Urteil des BVerwG vom 03.01.2006

Rechtskraft, Überzeugung, Wiedergabe, Urteilsbegründung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 15.05
OVG 1 L 80/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Januar 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. N o l t e und D o m g ö r g e n
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 14. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 598,16 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die eingangs der Beschwerdebegründung erhobenen Verfahrensrü-
gen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen nicht durch.
a) Es trifft nicht zu, dass die Vorinstanz über die Berufung der Kläger
unter Verstoß gegen § 101 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden
hat. Zweifel an der Durchführung einer mündlichen Verhandlung könnten sich zwar
aus dem Sitzungsprotokoll vom 14. Januar 2005 in seiner ursprünglichen Fassung
ergeben, wonach von den zu Beginn des Protokolls aufgeführten Verfahren "1 L
79/04 bis 1 L 82/04" die Verfahren "1 L 79/04 und 1 L 82/04" zu gemeinsamer Ver-
handlung verbunden worden sind. Solche Zweifel werden aber jedenfalls durch die
mit Beschluss vom 20. Mai 2005 gemäß § 105 VwGO i.V.m. § 164 Abs. 1 ZPO be-
richtigte Protokollfassung ausgeräumt. Mit diesem Beschluss ist die Wiedergabe des
Verbindungsbeschlusses im Protokoll dahingehend korrigiert worden, dass die Ver-
bindung die Verfahren "1 L 79/04 bis 1 L 82/04" betrifft. Das Protokoll in der berich-
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tigten Fassung erbringt Beweis über die Durchführung der Verhandlung in allen vier
Verfahren (§ 105 VwGO i.V.m. § 165 Satz 1 ZPO).
b) Die Bezugnahme des angefochtenen Urteils auf die Gründe des zwi-
schen den Beteiligten zeitgleich im Verfahren 1 L 79/04 ergangenen Urteils verstößt
nicht gegen die Vorschriften über die Abfassung der Urteilsgründe.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es pro-
zessrechtlich grundsätzlich zulässig, die für die gerichtliche Überzeugung leitend ge-
wesenen Gründe durch eine in den Entscheidungsgründen ausgesprochene Bezug-
nahme auf tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen in einer genau
bezeichneten anderen Entscheidung anzugeben. Die schriftliche Urteilsbegründung
hat die Funktion, deutlich zu machen und sicherzustellen, dass das Gericht alle we-
sentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und sich mit ihnen in der gebotenen Weise
auseinander gesetzt hat, dass ferner den Beteiligten die Einschätzung der Er-
folgsaussichten eines Rechtsmittels und dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung
der Entscheidung ermöglicht werden. Diese Funktion erfüllt auch eine Bezugnahme,
sofern die Beteiligten die in Bezug genommene Entscheidung kennen oder von ihr
ohne Schwierigkeiten Kenntnis nehmen können und sofern sich für sie und das
Rechtsmittelgericht aus einer Zusammenschau der Ausführungen in der Bezug
nehmenden und der in Bezug genommenen Entscheidung die für die richterliche
Überzeugung maßgeblichen Gründe mit hinreichender Klarheit ergeben (BVerwG,
Beschluss vom 27. Mai 1988 - BVerwG 9 CB 19.88 - Buchholz 402.25 § 32 AsylVfG
Nr. 6 S. 3; vgl. auch Urteil vom 12. Juli 1985 - BVerwG 4 C 40.83 - BVerwGE 72, 15
<26 f.>). Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich aus § 117 Abs. 5 und
§ 130 b Satz 2 VwGO keine andere Beurteilung. Dass diese Vorschriften Bezug-
nahmen der Urteilsgründe in bestimmten Fallgestaltungen ausdrücklich zulassen,
rechtfertigt nicht den Schluss, in allen anderen Fällen seien Verweisungen unzuläs-
sig. Bei den genannten Regelungen handelt es sich vielmehr lediglich um spezielle
Ausprägungen schon früher anerkannter allgemeiner Grundsätze (vgl. BVerwG, Be-
schluss vom 20. Juli 1979 - BVerwG 7 CB 21.79 - Buchholz 451.22 AbfG Nr. 3 S. 9
f.). Auch unter dem von den Klägern angeführten Aspekt der Rechtskraft bestehen
gegen die Verweisung auf (nur) den Beteiligten bekannte Entscheidungen keine Be-
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denken, da Urteile Rechtskraft grundsätzlich nur gegenüber den Beteiligten und ihren
Rechtsnachfolgern entfalten (§ 121 VwGO).
Hiervon ausgehend gibt die Bezugnahme in dem angefochtenen Urteil
keinen Anlass zu Beanstandungen. Das in Bezug genommene Urteil ist zeitgleich mit
diesem gegenüber denselben Beteiligten ergangen, war also für sie zusammen mit
diesem verfügbar. Aus der Gesamtschau beider Entscheidungen ergab sich für die
Beteiligten auch deutlich, welche Erwägungen für das angefochtene Urteil maßgeb-
lich geworden sind; denn dessen Entscheidungsgründe lassen keinen Zweifel, dass
das Berufungsgericht die den beiden Verfahren zugrunde liegenden Fälle als gleich-
gelagert ansah und deshalb die Erwägungen des in Bezug genommenen Urteils voll-
inhaltlich auch als maßgebend für das Bezug nehmende Urteil erachtete.
2. Die weiteren Rügen entsprechen uneingeschränkt denen, die die Klä-
ger mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren BVerwG 10 B 14.05 geltend
gemacht haben. Mit dem in jenem Verfahren ergangenen Beschluss vom heutigen
Tag hat der Senat ausgeführt, warum die betreffenden Rügen die Zulassung der Re-
vision nicht rechtfertigen. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, macht der
Senat von der auch insoweit eröffneten Möglichkeit Gebrauch, auf die Begründung
des Beschlusses im Verfahren BVerwG 10 B 14.05 zu verweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 3 GKG.
Hien Dr. Nolte Domgörgen