Urteil des BVerwG vom 17.06.2015

Hauptsache, Erlass, Rechtsschein, Rechtsschutz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WDS-VR 2.15
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberfeldarzt Dr. ...,
…,
- Bevollmächtigte:
…,
… -
Beigeladener:
Herr Flottillenarzt …,
…,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 17. Juni 2015 beschlossen:
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz in einem Konkurrentenstreit
um die Besetzung des nach Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstpostens
des Leiters des … .
Der 1956 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet (im
derzeitigen Dienstgrad) voraussichtlich mit Ablauf des 28. Februar 2018. Mit
Wirkung vom 1. Oktober 1995 wurde er zum Oberfeldarzt befördert. Derzeit
wird der Antragsteller als Sanitätsstabsoffizier Arzt Heilfürsorge beim ... ver-
wendet.
Zum 1. Januar 2015 wurde der hier strittige nach Besoldungsgruppe A 16 be-
wertete Dienstposten des Leiters des … neu ausgebracht. Dem Antragsteller
wurde in einem Telefongespräch am 4. Dezember 2014 von seinem zuständi-
gen Personalführer mitgeteilt, dass er für die Besetzung dieses Dienstpostens
nicht mitbetrachtet werde, weil ihm die nach dem Anforderungsprofil erforderli-
che Stabsverwendung im Bereich Heilfürsorge/Begutachtung auf der Ebene
Kommandobehörde oder im Bundesministerium der Verteidigung (FüSan
I 1/FüSK II 7) fehle. In einer E-Mail vom 5. Dezember 2014 erklärte der Antrag-
steller gegenüber seinem Personalführer seine vorläufige Zustimmung zu sei-
ner derzeitigen Verwendung, wies jedoch darauf hin, dass er an einer förderli-
chen Verwendung auf dem A 16-Dienstposten Leiter … festhalte und hierbei
mitbetrachtet werden wolle; eine juristische Überprüfung der Angelegenheit be-
halte er sich ausdrücklich vor.
Am 26. Januar 2015 entschied der Präsident des Bundesamts für das Perso-
nalmanagement der Bundeswehr, den Dienstposten des Leiters des … mit dem
Beigeladenen zu besetzen.
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Mit Schreiben vom 4. Februar 2015, bei seinem Disziplinarvorgesetzten einge-
gangen am selben Tage, legte der Antragsteller gegen seine Nichtauswahl Be-
schwerde ein, die er mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12. Februar
2015 begründete. Mit dem Schriftsatz vom 12. Februar 2015 beantragte er zu-
gleich gemäß § 3 Abs. 2 WBO die vorläufige Rückgängigmachung der Aus-
wahl- und Versetzungsentscheidung zugunsten des Beigeladenen.
Mit Bescheid vom 18. März 2015 wies das Bundesministerium der Verteidigung
- R II 2 - die Beschwerde als unzulässig zurück. Sie sei verspätet erhoben, weil
der Antragsteller bereits am 4. Dezember 2014 erfahren habe, dass er wegen
der Nichterfüllung des Anforderungsprofils nicht mitbetrachtet werde.
Mit Bescheid vom 19. März 2015 wies das Bundesministerium der Verteidigung
- R II 2 - auch den Antrag gemäß § 3 Abs. 2 WBO zurück. Der Antrag sei unzu-
lässig geworden, weil er nur bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu-
lässig sei, die hier jedoch mit dem Beschwerdebescheid vom 18. März 2015
bereits vorliege. Die Zulässigkeit des Antrags scheitere auch daran, dass die
angefochtene Auswahlentscheidung bestandskräftig geworden sei. Im Übrigen
sei der Antrag unbegründet. Die Auswahlentscheidung sei rechtmäßig; der An-
tragsteller erfülle das Anforderungsprofil des Dienstpostens nicht. Es bestehe
zudem kein Anordnungsgrund, weil der strittige Dienstposten erst zum 1. Ja-
nuar 2015 zu besetzen gewesen sei und der ausgewählte Soldat vor Ablauf von
sechs Monaten Tätigkeit auf dem Dienstposten noch keinen relevanten Erfah-
rungsvorsprung erlange.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 17. April 2015 hat der Antragsteller
in der Hauptsache die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt.
Das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - hat den Antrag mit seiner
Stellungnahme vom 20. Mai 2015 dem Senat vorgelegt; das Verfahren ist unter
dem Aktenzeichen BVerwG 1 WB 20.15 anhängig.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 24. April 2015 hat der Antragsteller
außerdem vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz beantragt und dazu insbe-
sondere ausgeführt:
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Um den Eintritt der Bestandskraft der Entscheidung des Bundesministeriums
der Verteidigung über den Antrag gemäß § 3 Abs. 2 WBO zu verhindern, sei
eine gerichtliche Entscheidung zwingend geboten. Der Bescheid vom 19. März
2015 sei mit einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Der An-
trag gemäß § 3 Abs. 2 WBO sei nicht etwa deshalb als unzulässig abgelehnt
worden, weil er vor Ablauf der nach der Rechtsprechung des 1. Wehrdienstse-
nats geltenden Sechs-Monats-Frist gestellt worden sei. Nach dem Inhalt des
Bescheids solle der Antrag vielmehr deshalb unzulässig sein, weil die ange-
fochtene Entscheidung bereits bestandskräftig sei. Zielrichtung des Antrags auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung sei demgemäß, den Rechtsschein einer
bestandskräftigen Entscheidung auszuräumen. Ihm, dem Antragsteller, sei es
wichtig, dass der Antrag nicht als unbegründet, sondern (allenfalls) als unzuläs-
sig, weil vor Ablauf der 6-Monats-Frist gestellt, behandelt werde. In der Sache
werde auf die Antragsbegründung im Hauptsacheverfahren verwiesen.
Der Antragsteller beantragt,
die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidi-
gung vom 19. März 2015 über den Antrag gemäß § 3
Abs. 2 WBO vom 12. Februar 2015 (in Bezug auf die Be-
schwerde vom 4. Februar 2015), die Entscheidung des
Bundesamts für das Personalmanagement der Bundes-
wehr, ihn, den Antragsteller, nicht für den A 16-Dienstpos-
ten des Leiters des ... auszuwählen und diesen stattdes-
sen mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis zu einer Ent-
scheidung über diese Auswahlentscheidung vorläufig
rückgängig zu machen, aufzuheben.
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag auf Erlass einer Sicherheitsanordnung sei unzulässig, weil die Ent-
scheidung über die Nichtauswahl bestandskräftig sei. Es bestehe auch in der
Sache kein Anordnungsanspruch, weil der Antragsteller das Anforderungsprofil
des strittigen Dienstpostens nicht erfülle und sein Bewerbungsverfahrensan-
spruch deshalb nicht verletzt sei. Schließlich liege auch kein Anordnungsgrund
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vor, weil der Beigeladene den Dienst auf dem strittigen Dienstposten erst am
6. Februar 2015 angetreten habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug
genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung
- R II 2 - Az.: 482/15 -, die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A
bis D, und die Akten des Hauptsacheverfahrens (BVerwG 1 WB 20.15) haben
dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 WBO statthafte Antrag hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Antrag - nach seinem Wortlaut und erklärtem Zweck - darauf ge-
richtet ist, die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung vom
19. März 2015 über den Antrag gemäß § 3 Abs. 2 WBO vom 12. Februar 2015
aufzuheben, um hierdurch den Eintritt der Bestandskraft der Auswahlentschei-
dung vom 26. Januar 2015 zu verhindern oder einem entsprechenden Rechts-
schein entgegenzuwirken, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Der begehrte ge-
richtliche Ausspruch hat für den Antragsteller keinen rechtlichen Nutzen.
Selbst wenn die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung vom
19. März 2015 aufgehoben würde, so würde dies nichts daran ändern, dass der
strittige Dienstposten des Leiters des ... - auch vorläufig bis zur gerichtlichen
Klärung in der Hauptsache - mit dem Beigeladenen besetzt bleibt. Der Antrag-
steller kann die von ihm ursprünglich - mit dem Antrag gemäß § 3 Abs. 2 WBO
vom 12. Februar 2015 - begehrte vorläufige Rückgängigmachung der Dienst-
postenbesetzung mit der bloßen Aufhebung der ablehnenden Entscheidung
nicht erreichen.
Eine gerichtliche Aufhebung der Entscheidung des Bundesministeriums der
Verteidigung vom 19. März 2015 wäre aber auch ohne jede Bedeutung oder
Wirkung für den Eintritt oder Nichteintritt der Bestandskraft der Auswahlent-
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scheidung des Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der
Bundeswehr vom 26. Januar 2015. Der Eintritt der Bestandskraft der Auswahl-
entscheidung hängt ausschließlich davon ab, ob die Beschwerde des Antrag-
stellers vom 4. Februar 2015 innerhalb der Monatsfrist des § 6 Abs. 1 WBO
oder aber - wegen der durch das Telefongespräch mit dem Personalführer am
4. Dezember 2014 erlangten Kenntnis des Antragstellers, dass er für die Beset-
zung des strittigen Dienstpostens nicht mitbetrachtet werde - verspätet erhoben
wurde. Diese Frage wird in dem anhängigen Hauptsacheverfahren (BVerwG
1 WB 20.15), ggf. auch in einem nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist (dazu un-
ten 2.) noch einzuleitenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu klären
sein. Der Sachverhalt, der für die rechtliche Beurteilung maßgeblich ist, ob die
Beschwerde fristgerecht erhoben wurde oder die Auswahlentscheidung gegen-
über dem Antragsteller bestandskräftig geworden ist, steht jedoch unabänder-
lich fest. Er wird weder tatsächlich noch rechtlich dadurch beeinflusst, dass das
Bundesministerium der Verteidigung in den Gründen der Entscheidung vom
19. März 2015 - ebenso wie im Hauptsacheverfahren - die Rechtsauffassung
vertritt, der Antragsteller habe die Kenntnis vom Beschwerdeanlass bereits am
4. Dezember 2014 erlangt und die Beschwerde vom 4. Februar 2015 damit ver-
spätet eingelegt. Von der von einem Verfahrensbeteiligten vertretenen Rechts-
auffassung geht auch kein "Rechtsschein" aus, der in einem gesonderten ge-
richtlichen Verfahren bekämpft werden müsste.
2. Soweit das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers im Sinne des ursprüng-
lich mit dem Schriftsatz vom 12. Februar 2015 beim Bundesministerium der
Verteidigung gestellten Antrags zu verstehen sein sollte, die Auswahl- und Ver-
setzungsentscheidung zugunsten des Beigeladenen vorläufig rückgängig zu
machen, wäre es als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß
§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 123 VwGO grundsätzlich statthaft. Für den Erlass
einer einstweiligen Anordnung ist jedoch derzeit kein Anordnungsgrund gege-
ben (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Die vorläufige Rückgängigmachung einer strittigen Dienstpostenbesetzung ist
zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des übergangenen Be-
werbers im Ausgangspunkt nicht erforderlich, weil sich eine einmal getroffene
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militärische Verwendungsentscheidung - auch nach einer der Bewertung des
Dienstpostens entsprechenden Beförderung oder Planstelleneinweisung - nicht
dahin verfestigt, dass der durch sie begünstigte Soldat eine rechtlich gesicherte
Position erwirbt, auf dem ihm zugewiesenen Dienstposten verbleiben zu kön-
nen; der Beigeladene müsste es vielmehr hinnehmen, von dem Dienstposten
wegversetzt zu werden, wenn der Antragsteller bei der Stellenbesetzung ihm
gegenüber rechtswidrig übergangen worden wäre (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss
vom 25. April 2007 - 1 WB 31.06 - BVerwGE 128, 329 Rn. 39 m.w.N.). Nach
der Rechtsprechung des Senats und des für das Beamtenrecht zuständigen
2. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. - auch zum Folgenden
- zuletzt BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 2015 - 1 WDS-VR 2.14 - Rn. 23
m.w.N.) kann sich in Konkurrentenstreitigkeiten um die Besetzung eines Dienst-
postens ein Anordnungsgrund jedoch daraus ergeben, dass ein rechtswidrig
ausgewählter Bewerber auf dem Dienstposten einen Erfahrungsvorsprung er-
langt, der im Fall des Obsiegens des Antragstellers in der Hauptsache bei einer
erneuten Auswahlentscheidung zu berücksichtigen wäre; dabei geht es um den
materiellen Erfahrungsvorsprung, der sich - unabhängig von bestimmten Beur-
teilungszeiträumen oder Beurteilungsstichtagen - in dem Leistungsbild des aus-
gewählten Bewerbers niederschlägt und den der rechtswidrig übergangene Be-
werber nicht mehr ausgleichen kann. Ein insoweit beurteilungsrelevanter Erfah-
rungsvorsprung und damit ein Anordnungsgrund ist nach der Rechtsprechung
des Senats dann anzunehmen, wenn zwischen dem Dienstantritt des ausge-
wählten Bewerbers auf dem strittigen Dienstposten und der gerichtlichen Ent-
scheidung in der Hauptsache ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten liegt.
Da der Beigeladene den Dienst als Leiter des ... erst am 6. Februar 2015 ange-
treten hat, ist derzeit ein Anordnungsgrund in dem geschilderten Sinne nicht
gegeben.
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Dr. Frentz
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