Urteil des BVerwG vom 16.04.2008

Rechtliches Gehör, Überzeugung, Echte Rückwirkung, Ausreise

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 157.07 (10 PKH 46.07)
VGH 14 B 05.31261
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Der Antrag der Kläger, ihnen Prozesskostenhilfe zu bewil-
ligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 5. September 2007 wird zurück-
gewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung
eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist
abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aus-
sicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und das Vorliegen
eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensfehler ist nicht hinrei-
chend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) bzw. liegt nicht vor.
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a) Die Beschwerde rügt zunächst als Verletzung des Rechts auf rechtliches Ge-
hör (Art. 103 Abs. 1 GG), dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Kläger
lediglich dahingehend gewürdigt habe, dass sie eine allgemein gegen das
Regime im Iran gerichtete exilpolitische Tätigkeit entfalten würden. Vorgetragen
worden sei jedoch, dass die Tätigkeit der Kläger in Deutschland ihrer bereits im
Iran bestehenden religiösen Überzeugung entspringe.
Diesem Vorbringen kann ein Gehörsverstoß nicht entnommen werden. Das
Recht auf rechtliches Gehör soll sicherstellen, dass die zu treffende gerichtliche
Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unter-
lassener Kenntnisnahme und Berücksichtigung von Sachvortrag der Beteiligten
haben. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst deshalb die Pflicht des
Gerichtes, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Er-
wägung zu ziehen. Der wesentliche der Rechtsverfolgung dienende Tatsachen-
vortrag muss erkennbar in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Da-
bei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht sich dieser Pflicht
bewusst und ihr nachgekommen ist, so dass jeweils besondere Umstände vor-
liegen müssen, die deutlich machen, dass entscheidungserhebliches Vorbrin-
gen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entschei-
dung nicht erwogen worden ist.
Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich. Das Berufungsgericht hat das Vorbrin-
gen der Kläger ersichtlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
Dabei hat es berücksichtigt, dass die Kläger sich nach ihren Angaben schon im
Iran in der Öffentlichkeit als armenische Christen zu erkennen gegeben haben
(vgl. UA S. 7). Soweit die Beschwerde rügt, es sei auch vorgetragen worden,
dass die im Bundesgebiet entfaltete Tätigkeit der religiösen Überzeugung der
Kläger entspringe, was vom Gericht noch nicht einmal ansatzweise geprüft
worden sei, wendet sie sich in Wahrheit gegen die Würdigung des klägerischen
Vorbringens durch das Berufungsgericht. Denn das Berufungsgericht hat sich
entgegen der Auffassung der Beschwerde mit der Frage auseinander gesetzt,
ob die von den Klägern in Deutschland entfaltete exilpolitische Tätigkeit, die die
Beklagte zur Gewährung von Abschiebungsschutz veranlasst hat, als Ausdruck
und Fortsetzung einer bereits im Iran bestehenden regimefeindlichen Überzeu-
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gung oder Ausrichtung einzustufen ist. Einen derartigen Zusammenhang hat es
im Ergebnis - unter Berücksichtigung der bereits im Iran bestehenden Religi-
onszugehörigkeit der Kläger - jedoch verneint (vgl. UA S. 7 f.).
b) Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit sie einen Verstoß gegen das
Recht auf rechtliches Gehör darin sieht, dass das Berufungsgericht ohne
mündliche Verhandlung entschieden hat, obwohl es durch Parteivernahme hät-
te feststellen können, dass die von den Klägern entfaltete Tätigkeit ihrer religiö-
sen Überzeugung entspringe. Mit diesem Vorbringen ist nicht substanziiert dar-
getan, warum die Verfahrensweise des Berufungsgerichts, ohne mündliche
Verhandlung nach § 130a VwGO zu entscheiden, ermessensfehlerhaft gewe-
sen sein soll. Die Beschwerde legt weder dar, warum sich dem Berufungsge-
richt eine - von den Klägern selbst nicht beantragte - Parteivernahme hätte auf-
drängen müssen, noch was sie im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zur
Stützung ihres Asylfolgeantrags weiter vorgetragen hätten und inwiefern dieser
Vortrag zu einer für sie günstigeren Entscheidung hätte führen können.
2. Auch die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen
Fragen rechtfertigen keine Zulassung der Revision. Das Vorbringen genügt in-
soweit schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO.
a) Die Beschwerde wirft zunächst die Frage auf,
„ob es sich bei § 28 Abs. 2 AsylVfG um ein Gesetz mit
echter oder unechter Rückwirkung handelt“,
ohne in diesem Zusammenhang darzulegen, inwiefern diesbezüglich bei He-
ranziehung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Abgrenzungskrite-
rien (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - BVerfGE 109,
133 m.w.N.) grundsätzlicher Klärungsbedarf besteht. Dessen hätte es bedurft,
zumal in der vom Berufungsgericht zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung
(vgl. UA S. 5 f.) auch schon zu der durch das Zuwanderungsgesetz am 1. Ja-
nuar 2005 in Kraft getretenen Vorgängerregelung einheitlich die Auffassung
vertreten wurde, dass diese keine echte Rückwirkung, sondern eine tatbestand-
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liche Rückanknüpfung beinhalte, die die verfassungsrechtlichen Schranken ei-
ner unechten Rückwirkung wahre.
b) Auch die weiter aufgeworfenen Fragen zur Auslegung des § 28 Abs. 2
AsylVfG rechtfertigen keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Be-
deutung der Rechtssache. Die Beschwerde wirft zunächst die Frage auf, „wel-
che Konstellationen vom Regelausschluss der Flüchtlingsanerkennung nach
§ 28 Abs. 2 AsylVfG ausgenommen bzw. nicht ausgenommen sein sollen bzw.
ob die Annahme des VGH zutrifft, dass nach § 28 Abs. 2 wie nach Abs. 1
AsylVfG die an sich ausgeschlossene Berücksichtigung selbst geschaffener
Nachfluchtgründe entgegen der Regel doch zur Flüchtlingsanerkennung führen
können (gemeint: kann), wenn sie entweder im Konnex mit entsprechenden
Vorfluchtaktivitäten stehen oder dieser Konnex wegen des Alters und Entwick-
lungsstandes des Ausländers vor seiner Ausreise sogar entbehrlich ist“. Die
Beschwerde zeigt indessen nicht in einer den gesetzlichen Darlegungsanforde-
rungen entsprechenden Weise auf, dass diese Problematik der Klärung in ei-
nem Revisionsverfahren bedarf. Sie setzt sich zunächst nicht damit auseinan-
der, dass das Berufungsgericht zugunsten der Kläger offen gelassen hat, ob mit
der Neufassung des § 28 AsylVfG durch das Gesetz zur Umsetzung auf-
enthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. Au-
gust 2007 die Voraussetzungen für die Annahme eines die Sperrwirkung des
§ 28 Abs. 2 AsylVfG beseitigenden Ausnahmefalles gelockert werden sollten
(vgl. UA S. 6). Insbesondere berücksichtigt sie nicht die Ausführungen des Be-
rufungsgerichts, dass nicht erkennbar sei, dass die exilpolitische Betätigung der
Kläger Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Iran bestehenden Überzeu-
gung oder Ausrichtung sei, geschweige denn, dass sie sich im Iran - im Sinne
einer im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung - bereits vor ihrer
Ausreise politisch auffällig verhalten oder eine feste regimekritische Überzeu-
gung geäußert hätten (vgl. UA S. 7). Welcher darüber hinausgehende Aus-
nahmegrund vom Regelausschluss des § 28 Abs. 2 AsylVfG im Fall der Kläger
in Betracht kommen sollte, wird von der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt.
Soweit sie für klärungsbedürftig hält, ob ein Zusammenhang von selbst ge-
schaffenen Nachfluchtgründen mit entsprechenden Vorfluchtaktivitäten „wegen
des Alters und des Entwicklungsstandes des Ausländers vor seiner Ausreise“
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entbehrlich ist, zeigt sie nicht auf, dass diese Voraussetzungen hier gegeben
sind. Auch soweit sie für klärungsbedürftig hält, „wie weit eine feste, bereits im
Herkunftsland erkennbar betätigte Überzeugung aussehen muss“, mangelt es
an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, nachdem das Berufungsge-
richt schon das Bestehen einer regimekritischen Überzeugung im Heimatland in
Frage gestellt hat. Soweit schließlich geklärt werden soll, „ob eine bereits im
Heimatland bestehende religiöse Überzeugung, die sich dann in Deutschland in
entsprechenden Tätigkeiten äußerte, einen Ausnahmefall darstellt“, übersieht
die Beschwerde, dass das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass sich
die allgemein gegen das Regime im Iran gerichtete exilpolitische Tätigkeit der
Kläger gerade nicht als Ausdruck und Fortsetzung ihrer Religionszugehörigkeit
darstelle (vgl. UA S. 8).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig Fricke
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