Urteil des BVerwG vom 15.04.2008

Rechtliches Gehör, Eltern, Aserbaidschan, Hauptsache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 122.07 (10 PKH 37.07)
OVG 1 LB 51/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und
die Richterin am Bundesverwaltungsgricht Fricke
beschlossen:
Der Beigeladenen wird für das Beschwerdeverfahren Pro-
zesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt …, …, 20457
Hamburg, beigeordnet.
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 18. Januar 2007 wird aufgehoben, so-
weit es das Begehren auf Flüchtlingsanerkennung betrifft.
Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung
und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück-
verwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der
Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdever-
fahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der
Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor
(§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).
Die Beschwerde, die sich bei sachdienlicher Auslegung nur gegen die Aufhe-
bung der seitens des Bundesamtes erfolgten Flüchtlingsanerkennung der Bei-
geladenen wendet, hat mit einer der von ihr erhobenen Verfahrensrügen (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung ver-
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weist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des an-
gefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht das rechtliche Gehör
der Beigeladenen verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG), indem es entschei-
dungserhebliches Vorbringen der Beigeladenen nicht in der gebotenen Weise
berücksichtigt hat. Eine derartige Rüge hat die Beschwerde sinngemäß mit ih-
rem Vorbringen erhoben, das Berufungsgericht sei dem Vortrag der Beigelade-
nen nicht nachgegangen, sie, eine armenische Volkszugehörige, könne die
aserbaidschanische Staatsangehörigkeit von ihren Eltern ableiten und bei ei-
nem etwaigen Verlust dieser Staatsangehörigkeit sei von einer asylrechtsrele-
vanten Benachteiligung armenischer Volkszugehöriger auszugehen.
Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet die Gerichte, die ent-
scheidungserheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen
und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann allerdings nur
angenommen werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des
Falles deutlich ergibt. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat den frag-
lichen Vortrag der Beigeladenen, dass sie die aserbaidschanische Staatsange-
hörigkeit von ihren Eltern ableiten könne, ausweislich der Sachverhaltsdarstel-
lung in dem angefochtenen Urteil zwar ansatzweise zur Kenntnis genommen;
denn das Berufungsgericht hat dort diesen Vortrag insoweit wiedergegeben, als
die Beigeladene noch 1988 (als Achtjährige - vor der staatlichen „Verselbstän-
digung“ Aserbaidschans -) mit Hilfe von Bekannten nach Russland gebracht
worden sei, ihre Eltern dagegen in Aserbaidschan verblieben seien (UA S. 3).
Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich aber, dass das Berufungsgericht
dieses Vorbringen, das die Beigeladene mit entsprechenden Beweisanträgen
gestützt hat (vgl. Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen
vom 11. Januar 2007 etwa S. 4 unter A Nr. 5 und 6 sowie S. 23 unter E Nr. 1,
Niederschrift über die Berufungsverhandlung sowie die Beschwerdebegründung
S. 10 ff., 40 f, 56 f. und 64), gleichwohl nicht ernsthaft in Erwägung gezogen
hat. Das Berufungsgericht hat für seine Auffassung, dass die Beigeladene die
aserbaidschanische Staatsangehörigkeit zu keinem Zeitpunkt besessen habe,
maßgeblich darauf abgestellt, dass die Beigeladene Aserbaidschan verlassen
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habe, als es diese frühere Sowjetrepublik als selbständigen Staat und damit
eine eigenständige aserbaidschanische Staatsangehörigkeit noch nicht
gegeben habe. Auf das sinngemäße Vorbringen der Beigeladenen, sie sei bei
ihrer Flucht und auch zur Zeit der staatlichen „Verselbständigung“ Aserbai-
dschans noch minderjährig gewesen und könne die aserbaidschanische
Staatsangehörigkeit von ihren Eltern, die in Aserbaidschan verblieben seien,
ableiten, geht das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen mit keiner
Erwägung ein. Dies fällt insbesondere auch deshalb auf, weil das Berufungsge-
richt in den Verfahren der beiden Töchter der Beigeladenen jeweils geprüft hat,
ob die Töchter die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit von ihrem Vater
ableiten können (vgl. dazu die Beschlüsse des Senats vom heutigen Tage in
den Verfahren BVerwG 10 B 135.07 und BVerwG 10 B 136.07). Unter den be-
sonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles kann demnach nicht davon
ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht diesen Teil des Vorbringens
der Beigeladenen in der gebotenen Weise berücksichtigt hat.
Auf die weiteren Rügen der Beschwerde kommt es demzufolge nicht mehr an.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Dr. Mallmann
Richter
Fricke
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