Urteil des BVerwG vom 23.07.2008

Form, Öffentlich, Religionsfreiheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 159.07
OVG 15 A 994/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nord-
rhein-Westfalen vom 31. August 2007 wird zurückgewie-
sen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, die die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Be-
deutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensfeh-
lers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe den Anspruch der Kläger auf
Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Gericht habe
sich nicht mit dem Vorbringen der Kläger auseinandergesetzt, dass sie als Ye-
ziden bei einer Rückkehr in die Türkei asylerhebliche Eingriffe in ihre Religions-
freiheit befürchteten. Ungeachtet der Verneinung einer Gruppenverfolgung von
Yeziden in der Türkei hätte das Gericht auf die von ihnen vorgetragenen Ein-
griffe eingehen müssen, die sie in der Vergangenheit wegen ihrer Religionszu-
gehörigkeit erlebt hätten. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat
das Vorbringen der Kläger zu den von ihnen behaupteten Verhaftungen im Jahr
2002 als in wesentlichen Punkten widersprüchlich und deshalb insgesamt
unglaubhaft gewürdigt. Das Gericht hat dies im Einzelnen dargelegt und aus-
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führlich bewertet (UA S. 3, 4 und 14 ff.). Abgesehen von allem Anderen macht
die Beschwerde nicht ersichtlich, inwiefern sich das Berufungsgericht mit dem
angesprochenen und weiterem - von ihr indessen nicht wie erforderlich hinrei-
chend konkretisiertem (vgl. Beschwerdebegründung S. 3 unten, S. 4 oben) -
Vorbringen der Kläger zusätzlich hätte auseinandersetzen sollen. Die Be-
schwerde genügt bereits deshalb nicht den Darlegungsanforderungen des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil nicht exakt angegeben wird oder ohne weite-
res erkennbar ist, welche Schriftsätze, Protokolle oder sonstige Unterlagen den
angeblich übergangenen Vortrag enthalten. Hingegen ist es nicht Sache des
Revisionsgerichts, den gesamten bisherigen Akteninhalt auf diese Vorbringen
hin durchzusehen und auf diese Weise erst die Gehörsrüge schlüssig zu ma-
chen (Beschluss vom 14. Januar 1998 - BVerwG 6 B 92.97 - juris).
Auch der weitere Vorwurf, den die Beschwerde in diesem Zusammenhang er-
hebt, geht ins Leere. Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht hätte
im Hinblick auf die Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) erwägen
müssen, ob die Kläger bei einer öffentlichen Bekundung ihres Glaubens bzw.
einer „Teilnahme an islamischen Riten“ gefährdet seien. Unabhängig von der
Frage, was die Kläger hierzu im Berufungsverfahren vorgetragen haben, ist der
Vorwurf unbegründet, weil das Berufungsgericht - in Auseinandersetzung mit
der Qualifikationsrichtlinie - festgestellt hat, dass Yeziden ihre Religion gerade
nicht-öffentlich, sondern ausschließlich im privaten Umfeld ausübten; Yeziden
würden ihre religiösen Rituale bewusst nicht vor den Augen von „Ungläubigen“
praktizieren (UA S. 34 ff.).
Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, dass die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. Sie hält zunächst die
Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob dann, wenn die Gruppenverfol-
gung (auch) an die Religionszugehörigkeit anknüpft, die gegen eine Gruppen-
verfolgung sprechenden Tatsachenfeststellungen stets die Schlussfolgerung
rechtfertigen, dass keine an die Religionszugehörigkeit anknüpfende Individual-
verfolgung vorliegt, mithin bei der Bewertung der Verfolgungsgefahr die glei-
chen Maßstäbe anzulegen sind“. Die Beschwerde zeigt nicht in einer den ge-
setzlichen Darlegungsanforderungen genügenden Weise auf, dass diese Frage
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im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung
des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Sie macht weiter nicht ersicht-
lich, dass die aufgeworfene Frage sich in einem Revisionsverfahren in dieser
Form in entscheidungserheblicher Weise stellen würde. Denn das Berufungs-
gericht hat festgestellt, dass Yeziden in der Türkei wegen ihrer Religionszuge-
hörigkeit einer (mittelbar staatlichen) Gruppenverfolgung nicht mehr ausgesetzt
seien und den Klägern auch nicht in Anknüpfung an das von ihnen behauptete
Verfolgungsschicksal eine Individualverfolgung drohe. An die entsprechenden
tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, gegen die von der Be-
schwerde keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben worden sind, wäre der
Senat in einem Revisionsverfahren gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Hiermit
befasst sich die Beschwerde nicht.
Die Beschwerde hält ferner die Frage für grundsätzlich bedeutsam, „ob die Ge-
richte ungeachtet dessen, dass eine Gruppenverfolgung nicht anzunehmen ist,
gehalten sind, das Vorliegen einer an die Religionszugehörigkeit anknüpfenden
Individualverfolgung anhand der Voraussetzungen, die die Richtlinie
2004/83/EG des Rates u.a. in den Artikeln 9 und 10 (1) lit. b vorgibt, einer ge-
sonderten Prüfung zu unterziehen“. Auch die Entscheidungserheblichkeit dieser
Frage zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie berücksichtigt nicht, dass das Beru-
fungsgericht - wie ausgeführt - die Frage der individuellen Verfolgung der Klä-
ger wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit auf der Grundlage der Qua-
lifikationsrichtlinie geprüft und verneint hat.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30
RVG.
Dr. Mallmann
Richter
Fricke
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