Urteil des BVerwG vom 06.01.2010

Beschwerdefrist, Soldat, Überprüfung, Bekanntgabe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WNB 7.09
TDG N 8 BLa 4/09
TDG N 8 GL 44/09
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Stabsbootsmann
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 6. Januar 2010 beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers
gegen die
Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss
des Truppendienstgerichts Nord vom 23. September 2009
wird zurückgewiesen.
Der
Antragsteller
trägt die Kosten des
Beschwerdeverfahrens.
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G r ü n d e :
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Sache kommt die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche
Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) nicht zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Revisionssenate des
Bundesverwaltungsgerichts ist eine Rechtssache nur dann grundsätzlich
bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn in dem angestrebten
Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in
ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall
hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu
erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss daher dargelegt (§ 133 Abs.
3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden (stRspr; vgl. u.a. Beschluss vom
2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> = Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.), dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage
des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre
Klärung im beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. auch
Beschluss vom 24. Januar 2008 - BVerwG 6 BN 2.07 - Buchholz 402.41
Allgemeines Polizeirecht Nr. 85 Rn. 14). Dies gilt nach der Rechtsprechung der
beiden Wehrdienstsenate auch für die § 132 Abs. 2 Nr. 1 und § 133 Abs. 3 Satz
3 VwGO nachgebildeten (vgl. dazu BTDrucks 16/7955 S. 36 zu Nr. 18)
Regelungen des § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO und des § 22b Abs. 2 Satz 2 WBO
(vgl. Beschlüsse vom 1. Juli 2009 - BVerwG 1 WNB 1.09 -
Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen>, vom 4. Dezember 2009 - BVerwG 1
WNB 4.09 -, vom 15. Juli 2009 - BVerwG 2 WNB 1.09 -, vom 30. September
2009 - BVerwG 2 WNB 3.09 - und vom 28. Oktober 2009 - BVerwG 2 WNB
2.09 -).
Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob ein Soldat, wenn er auf eine Beschwerde oder einen
Antrag keine Reaktion von seinen Vorgesetzten erhält,
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überhaupt eine Möglichkeit hat, dagegen Beschwerde
einzulegen,
führt nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des
Truppendienstgerichts Nord vom 23. September 2009, weil sie sich ohne
Weiteres aus der Wehrbeschwerdeordnung beantworten lässt.
Nach § 1 Abs. 2 WBO kann der Soldat die Beschwerde (auch) darauf stützen,
dass ihm auf einen Antrag innerhalb eines Monats kein Bescheid erteilt worden
ist. Außerdem ist nach § 16 Abs. 2 WBO die Möglichkeit der weiteren
(Untätigkeits-)Beschwerde eröffnet, wenn über eine Beschwerde innerhalb
eines Monats nicht entschieden worden ist.
2. Die mit der Beschwerde erhobenen Divergenzrügen (§ 22a Abs. 2 Nr. 2
WBO) sind nicht prozessordnungsgemäß dargelegt.
Nach
ständiger
Rechtsprechung der Revisionssenate des
Bundesverwaltungsgerichts setzt die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
erforderliche Bezeichnung des Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO) voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die
angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem
die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten
ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht,
widersprochen hat (vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B
144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 11, vom 20. November 2007 -
BVerwG 7 BN 4.07 - juris Rn. 9, vom 28. August 2009 - BVerwG 8 B 42.09 -
juris Rn. 9 und vom 4. September 2009 - BVerwG 7 B 8.09 - juris Rn. 15 f.,
jeweils m.w.N.). Diese Anforderungen gelten auch für die an § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO sowie an § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO orientierten (vgl. dazu BTDrucks
16/7955 S. 36 f. zu Nr. 18; Dau, WBO, 5. Aufl. 2009, § 22a Rn. 1, § 22b Rn. 12)
Vorschriften über die Divergenzrüge in § 22a Abs. 2 Nr. 2 WBO und § 22 b Abs.
2 Satz 2 WBO.
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a) Es kann dahinstehen, ob ein Darlegungsmangel schon darin zu sehen ist,
dass die Beschwerde die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von
der das Truppendienstgericht Nord abgewichen sein soll, nicht mit Datum und
Aktenzeichen bezeichnet, sondern ausschließlich mit der Fundstelle „NZWehrr
1976, 96, 97“. Für die erforderliche genaue Bezeichnung sind in der Regel das
Datum und das Aktenzeichen anzugeben (Beschluss vom 13. Juli 1999 -
BVerwG 8 B 166.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9; vgl. ferner
Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 133 Rn. 16); die Bezeichnung muss
jedenfalls so individualisierbar sein, dass die Identität der angezogenen
Entscheidung nicht zweifelhaft ist und sie vom Beschwerdegericht unschwer
herangezogen werden kann (vgl. Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/
Pietzner, VwGO, Stand Juli 2009, § 133 Rn. 35).
Denn selbst wenn die nur auf eine Fundstelle beschränkte Bezeichnung einer
Entscheidung - wie hier - im Einzelfall deren eindeutige Identifikation ermöglicht
(vgl. zu dieser Problematik: Beschluss vom 9. Januar 1991 - BVerwG 3 B 75.90
- Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 80 = NJW 1991, 1557), ist die Divergenzrüge im
vorliegenden Verfahren nicht ordnungsgemäß dargelegt, weil die Beschwerde
nicht zwei voneinander abweichende abstrakte Rechtssätze im oben
ausgeführten Sinne benennt und einander gegenüberstellt.
Der in der angegebenen Fundstelle NZWehrr 1976, S. 96 f. veröffentlichte
Beschluss vom 11. November 1975 - BVerwG 1 WB 32.74 - enthält nicht den
von der Beschwerde behaupteten Rechtssatz, dass „die Beschwerdefrist bei
einer Beschwerde wegen pflichtwidriger Unterlassung einer Maßnahme mit der
Bekanntgabe gerade der Unterlassung der Maßnahme“ beginne. Die
Entscheidungsgründe (Abschnitt 1. b) betreffen vielmehr - korrespondierend zu
dem materiellrechtlich indifferenten dritten Leitsatz „Zur Frage der fristgerechten
Einlegung der Beschwerde bei Unterlassungen“
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die
lediglich
einzelfallbezogene Frage, wann speziell bei einer Beschwerde gegen die
Unterlassung der rechtzeitigen Bekanntgabe einer Versetzungsverfügung die
Rechtsbehelfsfrist beginnt.
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Demgegenüber formuliert der angefochtene Beschluss den abstrakten
Rechtssatz, dass für den Beginn der Beschwerdefrist im Sinne des § 6 Abs. 1
WBO die Kenntnis des Beschwerdeführers vom Beschwerdeanlass maßgeblich
ist, und subsumiert darunter die Beschwerde des Antragstellers gegen das
Unterbleiben seiner planmäßigen Beurteilung zum Vorlagetermin 30.
September 2008.
Für die Erstellung und das Unterbleiben Beurteilungen gelten -
anders als für individuelle Versetzungsentscheidungen - gemäß § 2 Abs. 1 Satz
1, Abs. 2 SLV (in der bis zum 23. September 2009 gültigen Fassung) i.V.m. Nr.
202 Buchst. a, Nr. 203 Buchst. a und Nr. 205 Buchst. a ZDv 20/6 (in der vom
Truppendienstgericht zugrunde gelegten Fassung vom 17. Januar 2007)
generell festgesetzte Termine. In diesem Zusammenhang ist in der
Rechtsprechung des Senats geklärt, dass ein Soldat Kenntnis vom
Beschwerdeanlass hat, wenn für eine truppendienstliche Maßnahme in
Verwaltungsvorschriften ein fester Termin bzw. ein festgelegter zeitlicher
Rahmen geregelt ist, die Maßnahme aber zu diesem Termin nicht getroffen
oder erlassen wird; die Beschwerdefrist beginnt dann mit dem Ablauf dieses
Termins (Beschluss vom 16. Januar 2008 - BVerwG 1 WB 29.07 - Buchholz
450.1 § 17 WBO Nr. 67). Ansonsten beginnt, wenn als Beschwerdeanlass ein
rechtswidriges Unterlassen geltend gemacht wird, die Beschwerdefrist, wenn
die Unterlassung dem Soldaten bekannt wird (Beschluss vom 25. April 1990 -
BVerwG 1 WB 145.89 -
in NVwZ-RR 1991, 201>; vgl. auch Beschluss vom 4. Juni 1991 - BVerwG 1
WB 97.90 und 98.90 -).
b) Die zweite, auf den Senatsbeschluss vom 27. Mai 2009 - BVerwG 1 WB
18.09 - bezogene Divergenzrüge ist ebenfalls nicht prozessordnungsgemäß
dargelegt.
Die Beschwerde formuliert keine divergierenden abstrakten Rechtssätze in
dieser und in der Entscheidung des Truppendienstgerichts.
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Dem Senatsbeschluss ist auch kein abstrakter Rechtssatz des Inhalts zu
entnehmen, dass mit der Verweisung eines Rechtsstreits nach § 21 Abs. 2 Satz
1 i.V.m. § 18 Abs. 3 WBO an das sachlich zuständige Gericht zugleich die
materielle Sachentscheidung über die Begründetheit des Antrags (hier: die
rechtzeitige Einlegung der Beschwerde) getroffen oder bindend vorgegeben
werde. Die Beschwerde verkennt in diesem Zusammenhang nicht nur die
Grenzen der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses (§ 23a Abs. 2
WBO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG), sondern auch, dass im Verfahren
BVerwG 1 WB 18.09 die Verweisung des Rechtsstreits bezüglich des Antrags
zu 3. die Feststellung voraussetzte, dass die Rüge der Unterlassung der
planmäßigen Beurteilung des Antragstellers zum 30. September 2008
überhaupt Beschwerdegegenstand geworden und deshalb der Überprüfung
eines Wehrdienstgerichts - allerdings des sachlich zuständigen! - zugänglich
war. Die Frage des richtigen Rechtswegs bzw. der sachlichen Zuständigkeit des
Gerichts geht der formellen und ggf. materiellen Überprüfung der
streitbefangenen Maßnahme oder Unterlassung grundsätzlich vor, d.h. auch die
Frage, ob die Beschwerde rechtzeitig erhoben wurde, kann nur von dem
zuständigen Wehrdienstgericht entschieden werden und kann schon deswegen
in dem von der Beschwerde angeführten Beschluss nicht entschieden worden
sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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