Urteil des BVerwG vom 09.08.2004

Rechtliches Gehör, Rüge, Wiederherstellung, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 3.04
VGH 13 A 03.858
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. August 2004
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t und
Prof. Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
(Flurbereinigungsgericht) vom 15. Januar 2004 wird zurückge-
wiesen.
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Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Die zu ihrer Begründung angeführten
Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Einen für das angefochtene Urteil erheblichen Verfahrensmangel, der zur Zulas-
sung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnte, haben die Kläger
nicht schlüssig bezeichnet.
Dies gilt zunächst für die Rüge, das Flurbereinigungsgericht habe den Anspruch der
Kläger auf rechtliches Gehör verletzt, indem es entgegen ihrem Antrag die Flurkarte
58-4 (alt) "nicht zur Beweisführung zugelassen" und eine mögliche Planänderung, die
mit Verwendung der vom Beklagten vorgelegten Abfindungskarte einhergehe, nicht
erörtert habe. Da die auf angeblich fehlerhafte Kartierung gestützten Einwendungen
der Kläger umfangreich Gegenstand vorbereitender Schriftsätze waren und die
Kläger ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 15. Januar
2004 auch dort Gelegenheit hatten, diese Einwendungen in tatsächlicher und
rechtlicher Hinsicht zu erläutern, kann die genannte Rüge nur als Beanstandung
ausgelegt werden, dass im angefochtenen Urteil nicht auf den diesbezüglichen Vor-
trag der Kläger eingegangen worden sei. Aus dem Prozessrecht folgt jedoch kein
Anspruch einer Partei darauf, dass sich das Gericht in seiner Entscheidung aus-
drücklich mit jeder Einzelheit des Parteivorbringens auseinander setzt. Abgesehen
davon lassen die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils erkennen, dass
das Flurbereinigungsgericht aufgrund seiner Auslegung der flurbereinigungsrechtli-
chen Vorschriften den die Landabfindung betreffenden Vortrag der Kläger, auch so-
weit er auf angeblich fehlerhafte Kartierung gestützt war, im vorliegenden Klagever-
fahren gegen die vorzeitige Ausführungsanordnung für unerheblich und eine etwaige
konkludente Änderung des Flurbereinigungsplans mangels rechtsmittelfähiger Be-
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kanntgabe für unwirksam gehalten hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt
jedoch keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten
aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberück-
sichtigt lassen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 96, 205 <216>; stRspr).
Auch die weitere Rüge, das Flurbereinigungsgericht habe gegen die Aufklärungs-
pflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, weil es nicht ermittelt habe, "welche Flur-
karte und welche Abfindungsflurkarte der vorzeitigen Ausführungsanordnung
zugrunde gelegt wurde", und weil es "jedenfalls bei Zulassung der vom Beklagten
vorgelegten Abfindungsflurkarte" die Bindungswirkung "des Urteils vom 11.11.1999"
nicht beachtet habe, zeigt schon deshalb keinen Verfahrensmangel auf, weil die Klä-
ger nicht darlegen, dass der von ihnen behauptete Ermittlungsbedarf auf der Grund-
lage der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung bestand.
Nach dieser Auffassung regelt allein der Flurbereinigungsplan, wie der mit Wirksam-
werden der vorzeitigen Ausführungsanordnung eintretende neue Rechtszustand
aussieht, und ist hier maßgeblich der Flurbereinigungsplan, wie er den Urteilen vom
11. November 1999 zugrunde lag. Deshalb kam es für die Entscheidung des Flurbe-
reinigungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der vorzeitigen Ausführungsanordnung,
die alleiniger Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war, auf den zwischen den
Beteiligten bestehenden Streit über die richtige Vermessung und Abmarkung der
Grenzen der Abfindungsflurstücke und die Authentizität des dabei verwendeten Kar-
tenmaterials nicht an.
2. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch nicht, dass die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. Dies wäre nur
der Fall, wenn für die Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts eine konkrete, je-
doch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende
höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung
der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwick-
lung des Rechts geboten erscheint (vgl. BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr). Die von den
Klägern in der Beschwerdebegründung bezeichneten Fragen erfüllen diese Anforde-
rungen nicht.
Die von ihnen zunächst aufgeworfene Frage,
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ob bei der Anordnung vorzeitiger Ausführung des Flurbereinigungsplans "auf
eine noch nicht bestandskräftige Änderung Bezug genommen werden kann
und bei erfolgreichem Anfechten dieser Änderung dann für die vorzeitige Aus-
führungsanordnung der alte bestandskräftige Flurbereinigungsplan gilt",
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Denn aus § 63 Abs. 1 und 2
FlurbG ergibt sich ohne weiteres, dass unter den dort bestimmten Voraussetzungen
die Ausführung eines Flurbereinigungsplans vor seiner Unanfechtbarkeit angeordnet
werden kann und jede nachträgliche unanfechtbare Änderung eines vorzeitig ausge-
führten Flurbereinigungsplans in rechtlicher Hinsicht auf den in der Ausführungsan-
ordnung festgesetzten Tag zurückwirkt. Dass letzteres auch bei Planänderungen
durch das Flurbereinigungsgericht gilt, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts geklärt (vgl. BVerwGE 12, 341 <345>). Darauf, ob das Fehlen der Un-
anfechtbarkeit des vorzeitig auszuführenden Plans auf das Fehlen der Bestandskraft
einer vorherigen Planänderung zurückzuführen ist, kann es nach Wortlaut und Sinn
des § 63 FlurbG ebenso wenig ankommen wie darauf, ob die nachträgliche Ände-
rung des vorzeitig ausgeführten Plans durch das Gericht in der Aufhebung einer vor-
herigen Planänderung unter Wiederherstellung des ursprünglichen Planstandes oder
in einer eigenen neuen Planänderung nach § 144 Satz 1 FlurbG besteht.
Die von den Klägern weiter gestellten Fragen,
- "ob eine vorzeitige Ausführungsanordnung ohne Zugrundelegung der Abfin-
dungskarte, auf die Bezug genommen wird, gültig ist" und
- "ob eine vorzeitige Ausführungsanordnung ... auf einen Flurbereinigungsplan,
der nicht weiter bestimmt ist (wenn mehrere Pläne/Änderungen vorliegen) Be-
zug nehmen kann, ohne auch eine Abfindungskarte mit anzuführen, aus der
sich die tatsächliche Grenzziehung ergeben wird",
waren für die Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts nicht von Bedeutung. Denn
dieses hat ausdrücklich festgestellt, dass für die vorzeitige Ausführung hier der Flur-
bereinigungsplan maßgeblich ist, wie er den Urteilen vom 11. November 1999
zugrunde lag, und dass für die Grenzziehung der neuen Grundstücke im Flurbereini-
gungsplan die Abfindungskarte maßgeblich ist. Damit war ersichtlich die Abfindungs-
karte gemeint, die der Vorstand der Teilnehmergemeinschaft am 18. Mai 1995 als
Bestandteil des Flurbereinigungsplans beschlossen hatte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Streit-
wertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG a.F.
Hien Dr. Storost Prof. Dr. Eichberger
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bodenrecht
Fachpresse:
ja
Recht der Landwirtschaft
Flurbereinigungsrecht
Rechtsquelle:
FlurbG § 63
Stichworte:
Flurbereinigungsplan; vorzeitige Ausführungsanordnung; Änderung des Flurbereini-
gungsplans.
Leitsätze:
1. Gemäß § 63 Abs. 1 FlurbG kann unter den dort bestimmten Voraussetzungen die
Ausführung eines Flurbereinigungsplans vor seiner Unanfechtbarkeit auch dann an-
geordnet werden, wenn das Fehlen der Unanfechtbarkeit des vorzeitig auszuführen-
den Plans auf das Fehlen der Bestandskraft einer vorherigen Planänderung zurück-
zuführen ist.
2. Gemäß § 63 Abs. 2 FlurbG wirkt eine nachträgliche unanfechtbare Änderung eines
vorzeitig ausgeführten Flurbereinigungsplans durch das Flurbereinigungsgericht auch
dann in rechtlicher Hinsicht auf den in der Ausführungsanordnung festgesetzten Tag
zurück, wenn sie in der Aufhebung einer vorherigen Planänderung unter
Wiederherstellung des ursprünglichen Planstandes besteht.
Beschluss des 10. Senats vom 9. August 2004 - BVerwG 10 B 3.04
I. VGH München vom 15.01.2004 - Az.: VGH 13 A 03.858 -