Urteil des BVerwG vom 14.08.2006

Rechtliches Gehör, Befreiung, Anschluss, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 29.06
VGH 23 B 05.2353
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. August 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar, Prof. Dr. Rubel und
Dr. Nolte
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 14. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 4 208,06 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO)
gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Als grundsätzlich bedeutsam wirft die Beschwerde die Frage auf,
„ob die Verpflichtung zur Tragung von Benutzungsgebüh-
ren einer öffentlichen Einrichtung zulässig ist, wenn die
Benutzung allein durch einen rechtlich selbständigen Drit-
ten erfolgt, dessen Versorgung allein im öffentlichen Inte-
resse steht, die Inanspruchnahme gegen den Willen des
Verpflichteten erfolgt und zu einer faktischen Verlagerung
von öffentlichen Aufgaben auf den privaten Verpflichteten
führt“.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie betrifft - wie die
Beschwerde selbst erkennt - die Frage der hinreichenden Rechtsgrundlage für
die Inanspruchnahme der Klägerin. Diese Frage ist auf der Grundlage des
Bayerischen Kommunalabgabengesetzes sowie des Satzungsrechts der Kläge-
rin zu entscheiden und betrifft mithin Normen des irrevisiblen Landesrechts,
deren Auslegung und Anwendung vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft wird
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(vgl. § 137 Abs. 1 VwGO) und eine Zulassung der Revision wegen grundsätzli-
cher Bedeutung deswegen nicht begründen kann.
Die aufgeworfene Frage wird auch nicht dadurch zu einer solchen des revi-
siblen Rechts, dass die Beschwerde in der Auslegung und Anwendung der ge-
nannten landesrechtlichen Normen durch den Verwaltungsgerichtshof einen
Verstoß gegen Art. 2 und Art. 14 GG sieht. Die Rüge einer Verletzung von Bun-
des(verfassungs)recht bei der vorinstanzlichen Auslegung und Anwendung
irrevisiblen Landesrechts vermag die Zulassung der Grundsatzrevision nur zu
rechtfertigen, wenn die Beschwerde eine klärungsbedürftige Frage gerade des
Bundes(verfassungs)rechts darlegt, nicht aber dann, wenn nicht das Bundes-
recht, sondern allenfalls das Landesrecht klärungsbedürftig ist (stRspr, vgl.
etwa Beschluss vom 7. März 1996 - BVerwG 6 B 11.96 - Buchholz 310 § 137
Abs. 1 VwGO Nr. 7 m.w.N.). Die Klärungsbedürftigkeit von Bundesrecht zeigt
die Beschwerde jedoch nicht auf. Denn ihre Anknüpfung an die genannten
Grundrechte beschränkt sich auf das - höchstrichterlich insoweit geklärte -
Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingrif-
fe. Wenn die Beschwerde geltend macht, für die Inanspruchnahme der Klägerin
reichten die vom Verwaltungsgerichtshof herangezogenen Rechtsgrundlagen
nicht aus, vielmehr bedürfte es hierfür einer speziellen gesetzlichen Er-
mächtigung, so führt dies über die bloße Kritik der Auslegung und Anwendung
von irrevisiblem Landesrecht nicht hinaus und vermag eine Zulassung der Re-
vision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zu begründen.
Dasselbe gilt für die weitere in diesem Zusammenhang von der Beschwerde
aufgeworfene Frage,
„ob das dinglich gesicherte Leitungsrecht zugunsten des
Grundstücks L. 3 nicht sogar eine Erschließung im Sinne
von § 4 Abs. 2 Satz 1 WAS darstellt mit der Folge, dass
das Grundstück L. 3 selbst unmittelbar dem Anschluss-
und Benutzungszwang unterliegt, §§ 5, 4 WAS“.
2. Die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen führen ebenfalls nicht
zur Zulassung der Revision.
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a) Die Klägerin sieht einen Verstoß gegen die sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO ergebende Pflicht des Gerichts, nach seiner freien, aus dem Gesamter-
gebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, darin, dass
der Verwaltungsgerichtshof davon ausgehe, dass ein Antrag auf Befreiung vom
Anschluss- und Benutzungszwang nicht vorliege, obwohl die Klägerin in ihrem
Schreiben vom 6. November 2000 an die Beklagte die Einstellung der Wasser-
versorgung schriftlich beantragt habe. Dass der Verwaltungsgerichtshof inso-
weit Sachvortrag der Klägerin „übergangen“ hätte, wie die Klägerin meint, ist
jedoch schon deswegen nicht erkennbar, weil er das genannte Schreiben im
Tatbestand des Urteils ausdrücklich erwähnt und in den Gründen dadurch be-
schieden hat, dass er eine einseitige Erklärung nicht als ausreichend ansieht,
um ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis zu beenden (UA S. 8). Der
Sache nach rügt die Klägerin mit ihrem Vorbringen ohnehin einen Fehler in der
Sachverhaltswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof, weil sie der Auffas-
sung ist, das Schreiben stelle einen Antrag auf Befreiung im Sinne von § 22
Abs. 3 WAS dar. Ein solcher - angeblicher - Fehler ist aber revisionsrechtlich
regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzu-
ordnen und kann deswegen einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. Beschluss vom
2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266
S. 18 f.). Anhaltspunkte für das Vorliegen des Ausnahmefalls einer gegen
Denkgesetze verstoßenden oder sonst von Willkür geprägten Sachverhalts-
würdigung sind nicht erkennbar. Der Verwaltungsgerichtshof ist ersichtlich da-
von ausgegangen, dass das Schreiben vom 6. November 2000 nicht als Be-
freiungsantrag im Sinne von § 22 Abs. 3 WAS zu werten ist, sondern ihm allen-
falls nach § 22 Abs. 2 WAS Bedeutung zuzumessen sei, was aber das öffent-
lich-rechtliche Benutzungsverhältnis nicht beenden könnte. Diese Erwägung ist
jedenfalls nachvollziehbar und deswegen im vorliegenden Zusammenhang nicht
zu beanstanden. Dass die Entscheidung auf dem von der Klägerin geltend ge-
machten Verfahrensmangel beruhen könnte, ist ohnehin nicht erkennbar, weil
der Verwaltungsgerichtshof - von der Beschwerde unwidersprochen - davon
ausgegangen ist, dass eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang
oder eine teilweise Beschränkung der Benutzungspflicht, selbst wenn sie bean-
tragt worden wäre, jedenfalls von der Beklagten nicht gewährt worden ist.
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b) Als weiteren Verfahrensmangel rügt die Klägerin, das Berufungsurteil verlet-
ze den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, weil es sich nicht mit der Frage aus-
einander setze, ob ein Benutzungszwang bereits deshalb nicht bestehe, weil die
Klägerin in dem angegriffenen Zeitraum objektiv keinen Wasserbedarf gehabt
habe unabhängig davon, ob der Anschluss- und Benutzungszwang aufgrund
des Befreiungsantrages der Klägerin vom 6. November 2000 beendet worden
sei. Auch diese Rüge greift jedoch nicht durch. Der Anspruch auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verlangt vom Gericht, den
Sachvortrag der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung
zu ziehen (vgl. z.B. Urteil vom 20. November 1995 - BVerwG 4 C 10.95 - Buch-
holz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22). Er verbietet dem Gericht jedoch nicht,
eine von der Meinung der Beteiligten abweichende Rechtsauffassung zu vertre-
ten (Beschluss vom 15. Juni 2000 - BVerwG 4 BN 20.00 -). Nur dies hat der
Verwaltungsgerichtshof in der angegriffenen Entscheidung getan. Er ist der vom
Verwaltungsgericht vertretenen, von der Klägerin im Berufungsverfahren ü-
bernommenen und vom Verwaltungsgerichtshof im Tatbestand seines Urteils
wiedergegebenen Ansicht, die Klägerin habe nicht dem Benutzungszwang un-
terlegen, weil kein Wasser- bzw. Entwässerungsbedarf bestanden habe, nicht
gefolgt. Er ist vielmehr in Auslegung irrevisiblen Rechts davon ausgegangen,
dass der von der Klägerin unstreitig veranlasste Anschluss- und Benutzungs-
zwang hier nur durch eine Befreiung oder eine Beschränkung der Benutzungs-
pflicht beendet werden konnte. Auf das Fortbestehen eines konkreten Wasser-
oder Entwässerungsbedarfs kommt es danach - was angesichts der mangeln-
den Praktikabilität eines solchen Abgrenzungskriteriums auch durchaus nahe
liegen mag - jedenfalls nicht an. Dass sich diese Rechtsauffassung für die Klä-
gerin als überraschend darstellen musste (vgl. zur Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör bei Überraschungsentscheidungen Beschluss vom
23. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 80.91 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241
m.w.N.), macht sie selbst nicht geltend. Auf dieser Grundlage erweist sich die
Rüge der Klägerin als bloße Kritik an der rechtlichen Würdigung des Verwal-
tungsgerichtshofs, die die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrens-
mangels nicht begründen kann.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Vallendar Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte
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