Urteil des BVerwG vom 01.09.2008
Slv, Aufschiebende Wirkung, Erstellung, See
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WDS-VR 13.08
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberleutnant zur See
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz als Vorsitzende,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 1. September 2008 beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird
abgelehnt.
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G r ü n d e :
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Der Antragsteller begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen
eine Entscheidung des Personalamts der Bundeswehr, mit der sein Antrag ab-
gelehnt worden ist, auf die Neufassung einer aufgehobenen planmäßigen Beur-
teilung zu verzichten.
Der 1979 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit mit einer auf zwölf Jahre
festgesetzten Dienstzeit, die mit Ablauf des 30. Juni 2013 enden wird. Er wurde
zum 1. Juli 2002 zum Seekadett, zum 1. Juli 2004 zum Leutnant zur See und
zum 1. Juli 2007 zum Oberleutnant zur See ernannt. Nach dem Abschluss sei-
ner Offizierausbildung war der Antragsteller vom 18. April 2005 bis zum 31. Mai
2006 auf dem Dienstposten Unterseebootwachoffizier auf dem Unterseeboot …
im ... Unterseebootgeschwader in E. eingesetzt. Nach Anschlussverwendungen
auf der Fregatte „…“ (vom 1. Juni 2006 bis zum 30. Juni 2007) und im
7. Schnellbootgeschwader (vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Oktober 2007) wird er
seit dem 1. November 2007 als S 6-Offizier Fachdienst und IT-
Sicherheitsbeauftragter im Landeskommando … in W. verwendet.
Nach einer zwölfmonatigen Dienstleistung auf dem Dienstposten Untersee-
bootwachoffizier an Bord des Unterseebootes … wurde für den Antragsteller
am 18. April 2006 eine planmäßige (Anlass-)Beurteilung nach Nr. 204
Buchst. a (5) ZDv 20/6 (in der Fassung vom 13. Mai 1998) erstellt. Diese Beur-
teilung hob das Truppendienstgericht Nord - ... Kammer - (nach erfolglosem
Beschwerdeverfahren des Antragstellers) mit Beschluss vom 7. Februar 2008
- Az.: … - wegen Verletzung der Verfahrensvorschriften zur Anhörung des Be-
urteilten auf.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 beantragte der Antragsteller beim Perso-
nalamt der Bundeswehr, auf die Neufassung der aufgehobenen Beurteilung zu
verzichten. Er legte dar, der in einer Neufassung zu betrachtende Beurteilungs-
zeitraum liege schon fast drei Jahre zurück; deshalb sei fraglich, inwieweit nach
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so langer Zeit noch objektive Aussagen über seinen damaligen Leistungsstand
getroffen werden könnten.
Den Antrag lehnte das Personalamt der Bundeswehr mit Bescheid vom 4. März
2008 ab und führte zur Begründung aus, die letzte Beurteilung des Antragstel-
lers - im Dienstgrad Seekadett - datiere vom 11. (richtig: 22.) September 2002.
Nach der gerichtlichen Aufhebung der planmäßigen Beurteilung vom 18. April
2006 liege hinsichtlich des Beurteilungsbildes des Antragstellers derzeit nur
eine etwa siebeneinhalb Jahre alte Beurteilung vor. Die nächste planmäßige
Beurteilung sei erst zum 31. März 2009 vorgesehen. Im Hinblick auf die weitere
Werdegangsplanung sei es außerordentlich wichtig, über den Antragsteller ein
aussagefähiges und möglichst objektives Bild seiner Persönlichkeit, seiner
dienstlichen Eignung und Leistung sowie seines Potenzials zu gewinnen. Au-
ßerdem seien die zum damaligen Zeitpunkt für die Beurteilung zuständigen
Vorgesetzten verfügbar, sodass eine Neufassung möglich sei.
Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde des Antragstellers vom
25. März 2008 wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit Be-
scheid vom 2. Juli 2008 zurück und lehnte zugleich den Antrag auf Aussetzung
der Vollziehung vom 10. Juni 2008 ab.
Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 16. Juli 2008 hat der Bundesmi-
nister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 31. Juli 2008
dem Senat vorgelegt (Verfahren BVerwG 1 WB 61.08).
Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 hat der Antragsteller ergänzend die Gewäh-
rung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt.
Zur Begründung dieses Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller insbe-
sondere vor:
Er verkenne nicht, dass er keinen Anspruch darauf habe, dass nach gerichtlich
verfügter Aufhebung einer Beurteilung deren Neufassung unterbleibe. Er habe
jedoch - auch in Gestalt eines Anordnungsanspruches - Anspruch darauf, dass
das Personalamt von dem ihm in Nr. 1204 Buchst. b ZDv 20/6 eingeräumten
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Ermessen rechtmäßigen Gebrauch mache. Sein Fall stelle eine Ausnahme von
der Regel in Nr. 1202 Buchst. a ZDv 20/6 dar, wonach aufgehobene Beurtei-
lungen neu zu fassen seien. Er berufe sich insbesondere auf Nr. 1204 Buchst. b
4. Spiegelstrich ZDv 20/6, weil nach seiner Auffassung der Zeitraum zwischen
der ursprünglichen Erstellung und der Neufassung der Beurteilung zu groß sei.
Die aufgehobene Beurteilung decke einen Beurteilungszeitraum vom
22. September 2002 bis zum 18. April 2006 ab. Er sei seither nicht nur zweimal
versetzt und einmal befördert worden, sondern habe seit dem 18. April 2006
auch persönlich eine weitere Entwicklung durchlaufen. Deshalb könne für ab
sofort fällige Entscheidungen über seine weitere militärische Verwendung als
Offizier auf diese Beurteilung im Falle ihrer Neufassung auch dann nicht zu-
rückgegriffen werden, wenn die neu gefasste Beurteilung ein eventuell neu ein-
zuleitendes Wehrbeschwerdeverfahren „überstehen“ würde. Angesichts des
langen vergangenen Zeitraums sei ernstlich zweifelhaft, ob der Verfasser der
aufgehobenen Beurteilung noch in der Lage sei, aufgrund eigener Erkenntnisse
eine angemessene Beurteilung für einen Beurteilungszeitraum zu erstellen, der
bereits vor fast sechs Jahren begonnen und vor mehr als zwei Jahren geendet
habe. Dies sei offensichtlich nicht der Fall. Denn der ihm, dem Antragsteller,
inzwischen eröffnete Entwurf einer neuen Beurteilung sei mit der aufgehobenen
Beurteilung inhaltsgleich. Ein Anordnungsgrund stehe ihm deshalb zur Seite,
weil die sofortige Vollziehung der Neufassung der aufgehobenen Beurteilung
dazu führen werde, dass er genötigt werde, gegen diese Neufassung das
Wehrbeschwerdeverfahren einzuleiten. Ihm sei durch die Bekanntgabe des
Entwurfs der Neufassung bereits eindeutig mitgeteilt worden, dass die Neufas-
sung mit der aufgehobenen planmäßigen Beurteilung inhaltlich identisch sei.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Wehrbeschwerde vom
25. März 2008 gegen den Bescheid des Personalamts der
Bundeswehr vom 4. März 2008 anzuordnen.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
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Die Entscheidung darüber, ob eine aufgehobene Beurteilung neu zu fassen sei
oder ob die Neufassung dieser Beurteilung im Einzelfall unterbleiben könne,
liege im alleinigen Ermessen der personalbearbeitenden Stelle. Die hier getrof-
fene Entscheidung des Personalamts, von der Neufassung der Beurteilung
nicht nach Nr. 1204 Buchst. b ZDv 20/6 abzusehen, sei rechtmäßig. Die Beur-
teilung vom 18. April 2006 stelle eine Bewertung der dienstlichen Leistungen
und der Eignung des Antragstellers in einer ersten Offizierverwendung dar, die
auch eine Einschätzung seines zukünftigen Potenzials als Truppenoffizier wie-
dergebe. Dieser Beurteilung komme eine wichtige und elementare Bedeutung
für den weiteren militärischen Verwendungsgang des Antragstellers als Offizier
zu. Dem Personalamt stünden keine anderen Bewertungsgrundlagen über sei-
ne Eignung und Leistung als Offizier zur Verfügung. Die vorangegangene Beur-
teilung datiere vom 11. (richtig: 22.) September 2002 und sei für den An-
tragsteller im damaligen Dienstgrad Seekadett, noch vor seiner Überführung in
die Offizierlaufbahn erstellt worden. Für Personalentscheidungen in der jetzigen
Laufbahn stelle sie keine aussagekräftige Grundlage dar. Die Voraussetzungen
nach Nr. 1204 Buchst. b ZDv 20/6 für einen Verzicht auf die Neufassung der
aufgehobenen Beurteilung seien nicht erfüllt. Die nach dem Erstellungszeitpunkt
der Beurteilung vom 18. April 2006 über den Antragsteller gewonnenen
Erkenntnisse würden in die nächste planmäßige Beurteilung zum 31. März
2009 einfließen und damit die weitere Persönlichkeitsentwicklung des An-
tragstellers in seinen Anschlussverwendungen in angemessener Weise be-
rücksichtigen.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des Bun-
desministers der Verteidigung - PSZ I 7 - 716/08 und 717/08 -, die Gerichtsakte
BVerwG 1 WB 61.08 und die Personalgrundakte des Antragstellers, Haupttei-
le A bis C, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
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Der Antragsteller bezeichnet sein Rechtsschutzbegehren im Schriftsatz vom
28. Juli 2008 einerseits als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seiner Wehrbeschwerde gemäß § 17 Abs. 6 i.V.m. § 21 Abs. 2 WBO, argumen-
tiert andererseits aber in der Antragsbegründung mit seinen Ausführungen zum
„Anordnungsanspruch“ und zum „Anordnungsgrund“ in den Kategorien des
einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO. Angesichts dieser Di-
vergenz bedarf der Antrag im Hinblick auf das vom Antragsteller angestrebte
Verfahrensziel der Auslegung.
Im Hauptsacheverfahren BVerwG 1 WB 61.08 beantragt der Antragsteller ne-
ben der Aufhebung der Bescheide des Personalamts der Bundeswehr vom
4. März 2008 und des Bundesministers der Verteidigung vom 2. Juli 2008 die
Verpflichtung des Amtschefs des Personalamts zur Neubescheidung seines
Antrags, auf die Neufassung der aufgehobenen Beurteilung vom 18. April 2006
zu verzichten. In der Sache macht der Antragsteller damit ein Unterlassungs-
begehren in Verbindung mit dem Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Er-
messens geltend.
Mit diesem Verfahrensziel korrespondiert im Verfahren des vorläufigen Rechts-
schutzes nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs
nach § 17 Abs. 6 WBO; vielmehr kommt nur eine Sicherungsanordnung nach
§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Betracht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl.
2007, § 123 Rn. 7 und 9). Diese Bestimmung, auf die der Antragsteller
sinngemäß in seiner Antragsbegründung Bezug nimmt, ist im Wehrbeschwer-
deverfahren entsprechend anwendbar (stRspr, vgl. Beschluss vom 28. Juni
2007 - BVerwG 1 WDS-VR 5.07 - Buchholz 449.3 § 9 SUV Nr. 8
veröffentlicht>).
Der Antrag ist deshalb sach- und interessengerecht dahin auszulegen, dass der
Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Bun-
desministers der Verteidigung begehrt, auf die Neufassung der aufgehobenen
Beurteilung vom 18. April 2006 einstweilen - bis zur Entscheidung des Verfah-
rens in der Hauptsache - zu verzichten.
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Dieser Antrag hat keinen Erfolg.
Bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung steht dem
Antragsteller kein Anordnungsanspruch zu; es ist nicht ersichtlich, dass das
Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache - bei Anlegung eines strengen
Maßstabs an die Erfolgsaussichten - erkennbar Erfolg haben wird. Es kann
deshalb offen bleiben, ob ein Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung
glaubhaft gemacht worden ist (vgl. zu diesen kumulativ erforderlichen Voraus-
setzungen: Beschluss vom 28. Juni 2007 a.a.O.
m.w.N.).
Die Entscheidung des Personalamts, auf die Neufassung der aufgehobenen
Beurteilung vom 18. April 2006 nicht zu verzichten, ist unter Berücksichtigung
des derzeitigen Sach- und Erkenntnisstandes rechtmäßig und verletzt den An-
tragsteller nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf Neube-
scheidung seines Antrags vom 22. Februar 2008.
Die Entscheidung des Personalamts stellt eine anfechtbare truppendienstliche
Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 1, Abs. 3 WBO dar, für deren inhaltliche
Überprüfung - nach Ergehen des Beschwerdebescheids des Bundesministers
der Verteidigung - das Bundesverwaltungsgericht nach § 21 Abs. 1 WBO sach-
lich zuständig ist.
Grundlage der angefochtenen Entscheidung ist Nr. 1204 Buchst. a ZDv 20/6 in
der Fassung vom 17. Januar 2007 (n.F.). Danach entscheidet die personalbe-
arbeitende Stelle - hier das Personalamt der Bundeswehr - , ob die Neufassung
einer aufgehobenen Beurteilung (oder Stellungnahme) unterbleiben kann. Die
Entscheidung über den Verzicht auf die Neufassung einer aufgehobenen Beur-
teilung steht danach im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Stelle. Die-
se Ermessensentscheidung kann vom Senat nur daraufhin überprüft werden,
ob die personalbearbeitende Stelle die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens
überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht ent-
sprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO in entsprechender
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Anwendung). Hat das Bundesministerium der Verteidigung oder eine von ihm
beauftragte Stelle das ihm bzw. ihr eingeräumte Ermessen in Richtlinien oder
Verwaltungsvorschriften gebunden, ist vom Senat auch zu prüfen, ob diese un-
ter dem Blickwinkel des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) ein-
gehalten worden sind.
Die angefochtene Entscheidung des Personalamts weist keine Ermessensfehler
auf; insbesondere ist auch keine Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des
Ermessens festzustellen.
Nr. 1204 Buchst. a ZDv 20/6 beruht - ebenso wie die im Kontext dieser Be-
stimmung stehenden Nr. 1201, 1202, 1203 und 1204 Buchst. b ZDv 20/6 - auf
der Ermächtigung in § 2 Abs. 2 SLV. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SLV sind Eignung,
Befähigung und Leistung der Soldatinnen und Soldaten regelmäßig, oder wenn
es die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse erfordern, zu beurteilen. § 2
Abs. 2 SLV ermächtigt das Bundesministerium der Verteidigung zu näheren
Regelungen (Satz 1) sowie dazu, Ausnahmen von dem Grundsatz der regel-
mäßigen/planmäßigen Beurteilung zuzulassen (Satz 2).
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SLV schreibt die regelmäßige Beurteilung für Soldatin-
nen und Soldaten als Grundsatz vor. Der Begriff der Regelmäßigkeit oder - im
Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SLV i.V.m. Nr. 202 Buchst. a ZDv 20/6 - der Begriff
der Planmäßigkeit der Beurteilung bedeutet, dass die Beurteilung zu gemein-
samen feststehenden Stichtagen und für den gleichen Beurteilungszeitraum
oder aus bestimmten Anlässen einheitlich für alle Soldaten eines Dienstgrades
oder einer Dienstgradgruppe ohne Bezug zu einer konkreten Personalmaß-
nahme durchgeführt wird (Beschluss vom 22. September 2005 - BVerwG 1 WB
4.05 - Buchholz 236.110 § 2 SLV Nr. 6). Dementsprechend war für den An-
tragsteller nach Nr. 204 Buchst. a (5) ZDv 20/6 in der Fassung vom 13. Mai
1998 (a.F.) nach zwölfmonatiger Dienstleistung in einer seinem Dienstgrad ent-
sprechenden Verwendung eine planmäßige Beurteilung zu erstellen. Dieses
Erfordernis legt in inhaltlich unveränderter Form auch Nr. 204 Buchst. a (6) ZDv
20/6 n.F. fest.
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Da die (planmäßigen) Beurteilungen einen lückenlosen Spiegel des militäri-
schen Werdegangs eines Soldaten gewährleisten sollen, darf eine regelmäßige
bzw. planmäßige Beurteilung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen unterblei-
ben. Eine Lücke in der Abfolge der Beurteilungen ist nur zulässig und hinnehm-
bar, wenn dies aus besonderen Gründen nicht vermieden werden kann (stRspr,
Beschlüsse vom 14. Januar 1997 - BVerwG 1 WB 86.96 - Buchholz 236.11 §
1a SLV Nr. 3, vom 3. Juli 2001 - BVerwG 1 WB 23.01 - Buchholz 236.11 § 1a
SLV Nr. 17 und vom 3. Juli 2001 - BVerwG 1 WB 28.01 -). Das Gebot der Lü-
ckenlosigkeit von Beurteilungen schützt und fördert deren maßgeblichen
Zweck, im Rahmen der Verwirklichung des mit Verfassungsrang ausgestatteten
Leistungsgrundsatzes (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 SG) aussagekräftige
Grundlage für Entscheidungen über die Verwendung von Soldaten insbesonde-
re auf förderlichen oder Beförderungs-Dienstposten und über ihr dienstliches
Fortkommen zu sein (Beschluss vom 22. September 2005 a.a.O. m.w.N.).
Das Prinzip der Lückenlosigkeit von Beurteilungen prägt auch die Anordnung in
Nr. 1202 Buchst. a ZDv 20/6 (a.F. und n.F.), die die Neufassung einer Beurtei-
lung - wie der Antragsteller ebenfalls zugesteht - als Regelfall voraussetzt und
zugrunde legt. Hiernach ist die Neufassung einer planmäßigen Beurteilung nach
deren Aufhebung grundsätzlich geboten (Beschlüsse vom 15. März 1994
- BVerwG 1 WB 6.94 - NZWehrr 1994, 165 und vom 14. Januar 1997 a.a.O.).
Soweit demgegenüber in Nr. 1204 Buchst. b ZDv 20/6 n.F. Beispiele für die
Möglichkeit eines Verzichts auf die Neufassung einer aufgehobenen Beurteilung
formuliert sind, handelt es sich dabei - angesichts des dargestellten systemati-
schen und teleologischen Zusammenhangs mit Nr. 1202 Buchst. a ZDv 20/6
und § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SLV - um eine eng auszulegende Ausnahme-
bestimmung (vgl. Beschluss vom 15. März 1994 a.a.O.).
Die angefochtenen Bescheide halten diese normativen Vorgaben ein und gehen
ohne Rechtsfehler davon aus, dass auf die Neufassung der aufgehobenen
planmäßigen Beurteilung vom 18. April 2006 im Falle des Antragstellers nicht
verzichtet werden kann.
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Für den Senat ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht substanzi-
iert geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für einen Verzicht nach
Nr. 1204 Buchst. b 1. bis 3. Spiegelstrich ZDv 20/6 vorliegen. Insbesondere
stellt der Umstand, dass die Neufassung einer Beurteilung dem Vorgesetzten
zugewiesen ist, der die ursprüngliche (aufgehobene) Fassung erstellt hat (Nr.
1202 Buchst. a ZDv 20/6), für sich allein keinen Grund dar, in der Person die-
ses Vorgesetzten Anhaltspunkte für die Besorgnis der Befangenheit anzuneh-
men (Beschluss vom 19. November 1998 - BVerwG 1 WB 45.98 -). Der An-
tragsteller hat darauf verzichtet, hinsichtlich der beurteilenden Vorgesetzten
spezifische Befangenheitsgesichtspunkte geltend zu machen. Seit dem Zeit-
punkt der aufgehobenen Beurteilung hat der Antragsteller im Übrigen keine ak-
tuellere Beurteilung erhalten.
Ohne Erfolg macht der Antragsteller unter Berufung auf Nr. 1204 Buchst. b
4. Spiegelstrich ZDv 20/6 n.F. geltend, dass der Zeitraum zwischen der ur-
sprünglichen Erstellung und der Neufassung der Beurteilung zu groß sei. Dieser
Zeitraum, nach dessen Ablauf eine Neufassung der Beurteilung nicht mehr
sinnvoll ist, lässt sich nach der Rechtsprechung des Senats nicht generell
bestimmen, sondern ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen
(Beschluss vom 5. November 1985 - BVerwG 1 WB 20.85 - NZWehrr 1986,
130; vgl. auch Beschluss vom 15. März 1994 a.a.O.). Im Falle des Antragstel-
lers liegt zwischen der ursprünglichen Erstellung und der Neufassung der Beur-
teilung ein Zeitraum von etwa zwei Jahren und drei Monaten. Diese Zeitspanne
ist schon deshalb nicht als zu groß zu qualifizieren, weil dem Antragsteller in
der Zwischenzeit keine aktuellere (planmäßige) Beurteilung erteilt worden ist.
Nach wie vor besteht in dieser Zeitspanne also die von § 2 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1
SLV grundsätzlich nicht gewünschte Lücke in der Dokumentation des Eignungs-
und Leistungsbildes des Antragstellers für einen Beurteilungszeitraum, dem
Nr. 204 Buchst. a (6) ZDv 20/6 n.F. eine besondere Bedeutung für die
Werdegangsplanung eines Offiziers zuschreibt. Überdies bestehen keine
objektiven Anhaltspunkte für die Annahme, dass nach gut zwei Jahren die Er-
innerung der beurteilenden Vorgesetzten an das Eignungs- und Leistungsbild
des Antragstellers verlorengegangen sei.
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Unabhängig davon, ob der Katalog der Verzichtsgründe in Nr. 1204 Buchst. b
ZDv 20/6 n.F. als abschließend bezeichnet werden kann oder nicht, verkennt
der Antragsteller im Übrigen, dass für die Neufassung seiner planmäßigen Be-
urteilung im Interesse eines lückenlosen Spiegels der von ihm erbrachten Leis-
tungen weiterhin ein Bedürfnis besteht.
Zutreffend hat das Personalamt im angefochtenen Ausgangsbescheid betont,
dass die letzte planmäßige Beurteilung dem Antragsteller im Jahr 2002 im
Dienstgrad Seekadett und damit noch nicht in der Offizierlaufbahn erteilt wor-
den ist. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Personalamt zur Doku-
mentation der Kontinuität des Leistungsbildes eines Offiziers der ersten Beur-
teilung als Offizier eine nicht zu unterschätzende Bedeutung beimisst. Für wei-
tere Auswahlentscheidungen im Werdegang des Antragstellers ist entgegen
seiner Auffassung nicht nur die aktuellste Beurteilung maßgeblich. Nach stän-
diger Rechtsprechung des Senats ist es zur abgerundeten Bewertung des
Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsbildes und seiner Kontinuität zulässig, in
Auswahlentscheidungen auch frühere Beurteilungen bis zu den beiden letzten
planmäßigen Beurteilungen vor der aktuellen Beurteilung mit einzubeziehen
(Beschluss vom 18. Oktober 2007 - BVerwG 1 WB 6.07 - DokBer 2008, 155
m.w.N.). Dabei stellen ältere Beurteilungen nicht lediglich Hilfskriterien für eine
zu treffende Auswahlentscheidung dar. Vielmehr handelt es sich bei diesen
Beurteilungen um Erkenntnisse, die bei einem Bewerbervergleich bedeutsame
Rückschlüsse und Prognosen über die künftige Bewährung des betroffenen
Soldaten ermöglichen. Das kommt namentlich dann in Betracht, wenn frühere
Beurteilungen positive oder negative Aussagen über Charaktereigenschaften,
Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen sowie deren voraus-
sichtliche weitere Entwicklung enthalten (Urteile vom 19. Dezember 2002
- BVerwG 2 C 31.01 - Buchholz 237.9 § 20 SaarLBG Nr. 1 und vom 27. Februar
2003 - BVerwG 2 C 16.02 - Buchholz 237.6 § 8 NdsLBG Nr. 10, ferner:
Beschluss vom 18. Oktober 2007 - BVerwG 1 WB 6.07 a.a.O).
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Damit liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor. Es kann deshalb dahin stehen,
ob der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.
Insoweit weist der Senat lediglich darauf hin, dass bei einem Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung, die das Unterlassen einer Maßnahme zum Ge-
genstand hat, ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit nur für die
Fälle anerkannt werden kann, in denen schon eine nur kurzfristige Hinnahme
der befürchteten Maßnahme geeignet wäre, den betroffenen Soldaten in be-
sonders schwerwiegender, womöglich nicht wieder gutzumachender Weise in
seinen Rechten zu beeinträchtigen (Beschlüsse vom 22. März 1994 - BVerwG
1 WB 17.94 - und vom 22. Oktober 2003 - BVerwG 1 WB 30.03 -). Für den Se-
nat ist nicht erkennbar, dass dem Antragsteller ein besonders schwerer oder
nicht wieder gutzumachender Schaden entstünde, wenn ihm zugemutet wird,
die Neufassung der aufgehobenen Beurteilung abzuwarten und gegebenenfalls
dagegen die ihm nach der Wehrbeschwerdeordnung zur Verfügung stehenden
Rechtsbehelfe einzulegen.
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