Urteil des BVerwG vom 09.06.2008, 10 B 149.07
Verfahrensmangel, Abgrenzung, Ausnahmefall, Fehlerhaftigkeit
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 149.07 VGH 6 UE 3108/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 9. Juni 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G ründe:
1Die Beschwerde, mit der ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.
21. Die Rüge, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei hinsichtlich des auf
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsausspruchs
nicht i.S.v. § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen, greift nicht durch. Es trifft
allerdings zu, dass die Berufungsentscheidung keine Ausführungen zu dem
Regelausschlussgrund für selbstgeschaffene Nachfluchtgründe bei Asylfolgeanträgen gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG (i.d.F. des Gesetzes vom 30. Juli 2004,
BGBl I S. 1950, in Kraft seit 1. Januar 2005) enthält. Daraus folgt indes noch
nicht, dass der behauptete Verfahrensmangel vorliegt.
3a) Für Beschlüsse - dazu zählen auch urteilsvertretende Beschlüsse nach
§ 130a VwGO - gilt § 122 VwGO. Demzufolge ist § 117 VwGO, der den notwendigen Inhalt des Urteils beschreibt und hierbei in Abs. 2 Nr. 4 und 5 den
Tatbestand und die Entscheidungsgründe erwähnt, auf Beschlüsse nicht ausdrücklich anwendbar. Gleichwohl ist anerkannt, dass auch Beschlüsse - über
die Vorschrift des § 122 Abs. 1 VwGO hinaus - den jeweils durch ihre Funktion
bedingten inhaltlichen Anforderungen zu entsprechen haben. Insbesondere
müssen Beschlüsse, durch die über eine Berufung entschieden wird, erkennen
lassen, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgeblich gewesen sind (Beschluss vom
17. Februar 1998 - BVerwG 1 B 252.97 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 21
m.w.N.). Zum einen sollen die Beteiligten über die der Entscheidung zugrunde
liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen unterrichtet werden und
zum anderen soll dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung
auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiellrechtlicher Hinsicht ermöglicht werden.
4Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund - und damit zugleich
ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - vor, wenn die
Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Nicht mit Gründen versehen im
Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung nur, wenn die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion nicht mehr zu erfüllen vermögen. Das ist
nach der Rechtsprechung allerdings nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor
der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch
dann, wenn die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie
in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung
maßgebend gewesen sind (vgl. Beschluss vom 3. April 1990 - BVerwG 9 CB
5.90 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 31). Der „grobe Formmangel“ (vgl. Beschluss vom 13. Juni 1988 - BVerwG 4 C 4.86 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 80) liegt m.a.W. immer dann vor, wenn die Entscheidungsgründe rational
nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart
unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet
sind, den Urteilstenor zu tragen (vgl. etwa Clausing in: Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, VwGO, § 117 Rn. 22).
5Demgegenüber greift § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind
(Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - NJW 1998, 3290 = Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32). Die Lückenhaftigkeit der von dem Gericht
schriftlich niedergelegten Gründe kann allerdings dann anders zu beurteilen
sein, wenn die Entscheidung auf „einzelne Ansprüche“ oder „einzelne selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel“ überhaupt nicht eingeht (vgl. BGHZ 39,
333 <337>). Auch das kommt jedoch nur in Betracht, wenn die Gründe in sich
gänzlich lückenhaft sind, namentlich weil einzelne Streitgegenstände oder selbständige Streitgegenstandsteile vollständig übergangen sind, jedoch nicht bereits dann, wenn lediglich einzelne Tatumstände oder Anspruchselemente unerwähnt geblieben sind oder wenn sich eine hinreichende Begründung aus dem
Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe erschließen lässt (Beschluss
vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - a.a.O.).
6b) Bei Anwendung dieser Grundsätze liegt der gerügte Verfahrensmangel nicht
vor. Die Beschwerde wendet sich im Kern nur dagegen, dass die Begründung
des Berufungsgerichts zu dem Anspruch des Klägers auf Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG inhaltlich unvollständig ist, weil sie sich mit
dem Regelausschlussgrund des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht auseinandersetzt.
Sie rügt damit letztlich die möglicherweise sachliche Fehlerhaftigkeit der ergangenen Entscheidung, weil eine entscheidungserhebliche Rechtsvorschrift nicht
oder jedenfalls nicht erkennbar in die Prüfung einbezogen worden sei. Damit
ließe sich der behauptete Verfahrensmangel - oder ein Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs allgemein - allenfalls dann begründen, wenn der
Beschwerdeführer im gerichtlichen Verfahren hierzu erhebliche Angriffs- oder
Verteidigungsmittel (vgl. § 146 ZPO) geltend gemacht hätte, welche das Berufungsgericht zu einer Auseinandersetzung hiermit gezwungen hätten. Das ist
indessen weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich.
72. Mit dem Vorbringen, es sei unklar, was mit dem Regel-Ausnahmeverhältnis
in § 28 Abs. 2 AsylVfG gemeint sei, bezeichnet die Beschwerde keine in dem
hier angestrebten Revisionsverfahren grundsätzlich klärungsfähige Rechtsfrage
zur Auslegung und Anwendung der Vorschrift, die das Berufungsgericht seinerseits nicht in den Blick genommen hat. Das Berufungsgericht hat zu den von
der Beschwerdebegründung angeführten möglichen Maßstäben zur Abgrenzung von Regel- und Ausnahmefall keine Feststellungen getroffen. Eine
Rechtsfrage entzieht sich jedoch der Klärung in dem wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache angestrebten Revisionsverfahren, wenn sie sich
erst aufgrund einer weiteren Sachaufklärung nach einer etwaigen Aufhebung
und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht stellen könnte (Beschlüsse vom 5. September 1996 - BVerwG 9 B 387.96 und 6. Juni 2006
- BVerwG 6 B 27.06 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 Nr. 12 und 35).
8Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
9Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Dr. Mallmann Richter Prof. Dr. Kraft
Letze Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
BVerwG: wohnsitz in der schweiz, wohnsitz im ausland, ausbildung, liechtenstein, aeuv, ohne erwerbstätigkeit, subjektives recht, besuch, unzumutbarkeit, anwendungsbereich
5 C 19.11 vom 10.01.2013
Wir finden den passenden Anwalt für Sie! Nutzen Sie einfach unseren jusmeum-Vermittlungsservice!
Zum Vermittlungsservice