Urteil des BVerwG vom 03.01.2006

Erneuerung, Betriebsleitung, Aufklärungspflicht, Überwachung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 14.05
OVG 1 L 79/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Januar 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. N o l t e und D o m g ö r g e n
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes
Sachsen-Anhalt vom 14. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 2 553,66 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revi-
sion wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Beschwerde sieht als grundsätzlich bedeutsam die Frage an,
in welchem Umfange die zur Vertretung der Kommune berechtigte Betriebslei-
tung (eines Eigenbetriebs) ihrerseits Dritten ihre Aufgaben überlassen kann.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Ob und inwie-
weit Mitarbeiter eines gemeindlichen Eigenbetriebs für die Gemeinde bei Erlass ei-
nes Widerspruchsbescheids handlungsbefugt sind, beurteilt sich nach Landesrecht,
hier nach § 7 des Gesetzes über die kommunalen Eigenbetriebe im Land Sachsen-
Anhalt (EigBG LSA), und ist somit nicht revisibel.
Die Beschwerde wendet gegen das angefochtene Urteil darüber hinaus
ein, das Berufungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der Pflicht der Beklagten
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zur Überwachung der Stadtwerke Zeitz GmbH bei der Wahrnehmung der gemeindli-
chen Aufgabe der Abwasserbeseitigung befasst, die Voraussetzungen für die Not-
wendigkeit der Erneuerung eines Kanalnetzes verkannt, die Frage des Vorliegens
eines darauf bezogenen Erneuerungskonzepts außer Betracht gelassen, keine bzw.
unzureichende Ermittlungen zur Möglichkeit zwischenzeitlicher Erneuerung der Ka-
nalanschlüsse und zum Erneuerungsaufwand angestellt und den Begriff der Erneue-
rung unzutreffend ausgelegt. Diese Ausführungen erschöpfen sich in dem Vorwurf
fehlerhafter Rechtsanwendung und lassen die Herausarbeitung fallübergreifend be-
deutsamer Rechtsfragen vermissen. Im Übrigen beziehen sie sich - abgesehen von
dem verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt der gerichtlichen Aufklärungspflicht - wie-
derum nur auf die Auslegung und Anwendung landesrechtlicher Vorschriften und
sind daher nicht geeignet, einen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf darzutun.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen ei-
nes Verfahrensmangels zuzulassen.
Der Umstand, dass das Berufungsgericht sich in seinen Urteilsgründen
nicht mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob die Unterzeichnerin des angegriffe-
nen Widerspruchsbescheids für die Widerspruchsbehörde handeln durfte, lässt nicht
den Schluss auf einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) zu. Ein Gehörsverstoß ist bereits nicht hinreichend
dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Weder aus dem Urteilstatbestand noch aus
der Beschwerdebegründung ergibt sich, dass die Kläger die genannte Frage - und
nicht nur die Frage, ob die Betriebsleitung des Eigenbetriebs vertretungsbefugt war -
in den Vorinstanzen thematisiert haben. Deshalb spricht nichts für die Annahme, das
Berufungsgericht könnte Vorbringen der Kläger hierzu nicht zur Kenntnis genommen
oder außer Betracht gelassen haben. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass § 7
Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 EigBG LSA die Betriebsleitung dazu ermächtigt, Bedienste-
te in bestimmtem Umfang mit ihrer Vertretung zu beauftragen.
Mit dem Vortrag, das Oberverwaltungsgericht hätte die Vertretungsprob-
lematik "erkennen und behandeln müssen", ist ein Begründungsmangel des ange-
fochtenen Urteils schon nicht dargetan. Das Begründungserfordernis bezieht sich
nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf die für die richterliche Überzeugung leitend ge-
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wesenen Gründe. Ob ein Gericht einen für die Entscheidungsfindung erheblichen
Gesichtspunkt übersehen hat, ist eine Frage des materiellen Rechts, nicht des ver-
fahrensrechtlichen Begründungserfordernisses.
Sollte den Darlegungen der Kläger zur grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache zugleich die Rüge in verschiedener Hinsicht unzureichender Sachauf-
klärung der Vorinstanz (§ 86 Abs. 1 VwGO) zu entnehmen sein, so greift diese Rüge
gleichfalls nicht durch. Da die Kläger in der mündlichen Verhandlung keine Beweis-
anträge gestellt haben, könnte das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann verletzt haben,
wenn sich ihm eine weitere Ermittlung aufgedrängt hätte (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO
Nr. 26 S. 14 f.; Beschluss vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - Buchholz
401.65 Hundesteuer Nr. 7 S. 11). Das traf indessen für die von der Beschwerde an-
gesprochenen Umstände nicht zu.
Soweit es um die Überwachung der Tätigkeit der Stadtwerke durch die
Beklagte geht, hat das Oberverwaltungsgericht Feststellungen über die Abwicklung
des Zahlungsverkehrs des Eigenbetriebs Abwasser der Beklagten getroffen und
hierzu festgestellt, Einnahmen und Ausgaben seien über ein Verrechnungskonto der
Beklagten verbucht worden, über das die Stadtwerke hätten verfügen können. Ohne
Anhaltspunkte dafür, dass die üblichen kommunalen Kontrollmechanismen der ge-
meindlichen Rechnungsprüfung insoweit nicht zum Tragen gekommen wären, hatte
das Gericht keinen Anlass, dazu nähere Nachforschungen anzustellen. Die Kläger
haben nicht ansatzweise dargetan, dass sie mit ihrem Vorbringen dem Berufungsge-
richt entsprechende Anhaltspunkte geliefert hätten. Auch im Übrigen sind sie den
Darlegungsanforderungen an eine Aufklärungsrüge (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO)
nicht gerecht geworden, weil sie nicht dargelegt haben, welche für geeignet und er-
forderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen wären und
welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachver-
haltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (BVerwG, Beschluss vom
19. August 1997 a.a.O. S. 14). Dies gilt in gleicher Weise hinsichtlich der sonstigen
Tätigkeiten der Stadtwerke im Rahmen der Auswechslung der Grundstücksan-
schlüsse.
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Soweit die Kläger eine weitergehende Sachaufklärung zur Frage ver-
missen, ob die Hausanschlüsse erneuerungsbedürftig waren, liegt dem eine
Rechtsauffassung zu den Anforderungen an die Notwendigkeit einer Erneuerung zu
Grunde, die erklärtermaßen von derjenigen des Berufungsgerichts abweicht. Der
Umfang der gebotenen Sachaufklärung ist jedoch von der durch das Oberverwal-
tungsgericht eingenommenen materiellrechtlichen Position her zu bestimmen (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2001 a.a.O.).
Der Frage, ob die Hausanschlussleitungen nach ihrer Herstellung be-
reits erneuert worden sind, ist die Vorinstanz ausweislich der Entscheidungsgründe
des angefochtenen Urteils durch Auswertung der Akten der Beklagten nachgegan-
gen. Ergaben sich weder daraus noch aus dem Vortrag der Kläger greifbare An-
haltspunkte für Erneuerungsmaßnahmen, so mussten sich dem Gericht keine weite-
ren Ermittlungen aufdrängen, zumal die Kläger nicht dargelegt haben, welche Unter-
lagen der Beklagten noch weiteren Aufschluss hätten geben können. Auch soweit ein
Beteiligter mangels Sachnähe keine substanziellen Angaben zu bestimmten
Sachverhaltsumständen machen kann, ist ein Gericht, das die Verwaltungsakten
beigezogen und ausgewertet hat, seinerseits nicht zu weitergehenden Ermittlungen
"ins Blaue hinein" verpflichtet.
Schließlich mussten sich der Vorinstanz auch keine zusätzlichen Ermitt-
lungen zu den von der Beklagten geltend gemachten Aufwendungen aufdrängen.
Das Gericht ist insoweit nicht untätig geblieben, sondern hat die von der Beklagten
im gerichtlichen Verfahren nachgereichten Aufmaßblätter und Abrechnungsunterla-
gen ausgewertet. Anhand dieser Unterlagen hat es sich auch mit dem von den Klä-
gern erhobenen Einwand mangelnder Plausibilität unterschiedlicher Kosten für deren
vier Grundstücke auseinander gesetzt und hierzu darauf hingewiesen, dass die Kos-
tendifferenzen eine Erklärung in Unterschieden hinsichtlich der Zahl, der Länge und
des Verlaufs der jeweiligen Anschlussleitungen fänden. Dass das Gericht unter die-
sen Umständen keinen Anlass zu weiteren Nachforschungen sah, verletzt nicht die
Pflicht zur Amtsermittlung, sondern entspricht im Gegenteil dem Erfordernis, aus
Gründen der Prozessökonomie die Amtsermittlung mit Augenmaß zu betreiben (vgl.
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BVerwG, Urteil vom 17. April 2002 - BVerwG 9 CN 1.01 - BVerwGE 116, 188
<196 ff.>).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2
VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 3 GKG.
Hien Dr. Nolte Domgörgen