Urteil des BVerwG vom 29.04.2010

Beförderung, Hauptsache, Versetzung, Unterlassen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WDS-VR 2.10
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Stabsfeldwebel …,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 29. April 2010 beschlossen:
Der Antrag, dem Bundesminister der Verteidigung im We-
ge der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Beset-
zung des Dienstpostens STAN …, Teileinheit …/Zeile …,
beim Truppenübungsplatz M. mit Stabsfeldwebel L. zu un-
terlassen und über die Auswahl zur Besetzung des vorge-
nannten Dienstpostens unter Beachtung der Rechtsauf-
fassung des Gerichts neu zu entscheiden, wird abgelehnt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die
Entscheidung der Stammdienststelle der Bundeswehr, den Oberstabsfeld-
webel-Dienstposten „…“, Teileinheit …/ Zeile …, beim Truppenübungsplatz M.
nicht mit ihm, sondern mit Stabsfeldwebel L. zu besetzen.
Der 1966 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit nach Mit-
teilung des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - voraussichtlich mit
Ablauf des 30. November 2020 enden wird. Er wurde zuletzt mit Wirkung vom
1. Januar 2010 zum Stabsfeldwebel befördert. Er wird beim Truppenübungs-
platz M. verwendet.
Mit Verfügung vom 2. November 2009 ordnete die Stammdienststelle der Bun-
deswehr zum 1. Juni 2010 - unter vorangehender Kommandierung vom 1. März
2010 bis zum 31. Mai 2010 - die Versetzung des Stabsfeldwebels L. auf den
strittigen Dienstposten in M. an.
Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 29. Oktober 2009, das bei sei-
nem Disziplinarvorgesetzten am 2. November 2009 einging, seine Versetzung
auf diesen Dienstposten und wandte sich zugleich gegen die Auswahlentschei-
dung zugunsten des Stabsfeldwebels L. Mit zwei weiteren Schreiben vom 9.
November 2009 legte er gegen die „Durchführung des Auswahlverfahrens“ Be-
schwerde ein und beantragte die Anhörung der zuständigen Vertrauensperson.
Unter Bezugnahme auf den Versetzungsantrag legten auch die Bevollmächtig-
ten des Antragstellers mit Schreiben vom 13. November 2009 gegen die getrof-
fene Entscheidung zur Dienstpostenbesetzung Beschwerde ein.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 18. Februar 2010 beantragte der
Antragsteller die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und die Gewäh-
rung vorläufigen Rechtsschutzes.
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Den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat der Bundesminister der Verteidi-
gung mit seiner Stellungnahme vom 16. März 2010 dem Senat vorgelegt.
Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller insbesondere vor, schon
bei summarischer Prüfung sei ersichtlich, dass die getroffene Auswahlent-
scheidung formelle und materielle Fehler aufweise; deshalb liege ein Anord-
nungsanspruch vor. Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass die Über-
tragung des strittigen Dienstpostens auf den ausgewählten Bewerber am
1. Juni 2010 mit dem Ziel erfolge, dessen spätere Beförderung zum Oberstabs-
feldwebel auf dem Dienstposten vorzubereiten. Mit der Übertragung des
Dienstpostens erhalte der ausgewählte Bewerber die Gelegenheit, die für die
Beförderung notwendige Bewährungszeit abzuleisten und den derzeit beste-
henden Vorsprung des Antragstellers hinsichtlich Eignung und Befähigung
„einzuebnen“. Zur Herstellung effektiven Rechtsschutzes für den übergangenen
Soldaten sei es daher erforderlich, dessen Rechte bereits im Hinblick auf die
vorgeschaltete Auswahlentscheidung durch die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes zu sichern.
Der Antragsteller beantragt,
dem Bundesminister der Verteidigung im Wege der einst-
weiligen Anordnung aufzugeben, die Besetzung des
Dienstpostens STAN …, Teileinheit …/Zeile …, beim
Truppenübungsplatz M. mit Stabsfeldwebel L. zu unter-
lassen und über die Auswahl zur Besetzung des vorge-
nannten Dienstpostens unter Beachtung der Rechtsauf-
fassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag für unbegründet, weil nicht glaubhaft gemacht worden sei,
dass ohne Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ein Rechtsanspruch
des Antragstellers auf Versetzung auf den Dienstposten vereitelt werden könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Schriftsätze der Beteiligten und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerde-
akte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 223/10 - hat dem
Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in entsprechender An-
wendung des § 123 VwGO im wehrdienstgerichtlichen Verfahren grundsätzlich
statthaft. Das folgt aus der Verweisungsbestimmung in § 23a Abs. 2 WBO in
der seit dem 1. Februar 2009 geltenden Fassung (Bekanntmachung vom
22. Januar 2009, BGBl I S. 81) und entsprach auch zuvor der ständigen Recht-
sprechung des Senats (z.B. Beschlüsse vom 24. August 1993 - BVerwG 1 WB
56.93 - BVerwGE 93, 389 = NZWehrr 1994, 211, vom 27. September 2006
- BVerwG 1 WDS-VR 6.06 - und vom 29. März 2010 - BVerwG 1 WDS-VR 1.10
- m.w.N.).
Für den Antrag, der schon vor Rechtshängigkeit eines Antrags auf gerichtliche
Entscheidung zulässig ist (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist das Bundesverwal-
tungsgericht als Gericht der - noch nicht anhängigen - Hauptsache sachlich zu-
ständig (§ 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Auf die Beschwerde des Antragstellers
vom 9. und 13. November 2009 gegen die Entscheidung der Stammdienststelle
der Bundeswehr, Stabsfeldwebel L. auf den strittigen Dienstposten zu verset-
zen, hat der Bundesminister der Verteidigung als zuständige Beschwerdestelle
(§ 9 Abs. 1 WBO) nicht innerhalb der Monatsfrist (§ 16 Abs. 2 WBO) einen Be-
schwerdebescheid erlassen. In der Hauptsache ist dann für einen Untätigkeits-
antrag die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts gegeben
(vgl. auch Beschluss vom 4. März 2004 - BVerwG 1 WB 32.03 - BA S. 7 f.
soweit jeweils nicht veröffentlicht in BVerwGE 120, 188, in Buchholz 403.11 §
20 BDSG Nr. 1 und in NZWehrr 2007, 165>).
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Es kann offenbleiben, ob sich der Antragsteller auf einen Anordnungsanspruch
berufen kann.
Jedenfalls hat er den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderli-
chen Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2
ZPO) nicht dargelegt. Insofern hätte er glaubhaft machen müssen, dass ihm
ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare,
anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseiti-
gung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (stRspr,
z.B. Beschluss vom 29. März 2010 - BVerwG 1 WDS-VR 1.10 - m.w.N.).
Ein derartiger Anordnungsgrund liegt zur Zeit nicht vor.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass sich eine einmal ge-
troffene militärische Verwendungsentscheidung - wie die hier angefochtene
Auswahl- und Versetzungsentscheidung - nicht dahin verfestigt, dass der davon
begünstigte Soldat eine rechtlich gesicherte Position erwirbt, auf dem ihm über-
tragenen Dienstposten verbleiben zu können. Vielmehr müsste er es hinneh-
men, von diesem Dienstposten wieder wegversetzt zu werden, wenn der An-
tragsteller bei der Stellenbesetzung ihm gegenüber rechtswidrig übergangen
worden wäre (z.B. Beschlüsse vom 27. September 2006 - BVerwG 1 WDS-VR
6.06 -, vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 WB 19.08 - BA Rn. 29
jeweils nicht veröffentlicht in BVerwGE 133, 13 und in Buchholz 449 § 3 SG Nr.
50> und vom 23. Februar 2010 - BVerwG 1 WB 36.09 - BA Rn. 22
fentlichung in BVerwGE und Buchholz vorgesehen>). An dieser Rechtspre-
chung, die der Bundesminister der Verteidigung ebenfalls - auch im vorliegen-
den Verfahren - betont, hält der Senat fest. Sie wird in der Praxis des Bundes-
ministers der Verteidigung in Fällen, in denen der gerichtliche Konkurrentenan-
trag eines Soldaten erfolgreich war, ohne Einschränkung umgesetzt.
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Das Vorbringen des Antragstellers zu einer an das Innehaben des Dienstpos-
tens anknüpfenden zeitnahen Statusänderung des ausgewählten Bewerbers
durch Beförderung (vgl. zu dieser Konstellation, die im beamtenrechtlichen
Konkurrentenstreit ausnahmsweise einen Anordnungsgrund für eine einstweili-
ge Anordnung begründen soll: OVG Münster, Beschluss vom 7. August 2006
- 1 B 653/06 - juris Rn. 29; OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Juni 2007
- 5 ME 143/07 - juris Rn. 7) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Soweit der
Antragsteller so zu verstehen sein sollte, dass es ihm um die einstweilige Frei-
haltung eines militärischen Dienstpostens allein mit Rücksicht auf eine bevor-
stehende Beförderung des ausgewählten Soldaten geht, liefe dies auf die Über-
schreitung der sachlichen Kompetenz der Wehrdienstgerichte hinaus. Im wehr-
dienstgerichtlichen Verfahren kann sich der einstweilige Rechtsschutz nach
§ 123 VwGO zuständigkeitsbedingt nur auf den Bereich der truppendienstlichen
Verwendungsentscheidungen erstrecken. Die Verhinderung einer Beförderung
des ausgewählten Soldaten auf dem strittigen Dienstposten liegt hingegen nicht
in der Kompetenz der Wehrdienstgerichte; Streitigkeiten über Statusänderun-
gen sind nach der Rechtswegzuweisung in § 82 Abs. 1 SG und unter Berück-
sichtigung der Rechtswegabgrenzung in § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO i.V.m. § 42
SG und § 4 Abs. 1 Nr. 3 SG den allgemeinen Verwaltungsgerichten zugewie-
sen. Deshalb kann ein Rechtsschutzbegehren, mit dem der übergangene Kon-
kurrent das Unterbleiben oder die - vorläufige - Verhinderung einer Beförderung
des ausgewählten Bewerbers erreichen will, nicht vor den Wehrdienstgerichten
geltend gemacht werden (ebenso schon Beschluss vom 27. September 2006
- BVerwG 1 WDS-VR 6.06 -).
Ein Anordnungsgrund kann im vorliegenden Verfahren zur Zeit aber auch noch
nicht aus dem Gesichtspunkt eines Erfahrungsvorsprungs bejaht werden, den
der ausgewählte Bewerber auf dem strittigen Dienstposten erlangen kann und
der im Falle des Obsiegens des Antragstellers in der Hauptsache bei einer er-
neuten Auswahlentscheidung zu berücksichtigen wäre.
Der 2. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat insoweit im Be-
schluss vom 11. Mai 2009 - BVerwG 2 VR 1.09 - (Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2
GG Nr. 43) ein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer Anordnung nach
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§ 123 VwGO bejaht, weil ein derartiger Erfahrungsvorsprung für künftige dienst-
liche Beurteilungen der Konkurrenten - als Grundlage einer neuen Auswahlent-
scheidung - relevant sei. Ein beurteilungsrelevanter Erfahrungsvorsprung kann
jedoch noch nicht bei einer nur kurzen Wahrnehmung des Dienstpostens er-
langt werden, sondern ist erst nach einer gewissen Zeit der eigenverantwortli-
chen Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten, die in der Regel mehr als sechs
Monate betragen wird, anzunehmen. Diese Voraussetzung liegt in der Person
des ausgewählten Bewerbers zur Zeit noch nicht vor. Stabsfeldwebel L. befin-
det sich nach Angaben der Bevollmächtigten des Antragstellers noch in der
Einarbeitungsphase. Seine Versetzung auf den strittigen Dienstposten ist erst
zum 1. Juni 2010 verfügt. Ein Anordnungsgrund wäre daher nur dann anzu-
nehmen, wenn bis zur Entscheidung in der Hauptsache ein Zeitraum von deut-
lich mehr als sechs Monaten verstreichen sollte.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer