Urteil des BVerwG vom 24.08.2012

Rechtliches Gehör, Verfahrensmangel, Befangenheit, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WNB 4.12
TDG N 1 BLa 1/12
TDG N 1 RL 1/12
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Hauptmann
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 24. August 2012 beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Trup-
pendienstgerichts Nord vom 11. April 2012 wird zurück-
gewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
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G r ü n d e :
Die statthafte, fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Beschwerde
hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3
WBO) liegt nicht vor.
Die Beschwerde behauptet die Versagung rechtlichen Gehörs, in dem sie gel-
tend macht, das Truppendienstgericht sei nicht auf das Vorbringen des Antrag-
stellers eingegangen,
a) dass der beurteilende Vorgesetzte auf der Grundlage
der Leistungs- und Befähigungsbewertung zu einer in sich
stimmigen Verwendungsperspektive gelangt sei, zu der
die Einschätzung des Stellung nehmenden nächsthöheren
Vorgesetzten in einem unauflöslichen Widerspruch stehe;
wenn bei einer von beiden Vorgesetzten mitgetragenen
Erhöhung des Durchschnittswertes der Aufgabenerfüllung
beide hinsichtlich der prognostischen Teile der Beurteilung
zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangten, begründe
dies unabhängig von Nr. 102 Buchst. c ZDv 20/6 einen
Widerspruch im Sinne der ZDv 20/6,
b) dass ihm, dem Antragsteller, der nächsthöhere Stellung
nehmende Vorgesetzte ausdrücklich erklärt habe, dass er
sich nach wie vor an die Ergebnisse der Abstimmungsge-
spräche gebunden fühle,
c) dass die (der Stellungnahme zugrunde gelegte) ehema-
lige Vergleichsgruppe fehlerhaft zusammengesetzt gewe-
sen sei; auf diesen Gesichtspunkt komme es an, wenn
von einer fehlenden Bindung des nächsthöheren Vorge-
setzten an die Abstimmungsgespräche - wie vom Trup-
pendienstgericht ausgesprochen - auszugehen sei,
d) dass die Besorgnis der Befangenheit in der Person des
Stellung nehmenden nächsthöheren Vorgesetzten be-
gründet sei, wenn dieser an einer Bindung an Abstim-
mungsgespräche festhalte, obwohl nach der Feststellung
des Truppendienstgerichts eine derartige Bindung an Ab-
stimmungsgespräche nicht bestehe.
Mit diesem Vortrag macht die Beschwerde einen Verfahrensmangel im Sinne
des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO geltend. Der in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte
Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gilt auch im wehrbeschwerde-
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rechtlichen Antragsverfahren (vgl. Beschlüsse vom 26. Oktober 2010 - BVerwG
1 WNB 4.10 -, vom 11. Mai 2011 - BVerwG 1 WNB 3.11 - und vom 12. Juni
2012 - BVerwG 1 WNB 2.12 -). Gegen diesen Grundsatz hat das Truppen-
dienstgericht in dem angegriffenen Beschluss indessen nicht verstoßen.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Aus-
führungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu
ziehen (vgl. - auch zum Folgenden - BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29. Ok-
tober 2009 - 1 BvR 1729/09 - NZS 2010, 497 Rn. 12 und vom 18. Januar 2011
- 1 BvR 2441/10 - juris Rn. 10 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen;
BVerwG, Beschlüsse vom 11. Mai 2011 - BVerwG 1 WNB 3.11 - und vom
12. Juni 2012 - BVerwG 1 WNB 2.12 -). Dabei ist grundsätzlich davon auszu-
gehen, dass das Gericht dieser Pflicht Rechnung trägt. Das Gericht ist nicht
gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen zu
befassen; insbesondere begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen
Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen
des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt las-
sen. Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst dann anzunehmen, wenn
im Einzelfall besondere Umstände erkennen lassen, dass das Gericht tatsächli-
ches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis ge-
nommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat. Besondere Umstände in
diesem Sinne liegen etwa dann vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen
Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Ver-
fahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern er nicht nach dem
Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich ist.
Diese Voraussetzungen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
sind hier nicht erfüllt.
Das Truppendienstgericht hat den unter a) bis d) referierten Vortrag des An-
tragstellers mit eigenen Worten auf den Seiten 3 bis 5 des angefochtenen Be-
schlusses als Parteivorbringen dargestellt, damit zur Kenntnis genommen und
bei seiner Entscheidung erwogen. Diesen Sachvortrag des Antragstellers hat
das Gericht in Teil II seiner Entscheidungsgründe in dem Umfang im Einzelnen
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erörtert und rechtlich gewürdigt, als er nach seiner Rechtsauffassung für die
Entscheidung erheblich war. Das Gericht hat bei seiner Feststellung, dass zwi-
schen den Verwendungsvorschlägen des beurteilenden Vorgesetzten (Ab-
schnitt 5 der Beurteilung) und den Aussagen des Stellung nehmenden nächst-
höheren Vorgesetzten zum Potenzial und zur Prognose der Entwicklung des
Antragstellers kein inhaltlicher Widerspruch besteht, darauf abgestellt, dass die
Beschreibung des Potenzials und der Entwicklungsprognose (Nr. 906 Buchst. b
und Nr. 910 Buchst. a ZDv 20/6 i.V.m. Nr. 102 Buchst. c ZDv 20/6) nicht den
Charakter einer vergangenheitsbezogenen Betrachtung aufweist, sondern viel-
mehr eine in die Zukunft orientierte Einschätzung darstellt. Dabei hat das Trup-
pendienstgericht die Eigenständigkeit des höchstpersönlichen Werturteils des
nächsthöheren Vorgesetzten bei der Festlegung der Entwicklungsprognose für
den beurteilten Soldaten hervorgehoben und unterstrichen, dass diese Ein-
schätzung mit Rücksicht auf ihren prognostischen Inhalt von den Aussagen und
Bewertungen zur Aufgabenerfüllung abweichen kann (vgl. dazu Beschlüsse des
Senats vom 28. April 2009 - BVerwG 1 WB 4.09 und 1 WB 5.09 - Buch-
holz 450.1 § 5 WBO Nr. 2 Rn. 52 und vom 24. Januar 2012 - BVerwG 1 WB
30.11 - Rn. 39, 40). Aus diesen Grundsätzen hat das Truppendienstgericht die
- seine Entscheidung tragende - Rechtsauffassung abgeleitet, dass der Stellung
nehmende nächsthöhere Vorgesetzte bei der Festlegung der Entwicklungspro-
gnose in Wahrnehmung seines eigenständigen Beurteilungsspielraums nicht an
die Reihung innerhalb einer bestimmten Vergleichsgruppe im Rahmen von zu-
vor geführten Abstimmungsgesprächen oder an bestimmte Verwendungsemp-
fehlungen bzw. prognostische Äußerungen des beurteilenden Vorgesetzten
gebunden sei. Deshalb kam es nach der Rechtsauffassung des Truppendienst-
gerichts auf den Inhalt der Verwendungsperspektive, die der beurteilende Vor-
gesetzte formuliert hatte, auf Probleme der Vergleichsgruppenbildung sowie auf
die angebliche Aussage des nächsthöheren Vorgesetzten, dieser „fühle sich“
bei der Festlegung der Entwicklungsprognose an die Ergebnisse von Abstim-
mungsgesprächen gebunden, nicht an. Insofern kann offen bleiben, ob dieses
„Gefühl“ einer Bindung an Abstimmungsgespräche gegebenenfalls ein Motiv für
den Stellung nehmenden nächsthöheren Vorgesetzten gewesen sein mag, sei-
nen Beurteilungsspielraum bei der Festlegung der Entwicklungsprognose nicht
voll auszuschöpfen. Denn das Truppendienstgericht hat den entsprechenden
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Vortrag des Antragstellers in seine Entscheidung einbezogen (vgl. insbesonde-
re Seite 3 des Beschlusses: „Dabei habe er die Ergebnisse der früheren Ab-
stimmungsgespräche als Grundlage gewählt …“). Auf die Frage einer mögli-
chen Befangenheit des Stellung nehmenden nächsthöheren Vorgesetzten ist
das Truppendienstgericht auf Seite 7 des Beschlusses eingegangen und hat
seine Rechtsauffassung dazu dargelegt.
Die weiteren Einwendungen der Beschwerde richten sich nach Art einer Beru-
fungsbegründung gegen die Rechtsauffassungen des Truppendienstgerichts.
Damit wird indessen ein gesetzlicher Zulassungsgrund nicht dargelegt. Die Rü-
ge fehlerhafter Rechtsanwendung im Einzelfall rechtfertigt nicht die Zulassung
der Rechtsbeschwerde nach § 22b Abs. 2 WBO (Beschlüsse vom 4. Dezember
2009 - BVerwG 1 WNB 4.09 -, vom 11. Mai 2011 - BVerwG 1 WNB 3.11 - und
vom 12. Juni 2012 - BVerwG 1 WNB 2.12 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2
VwGO.
Dr. von Heimburg
Dr. Frentz
Dr. Langer
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