Urteil des BVerwG vom 03.01.2014

Slv, Schule, Leiter, Soldat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WNB 4.13
TDG N 5 BLa 4/12
TDG N 5 RL 1/13
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Kapitänleutnant …,
…,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte …,
… -
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 3. Januar 2014 beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Trup-
pendienstgerichts Nord vom 22. Mai 2013 wird zurückge-
wiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
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G r ü n d e :
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete Beschwer-
de hat keinen Erfolg. Der Sache kommt die geltend gemachte grundsätzliche
Bedeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) nicht zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Revisionssenate des Bundesverwal-
tungsgerichts ist eine Rechtssache nur dann grundsätzlich bedeutsam im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren
die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über
den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungs-
bedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. In der Be-
schwerdebegründung muss daher dargelegt werden, dass und inwieweit eine
bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungs-
bedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Revisionsverfahren zu er-
warten ist (stRspr; vgl. u.a. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 24. Januar 2008 - BVerwG 6 BN 2.07 -
Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 85, Rn. 14). Dies gilt auch für die
dem § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nachgebildete (vgl. dazu BTDrucks 16/7955
S. 36 zu Nr. 18) Regelung des § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO (stRspr; Beschlüsse
vom 1. Juli 2009 - BVerwG 1 WNB 1.09 - Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 1
Rn. 2, vom 6. Januar 2010 - BVerwG 1 WNB 7.09 - Rn. 3
fentlicht in Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 3> und vom 3. November 2011
- BVerwG 1 WNB 4.11 - Rn. 6
§ 22a WBO Nr. 6).
1. Die von der Beschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage,
ob aus der Regelung Nr. 303 c der ZDv 20/6 im Wege ei-
nes Umkehrschlusses gefolgert werden kann, dass beim
Wechsel der oder des beurteilungszuständigen Vorgesetz-
ten im Beurteilungszeitraum entgegen der Regelung unter
Nr. 503 c ZDv 20/6 ein Beurteilungsbeitrag durch den ur-
sprünglich beurteilungszuständigen Vorgesetzten nicht
abgefasst werden muss, wenn er/sie nach Delegierung
der Beurteilungsbefugnis im Beurteilungsverfahren für die
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Stellungnahme zuständig wird, und ob dieser Umkehr-
schluss in entsprechender Anwendung auch für den in
Nr. 303 c der ZDv 20/6 nicht geregelten Fall gilt, dass
während des Beurteilungszeitraumes die Beurteilungsbe-
fugnis nicht von dem/der nächsten Disziplinarvorgesetzten
(weg)delegiert, sondern eine vorher bestehende Delegie-
rung aufgehoben wird,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie die Auslegung
einer Bestimmung betrifft, bei der es sich nicht um eine Rechtsnorm, sondern
um eine Verwaltungsvorschrift handelt. Die Auslegung einer Verwaltungsvor-
schrift ist aber keine Rechtsfrage, die einer Klärung in einem Rechtsbeschwer-
deverfahren zugänglich ist (Beschluss vom 17. September 2013 - BVerwG
1 WNB 3.13 - Rn. 7; vgl. außerdem Beschluss vom 8. Januar 2013 - BVerwG
5 B 9.12 - juris Rn. 5).
Außenwirkung gegenüber dem Soldaten erlangen Verwaltungsvorschriften mit-
telbar über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Eine an
Verwaltungsvorschriften orientierte ständige Verwaltungspraxis verpflichtet zur
Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle; der Soldat kann eine Behandlung ent-
sprechend der gleichmäßig vollzogenen Verwaltungsvorschriften beanspru-
chen. Die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis ist auch insofern von Bedeu-
tung, als eine bestehende Ermessensbindung durch eine hiervon abweichende
Praxis aus sachgerechten Erwägungen für die Zukunft geändert werden kann.
Ebenso ist die tatsächliche Verwaltungspraxis maßgeblich, wenn diese eine
Verwaltungsvorschrift auf bestimmte Sachverhalte nicht anwendet und so den
Anwendungsbereich der Vorschrift einschränkt. All dies ist in der Rechtspre-
chung des Senats geklärt (vgl. für das Vorstehende zusammenfassend: Be-
schlüsse vom 28. Mai 2008 - BVerwG 1 WB 19.07 - Buchholz 449 § 3 SG
Nr. 44 Rn. 23 und vom 17. September 2013 - BVerwG 1 WNB 3.13 - Rn. 8).
Soweit im Fall des Antragstellers gegen eine bestehende ständige Verwal-
tungspraxis bei der Erstellung von Beurteilungsbeiträgen verstoßen worden
sein sollte, wäre dies keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine
Frage des Einzelfalls.
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2. Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete
Frage würde sich im Übrigen in dieser Form in dem angestrebten Rechtsbe-
schwerdeverfahren nicht stellen.
Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts
hat der Leiter Schulstab der …schule, auf den zum 1. Februar 2011 die Beurtei-
lungszuständigkeit für die Sachgebietsleiter vom Kommandeur der …schule
zurückdelegiert worden war, bei Abfassung der angefochtenen Beurteilung vom
30. November 2011 als beurteilender Vorgesetzter darauf verzichtet, von dem
bis zum 31. Januar 2011 für die Beurteilung zuständigen Kommandeur der
…schule einen Beurteilungsbeitrag für den Abschnitt des Beurteilungszeitraums
einzuholen, in dem der Antragsteller dem Leiter Schulstab nicht unterstellt war.
Hiernach würde sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht (mehr) die von der
Beschwerde aufgeworfene Frage stellen, ob und unter welchen Voraussetzun-
gen originäre Pflichten eines anderen Vorgesetzten zur eines Be-
urteilungsbeitrages bestehen. Vielmehr würde sich entscheidungsmaßgeblich
die Frage stellen, ob nach unterlassener termingerechter (Nr. 503 Buchst. c
Satz 1 ZDv 20/6) Abfassung eines Beurteilungsbeitrages nunmehr der beurtei-
lende Vorgesetzte seinerseits - auf der Basis der Ermächtigung in Nr. 503
Buchst. e Satz 1 ZDv 20/6 - nachträglich den Beurteilungsbeitrag eines anderen
Vorgesetzten muss.
Dazu ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgendes ge-
klärt:
Grundsätzlich erstreckt sich eine planmäßige Beurteilung im Sinne des § 2
Abs. 1 SLV auf sämtliche Leistungen sowie die Eignung und Befähigung, die
der beurteilte Soldat während des gesamten Beurteilungszeitraums gezeigt hat.
War der für die Beurteilung zuständige Vorgesetzte nicht in der Lage, sich wäh-
rend des gesamten Beurteilungszeitraums ein eigenes Bild von den zur Beurtei-
lung anstehenden Merkmalen zu verschaffen, ist er auf Beurteilungsbeiträge
Dritter angewiesen. Beurteilungsbeiträge, die nach Nr. 503 ZDv 20/6 von einem
früheren zuständigen Vorgesetzten abgefasst worden sind, sollen gemäß
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Nr. 503 Buchst. a Satz 2 ZDv 20/6 dem für die Beurteilung (bzw. für eine Stel-
lungnahme) zuständigen Vorgesetzten zusätzliche Erkenntnisquellen erschlie-
ßen und ihm dadurch eine umfassende und treffende Beurteilung erleichtern.
Die Feststellungen und Bewertungen in einem Beurteilungsbeitrag sind, soweit
sie keine Rechtsfehler aufweisen, insoweit beachtlich, als sie bei der abschlie-
ßenden Beurteilung zur Kenntnis genommen und bedacht werden müssen. Der
für die Beurteilung zuständige Vorgesetzte ist jedoch an die in den Beurtei-
lungsbeiträgen enthaltenen Werturteile nicht in der Weise gebunden, dass er
sie in seine Beurteilung „fortschreibend“ übernehmen müsste. Vielmehr hat er
aufgrund einer Gesamtwürdigung, die auch die durch Beurteilungsbeiträge
vermittelten Erkenntnisse einzubeziehen hat, seine Bewertung in eigener Ver-
antwortung zu treffen (Beschlüsse vom 29. April 1999 - BVerwG 1 WB 55.98,
66.98 - Buchholz 236.11 § 1a SLV Nr. 6 und vom 8. März 2006 - BVerwG 1 WB
23.05 - Rn. 25 = Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 7 m.w.N.). Für Beurteilungs-
beiträge kommen vorrangig, aber nicht ausschließlich die früher für die Beurtei-
lung Zuständigen sowie Personen in Betracht, die die Dienstausübung des zu
Beurteilenden aus eigener Anschauung kennen. Die Beurteilungsbeiträge die-
ser sachkundigen Personen müssen bei der Ausübung des Beurteilungsspiel-
raums berücksichtigt werden. Der Beurteiler darf nicht davon absehen, Beurtei-
lungsbeiträge einzuholen, weil er sich trotz fehlender eigener Anschauung zu-
traut, den zu Beurteilenden zutreffend einzuschätzen. Zwar ist der Beurteiler an
die Feststellungen und Bewertungen Dritter nicht gebunden, sondern kann zu
abweichenden Erkenntnissen gelangen. Er übt seinen Beurteilungsspielraum
jedoch nur dann rechtmäßig aus, wenn er die Beurteilungsbeiträge in seine
Überlegungen einbezieht. Abweichungen müssen nachvollziehbar begründet
werden (Urteile vom 4. November 2010 - BVerwG 2 C 16.09 - BVerwGE 138,
102 Rn. 47 und vom 26. September 2012 - BVerwG 2 A 2.10 - NVwZ-RR 2013,
54 = juris Rn. 11, 12).
Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass der beurteilende Vorgesetzte in
der Regel verpflichtet ist, einen Beurteilungsbeitrag anderer Vorgesetzter anzu-
fordern, wenn er die Dienstausübung des zu beurteilenden Soldaten nicht aus
eigener Anschauung kennt oder nicht über den gesamten Beurteilungszeitraum
hat beobachten können.
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Eine Frage des Einzelfalles, der nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde
wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigt, ist es hingegen, ob der beurtei-
lende Vorgesetzte ausnahmsweise - wie es die „Kann“-Vorschrift in Nr. 503
Buchst. e Satz 1 ZDv 20/6 ermöglicht - von der Anforderung eines Beurtei-
lungsbeitrages absehen darf, wenn der für die Abfassung des Beurteilungsbei-
trages in Betracht kommende frühere Vorgesetzte seinerseits als Stellung neh-
mender Vorgesetzter gemäß § 2 Abs. 3, Abs. 7 SLV und Nr. 904 ff. ZDv 20/6
obligatorisch mit umfassenden eigenen Bewertungspflichten und Wertungsän-
derungskompetenzen in das Beurteilungsverfahren eingebunden ist und des-
halb nicht einen „anderen“ Vorgesetzten im Sinne der Nr. 503 Buchst. a Satz 1
ZDv 20/6 darstellt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO.
Dr. von Heimburg
Dr. Frentz
Dr. Langer
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