Urteil des BVerwG vom 29.06.2012

Drohende Gefahr, Afghanistan, Heimat, Verfassung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 23.12
VGH A 11 S 3238/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Juni 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts-
hofs Baden-Württemberg vom 11. April 2012 wird verwor-
fen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechts-
sache (§ 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers ist unzu-
lässig. Sie legt den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in einer den An-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssa-
che setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des
revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die sich in dem angestrebten Revisionsver-
fahren stellen würde. Eine solche Rechtsfrage lässt sich der Beschwerde nicht
entnehmen.
1.1 Die Beschwerde hält im Rahmen des vom Kläger im Berufungsverfahren
verfolgten Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines nationalen Abschie-
bungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanis-
tans für klärungsbedürftig,
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„ob afghanische Staatsangehörige, die als Minderjährige in
die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und seit
vielen Jahren in Deutschland leben, bei einer Rückreise
nach Afghanistan einer extremen Gefahrenlage nach § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt sind“.
Diese Frage zielt im Kern nicht auf eine Rechtsfrage, sondern auf die dem Tat-
sachengericht vorbehaltene Prognose, ob dem Kläger aufgrund seiner persönli-
chen Verhältnisse angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaft-
lichen Gegebenheiten in seiner Heimat bei einer Rückkehr eine erhebliche kon-
krete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, welche die Annahme einer ex-
tremen allgemeinen Gefahrenlage rechtfertigt. Die Beschwerde wendet sich
dagegen, dass das Berufungsgericht diese Voraussetzungen aufgrund der tat-
sächlichen Verhältnisse in Afghanistan für nicht (mehr) gegeben sieht und hält
eine neue Bewertung der Gefahrensituation in Afghanistan für erforderlich, weil
sich mit dem bevorstehenden Abzug der internationalen Truppen die Lage wie-
der verschärfen werde. Die Beschwerde greift damit der Sache nach die vom
Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den Prognose-
grundlagen sowie die darauf aufbauende Prognose als Teil der Beweiswürdi-
gung an und stellt dem ihre eigene Einschätzung der Sachlage entgegen, ohne
insoweit eine konkrete, klärungsbedürftige Rechtsfrage aufzuzeigen.
1.2 Die von der Beschwerde weiterhin aufgeworfene Frage,
„ob die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten hohen
Hürden für die Annahme einer extremen Gefahrenlage bei
einer Rückkehr in die Heimat nach § 60 Abs. 7 Satz 1
AufenthG mit Art. 1 GG, dem Recht auf Menschenwürde,
vereinbar ist“,
und die Rechtsbehauptung,
„die hohen Hürden für die Annahme einer extremen Ge-
fahrenlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG [sind] mit der
deutschen Verfassung, der Europäischen Menschen-
rechtskonvention und der Charta der Vereinten Nationen
(UN-Charta) nicht vereinbar“,
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bezeichnen keine grundsätzlicher Klärung bedürftige Rechtsfrage revisiblen
Rechts. Die Beschwerde macht der Sache nach geltend, das Bundesverwal-
tungsgericht habe in seiner Rechtsprechung Bedeutung und Reichweite des
Art. 1 Abs. 1 GG verkannt, weil allein die konkret drohende Gefahr geeignet
sein müsse, dem Anspruch eines Menschen auf Leben durch geeignete
Schutzmaßnahmen gerecht zu werden. Der Vorwurf (vermeintlich) fehlerhafter
Rechtsanwendung ist indes für sich allein schon nicht geeignet, eine Rechtsfra-
ge grundsätzlicher Bedeutung zu bezeichnen. Unabhängig davon ergibt sich
aus der vom Kläger selbst herangezogenen Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts, dass und aus welchen Gründen eine Durchbrechung der
Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zwar aus verfassungsrechtli-
chen Gründen erforderlich ist, aber eben nur in dem von der Beschwerde ange-
griffenen Umfange; damit ist zugleich die Vereinbarkeit mit Art. 1 Abs. 1 GG
geprüft und bejaht. Neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf zeigt die
Beschwerde nicht auf.
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Prof. Dr. Berlit
Fricke
Dr. Maidowski
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