Urteil des BVerwG vom 05.11.2014

Rechtliches Gehör, Recht auf Akteneinsicht, Verfahrensmangel, Konkretisierung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WNB 4.14
TDG S 3 BLa 1/14
TDG S 3 RL 2/14
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Stabsfeldwebel ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 5. November 2014 beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Trup-
pendienstgerichts Süd vom 11. Juni 2014 wird zurückge-
wiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
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G r ü n d e :
Die fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) einer
Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.
a) Der Antragsteller trägt vor, das Truppendienstgericht stütze die angefochtene
Entscheidung größtenteils auf Vernehmungen von Zeugen. Diese Vernehmun-
gen seien in seiner früheren Dienststelle durchgeführt und ihm nicht bekannt
gemacht worden. Er, der Antragsteller, habe weder Kenntnis von den Zeugen-
vernehmungen noch von deren Inhalt. Es sei ihm auch nicht möglich gewesen,
selbst die Zeugen zu befragen oder seine Sicht der Dinge zu einzelnen Aussa-
gen darzulegen. Bevor das Truppendienstgericht seine Entscheidung hätte tref-
fen dürfen, hätte es von ihm eine Stellungnahme zu den Zeugenaussagen ein-
fordern oder ihm zumindest die Möglichkeit geben müssen, von den Zeugen-
aussagen Kenntnis zu erlangen. Da dies nicht geschehen sei, könne nicht aus-
geschlossen werden, dass eine Anhörung, wenn sie erfolgt wäre, zu einer an-
deren, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte.
Aus diesem Sachverhalt ergibt sich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Gemäß Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches
Gehör. Dieser Grundsatz gilt auch im wehrbeschwerderechtlichen Antragsver-
fahren und erstreckt sich - über den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO hin-
aus - auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachfragen sowie auf die Be-
weisergebnisse, ferner auf entscheidungsrelevante Rechtsfragen, wenn der
Einzelfall dazu Veranlassung gibt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ver-
pflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen
und bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen (stRspr, vgl. Beschluss vom
24. März 2010 - BVerwG 1 WNB 3.10 - Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 4 Rn. 5
= NZWehrr 2010, 211 m.w.N.). Allerdings muss der Rechtssuchende selbst zu-
vor die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten aus-
schöpfen, um sich das rechtliche Gehör zu verschaffen, wenn er dessen Verlet-
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zung mit Erfolg rügen will (BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 1987 - 2 BvR
314/86 - BVerfGE 74, 220 <225> m.w.N.; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO,
4. Aufl. 2014, § 138 Rn. 111 mit zahlreichen Beispielen aus der Rspr. des
BVerwG).
Der Antragsteller kann aus seiner fehlenden Kenntnis des genauen Inhalts der
vom Truppendienstgericht verwerteten Zeugenaussagen keine Verletzung des
rechtlichen Gehörs herleiten, weil er sich diese Kenntnis in zumutbarer Weise
durch Einsicht in die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten
(§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 100 Abs. 1 VwGO) hätte verschaffen können.
Die gegenständlichen Zeugenaussagen wurden nicht vom Truppendienstge-
richt, sondern bereits im vorgerichtlichen Beschwerdeverfahren durch die betei-
ligten Vorgesetzten und Dienststellen erhoben; die Niederschriften hierüber sind
Teil der dem Truppendienstgericht vorgelegten Beschwerdeakten. Der Antrag-
steller hatte von der Tatsache, dass Zeugenvernehmungen stattgefunden ha-
ben, auch Kenntnis; zum Teil wurden, wie sich insbesondere aus den Be-
schwerdebescheiden vom 6. August und 10. Dezember 2013 zum 4. Beschwer-
devorgang ergibt, vom Antragsteller selbst benannte Zeugen vernommen. So-
weit die Zeugenvernehmungen für die Entscheidung über die Beschwerde des
Antragstellers erheblich waren, ist ihr Inhalt - zur Kenntnis des Antragstellers -
in die Begründung des jeweiligen Beschwerdebescheids eingeflossen. Dies gilt
bereits für die Beschwerdebescheide des Leiters des Bereichs ... vom 6. August
2013 (zum 3., 4. und 5. Beschwerdevorgang: HptFw R., HptGefr F., Hptm M.,
weitere vom Antragsteller selbst benannte Zeugen). Zum Teil noch ausführli-
cher sind die Bezugnahmen auf Zeugenvernehmungen in den Beschwerdebe-
scheiden des Kommandeurs der ... der Bundeswehr vom 10. Dezember 2013
(zum 1., 3., 4. und 5. Beschwerdevorgang: Oberstlt S., HptFw R., HptGefr F.,
Hptm M., weitere vom Antragsteller selbst benannte Zeugen); in diesem Verfah-
rensstadium war der Antragsteller zudem bereits durch seinen Bevollmächtigten
vertreten, der sich in der weiteren Beschwerde vom 9. September 2013 mit den
in den Bescheiden über die Erstbeschwerde ausgeführten Ermittlungsergebnis-
sen auseinandersetzte.
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Vor diesem Hintergrund muss dem Antragsteller klar gewesen sein, dass für die
Entscheidung des Truppendienstgerichts über den zur Überprüfung gestellten
Sachverhalt auch und gerade die im vorgerichtlichen Beschwerdeverfahren er-
hobenen Beweise von Bedeutung waren. Wenn dem Antragsteller nicht die in
den Beschwerdebescheiden mitgeteilten Ermittlungsergebnisse genügten und
er Kenntnis von den Zeugenaussagen im Einzelnen haben wollte, so hätte er
diese Kenntnis ohne Weiteres durch Einsicht in die in den Akten enthaltenen
Niederschriften über die Zeugenvernehmungen erlangen und hierzu anschlie-
ßend Stellung nehmen können. Als Ausprägung und Konkretisierung des ver-
fassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör gibt § 23a Abs. 2 WBO
i.V.m. § 100 Abs. 1 VwGO ein entsprechendes prozessuales Recht auf Akten-
einsicht. Von diesem Recht hat der durch einen Bevollmächtigten vertretene
Antragsteller keinen Gebrauch gemacht; er kann deshalb nicht im Nachhinein
eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen.
Gleiches gilt für den Einwand des Antragstellers, es sei ihm nicht möglich ge-
wesen, selbst Zeugen zu befragen. Wenn es dem Antragsteller darum gegan-
gen wäre, zu bestimmten Beweisthemen einzelne Zeugen nochmals oder ggf.
auch neue Zeugen vernehmen zu lassen, so hätte er entsprechende Beweisan-
träge stellen können und müssen. Dies hat der Antragsteller unterlassen; auch
insoweit kann er deshalb nicht im Nachhinein eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs rügen.
b) Der Antragsteller macht weiter geltend, aus dem angefochtenen Beschluss,
Blatt 22 oben, gehe hervor, dass die Kammer eigene Ermittlungen angestrengt
habe. Es sei ihm nicht bekannt gegeben worden, welche Ermittlungen die
Kammer durchgeführt habe und welche Beweismittel dabei zutage getreten
seien. Auch habe er nicht die Möglichkeit gehabt, hierzu Stellung zu nehmen.
Das Truppendienstgericht hat hierzu in dem Nichtabhilfebeschluss über die
Nichtzulassungsbeschwerde vom 25. September 2014 - TDG S 3 RL 2/14 - er-
klärt, dass es sich bei der Formulierung des angefochtenen Beschlusses, Blatt
22 oben, dass „die Ermittlungen der Kammer insoweit“ einen bestimmten Sach-
verhalt ergeben hätten, um eine „- zugegebenermaßen - falsche Diktion“ hande-
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le; die „Ermittlungen der Kammer“ hätten sich vielmehr auch insoweit, wie in
dem gesamten angefochtenen Beschluss, auf die Auswertung der bereits vor-
liegenden Ermittlungsunterlagen beschränkt.
Die angefochtene Entscheidung beruht damit nicht auf Beweisergebnissen, die
dem Antragsteller unter Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs
und dessen Konkretisierung in § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO vorenthalten worden
wären.
2. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde unter der Überschrift „Verken-
nung des Mobbings zu Lasten des Antragstellers“ nach Art einer Berufungsbe-
gründung im Einzelnen mit der Richtigkeit des Beschlusses des Truppendienst-
gerichts auseinandersetzt, wird keiner der in § 22a Abs. 2 WBO abschließend
aufgezählten Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (grundsätzliche
Bedeutung, Divergenz, Verfahrensmangel) dargelegt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO.
Dr. von Heimburg
Dr. Frentz
Dr. Langer
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