Urteil des BVerwG vom 26.07.2012

Psychologisches Gutachten, Politische Verfolgung, Staatliche Verfolgung, Krankheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 21.12
VGH A 3 S 1876/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Juli 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 15. Februar 2012 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Er-
folg.
1. Die Gehörsrüge ist - unabhängig von der Frage, ob sie den Darlegungsanfor-
derungen genügt - jedenfalls unbegründet, da dem Berufungsurteil in den Ent-
scheidungsgründen unmittelbar zu entnehmen ist, dass das Berufungsgericht
das in den Hilfsbeweisanträgen enthaltene sachliche Vorbringen zur Kenntnis
genommen und in Erwägung gezogen hat (UA S. 19 und S. 29 f.). Der Um-
stand, dass es dieses Vorbringen sachlich anders gewürdigt hat als der Kläger,
begründet keinen Gehörsverstoß.
2. Die Aufklärungsrügen greifen ebenfalls nicht durch. Während sich die Vo-
raussetzungen für die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung unbe-
dingt gestellten Beweisantrages aus § 86 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO ergeben,
wird mit einem nur hilfsweise gestellten Beweisantrag lediglich die weitere Er-
forschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO angeregt (Beschlüsse
vom 10. Juni 1999 - BVerwG 9 B 81.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO
Nr. 302 m.w.N. und vom 19. August 2010 - BVerwG 10 B 22.10 -
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Rn. 10>; Urteil vom 26. Juni 1968 - BVerwG 5 C 111.67 - BVerwGE 30, 57
<58> = Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 9). Die von der Beschwerde der
Sache nach geltend gemachten Verstöße gegen den Amtsermittlungsgrundsatz
(§ 86 Abs. 1 VwGO) sind nur dann ausreichend dargelegt, wenn substantiiert
vorgetragen wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbe-
darf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklä-
rungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächli-
chen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklä-
rung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss dargelegt werden,
dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der
mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren
Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem
Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von
sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328
m.w.N.). Es kann dahinstehen, ob die gerügten Aufklärungsmängel ordnungs-
gemäß dargelegt sind, da das Berufungsgericht jedenfalls seine Pflicht zur
Sachaufklärung aus § 86 Abs. 1 VwGO nicht verletzt hat.
Mit den Hilfsbeweisanträgen Nr. 1 und 2 hat der Kläger eine weitere Sachauf-
klärung zu den Beweisthemen angeregt, dass
1. aufgrund eines Aktenvermerks der Stadt Stuttgart vom 15.12.2009 in
den aufenthaltsrechtlichen Akten das Russische Generalkonsulat bzw.
der Konsul des Russischen Generalkonsulats weiß und erfahren hat,
dass der Kläger und seine Ehefrau hier in Deutschland sind und dass
sie hier Asyl beantragt haben, dass auf jeden Fall hiervon auszugehen
ist und dass dies das russische Regime zum Anlass nehmen wird, den
Kläger bei seiner Rückkehr als tschetschenischen Terroristen festzu-
nehmen, zu verhören und hierbei zu foltern, um ein Geständnis zu er-
zwingen,
2. der Kläger aufgrund seiner damaligen Stellung in Tschetschenien,
die durch die Dokumente erwiesen ist, im Zusammenhang mit der Asyl-
antragstellung und des jahrelangen Auslandsaufenthalts bei einer
Rückkehr als Verräter und Spion angesehen wird, auch als tschetsche-
nischer Terrorist, sodass er sofort festgenommen, verhört und hierbei
misshandelt wird, da schon der geringste Anschein einer Regimegeg-
nerschaft gegen die Diktatoren in Moskau politische Verfolgung auslöst.
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Das Berufungsgericht hat die Überzeugung gewonnen, dass das Vorbringen
des Klägers zu seinen politischen Aktivitäten vor der Ausreise und zu seinem
Verfolgungsschicksal wegen erheblicher Widersprüche und eines deutlich ge-
steigerten Vorbringens insgesamt unglaubhaft ist; dies umfasst auch das Vor-
bringen des Klägers zu seinen Vorfluchtaktivitäten und seiner Stellung in Tsche-
tschenien. Es hat auf dieser Grundlage mit Blick auf die Einschätzung des
Auswärtigen Amtes in dem zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Lage-
bericht vom 7. März 2011 bei seiner Prognose keinen Anlass für eine staatliche
Verfolgung des Klägers aufgrund seiner Asylantragstellung gesehen. Die Be-
schwerde nimmt dies nicht zur Kenntnis und unterstellt für ihre Gefährdungs-
analyse (und damit auch die Bedeutung und die Entscheidungserheblichkeit der
Hilfsbeweisanträge) einen Sachverhalt, den das Berufungsgericht so gerade
nicht festgestellt hat. Sie bleibt daher nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür
schuldig, aus welchen Gründen sich dem Berufungsgericht auf der Grundlage
seiner tatsächlichen Feststellungen eine weitere Sachaufklärung zu dem in den
Hilfsbeweisanträgen Nr. 1 und 2 genannten Beweisthema hätte aufdrängen
müssen. In Wahrheit kritisiert die Beschwerde im Gewande der Verfahrensrüge
die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts; damit kann sie indes keinen Er-
folg haben.
Der Hilfsbeweisantrag Nr. 3 zielte auf eine weitere Sachaufklärung zu dem Be-
weisthema, dass
3. der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, an
einer jetzt schon chronifizierten Persönlichkeitsänderung nach Extrem-
belastung, dass diese psychische Erkrankung bereits jetzt schon chro-
nifiziert ist aufgrund der Dauer des Verfahrens, dass diese psychische
Erkrankung auch Auswirkungen auf sein Aussageverhalten hat im Sin-
ne eines Verdrängungsmechanismus, sodass bei einer Rückkehr oder
Abschiebung der Kläger ein akutes Wiederholungstrauma erleiden wür-
de, eine so genannte Retraumatisierung, in jedem Fall jedoch diese Er-
krankung behandlungsbedürftig ist und zwar in einem sicheren Rahmen
in der Bundesrepublik Deutschland, ansonsten sich die Erkrankung
akut verschlimmert.
Der Senat hat in zwei Entscheidungen vom 11. September 2007 zur Substan-
tiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer be-
handlungsbedürftigen PTBS zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen
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des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorla-
ge eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests
verlangt. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundla-
ge der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im kon-
kreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie
häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von
ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt wer-
den. Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit,
deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf
(Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumati-
sierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst
längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der
Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht
früher geltend gemacht worden ist (Urteile vom 11. September 2007 - BVerwG
10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 15 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. Auf-
enthG Nr. 30 Rn. 15 und - BVerwG 10 C 17.07 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2
ff. AufenthG Nr. 31 Rn. 15). Diesen Substantiierungsanforderungen genügt der
Hilfsbeweisantrag Nr. 3 nicht. Zwar stützt ihn der Kläger auf ein von ihm dem
Berufungsgericht vorgelegtes psychologisches Gutachten vom 26. Oktober
2006. Dieses Parteigutachten ist jedoch zum einen nicht aktuell und zum ande-
ren wurde es nicht von einem Facharzt erstellt; damit entspricht es nicht dem in
den genannten Entscheidungen entwickelten Anforderungsprofil. Auch im Hin-
blick auf das unspezifizierte Vorbringen des Klägers in der mündlichen Ver-
handlung musste sich dem Berufungsgericht eine weitere Aufklärung daher
nicht aufdrängen.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Kraft
Fricke
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