Urteil des BVerwG vom 17.08.2006

Flurbereinigung, Sanierungsbedürftigkeit, Erlass, Altlasten

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 30.06
OVG 9 C 10680/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. August 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar, Prof. Dr. Rubel
und Dr. Nolte
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz (Flurbereinigungsgericht für Rheinland-
Pfalz und das Saarland) vom 15. Februar 2006 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grund-
sätzliche Bedeutung) und des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrensmangel)
i.V.m. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Als grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde die Fragen auf,
„ob das Flurbereinigungsrecht gemäß § 3 Abs. 1 Ziff. 7
Bundesbodenschutzgesetz dem Bodenschutzrecht vor-
rangig ist, wenn Weinberge, die Altlasten im Sinne des § 2
Abs. 5 Bundesbodenschutzgesetz sind, flurbereinigt wer-
den sollen, ob mithin in diesem Sinne das Flurbereini-
gungsgesetz - bspw. in § 37 - Regelungen enthält, die sich
mit Einwirkungen auf den Boden befassen“,
„ob eine Flurbereinigung im Sinne des § 4 erforderlich und
das Interesse der Beteiligten gegeben ist, wenn im Rah-
men der Flurbereinigung eine Altlastsanierung dergestalt
zu betreiben ist, dass die Sanierungskosten Ausführungs-
kosten darstellen, die auf die Teilnehmer umzulegen sind
(§ 19 Abs. 1 FlurbG) - mit anderen Worten, ob es legitimes
Ziel einer Flurbereinigung (auch) sein kann, dass die vor
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dem Flurbereinigungsbeschluss bestehende Einzel-
verantwortlichkeit des Grundstückseigentümers im Wege
der Flurbereinigung sozialisiert wird“,
„ob bei bekannter Altlasteneigenschaft von Grundstücken
vor Erlass des Flurbereinigungsbeschlusses der Sanie-
rungsaufwand insbesondere zur Feststellung des Interes-
ses der Beteiligten kostenmäßig v o r der Beschluss-
fassung nach § 4 ermittelt werden muss, um die Erforder-
lichkeit und das Interesse der Beteiligten ermitteln zu kön-
nen oder ob dies im Verlauf der Flurbereinigung gesche-
hen kann, mit der vom OVG gebilligten Folge, dass eine
zu hohe Kostenbelastung zur späteren Einstellung nach
§ 9 FlurbG führen kann“ und
„ob es sich überhaupt um ‚nachträglich eingetretene Um-
stände’ im Sinne des § 9 FlurbG handeln kann, wenn be-
reits im Zeitpunkt des Flurbereinigungsbeschlusses die
Sanierungsbedürftigkeit bekannt war, nur ihr Kostenvolu-
men noch nicht“.
Grundsätzliche Bedeutung kann nur solchen Fragen zukommen, die sich in
einem Revisionsverfahren stellen würden. Daran fehlt es, wenn das Oberver-
waltungsgericht Tatsachen, die vorliegen müssten, damit sich die mit der Nicht-
zulassungsbeschwerde angesprochene Rechtsfrage in einem Revisionsverfah-
ren stellen würde, nicht festgestellt hat (vgl. etwa Beschluss vom 30. Juni 1992
- BVerwG 5 B 99.92 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309 S. 43). Das ist hier,
ohne dass die Beschwerde insoweit - wie zu zeigen sein wird - eine durchgrei-
fende Verfahrensrüge erhoben hätte, der Fall.
Die erste Frage nach dem Verhältnis von Flurbereinigungsrecht und Boden-
schutzgesetz steht unter der Voraussetzung, dass Weinberge „Altlasten im Sin-
ne des § 2 Abs. 5 Bundesbodenschutzgesetz sind“. Tatsächliche Feststellun-
gen, die diese Voraussetzung erfüllen, hat das Oberverwaltungsgericht jedoch
nicht getroffen. Ebenso wenig hat das Oberverwaltungsgericht Tatsachen fest-
gestellt, die den Schluss auf eine „bekannte Altlasteneigenschaft von Grund-
stücken vor Erlass des Flurbereinigungsbeschlusses“ zulassen (dritte Frage).
Schließlich enthält die Entscheidung auch nicht die Feststellung, dass „bereits
im Zeitpunkt des Flurbereinigungsbeschlusses die Sanierungsbedürftigkeit be-
kannt war (vierte Frage). Das Oberverwaltungsgericht ist vielmehr, wie sich et-
wa aus seiner Unterstellung ergibt, Flächen im Verfahrensgebiet könnten sich
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später als sanierungsbedürftig erweisen (UA S. 16), gerade nicht von einem
Sanierungsbedarf zum Zeitpunkt des Flurbereinigungsbeschlusses sowie zum
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (UA S. 12) ausgegangen.
Dasselbe gilt auch für die zweite von der Beschwerde aufgeworfene Frage je-
denfalls insoweit, als sie sich darauf bezieht, ob eine Flurbereinigung im Sinne
des § 4 FlurbG „erforderlich“ ist. Denn zumindest in diesem Zusammenhang, für
den es auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt, ist das
Oberverwaltungsgericht nicht davon ausgegangen, dass eine „Altlastsanierung
… zu betreiben ist“. Ob im Zusammenhang mit dem Kriterium des „Interesses
der Beteiligten“ etwas anderes gilt, weil das Oberverwaltungsgericht im Rah-
men der Prüfung der Kostenbelastung die Möglichkeit einer Sanierungsbedürf-
tigkeit von Flächen im Verfahrensgebiet unterstellt hat, kann offen bleiben.
Denn die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die von ihr wegen der
Regelung des § 19 Abs. 1 FlurbG befürchtete „Sozialisierung“ bodenschutz-
rechtlicher Einzelverantwortlichkeiten von Grundstückseigentümern der Anord-
nung der Flurbereinigung entgegensteht, lässt sich, ohne dass es hierzu der
Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte, auf der Grundlage der
höchstrichterlichen Rechtsprechung beantworten. In der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich geklärt, dass die Berücksichtigung et-
waiger unterschiedlicher Vorteile zwar nicht im Rahmen des § 19 Abs. 1
FlurbG, wohl aber durch die Absätze 2 und 3 dieser Vorschrift bei der Heran-
ziehung der Teilnehmer zu den Beiträgen im konkreten Fall gewährleistet ist
(Urteil vom 25. November 1970 - BVerwG 4 C 80.66 - Buchholz 424.01 § 19
FlurbG Nr. 6 S. 7; Urteil vom 15. Mai 1986 - BVerwG 5 C 33.84 - BVerwGE 74,
196 <197> m.w.N. = Buchholz 424.01 § 19 FlurbG Nr. 12). Die Möglichkeit des
Eintritts unterschiedlicher Vorteile der Teilnehmer steht deswegen dem Erlass
eines Flurbereinigungsbeschlusses nach § 4 FlurbG nicht entgegen.
2. Auch die von der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch.
Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) sieht
die Beschwerde darin, dass sich das Oberverwaltungsgericht trotz unterschied-
licher Aussagen in den von den Beteiligten vorgelegten Sachverständigengut-
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achten „einseitig auf die Seite des Beklagten“ begeben und eine Rebenschäd-
lichkeit der Schwermetallbelastung verneint habe. Damit rügt die Beschwerde
der Sache nach aber einen - angeblichen - Fehler in der Beweiswürdigung
durch das Oberverwaltungsgericht, der revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem
Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen ist und einen Ver-
fahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht be-
gründen kann (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 -
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Anhaltspunkte für das Vorliegen
des möglichen Ausnahmefalles einer gegen Denkgesetze verstoßenden oder
sonst von Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung sind nicht erkennbar. Denn
das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass das vom Kläger vorgelegte
Gutachten Aussagen zur Pflanzenverfügbarkeit nicht treffe, während der Gut-
achter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung die gemessene Schwer-
metallkonzentration wegen der pH-Werte in keinem Fall als pflanzentoxisch
eingeschätzt habe. Das Oberverwaltungsgericht stützt sich bei seiner Sachver-
haltswürdigung mithin in nachvollziehbarer und im vorliegenden Zusammen-
hang nicht zu beanstandender Weise auf einen weitergehenden, im Gutachten
des klägerischen Sachverständigen nicht enthaltenen Aussagegehalt der
gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen des Beklagten. Auf die-
ser Grundlage ist es ebenfalls nicht zu beanstanden, dass das Oberverwal-
tungsgericht - anders als von der Beschwerde gefordert - kein weiteres Sach-
verständigengutachten eingeholt hat, weil sich dies nach dem dargelegten In-
halt der beiden Gutachten jedenfalls nicht aufgedrängt hat (vgl. zu diesem Kri-
terium Urteil vom 6. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98
VwGO Nr. 31 S. 2 m.w.N.). Aufgrund der besonderen Besetzung des Flurberei-
nigungsgerichts mit sachverständigen Richtern (§ 139 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3
FlurbG) ist dieses im Übrigen nur unter besonderen Umständen gehalten,
Sachverständige heranzuziehen, etwa in Fällen, die schwierig gelagert sind
oder besondere Spezialkenntnisse erfordern (vgl. BVerwG, Beschluss vom
22. September 1989 - BVerwG 5 B 146.88 - Buchholz 424.01 § 139 FlurbG
Nr. 14 m.w.N.). Die Beschwerde hat nicht dargelegt, dass die Einschätzung der
Rebschädlichkeit der Schwermetallbelastung durch das Oberverwaltungsgericht
unter diesem Aspekt fehlerhaft ist.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Vallendar Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
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