Urteil des BVerwG vom 17.08.2010, 10 B 19.10
Zivilrechtliche Ansprüche, Verfahrensmangel, Emrk, Medikament
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 19.10 VGH A 11 S 143/07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 17. August 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. März 2010 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
1Die Beschwerde des Klägers, mit der dieser einen Verfahrensmangel (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht, bleibt ohne Erfolg.
2Die Beschwerde sieht einen Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO
und zugleich eine Gehörsverletzung darin, dass das Berufungsgericht im Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO entschieden habe, obwohl der Bevollmächtigte des Klägers auf den entsprechenden Hinweis des Gerichts vom
12. Februar 2010 mit Schriftsätzen vom 23. und 25. Februar 2010 - jeweils mit
Anlagen - sowie vom 16. März 2010 u.a. auf die Notwendigkeit der Medikation
des Klägers mit Methylphenidat hingewiesen habe. Auf diesen neuen und entscheidungserheblichen Vortrag habe das Berufungsgericht eine konkrete Gefahrenlage lediglich mit Hinweis darauf verneint, dass dieses Medikament im
Kosovo für den Kläger erreichbar sei. Das rechtliche Gehör des Klägers sei verletzt worden, weil kein weiterer Hinweis auf das Festhalten an der beabsichtigten Entscheidung nach § 130a VwGO erfolgt sei. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich der gerügte Verfahrensmangel nicht.
3Gemäß § 130a VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung
durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Ob das Gericht den ihm nach § 130a VwGO eröffneten Weg der
Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (stRspr, vgl. etwa Beschlüsse vom 3. Februar 1999
- BVerwG 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 33 und vom 8. August
2007 - BVerwG 10 B 74.07 - juris Rn. 3). Anhaltspunkte für derartige Ermessensfehler lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie ergeben sich
auch nicht aus dem Vorbringen zur Unterlassung eines Hinweises nach Eingang der Stellungnahme des Klägers.
4Die Bezugnahme der Beschwerde auf die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 EMRK führt schon im Ansatz nicht auf den behaupteten Verfahrensmangel. Denn Art. 6 Abs. 1 EMRK
stand einer Entscheidung im Beschlussverfahren im vorliegenden Fall nicht
entgegen. Diese Vorschrift ist in ausländer- und asylverfahrensrechtlichen
Streitigkeiten grundsätzlich nicht anwendbar, denn nach der Rechtsprechung
des Gerichtshofs ist ein Rechtsstreit über die Abschiebung eines Ausländers
nicht als Streit über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ im Sinne
von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen (Beschluss vom 20. Dezember 2004
- BVerwG 1 B 67.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 69 m.w.N.).
5Nach nationalem Recht gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen
Gehörs, die Verfahrensbeteiligten durch eine erneute Anhörungsmitteilung von
der fortbestehenden Absicht des Gerichts in Kenntnis zu setzen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn nach der entsprechenden Ankündigung
ein erheblicher Beweisantrag gestellt wurde oder sich die prozessuale Lage des
Rechtsstreits nach einer Anhörungsmitteilung wesentlich ändert, etwa dadurch,
dass ein Prozessbeteiligter seinen bisherigen Sachvortrag in erheblicher Weise
ergänzt oder erweitert (vgl. Beschluss vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B
614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 m.w.N.). Derartige, eine erneute
Mitteilung des Verwaltungsgerichtshofs erfordernde Umstände trägt die Beschwerde aber nicht vor.
6Dass ein Beweisantrag gestellt wurde, behauptet die Beschwerde selbst nicht.
Sie beruft sich vielmehr auf wesentliche neue Gesichtspunkte, die sich durch
den Hinweis auf die aktuell notwendige Medikation des Klägers mit Methylphenidat ergeben hätten. Denn wäre eine erneute Anhörungsmitteilung erlassen
worden, hätte ergänzend vorgetragen werden können, dass und aus welchem
Grund eine Versorgung mit dem genannten Medikament für den Kläger gerade
nicht erreichbar sei und ihm deshalb Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7
AufenthG hätte gewährt werden müssen. Mit diesem Vorbringen verfehlt die
Beschwerde jedoch die Substantiierungsanforderungen, denen ihr Vorbringen
auf die Anhörungsmitteilung des Berufungsgerichts vom 12. Februar 2010 hinsichtlich eines Abschiebungsverbots aus gesundheitlichen Gründen gemäß
§ 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung hätte
genügen müssen, um die Pflicht zu einer erneuten Anhörung seitens des Berufungsgerichts zu begründen. Denn nicht allein das Angewiesensein auf ein bestimmtes Medikament, sondern auch dessen mangelnde Erreichbarkeit gehört
zu den notwendigen anspruchsbegründenden Tatsachen, die angesichts der
vom Berufungsgericht zur Gesundheitsversorgung im Kosovo bereits eingeführten Stellungnahmen hätten substantiiert werden müssen.
7Schließlich ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Möglichkeit der Versorgung mit Methylphenidat aus Sicht des Berufungsgerichts einen entscheidungserheblichen Umstand betrifft. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat in der
angefochtenen Entscheidung vielmehr ausgeführt, es sei hinsichtlich des
ADHS/HKS-Medikaments nicht erkennbar, dass ein durch Nichteinnahme möglicherweise ausgelöstes Unwohlsein des Klägers oder eine Konzentrationsschwierigkeit, wie sie im Bericht der Ergotherapeutin T. vom 25. August 2009
beschrieben werde, als erhebliche konkrete Gefahrenlage im Sinne von § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewertet werden könnte (BA S. 10).
8Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
9Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Dr. Mallmann Richter Prof. Dr. Kraft
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5 C 19.11 vom 10.01.2013
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