Urteil des BVerwG vom 29.04.2014

Rechtliches Gehör, Verwirkung, Widerruf, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 23.14
OVG 5 A 1809/12.A
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. April 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und Dr. Maidowski
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beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Februar
2014 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig. Weder die geltend gemachte grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch der gerügte Ver-
fahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind in einer Weise dargelegt, die
den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-
sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt die Formulierung einer bestimmten,
höchstrichterlich noch ungeklärten und sowohl für das angefochtene Berufungs-
urteil als auch die angestrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebli-
chen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die An-
gabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung be-
stehen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 m.w.N.).
Die Beschwerde sieht rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf für die Frage,
„ob die 3-Jahresfrist des § 73 Abs. 2 a Asylverfahrensge-
setz (bzw. die Übergangsfrist für Anerkenntnisse gem.
§ 73 Abs. 7 Asylverfahrensgesetz) sich ausschließlich an
die zuständigen Behörden richtet oder (zumindest auch)
dem individuellen Interesse des Bürgers - hier anerkannte
Flüchtlinge - dient und regelt“ (Beschwerdebegründung
S. 4).
Die Frage ist jedoch - wie die Beschwerde einräumt - bereits durch das Urteil
des Senats vom 5. Juni 2012 (BVerwG 10 C 4.11 - BVerwGE 143, 183 =
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Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 45) geklärt. Der Senat hat die Rechtsfrage
dahin entschieden, dass die Verpflichtung, die Widerrufs- und Rücknahme-
voraussetzungen innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Zeitraums des § 73
Abs. 2a AsylVfG (bzw. der Übergangsfrist für Altanerkennungen in § 73 Abs. 7
AsylVfG) zu prüfen, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausschließ-
lich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Entscheidung über den Fortbe-
stand der Asylberechtigung bzw. des Flüchtlingsstatus auferlegt ist und ein Ver-
stoß gegen diesen Prüfungsauftrag einen verspäteten Widerruf nicht aus-
schließt. Das hat der Senat aus den Materialien des Zuwanderungsgesetzes
abgeleitet, in denen die zum 1. Januar 2005 neu eingeführte Dreijahresfrist zur
obligatorischen Überprüfung der Widerrufs- oder Rücknahmevoraussetzungen
durch das Bundesamt als Maßnahme zur Beschleunigung des Asylverfahrens
bezeichnet wird (BTDrucks 15/420 S. 107). Der Gesetzgeber wollte damit errei-
chen, dass die Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme, die in der
Praxis bislang weitgehend leergelaufen sind, an Bedeutung gewinnen
(BTDrucks 15/420 S. 112). Die Effektivierung der Rechtsgrundlagen für die
Aufhebung der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung dient jedoch - wie auch das
Gebot der Unverzüglichkeit - nicht den Interessen der Statusinhaber (Urteil vom
5. Juni 2012 a.a.O. Rn. 14).
Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergeben sich keine Gründe, die eine er-
neute Überprüfung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts
rechtfertigen. Aus dem Hinweis der Beschwerde, dass „die Frist im Gesetz fest-
gehalten war, welches sich auch und gerade an die Bürger bzw. Betroffenen
richtet“ (Beschwerdebegründung S. 3) und dass die Bürger darauf vertrauen
dürften, dass sich die Behörden an Gesetze halten, ergibt sich nicht die Not-
wendigkeit für ein erneutes Revisionsverfahren. Denn es entspricht den allge-
mein anerkannten Regeln der Gesetzesauslegung, zu prüfen, ob eine bestimm-
te Norm lediglich dem öffentlichen Interesse an der Verwirklichung bestimmter
vom Gesetzgeber angestrebter Ziele dient - hier: an einer zeitnahen Prüfung
von Widerrufsgründen im Asylrecht - oder zugleich auch Individualinteressen
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2013 - 2 BvE 6/08, 2 BvR 2436/10
- NVwZ 2013, 1468 Rn. 164 f.; Kammerbeschluss vom 16. September 2010
- 2 BvR 2349/08 - BVerfGK 18, 74 Rn. 39; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl.,
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Einführung I Rn. 58 f.). Weitere Gründe, die den Senat zu einer Überprüfung
seiner Rechtsauffassung veranlassen könnten, zeigt die Beschwerde nicht auf.
2. Die Beschwerde rügt des Weiteren einen Verfahrensmangel nach § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO durch eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Ge-
hör. Dieser soll darin liegen, dass das Berufungsgericht im Beschlussverfahren
gemäß § 130a VwGO entschieden und dies damit begründet habe, dass es
sich um eine einfach gelagerte Streitigkeit handele, nachdem das Bundesver-
waltungsgericht in seinem Urteil vom 5. Juni 2012 die hier entscheidungserheb-
lichen Rechtsfragen geklärt habe. Dies treffe nicht zu, da das Bundesverwal-
tungsgericht nicht über den hier beachtlichen Einwand der Verwirkung des Wi-
derrufsrechts entschieden habe. Es sei erforderlich gewesen, durch Befragung
des Klägers in der mündlichen Verhandlung aufzuklären, ob in seinem Fall tat-
sächlich subjektiv eine Vertrauensposition entstanden sei (Beschwerdebegrün-
dung S. 2 f.).
Mit diesem Vorbringen wird der behauptete Verfahrensverstoß nicht den Anfor-
derungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt. Gemäß
§ 130a VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Be-
schluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ob das
Gericht den ihm nach § 130a VwGO eröffneten Weg der Entscheidung im Be-
schlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das
nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist
(stRspr, vgl. etwa Urteil vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 13.09 - BVerw-
GE 138, 289 = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 82 jeweils Rn. 22).
Die Beschwerde zeigt schon nicht auf, dass das Berufungsgericht § 130a
VwGO fehlerhaft ausgelegt und angewendet und damit den Anspruch des Klä-
gers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Das Berufungsgericht hatte in seinem
die Berufung zulassenden Beschluss vom 15. Juli 2013 bereits ausgeführt,
dass die zugunsten des Klägers ergangene erstinstanzliche Entscheidung von
dem oben genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2012
abweicht. Und es hat den Kläger mit Schreiben vom 11. Oktober 2013 darauf
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hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Beschluss nach § 130a Satz 1
VwGO in Betracht kommt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme dazu gege-
ben. In seinem Beschluss vom 7. Februar 2014 hat das Oberverwaltungsgericht
auch begründet, warum es hinsichtlich des von dem Kläger erhobenen Verwir-
kungseinwands eine mündliche Verhandlung sowie eine weitere Sachverhalts-
aufklärung nicht für erforderlich hält (BA S. 4 - 6). Es hat die Voraussetzungen
für eine Verwirkung mit der Begründung verneint, dass neben dem bloßen
Unterlassen des Widerrufs keine zusätzlichen Umstände eingetreten seien, aus
denen der Kläger berechtigterweise den Schluss hätte ziehen dürfen, der Wi-
derruf werde nicht mehr erfolgen. Die Beschwerde legt keine individuellen Um-
stände dar, aus denen sich im Fall des Klägers eine Verwirkung des Widerrufs-
rechts - sofern dieses überhaupt möglich ist (dazu BA S. 5) - ergeben könnte.
Die Ausführungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen seines Vaters sind
ebenso wie das Vorbringen zur Nichtbeantragung einer Niederlassungserlaub-
nis bereits im Ansatz nicht geeignet, in Bezug auf die behördliche Widerrufs-
möglichkeit einen Verwirkungstatbestand auszufüllen. Ein Ermessensfehler des
Oberverwaltungsgerichts beim Entscheiden nach § 130a VwGO ergibt sich
auch nicht bereits daraus, dass es von einer Verwirkung schon aufgrund der
bloßen Tatsache des Zeitablaufs zwischen der Zuerkennung von Asyl und
Flüchtlingseigenschaft im Jahr 1994 und dem im Jahr 2010 erfolgten Widerruf
hätte ausgehen und daher aufgrund mündlicher Verhandlung hätte entscheiden
müssen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht
vorgetragen oder sonst erkennbar.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Kraft
Dr. Maidowski
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