Urteil des BVerwG vom 26.05.2011

Versetzung, Aufschiebende Wirkung, Schule, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WDS-VR 4.11
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberstabsfeldwebel …,
…,
...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte …,
… -
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 26. Mai 2011 beschlossen:
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde
des Antragstellers vom 22. März 2011 gegen die Verset-
zungsverfügung Nr. … der Stammdienststelle der Bun-
deswehr vom 1. Februar 2011 anzuordnen, wird abge-
lehnt.
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G r ü n d e :
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Der Antragsteller begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die
von der Stammdienststelle der Bundeswehr mit Verfügung vom 1. Februar 2011
angeordnete Versetzung von seinem gegenwärtigen Dienstposten eines Jäger-
feldwebels/Stabsdienstsachbearbeiters Streitkräfte beim …, USA, auf den
Dienstposten eines Stabsdienstfeldwebels Streitkräfte bei der Unteroffizierschu-
le des Heeres in ….
Der 1960 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit wird voraus-
sichtlich mit Ablauf des 28. Februar 2015 enden. Er wurde mit Wirkung vom
19. Dezember 2003 zum Oberstabsfeldwebel ernannt. Der Antragsteller ist ver-
heiratet und hat einen 1988 geborenen Sohn sowie eine am 19. Februar 1991
geborene Tochter.
Mit Verfügung vom 27. April 2006 (in der Fassung der 1. Korrektur vom 16. Ok-
tober 2006) ordnete die damalige Stammdienststelle des Heeres zum 1. März
2007 - unter vorangehender Kommandierung vom 8. Januar 2007 bis zum
28. Februar 2007 - die Versetzung des Antragstellers von der … in … auf den
Dienstposten eines Jägerfeldwebels und S3-Feldwebels beim … in …, USA,
an. Als voraussichtliche Verwendungsdauer wurde der 30. Juni 2011 angege-
ben.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2009 beantragte der Antragsteller erstmals die Ver-
längerung seiner Stehzeit auf diesem Dienstposten bis zum 30. Juni 2012. Den
Antrag lehnte die Stammdienststelle der Bundeswehr mit bestandskräftigem
Bescheid vom 17. Juni 2009 mit der Begründung ab, die Verwendungsdauer
auf Dienstposten im integrierten Bereich sei grundsätzlich auf drei Jahre zu be-
schränken. Ausnahmen bedürften eines erheblichen dienstlichen Interesses.
Der Dienstposten des Antragstellers werde durch die Stammdienststelle zeitge-
recht und qualifiziert nachbesetzt werden können. Ein dienstliches Interesse sei
deshalb nicht gegeben. Darüber hinaus stehe der vom Antragsteller innegehab-
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te Dienstposten unter dem Vorbehalt, künftig möglicherweise nicht mehr nach
Besoldungsgruppe A9 Z bewertet zu werden. Allein aus diesem Grund sei die
Verlängerung der Verwendungsdauer abzulehnen.
Nach Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - beantragte
der Leiter des … USA mit Schreiben vom 23. September 2010 die Verlänge-
rung der Stehzeit des Antragstellers in den USA; er bezeichnete den Antragstel-
ler als Idealbesetzung für den vom ihm innegehabten Dienstposten und bat für
den Fall der Herabdotierung dieses Dienstpostens um eine Ausnahmegeneh-
migung. Am 7. Oktober 2010 lehnte der Kommandeur des Bundeswehrkom-
mandos USA und Kanada diesen Antrag ab. Nach Mitteilung des Bundesminis-
ters der Verteidigung - PSZ I 7 - lehnte die Stammdienststelle der Bundeswehr
mit Schreiben vom 3. November 2010 den Antrag ebenfalls ab; sie verwies auf
die Herabdotierung des Dienstpostens zum 1. Juli 2011 und erklärte, dieser
Sachverhalt sei bereits ausschlaggebend für die Ablehnung des ersten Verlän-
gerungsantrags vom 11. Juni 2009 gewesen; er könne nicht im Rahmen einer
Ausnahmegenehmigung umgangen werden.
Mit Schreiben vom 22. November 2010 beantragte der Antragsteller erneut die
Verlängerung seiner Auslandsverwendung - nunmehr bis zum 31. Dezember
2012 - und bezog sich zur Begründung auf Probleme bei der Schulausbildung
seiner Tochter. Er führte aus, mit Beginn seiner Auslandsverwendung sei seine
Tochter F. an der Deutschen Schule Washington in Potomac als Realschülerin
eingeschult wurden. Ziel sei es gewesen, nach der 10. Klasse in das Gymnasi-
um zu wechseln, um das Abitur zu erhalten. Mit dem Realschulabschluss 2009
sei ihm mitgeteilt wurden, dass ab diesem Jahrgang die Kinder in das einstufige
Gymnasium wechseln und somit die 10. Klasse wiederholen müssten. Das ha-
be zum damaligen Zeitpunkt - angesichts seiner Restdienstzeit in den USA bis
2011 - nicht für den Abschluss gereicht. Nach Rücksprache mit der Zeugnisan-
erkennungsstelle habe er entschieden, F. auf eine amerikanische Schule wech-
seln zu lassen, um das Abitur über diesen Bildungsweg zu erhalten. Seine
Tochter habe bis 2010 die Freedom High School besucht. Leider habe sie den
geforderten Notendurchschnitt nicht erreicht; in Folge von Mängeln im Fach
Mathematik sei ihr das High School Diploma nicht zuerkannt worden. Damit
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seien die Voraussetzungen der Zeugnisanerkennungsstelle für die einjährige
Collegeausbildung nicht erfüllt worden. Nach Vorlage der Noten sei ihm mitge-
teilt worden, dass F. den zweijährigen Ausbildungsweg durchlaufen müsse, um
das Abitur zu erhalten. Das High School Diploma habe F. durch den Besuch
einer „Summer School“ mit Prüfung am 17. Dezember 2010 absolviert. Sie ha-
be alle Aufnahmeprüfungen und Eingangstests auf dem Northern Virginia
Community College bestanden und sei für die geforderte zweijährige Col-
legeausbildung in den festgelegten Fächern eingeschrieben. Falls F. diese
Schulausbildung nicht abschließen könne, entstünden ihr unzumutbare Nachtei-
le für ihre Zukunft. Das Verbleiben eines 19-jährigen Mädchens allein ohne Fa-
milie in den Vereinigten Staaten sei nicht vorstellbar und könne auf Grund der
dann entstehenden hohen Kosten auch nicht finanziert werden.
Den Verlängerungsantrag lehnte die Stammdienststelle der Bundeswehr mit
Bescheid vom 29. Dezember 2010 ab. Die Beschwerde des Antragstellers vom
13. Januar 2011 wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit Be-
schwerdebescheid vom 1. März 2011 zurück. Dagegen hat der Antragsteller mit
Schreiben vom 22. März 2011 die Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts beantragt. Diesen Antrag hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I
7 - mit seiner Stellungnahme vom 28. März 2011 dem Senat zur Entscheidung
vorgelegt (Verfahren BVerwG 1 WB 16.11).
In einem am 12. Januar 2011 geführten Personalgespräch wurden dem An-
tragsteller die ab 1. Juli 2011 in Deutschland vorgesehenen Verwendungsmög-
lichkeiten eröffnet. Er entschied sich für eine Versetzung zur … in D….
Mit der angefochtenen Verfügung Nr. … ordnete die Stammdienststelle der
Bundeswehr die Versetzung des Antragstellers auf den Dienstposten Stabs-
dienstfeldwebel Streitkräfte bei der … zum 1. Juli 2011 mit einer voraussichtli-
chen Verwendungsdauer bis zum Ende der Dienstzeit des Antragstellers an.
Gegen diese ihm am 25. Februar 2011 eröffnete Entscheidung legte der An-
tragsteller mit Schreiben vom 22. März 2011 Beschwerde ein und beantragte
zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 3 Abs. 2 WBO.
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Diesen Antrag lehnte der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit Be-
scheid vom 10. Mai 2011 ab.
Gegen den ebenfalls am 10. Mai 2011 ergangenen Beschwerdebescheid des
Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 -, der dem Antragsteller vorab per
E-Mail übermittelt, aber noch nicht förmlich zugestellt worden ist, hat der An-
tragsteller durch seine Bevollmächtigten am 17. Mai 2011 die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Diesen Antrag hat der Bundesminister
der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2011 dem
Senat zur Entscheidung vorgelegt (Verfahren BVerwG 1 WB 25.11).
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 10. Mai 2011 hat der Antragsteller
gegen die Versetzungsverfügung der Stammdienststelle vom 1. Februar 2011
die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt und zur Begründung auf
die Gesichtspunkte verwiesen, die er mit seinem Verlängerungsantrag vom
22. November 2010 geltend gemacht hat. Seine Tochter sei besonders betreu-
ungs- und schutzbedürftig, weil sie in den USA ihre Schulausbildung abschlie-
ßen müsse; sie habe anderenfalls enorme Nachteile zu erwarten. Außerdem
müsse sich seine Tochter um ihr im Februar 2011 geborenes Kind kümmern.
Insoweit benötige sie seine, des Antragstellers Unterstützung. Diese Unterstüt-
zung könne er nur höchstpersönlich leisten. Die Stammdienststelle habe über-
dies unberücksichtigt gelassen, dass seinem weiteren Verbleiben in den USA
keine dienstlichen Gründe entgegenstünden. Davon abgesehen rüge er seine
Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Kameraden. Er habe erfahren,
dass die Stammdienststelle in ähnlich gelagerten Fällen Feldwebel in der … auf
dem Dienstposten S3-Feldwebel / S-1-Feldwe-bel frage, ob sie nicht länger auf
ihren gegenwärtigen Dienstposten in den USA bleiben wollten, weil es zur Zeit
keine Möglichkeiten der Einplanung in Deutschland gebe.
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Der Antragsteller beantragt,
dem Bundesminister der Verteidigung bis zu einer rechts-
kräftigen Entscheidung bezüglich des Antrags vom
22. März 2011 zu untersagen, die gegenüber ihm, dem
Antragsteller, am 25. Februar 2011 eröffnete Verset-
zungsverfügung zu vollziehen.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Versetzungsverfügung vom 1. Februar 2011 sei rechtmäßig
und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Für die Wegversetzung
von dem Dienstposten beim … USA … bestehe ein dienstliches Bedürfnis, weil
dessen Dotierung durch Entscheidung des Heeresamtes IV 2 (3) - Az.: 10-30-
00 - vom 24. Januar 2011 mit Wirkung vom 1. August 2011 von der Besol-
dungsgruppe A9 MZ auf Besoldungsgruppe A7/A9 herabdotiert wurden sei.
Darüber hinaus habe der Antragsteller das festgelegte Ende seiner „Tour of
Duty“ erreicht; die Verlängerung dieser Auslandsverwendung sei von der
Stammdienststelle ohne Rechtsfehler abgelehnt worden. Zwar liege ein
„schwerwiegender persönlicher Grund“ im Sinne der Nr. 6 Buchst. b der Verset-
zungsrichtlinien vor, weil die Tochter des Antragstellers eine über das Ausbil-
dungsziel der Hauptschule hinausführende allgemeinbildende Schule am bishe-
rigen Wohnort in den USA nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten errei-
chen könne. Dem Verbleib des Antragstellers auf seinem gegenwärtigen
Dienstposten stünden jedoch vorrangige dienstliche Belange in Gestalt der
Herabdotierung des Dienstpostens entgegen. Die Geburt und Betreuung des
Enkels des Antragstellers könne nicht unter Nr. 6, sondern allenfalls unter Nr. 7
der Versetzungsrichtlinien subsumiert werden. Gleichwohl sei ein Verbleib des
Antragstellers auf seinem jetzigen Dienstposten nicht mit dienstlichen Belangen
in Einklang zu bringen. Zudem sei kein Grund ersichtlich, warum die Betreuung
seines Enkels ausschließlich in den USA erfolgen müsse. Die militärische Ex-
pertise des Antragstellers auf seinem gegenwärtigen Dienstposten in den USA
schließe es nicht aus, dass die Stammdienststelle einem anderen Soldaten die
Gelegenheit zu einer ähnlichen Bewährung gebe. Für die Zuversetzung des
Antragstellers zur … in D. bestehe ein dienstliches Bedürfnis, weil der dortige
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Dienstposten eines Stabsdienstfeldwebels Streitkräfte frei und zu besetzen sei.
Dem Antragsteller entstünden durch den sofortigen Vollzug der Versetzungs-
verfügung keine unzumutbaren, insbesondere keine nicht wieder gut zu ma-
chenden Nachteile. Die Verwendungsdauer eines Soldaten im Ausland sei
grundsätzlich auf die Dauer einer „Tour of Duty“ beschränkt. Die Verlänge-
rungsanträge des Antragstellers seien in den letzten Jahren wiederholt abge-
lehnt worden. Deshalb sei er wie jeder andere Soldat verpflichtet gewesen, sei-
ne persönlichen Lebensumstände auf das festgelegte Ende seiner „Tour of Du-
ty“ abzustimmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Ak-
ten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des Bundesministers der Vertei-
digung - PSZ I 7 - …, … und … -, die Personalgrundakte des Antragstellers,
Hauptteile A bis D, sowie die Gerichtsakten BVerwG 1 WB 16.11 und BVerwG
1 WB 25.11 haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller strebt mit seinem auf § 17 Abs. 6 WBO gestützten Antrag die
Aussetzung der Vollziehung der Versetzungsverfügung der Stammdienststelle
der Bundeswehr vom 1. Februar 2011 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung
über seinen „Antrag vom 22. März 2011“ an. Der Senat bezieht dieses Rechts-
schutzziel auf den - offensichtlich gemeinten - Antrag auf gerichtliche Entschei-
dung vom 22. März 2011 im Verfahren BVerwG 1 WB 16.11, das die Verlänge-
rung der „Tour of Duty“ bis zum 31. Dezember 2012 betrifft. Danach ist der An-
trag im vorliegenden Verfahren unter Berücksichtigung des § 21 Abs. 2 Satz 1
i.V.m. § 17 Abs. 6 Satz 2 WBO sachgerecht dahin auszulegen, dass der An-
tragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Beschwerde vom
22. März 2011 gegen die Versetzungsverfügung Nummer … der Stammdienst-
stelle der Bundeswehr vom 1. Februar 2011 beantragt.
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Dieser Antrag ist zulässig.
Er erfüllte im Zeitpunkt seiner Vorlage durch den Bundesminister der Verteidi-
gung an den Senat (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 i.V.m.
§ 17 Abs. 6 Satz 2 WBO) am 16. Mai 2011 die Zulässigkeitsvoraussetzungen
des § 17 Abs. 6 Satz 3 WBO. Denn der Bundesminister der Verteidigung - PSZ
I 7 - hatte den zuvor vom Antragsteller gem. § 3 Abs. 2 WBO gestellten Antrag
auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Bescheid vom 10. Mai 2011
abgelehnt.
Die Zulässigkeit des Antrags ist nicht dadurch nachträglich entfallen, dass in der
Hauptsache inzwischen ein Beschwerdebescheid des Bundesministers der Ver-
teidigung - PSZ I 7 - vom 10. Mai 2011 ergangen ist; denn dieser Bescheid ist
unabhängig davon, ob der bereits vor der (soweit ersichtlich bisher noch nicht
erfolgten) förmlichen Zustellung des Bescheides gestellte Antrag auf gerichtli-
che Entscheidung vom 17. Mai 2011 (BVerwG 1 WB 25.11) (un)zulässig ist,
jedenfalls bisher nicht unanfechtbar geworden.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist jedoch nicht begrün-
det.
Der Gesetzgeber hat dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbar-
keit truppendienstlicher Maßnahmen grundsätzlich den Vorrang vor privaten
Belangen eingeräumt (§ 17 Abs. 6 Satz 1 WBO). Die Anordnung der aufschie-
benden Wirkung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich bereits bei summa-
rischer Prüfung durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochte-
nen Maßnahme ergeben oder dem Soldaten durch deren sofortige Vollziehung
unzumutbare, insbesondere nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden
(stRspr, vgl. Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 1.07 - Rn. 23
m.w.N.
und in NZWehrr 2008, 39>).
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1. Bei summarischer Prüfung bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der Verset-
zungsverfügung der Stammdienststelle der Bundeswehr vom 1. Februar 2011
keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Der Soldat hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte fachliche
oder örtliche Verwendung oder auf Verwendung auf einem bestimmten Dienst-
posten. Ein dahingehender Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorge-
pflicht ableiten. Vielmehr entscheidet der zuständige Vorgesetzte über die Ver-
wendung eines Soldaten, sofern hierfür ein dienstliches Bedürfnis besteht, nach
seinem pflichtgemäßen Ermessen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 25. September
2002 - BVerwG 1 WB 30.02 -
§ 3 SG Nr. 30> und vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 1 WB 40.02 - jeweils
m.w.N.). Diese Ermessensentscheidung kann vom Wehrdienstgericht nur dar-
auf überprüft werden, ob der Vorgesetzte den Soldaten durch Überschreiten
oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in seinen Rechten verletzt (§ 17 Abs. 3
Satz 2 WBO) bzw. die gesetzlichen Grenzen des ihm insoweit zustehenden Er-
messens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung
nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m.
§ 114 VwGO; Beschluss vom 24. März 2009 - BVerwG 1 WB 46.08 - Rn. 29).
Die gerichtliche Überprüfung richtet sich auch darauf, ob die vom Bundesminis-
terium der Verteidigung im Wege der Selbstbindung in Erlassen und Richtlinien
festgelegten Maßgaben und Verfahrensvorschriften eingehalten sind (vgl. Be-
schluss vom 27. Februar 2003 - BVerwG 1 WB 57.02 - BVerwGE 118, 25 <27>
= Buchholz 252 § 23 SBG Nr. 2
212>), wie sie sich hier insbesondere aus den Richtlinien zur Versetzung, zum
Dienstpostenwechsel und zur Kommandierung von Soldaten vom 3. März 1988
(VMBl S. 76) in der zuletzt am 9. Juni 2009 (VMBl S. 86) geänderten Fassung
(Versetzungsrichtlinien) ergeben.
Die Versetzungsverfügung weist keine Ermessensfehler auf.
Die Anfechtung einer Versetzungsverfügung erfasst grundsätzlich sowohl die
Weg- als auch die Zuversetzung.
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a) Das dienstliche Bedürfnis für die Wegversetzung des Antragstellers von sei-
nem gegenwärtigen Dienstposten beim … USA … ergibt sich aus Nr. 5 Buchst.
f der Versetzungsrichtlinien. Danach liegt ein dienstliches Bedürfnis für eine
Versetzung regelmäßig vor, wenn eine befristete integrierte Verwendung im
Inland oder eine befristete Auslandsverwendung endet. Insoweit verweist Nr. 5
Buchst. f der Versetzungsrichtlinien auf den Erlass „Verwendung von Soldaten
im Ausland und bei integrierten Stäben im Inland“ vom 25. November 1999
(VMBl. 2000, S. 7). Nach Nr. 1.2 dieses Erlasses beträgt die normale Verwen-
dungszeit im Rahmen der „Tour of Duty“ drei Jahre. Diese normale Verwen-
dungsdauer wird der Antragsteller am 30. Juni 2011 bereits um 16 Monate
überschritten haben. Dass die vorgenannten Bestimmungen, die in Bezug auf
Auslandsverwendungen oder Verwendungen bei integrierten Stäben im Inland
zeitliche Grenzen festlegen, rechtlich nicht zu beanstanden sind, hat der Senat
bereits mehrfach entschieden (Beschlüsse vom 22. Juli 1997 - BVerwG 1 WB
9.97 -, vom 26. September 2000 - BVerwG 1 WB 50.00 -, vom 25. Juni 2002 -
BVerwG 1 WB 19.02 - Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 28 -, vom 17. Dezember
2003 - BVerwG 1 WB 36.03 - und vom 24. März 2009 - BVerwG 1 WB 35.08 -
Rn. 22). Es stellt nach gefestigter Rechtsprechung des Senats ein berechtigtes
Anliegen der Personalführung dar, möglichst vielen hierfür geeigneten Soldaten
eine entsprechende Verwendung zu ermöglichen, was für den Einzelnen not-
wendigerweise deren zeitliche Befristung zur Folge hat (Beschlüsse vom 30.
Januar 2001 - BVerwG 1 WB 114.00 - und vom 25. Juni 2002 - BVerwG 1 WB
19.02 - a.a.O.).
Darüber hinaus folgt das dienstliche Bedürfnis für die Wegversetzung des An-
tragstellers aus Nr. 5 Buchst. c der Versetzungsrichtlinien, weil der von ihm ge-
genwärtig innegehabte Dienstposten mit Wirkung zum 1. August 2011 von Be-
soldungsgruppe A9 MZ auf Besoldungsgruppe A7/A9 herabdotiert worden ist.
b) Das dienstliche Bedürfnis für die Zuversetzung des Antragstellers auf den
Dienstposten Stabsdienstfeldwebel Streitkräfte bei der … in D. beruht darauf,
dass dieser Dienstposten frei ist und besetzt werden muss (vgl. Nr. 5 Buchst. a
der Versetzungsrichtlinien). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der
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Antragsteller für diesen - nach Besoldungsgruppe A9 MZ bewerteten - Dienst-
posten geeignet ist.
c) Bei summarischer Prüfung leidet die Versetzungsverfügung auch im Hinblick
auf die persönlichen und familiären Belange des Antragstellers nicht an Rechts-
oder Ermessensfehlern.
Soweit - wie hier - die Versetzung mit einem Ortswechsel verbunden ist, müs-
sen zwar aus Fürsorgegründen (§ 10 Abs. 3 SG) sowie wegen der aus § 6 SG
folgenden Schutzpflichten für Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) auch die per-
sönlichen und familiären Interessen des Soldaten angemessen berücksichtigt
werden. Allerdings darf die für die Versetzungsentscheidung zuständige Stelle
von der jederzeitigen Versetzbarkeit des Soldaten sowie davon ausgehen, dass
ein Soldat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte örtliche Verwen-
dung hat (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 14. Juli 2004 - BVerwG 1 WB 16.04 -
m.w.N.). Bei einem Berufssoldaten gehört seine jederzeitige Versetzbarkeit zu
den von ihm freiwillig übernommenen Pflichten und zum prägenden Inhalt sei-
nes Wehrdienstverhältnisses. Er muss es deshalb hinnehmen, wenn durch sei-
ne Versetzung seine persönlichen Belange beeinträchtigt werden und für ihn
daraus Härten entstehen. Erst wenn die mit einer Versetzung verbundenen
Nachteile für den Soldaten so einschneidend sind, dass sie ihm unter Fürsor-
gegesichtspunkten nicht zugemutet werden können, muss das grundsätzlich
vorrangige Interesse des Dienstherrn, den Soldaten dort zu verwenden, wo er
gebraucht wird, im Rahmen des dienstlich Möglichen ausnahmsweise hintan-
gestellt werden (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 12. Juni 1996 - BVerwG 1 WB
21.95 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 15 = NZWehrr 1996, 253, vom 30. August
2001 - BVerwG 1 WB 37.01 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 45 und - ausführ-
lich - vom 9. Januar 2008 - BVerwG 1 WDS-VR 10.07 - Rn. 22 ff.). Erfährt die
Fürsorgepflicht - wie in Nr. 6 und 7 der Versetzungsrichtlinien geschehen - eine
allgemeine Regelung in Verwaltungsvorschriften, so sind diese schon im Hin-
blick auf das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) grundsätzlich für
die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenzen maßgeblich, soweit im Übrigen der
gesetzliche Rahmen nicht überschritten wird (Beschluss vom 13. November
2009 - BVerwG 1 WDS-VR 7.09 - Rn. 25).
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Die vom Antragsteller angeführten persönlichen Gründe gebieten es nicht, von
der Versetzung abzusehen.
Selbst wenn es der ständigen Verwaltungspraxis im Geschäftsbereich des
Bundesministers der Verteidigung entsprechen sollte, in Fällen der vorliegen-
den Art die schulischen Schwierigkeiten der Tochter des Antragstellers als
schwerwiegenden persönlichen Grund im Sinne der Nr. 6 Buchst. b der Verset-
zungsrichtlinien anzusehen - wofür die Stellungnahme des Bundesministers der
Verteidigung (PSZ I 7) im Vorlageschreiben sprechen könnte (vgl. aber die
Rechtsprechung des Senats:
1 WB 29.93 - BVerwGE 103, 4 = NZWehrr 1994, 24 -, vom 19. März 1996
- BVerwG 1 WB 88.95 -, vom 3. September 1996 - BVerwG 1 WB 10.96 -, vom
11. November 1999 - BVerwG 1 WB 66.99 -, vom 21. Februar 2002 - BVerwG
1 WB 65.01 -, vom 21. März 2002 - BVerwG 1 WB 80.01 - und vom 25. Juni
2002 - BVerwG 1 WB 19.02 - a.a.O.>) -, stünden der Anerkennung eines sol-
chen Grundes hier vorrangige dienstliche Belange im Sinne der Nr. 6 Satz 1 der
Versetzungsrichtlinien entgegen.
Das dienstliche Interesse an der Beendigung einer befristeten Auslandsver-
wendung hat grundsätzlich erhebliches Gewicht (Beschluss vom 26. September
2000 - BVerwG 1 WB 50.00 -). Die vom Antragsteller absolvierte Auslandsver-
wendung überschreitet den regulären Zeitrahmen von drei Jahren schon jetzt
um weit mehr als ein Drittel. Außerdem ist der von ihm inne gehabte Dienstpos-
ten herabdotiert und kann demnach nicht mehr mit einem Soldaten im Dienst-
grad und in der Besoldungsgruppe des Antragstellers besetzt werden. Dass der
Bundesminister der Verteidigung diesen dienstlichen Belangen den Vorrang vor
den geltend gemachten schulischen Problemen der Tochter des Antragstellers
eingeräumt hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn diese schulischen
Probleme beruhen auf der eigenen Entscheidung des Antragstellers, seine
Tochter von der Deutschen Schule Washington auf amerikanische Schulen um-
zuschulen. Erst aus dieser selbst gewählten Änderungsmaßnahme resultiert die
zusätzliche und erheblich risikobehaftete Verzögerung des Schulabschlusses
seiner Tochter.
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Die Deutsche Schule Washington ist eine durch Beschluss der Ständigen Kon-
ferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK)
vom 13. März 1973 anerkannte deutsche Auslandsschule, an der sämtliche
deutschen Schulabschlüsse, auch die deutsche allgemeine Hochschulreife (und
das amerikanische High School Diplom) erworben werden können. Die Unter-
richtssprache ist bilingual (deutsch und englisch); der Unterricht basiert auf
Lehrplänen, die von der KMK genehmigt worden sind. Die Entscheidung des
Antragstellers, seine Tochter von der Deutschen Schule Washington auf eine
amerikanische Schule umzuschulen, hat die signifikante Verzögerung ihres
schulischen Werdeganges und die deutliche Verzögerung der M ö g l i c h -
k e i t ihres Abiturs verursacht. Denn es ist völlig offen, ob die Tochter des An-
tragstellers den angestrebten amerikanischen Schulabschluss termingerecht
und erfolgreich absolvieren wird und ob dann - unter Berücksichtigung der ge-
troffenen Fächerwahl - dessen Anerkennung in Deutschland erfolgen kann. Wä-
re die Tochter des Antragstellers auf der von der KMK anerkannten Deutschen
Schule Washington verblieben, hätte die Fortsetzung ihres Schulbesuchs in
Deutschland nach einem Umzug weitaus reibungsloser gestaltet werden kön-
nen. Die vom Antragsteller veranlasste Umschulung seiner Tochter wirft hinge-
gen zahlreiche Probleme bei der Anerkennung eines amerikanischen Schulab-
schlusses als dem Abitur gleichwertige Prüfung auf.
Die Notwendigkeit, den im Februar 2011 geborenen Enkel des Antragstellers zu
betreuen, begründet keine Versetzungshinderungsgründe nach Nr. 6 Buchst. b
oder Nr. 7 der Versetzungsrichtlinien. In den Geltungsbereich der Vorschrift in
Nr. 6 Buchst. b der Versetzungsrichtlinien sind Enkel des von der Versetzung
betroffenen Soldaten nicht einbezogen. Einer Anwendung der Nr. 7 der Verset-
zungsrichtlinien steht entgegen, das der Verzicht auf eine Versetzung des An-
tragstellers - wie dargelegt - mit dienstlichen Belangen nicht in Einklang ge-
bracht werden kann.
Ohne Erfolg bezieht sich der Antragsteller auf Berufungsfälle, in denen die
Stammdienststelle anderen Soldaten den Verbleib auf ausländischen Dienst-
posten über die Dauer der „Tour of Duty“ hinaus in Ermangelung eines Dienst-
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postens in Deutschland angeboten haben soll. Diese Fälle sind mit der Situation
des Antragstellers nicht zu vergleichen, weil für ihn an der … in D. ein freier und
zu besetzender Dienstposten im Inland zur Verfügung steht.
d) Die angefochtene Versetzungsverfügung leidet nicht an Verfahrensfehlern.
Die Stammdienststelle hat die Schutzbestimmung der Nr. 21 der Versetzungs-
richtlinien mit der Ankündigung der strittigen Versetzung am 12. Januar 2011
eingehalten.
2. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller durch die sofortige Voll-
ziehung der Versetzungsverfügung unzumutbare, insbesondere nicht wieder
gut zumachende Nachteile entstehen. Soweit er sich für den Fall eines vorläufi-
gen Verbleibs seiner Familie in den USA auf zusätzliche finanzielle Aufwendun-
gen beruft, geht dieser Umstand nicht über das hinaus, was andere Soldaten
nach dem Ende ihrer Auslandsverwendung und der Abwicklung eines Familien-
umzuges in ähnlicher Weise zu bewältigen haben. Hinsichtlich der möglichen
schulischen Probleme seiner Tochter bei einer Rückkehr aus den USA ist auf
die Darlegungen unter 1.c) zu verweisen, wonach diese Probleme wesentlich
auf einer eigenen Entscheidung des Antragstellers beruhen.
Golze
Dr. Frentz
Dr. Langer
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