicht des kommunalen Satzungsgebers bei der Übernahme landesrechtlicher
Regelungen dann annimmt, "wenn ohne weitere Prüfung offensichtlich wäre, dass
die Liste der vom Zuchtverbot der LHV NRW betroffenen Hunde willkürlich wäre"
(Beschlussabdruck S. 7 und entsprechend für die Rasseliste nach Anlage 2: Be-
schlussabdruck S. 14). Zwar eröffnet das Berufungsgericht mit der unter dieser Vor-
aussetzung vorbehaltenen Nachforschungspflicht des kommunalen Satzungsgebers
wohl auch dem Kläger die Möglichkeit, das Unterbleiben einer solchen Überprüfung
im Prozess geltend zu machen. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht damit
nach wie vor den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer etwaigen Pflicht zur
eigenen Tatsachenerhebung durch den Satzungsgeber und seiner uneingeschränk-
ten Verantwortlichkeit für die Rechtmäßigkeit der Satzung verkennt, ist der Anwen-
dungsbereich der von ihm geforderten Nachforschungspflicht mit der Begrenzung auf
"offensichtliche Willkür" indes zu eng und so rechtlich nicht begründbar. Es ist zwar
anerkannt, dass dem kommunalen Satzungsgeber ein beträchtlicher Einschätzungs-
und Prognosespielraum bei der Auswahl der als abstrakt gefährlich eingeschätzten
Hunde zusteht (BVerfG, Urteil vom 16. März 2004, a.a.O., S. 157) und dass er
hinsichtlich der Typisierungen und Pauschalierungen über eine "weitgehende
Gestaltungsfreiheit" verfügt (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2000 - BVerwG 11 C
8.99 - BVerwGE 110, 265 <272>). Eine Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung
auf Fälle offensichtlicher Willkür lässt sich aus der Einräumung dieser Spielräume
jedoch nicht ableiten. Dieser Verstoß gegen Bundesrecht führt - wie unter 3 auszu-
führen ist - letztlich zum Erfolg der Verfahrensrüge.
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c) Die Beschwerde hat schließlich auch keinen Erfolg, soweit sie die
Klärung der Frage für grundsätzlich bedeutsam hält (Beschwerdebegründung S. 18),
ob es mit Art. 90 EG vereinbar ist, wenn eine Hundesteuerrege-
lung, die im Interesse einer Gefahrenvorbeugung in der Gemeinde die Zahl ge-
fährlicher Hunde im Verhältnis zu den Hunden, die als weniger gefährlich ein-
geschätzten Rassen angehören, vermindern soll, die Haltung von Hunden, die
aus dem Europäischen Ausland importierten Rassen zugerechnet werden, ei-
nem mehr als
5-fachen Steuersatz unterwirft, während vergleichbare inländische Hunde die-
ser Höherbesteuerung nicht unterworfen werden, obwohl es keinen wissen-
schaftlichen Nachweis dafür gibt, dass die höher besteuerten Hunde wegen ih-
rer Zugehörigkeit zu einer Rasse gefährlicher sind als Hunde anderer Rassen.
Diese Frage kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision füh-
ren, weil sie von der tatsächlichen Annahme ausgeht, dass "es keinen wissenschaft-
lichen Nachweis dafür gibt, dass Hunde wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse
gefährlicher sind als Hunde anderer Rassen", die das Berufungsgericht so nicht fest-
gestellt hat. Dem Bundesverwaltungsgericht könnte sich daher in dem angestrebten
Revisionsverfahren die auf der zitierten Annahme beruhende Rechtsfrage nicht stel-
len, da es als Revisionsgericht zur eigenen Tatsachenerhebung nicht berufen ist (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - BVerwG 10 B 21.04 - NVwZ 2005,
598 zu einer gleich lautenden Grundsatzrüge sowie die dortigen ergänzenden Hin-
weise).
2. Die von der Beschwerde behauptete Divergenz zwischen der ange-
fochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts und dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 16. März 2004, a.a.O., liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Weder hat das Berufungsgericht den auf S. 25 oben der Beschwerdebegründung
umschriebenen Rechtssatz mit den dort enthaltenen Maßgaben auch nur sinngemäß
aufgestellt, wie es die Beschwerde der Entscheidung entnehmen zu können meint,
noch liegt dem von der Beschwerde herangezogenen Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts der auf S. 26 Mitte der Beschwerdebegründung wiedergegebene
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Rechtssatz zugrunde, wonach sich ein Normgeber "nicht auf ein Regelungsmodell
eines anderen Normgebers verlassen" dürfe.
3. Die Beschwerde ist mit der geltend gemachten Verfahrensrüge be-
gründet. Sie beanstandet hinreichend substantiiert im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO (vgl. Beschwerdebegründung S. 27 ff., insbesondere S. 27 Mitte und S. 28 f.)
und im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht dem im Schriftsatz vom
3. September 2004 gestellten Beweisantrag des Klägers,
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis dar-
über zu erheben, dass Hunde der in § 2 Abs. 3 Satz 2 der Hundesteuersatzung
des Beklagten aufgezählten Rasse Kuvasz nicht gefährlicher sind als Hunde
anderer Rassen, ihnen insbesondere kein anderes genetisches Potenzial inne-
wohnt, zu einem gefährlichen Hund zu werden, als Hunden anderer vergleich-
barer Rassen und dass auch kein größerer Verdacht oder größeres Besorgnis-
potenzial gegenüber Hunden vergleichbarer, nicht aufgelisteter Rassen besteht,
es handele sich bei Hunden der Rasse Kuvasz um gefährliche Hunde,
nicht nachgekommen ist, ohne hierfür eine verwaltungsprozessual trag-
fähige Begründung zu geben.
Das Berufungsgericht ist bei der Ablehnung dieses Beweisantrags zu-
nächst davon ausgegangen, der Satzungsgeber der Hundesteuersatzung habe sich
bei der Aufnahme der Rasse Kuvasz in die Rasseliste des § 2 Abs. 3 Satz 2 Anla-
ge 2 der Hundesteuersatzung von den entsprechenden Bestimmungen der Landes-
hundeverordnung Nordrhein-Westfalen leiten lassen dürfen. Aus deren Anlage 2
habe er die Hunderassen übernommen, für die er von einem individuell widerlegba-
ren Gefährdungspotenzial ausgegangen sei. Der Satzungsgeber habe sich insoweit
den Vorgaben des Landesrechts anschließen dürfen. Für eine offensichtliche Feh-
lerhaftigkeit der Einbeziehung der Hunderasse Kuvasz in die Rasseliste sei nichts
ersichtlich. Deshalb habe für den Satzungsgeber eine Überprüfungspflicht jedenfalls
für die erste Zeit nach Erlass der Satzung nicht bestanden, da in diesem Zeitraum
zunächst Erfahrungen hätten gesammelt werden müssen. Dies gelte jedenfalls bis
zum In-Kraft-Treten des Landeshundegesetzes Nordrhein-Westfalen im Jahre 2003,
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das keine Sonderregelung für Hunde der Rasse Kuvasz mehr vorsehe. Da sich der
Satzungsgeber den Vorgaben des Landesrechts rechtsfehlerfrei habe anschließen
dürfen, komme es auf die vom Kläger gestellte Beweisfrage zur Gefährlichkeit der
Rasse Kuvasz im Verhältnis zu anderen Hunderassen nicht an (Beschlussabdruck
S. 14 f.).
Wie bereits im Zusammenhang mit der zweiten Grundsatzrüge allge-
mein ausgeführt wurde (oben unter 1. b), durfte der Satzungsgeber zwar grundsätz-
lich die Rasselisten der Landeshundeverordnung für die mit einem vergleichbaren
Lenkungszweck erhobene Hundesteuer übernehmen, ohne selbst Erhebungen über
die Gefährlichkeit der einzelnen Hunderassen anstellen zu müssen. Dies befreit den
Beklagten jedoch nicht von der Verantwortung, für die Rechtmäßigkeit der Satzung
auch im Hinblick auf die verwendeten Rasselisten einstehen zu müssen. Das ver-
kennt das Berufungsgericht, indem es die Entscheidungserheblichkeit der unter Be-
weis gestellten Tatsache mit Blick darauf verneint, dass der Satzungsgeber jedenfalls
in dem hier maßgeblichen Steuerjahr 2002 (noch) keine Überprüfung der über-
nommenen Rasselisten habe vornehmen müssen. Denn dem Einwand, dass die
Aufnahme einer Hunderasse in eine nach Rassezugehörigkeit bestimmte Liste als
gefährlich geltender Hunde von Beginn an nicht berechtigt ist - auch nicht mit Rück-
sicht auf die dem Steuersatzungsgeber durch die Rechtsprechung im Hinblick auf die
in vielerlei Hinsicht noch ungeklärte Sachlage eingeräumten Prognose- und Ein-
schätzungsspielräume - muss der Satzungsgeber in gleicher Weise standhalten, wie
es der Verordnungsgeber der Landeshundeverordnung im Falle einer entsprechen-
den Klage tun müsste. Allein durch die Übernahme der Rasselisten aus der Landes-
hundeverordnung wird der Satzungsgeber der Hundesteuersatzung nicht für eine
mehrjährige Übergangsfrist von der Auseinandersetzung mit einem solchen Einwand
freigestellt. Ob und inwieweit der Satzungsgeber jedenfalls in den ersten Jahren nach
dem Erlass einer auf Rasselisten beruhenden Hundesteuersatzung davon befreit ist,
von Amts wegen eigene Erhebungen zur Gefährlichkeit der in die Rasselisten
aufgenommenen Hunderassen anzustellen, ist in dem hier maßgeblichen verwal-
tungsprozessualen Zusammenhang mit der Frage, ob die Satzung mit höherrangi-
gem Recht vereinbar ist und wie die tatsächlichen Grundlagen hierfür gegebenenfalls
unter Beweis zu stellen sind, unerheblich.
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Die Ablehnung der beantragten Einholung eines Sachverständigengut-
achtens ist auch nicht etwa deshalb rechtens, weil es nach der Rechtsauffassung
des Berufungsgerichts auf die unter Beweis gestellte Tatsache - die generelle Unge-
fährlichkeit von Hunden der Rasse Kuvasz - nicht ankam. Zwar kann eine unterblie-
bene Beweiserhebung nur dann einen Verfahrensfehler begründen, wenn es um eine
entscheidungserhebliche Tatsache geht. Es besteht auch Übereinstimmung darin,
dass für die Frage nach der Entscheidungserheblichkeit der Tatsache die materielle
Rechtsauffassung des Tatsachengerichts maßgeblich ist. Hier indes betrifft die
Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach es auf die unter Beweis gestellte
Ungefährlichkeit der Hunderasse Kuvasz in dem maßgeblichen Steuerjahr nicht an-
komme, die Frage der Beweiserheblichkeit selbst und ist nicht prozessuale Folge
seiner materiellen Rechtsauffassung im Übrigen. Das Berufungsgericht kann nicht
dadurch, dass es von seinem Standpunkt aus, wonach der Satzungsgeber unter dem
Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls in den ersten Jahren nach Übernahme
der landesrechtlich vorgegebenen Rasselisten keine eigenen Ermittlungen und
Nachforschungen über die Gefährlichkeit der erfassten Hunderassen anstellen muss,
in - wie oben ausgeführt - rechtlich nicht zulässiger Weise darauf schließt, dass
deshalb auch im Verwaltungsprozess entsprechenden Beweisanträgen nicht
nachgegangen werden muss, gleichzeitig die rechtliche Unerheblichkeit der zugrun-
deliegenden Tatsachenbehauptungen begründen und sich so gegen jede in diesem
Zusammenhang ansonsten in Betracht zu ziehende Beweiserhebung und etwaige
entsprechende Verfahrensrügen absichern. Die einen Verfahrensfehler grundsätzlich
ausschließende Entscheidungsunerheblichkeit einer Tatsache darf mit anderen Wor-
ten nicht allein auf der unzutreffenden Rechtsauffassung des Tatsachengerichts von
dieser mangelnden Entscheidungserheblichkeit beruhen.
Das Unterbleiben der beantragten Beweiserhebung ist schließlich auch
nicht etwa deshalb verfahrensfehlerfrei erfolgt, weil das Berufungsgericht den bean-
tragten Sachverständigenbeweis jedenfalls im Ergebnis zulässigerweise ablehnen
durfte. Diese Frage lässt sich beim derzeitigen Stand des Verfahrens vielmehr nicht
abschließend beurteilen. Zwar steht es nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts im tatrichterlichen Ermessen des Berufungsgerichts
(§ 98 VwGO i.V.m. § 412 ZPO in entsprechender Anwendung), die Einholung eines
(weiteren) Sachverständigengutachtens etwa wegen bereits vorhandener Erkennt-
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nismittel oder im Hinblick auf die sonst ausreichend bestehende eigene Sachkunde
abzulehnen (vgl. dazu etwa BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B
518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60; Beschluss vom 30. Januar 2002
- BVerwG 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69, S. 31, jeweils m.w.N.). Das
Berufungsgericht hat sich hier indes weder auf ein solches Ermessen noch auf eine
besondere eigene Sachkunde berufen. Es hat die Ablehnung des Sachverständi-
genbeweises auch nicht etwa darauf gestützt, dass es sich um einen unzulässigen
Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag in Bezug auf die behauptete Unge-
fährlichkeit der Hunderasse Kuvasz handele, für deren Wahrheitsgehalt nicht we-
nigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche (zu den Voraussetzungen eines
nach diesen Grundsätzen unzulässigen Beweisantrags vgl. BVerwG, Beschlüsse
vom 27. März 2000 und vom 30. Januar 2002, jeweils a.a.O.).
Nach allem ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei
ordnungsgemäßer Behandlung des Beweisantrags des Klägers zu einer anderen
Beurteilung der Frage gelangt wäre, ob der Beklagte als Satzungsgeber Hunde der
Rasse Kuvasz in die Liste der nach Anlage 2 zu § 2 Abs. 3 Satz 2 Hundesteuersat-
zung erhöht zu besteuernden Hunde aufnehmen durfte.
4. Für die weitere Behandlung des Falles weist der Senat auf Folgen-
des hin:
Die Frage, ob die Aufnahme des Kuvasz in die Rasseliste nach § 2
Abs. 3 Satz 2 Anlage 2 Hundesteuersatzung die Grenzen der Sachgerechtigkeit ü-
berschreitet, so dass die Heranziehung des Klägers zu einem erhöhten Steuersatz
unter dem Blickwinkel der steuerlichen Belastungsgleichheit zu beanstanden ist,
hängt in erster Linie von der Auslegung des Landesrechts ab. Dem Hinweis auf die
einschlägige Verwaltungsvorschrift zur Landeshundeverordnung (Beschlussabdruck
S. 14) ist nicht hinreichend sicher zu entnehmen, ob das Berufungsgericht insofern
davon ausgeht und es billigt, dass der Kuvasz als Herdenschutzhund wegen seines
genetisch bedingten Schutztriebes in die Rasseliste aufgenommen worden ist. Zu
dieser Frage wird das Berufungsgericht eindeutig Stellung beziehen müssen, weil
davon abhängt, welcher Art von Gefahren mit der Aufnahme in die Rasseliste der
Anlage 2 der Landeshundeverordnung entgegengewirkt werden sollte. Davon kann
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abhängen, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens etwa wegen bereits
vorhandener Erkenntnismittel oder im Hinblick auf die sonst ausreichend bestehende
eigene Sachkunde vom Berufungsgericht abgelehnt werden darf.
In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht sich ferner Re-
chenschaft darüber ablegen müssen, welchen Lenkungszweck es der Hundesteuer-
satzung beilegt, wenn es um die Rasseliste geht, die aus der Anlage 2 der Landes-
hundeverordnung übernommen worden ist. Die Ausführungen der Berufungsinstanz
zu dieser Frage sind in dieser Hinsicht ebenfalls mit Unklarheiten behaftet. Einerseits
wird nämlich auf Vorentscheidungen Bezug genommen, die es billigen, wenn mit der
erhöhten Hundesteuer "der legitime soziale (Lenkungs-)Zweck verfolgt (wird), im In-
teresse einer Gefahrenvorbeugung die Zahl solcher Hunde in der Gemeinde im Ver-
hältnis zu den Hunden zu vermindern, die als weniger gefährlich eingeschätzten
Rassen angehören" (Beschlussabdruck S. 12). Dieser Gedanke wird dann hinsicht-
lich der Rasseliste der Anlage 2 möglicherweise aufgegriffen, wenn es an anderer
Stelle heißt, der potenzielle Hundehalter werde wegen des Risikos, ggf. den Nach-
weis der individuellen Ungefährlichkeit des Hundes nicht erbringen zu können, even-
tuell dazu bewegt, auf den Erwerb eines solchen Tieres zu verzichten, wenn nicht
bereits zuvor durch die entsprechenden Wesenstests dieser Nachweis erbracht sei
(Beschlussabdruck S. 14). Andererseits verweist das Berufungsgericht aber wieder-
holt auf die die Regelung des § 2 Abs. 4 Hundesteuersatzung (Beschlussabdruck
S. 2, 13, 15), die aufzeigt, dass die Lenkungswirkung des erhöhten Steuersatzes bei
den Hunden dieser Rasseliste möglicherweise eine völlig andere Zielrichtung hat als
bei den Hunden der Rasseliste aus Anlage 1 der Landeshundeverordnung, weil es
bei der Rasseliste der Anlage 2 - zumindest vorrangig - nicht darum gehen dürfte,
eindämmend Einfluss auf die künftige Entwicklung der Hundepopulation im Gemein-
degebiet zu nehmen. Tiere dieser Rassen sollen im Gemeindegebiet nur gehalten
werden, wenn sie einen Wesenstest bestanden haben (Beschlussabdruck S. 14).
Der erhöhte Steuersatz soll dann für die Hundehalter einen Anreiz schaffen, ihre Tie-
re dem Wesenstest zu unterwerfen, um auf diese Weise in den Genuss der - im Re-
gelfall wohl zu erwartenden - Steuerersparnis zu gelangen. Dies hat nicht nur - wie
das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - Einfluss auf die Überprüfung der Ver-
hältnismäßigkeit der Besteuerung (Beschlussabdruck S. 15). Damit wird zugleich
nachvollziehbar, dass die Landeshundeverordnung und ihr folgend die Hundesteuer-
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satzung den Gefahrenmomenten, die von der Hundehaltung ausgehen, durch ein
deutlich abgestuftes Schutzniveau Rechnung tragen wollen. Neben die Rasseliste für
"echte" Kampfhunde sollte offenbar eine Rasseliste für "fiktive" Kampfhunde treten,
von denen abstrakte Gefahren in einem nicht vergleichbaren Umfange ausgehen, so
dass bei Letzteren etwa auf ein Zuchtverbot verzichtet werden kann. Auch dies kann
- wenn das Berufungsgericht nicht zu einer abweichenden Auslegung des
Landesrechts gelangt - für die Beantwortung der Frage Bedeutung haben, ob im vor-
liegenden Fall die Einholung eines Sachverständigengutachtens etwa wegen bereits
vorhandener Erkenntnismittel oder im Hinblick auf die sonst ausreichend bestehende
eigene Sachkunde vom Berufungsgericht abgelehnt werden darf. Denn an den
Nachweis der abstrakten Gefährlichkeit der Hunde dürfen auf dieser - niedrigeren -
Stufe des Schutzkonzepts keine überspannten Anforderungen gestellt werden.
5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 3
GKG.
Hien
Vallendar
Prof. Dr. Eichberger
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Abgabenrecht
Fachpresse: ja
kommunales Steuerrecht
Hundesteuer
Verwaltungsprozessrecht
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 105 Abs. 2 a
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6
Stichworte:
Hundesteuer; Erhöhung des Steuersatzes für Kampfhunde; Rasselisten von Hunden;
Übernahme von Regelungen eines anderen Normgebers; Überprüfungspflicht des
Satzungsgebers; Rechtsschutzgarantie; Ablehnung eines Sachverständigenbe-
weises.
Leitsätze:
1. Ein Satzungsgeber, der "Kampfhunde" wegen ihrer potenziellen Gefährlichkeit
erhöht besteuern will, kann zu diesem Zweck Rasselisten aus einer der Gefahren-
abwehr dienenden landesrechtlichen Regelung (hier: Landeshundeverordnung für
Nordrhein-Westfalen) übernehmen, ohne eigene Erhebungen über die Gefährlichkeit
der erfassten Hunderassen anstellen zu müssen. Er trägt dann gleichwohl die unein-
geschränkte Verantwortung für die Vereinbarkeit seiner Hundesteuersatzung mit hö-
herrangigem Recht, insbesondere auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz.
2. In einem solchen Fall kann der Antrag eines Steuerpflichtigen auf Einholung eines
Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass eine von der erhöhten
Steuer erfasste Hunderasse in Wahrheit kein höheres Gefährdungspotenzial aufweist
als vergleichbare andere, nicht von der Liste erfassten Hunde vom Gericht nicht mit
der Begründung abgelehnt werden, den Satzungsgeber treffe im maßgeblichen Be-
steuerungszeitraum keine Pflicht zur Überprüfung der sachlichen Richtigkeit der aus
dem Landesrecht übernommenen Rasseliste.
Beschluss des 10. Senats vom 28. Juli 2005 - BVerwG 10 B 34.05
I. VG Düsseldorf vom 19.02.2003 - Az.: VG 25 K 1546/02 -
II. OVG Münster
vom 16.02.2005 - Az.: OVG 14 A 1819/03 -