Urteil des BVerwG vom 15.07.2008

Aufschiebende Wirkung, Vergabe Von Aufträgen, Dienstliches Verhalten, Unbestimmter Rechtsbegriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WDS-VR 11.08
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberstarzt ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
am 15. Juli 2008 beschlossen:
Die aufschiebende Wirkung des Antrags des Antragstel-
lers auf gerichtliche Entscheidung vom 29. Mai 2008
(BVerwG 1 WB 48.08) gegen die Versetzungsverfügung
des Bundesministeriums der Verteidigung - PSZ I 3 - vom
27. Mai 2008 wird angeordnet.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesver-
waltungsgericht erwachsenen notwendigen Auslagen
werden dem Bund auferlegt.
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G r ü n d e :
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Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Bundesministeriums
der Verteidigung - PSZ I 3 - vom 27. Mai 2008, mit der er vom 2. Juni 2008 zu-
nächst bis zum 30. November 2008 vom Bundeswehr...krankenhaus K. auf ei-
nen Dienstposten des z.b.V.-Etats im Institut für W... und B. der Bundeswehr in
A. versetzt worden ist.
Der 1954 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraus-
sichtlich mit Ablauf des 31. März 2016 enden wird. Nach seiner Promotion zum
Doktor der Medizin erhielt er am 27. Juni 1990 die Anerkennung als „Arzt für
Laboratoriumsmedizin“. Am 5. November 1997 wurde ihm das Recht verliehen,
die Bezeichnung „Facharzt für Transfusionsmedizin“ zu führen. Mit Wirkung
vom 1. Januar 1995 wurde er zum Oberstarzt ernannt und in eine Planstelle der
Besoldungsgruppe A 16 eingewiesen. Vom 1. April 1990 bis zum 1. Juni 2008
wurde er als Leiter der Abteilung ... im Bundeswehr...krankenhaus in K. ver-
wendet.
Mit Verfügung vom 15. Oktober 2007 leitete der Inspekteur des Sanitätsdiens-
tes der Bundeswehr gegen den Antragsteller ein gerichtliches Disziplinarverfah-
ren ein. Er bezeichnete den Antragsteller als hinreichend verdächtig, seine
Dienstpflichten schuldhaft verletzt zu haben, indem er als Leiter der Abteilung ...
des Bundeswehr...krankenhauses K.
1. an einem nicht mehr genau bestimmbaren Tag im Zeit-
raum Januar bis April 1993 in den Praxisräumen des
Gemeinschaftslabors P. in K. von dem damaligen Ge-
schäftsführer des Gemeinschaftslabors, Herrn Dr. P.,
für die weitere Vergabe von Aufträgen des Bundes-
wehr...krankenhauses K. an das Gemeinschaftslabor
eine monatliche Beteiligung am Umsatz des Labors ge-
fordert habe,
2. an einem nicht mehr genau bestimmbaren Tag inner-
halb eines Zeitraumes von zwei bis drei Wochen nach
der unter 1. beschriebenen Forderung in K. von Herrn
Dr. P. einen Umschlag mit 6 000 DM angenommen ha-
be.
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Im Hinblick auf diesen Sachverhalt ordnete das Bundesministerium der Vertei-
digung - PSZ I 3 - mit fernschriftlicher Verfügung vom 7. Dezember 2007 die
Versetzung des Antragstellers vom Bundeswehr...krankenhaus K. auf eine nach
Besoldungsgruppe A 16 bewertete Stelle des z.b.V.-Etats im Institut für W. und
B. der Bundeswehr in A. für die Zeit vom 12. Dezember 2007 bis zum 30.
November 2008 an. Gegen diese Verfügung beantragte der Antragsteller die
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und mit Schreiben vom
12. Februar 2008 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Mit Beschluss
vom 25. März 2008 (BVerwG 1 WDS-VR 4.08) hat der Senat die aufschiebende
Wirkung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung vom 20. Dezember 2007
gegen die vorbezeichnete Versetzungsverfügung angeordnet. Diese hob das
Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 3 - anschließend mit Schreiben
vom 10. April 2008 auf.
Mit Entwurfsschreiben vom 24. April 2008 teilte das Bundesministerium der
Verteidigung - PSZ I 3 - dem Antragsteller (erneut) die Absicht mit, ihn unver-
züglich auf einen Dienstposten des z.b.V.-Etats beim Institut für W. und B. der
Bundeswehr in A. zu versetzen. Zur Begründung wurde auf den Inhalt der Ein-
leitungsverfügung verwiesen und dargelegt, dass der strafrechtliche Vorwurf
zwar möglicherweise bereits verjährt sei; gleichwohl habe sich der Antragsteller
durch sein Verhalten in dem korruptionsanfälligen Bereich der Vergabe von
Aufträgen an externe Leistungserbringer dem Verdacht der Vorteilsannahme
bzw. der Bestechlichkeit ausgesetzt und damit als Vorgesetzter schuldhaft sei-
ne Dienstpflichten verletzt. Durch den in der Einleitungsverfügung hinreichend
dokumentierten Verdacht schwerwiegender Dienstpflichtverletzungen bestün-
den erhebliche Zweifel, dass er sich weiterhin für die Leitung der Abteilung ... im
Bundeswehr...krankenhaus K. eigne. Ein Sanitätsoffizier in der herausgeho-
benen Stellung eines liquidationsberechtigten Leitenden Arztes, der im Rahmen
der notwendigen Leistungserbringung für die anderen Abteilungen des Bun-
deswehr...krankenhauses regelmäßig Aufträge an Stellen außerhalb der Bun-
deswehr vergebe, unterliege besonderen Anforderungen an seine Redlichkeit
und Aufrichtigkeit.
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Zu diesem Entwurf einer Versetzungsverfügung nahm der Antragsteller mit
Schreiben vom 30. April 2008 Stellung. Der Personalrat beim Bundes-
wehr...krankenhaus K. erklärte am 21. Mai 2008, dass er einer Versetzung des
Antragstellers zum jetzigen Zeitpunkt nicht zustimme; er sei der Auffassung,
dass das Ergebnis des laufenden disziplinaren Ermittlungsverfahrens abzuwar-
ten sei.
Mit der angefochtenen Verfügung vom 27. Mai 2008 ordnete das Bundesminis-
terium der Verteidigung - PSZ I 3 - die angekündigte Versetzung des An-
tragstellers zum Institut für W. und B. der Bundeswehr in A. für die Zeit vom
2. Juni 2008 zunächst bis zum 30. November 2008 an.
Gegen diese Verfügung richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung
vom 29. Mai 2008, den der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit sei-
ner Stellungnahme vom 18. Juni 2008 dem Senat vorgelegt hat (Verfahren
BVerwG 1 WB 48.08).
Zugleich hat der Antragsteller im Schreiben vom 29. Mai 2008 die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Dazu hat der Bundesminister der Ver-
teidigung - PSZ I 7 - in seiner Vorlage vom 18. Juni 2008 ebenfalls Stellung ge-
nommen.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller insbe-
sondere vor:
Die Zweifel an seiner charakterlichen Eignung für die Leitung der Abteilung ...
im Bundeswehr...krankenhaus seien unbegründet. Der ihm vorgeworfene Vor-
fall liege mehr als fünfzehn Jahre zurück und werde zudem entschieden von
ihm bestritten. Mit einem einmaligen, derartig lange zurückliegenden Fehlver-
halten lasse sich die angeblich fehlende charakterliche Eignung für seinen bis-
herigen Dienstposten nicht erfolgreich begründen. Er habe durch ein über viele
Jahre hinweg gezeigtes tadelloses dienstliches Verhalten Charakterfestigkeit
bewiesen und in jeder Hinsicht loyal zu seinem Dienstherrn gestanden. Insbe-
sondere im Bereich des Abrechnungswesens, wo er für ein Umsatzvolumen
von rund 1,2 Mio. € verantwortlich gewesen sei, habe es nicht die geringsten
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Beanstandungen gegeben. Die beabsichtigte Personalmaßnahme sei völlig
unangemessen; es bestehe auch keine dienstliche Notwendigkeit für die Ver-
setzung. Der Stand des sachgleichen Disziplinarverfahrens sei unverändert.
Zwar sei die Abteilung „BMVg - ES“ offensichtlich bemüht, ihm Unregelmäßig-
keiten nachzuweisen, und stelle dazu die Abteilung sozusagen auf den Kopf.
Bisher sei jedoch nichts Belastendes gefunden worden. Man werde auch nichts
Belastendes finden. Der Personalrat habe in seinem Votum ebenfalls die Ver-
setzung einstimmig abgelehnt und erst den Abschluss der Ermittlungen einge-
fordert. Auf dem Dienstposten in Andernach sei es ihm im Übrigen nicht mög-
lich, sich auf seinem Fachgebiet der Laboratoriumsmedizin und Transfusions-
medizin in Übung zu halten; hierdurch entstünden ihm unwiederbringlich Lauf-
bahnnachteile.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Antrags auf gerichtliche
Entscheidung vom 29. Mai 2008 gegen die Verset-
zungsverfügung des Bundesministeriums der Verteidigung
- PSZ I 3 - vom 27. Mai 2008 anzuordnen.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die in der Einleitungsverfügung des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bun-
deswehr vom 15. Oktober 2007 enthaltenen Vorwürfe gegen den Antragsteller
reichten aus, um dessen Eignung für den Dienstposten eines Leitenden Arztes
der Abteilung ... im Bundeswehr...krankenhaus K. in Frage zu stellen. Für den
herausgehobenen und auch mit erheblicher Außenwirkung verbundenen
Dienstposten sei eine uneingeschränkte charakterliche Eignung zu verlangen,
an der nicht die geringsten Zweifel bestehen dürften. Insofern sei entgegen der
Einschätzung des Personalrats beim Bundeswehrzentralkrankenhaus auch
nicht entscheidend, dass das gerichtliche Disziplinarverfahren noch nicht abge-
schlossen bzw. der vom Antragsteller bezweifelte Sachverhalt nicht rechtskräf-
tig festgestellt sei. Wer sich dem Verdacht aussetze, ein schwerwiegendes
Dienstvergehen begangen zu haben, müsse damit rechnen, zumindest vorü-
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bergehend von seinem Dienstposten wegversetzt zu werden. Für die Zweifel
des Bundesministeriums der Verteidigung an der charakterlichen Eignung des
Antragstellers sei es unerheblich, dass der der Einleitungsverfügung zugrunde
liegende Vorwurf lange zurückliege und vom Antragsteller bestritten werde. Die
Verhängungsfrist nach § 17 WDO zur Ahndung eines Dienstvergehens beginne
erst mit der Beendigung der zeitlich letzten Pflichtverletzung, wenn das Dienst-
vergehen aus mehreren Pflichtverletzungen besteht. Insoweit seien die Ermitt-
lungen gegen den Antragsteller noch nicht abgeschlossen. Dieser habe seinen
Dienst in A. wegen Urlaubs bis zum 25. Juli 2008 noch nicht angetreten.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Be-
teiligten gewechselten Schriftsätze und der Akten Bezug genommen. Die Be-
schwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - 522/08 -, die
Gerichtsakte BVerwG 1 WDS-VR 4.08 sowie die Personalgrundakte des An-
tragstellers, Hauptteile A bis C, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
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Der nach § 17 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO zulässige Antrag ist
begründet.
Der Gesetzgeber hat dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbar-
keit truppendienstlicher Maßnahmen grundsätzlich den Vorrang vor privaten
Belangen eingeräumt (§ 17 Abs. 6 Satz 1 WBO). Die Anordnung der aufschie-
benden Wirkung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich bereits bei summa-
rischer Prüfung durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochte-
nen Maßnahme ergeben oder dem Soldaten durch deren sofortige Vollziehung
unzumutbare, insbesondere nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden
(stRspr, vgl. Beschlüsse vom 11. Januar 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.06 -
soweit nicht veröffentlicht in Buchholz 449.7 § 23 SBG Nr. 4> und vom 13. Juni
2007 - BVerwG 1 WDS-VR 1.07 -
449.7 § 48 SBG Nr. 1> jeweils m.w.N.).
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Die erstgenannte Voraussetzung ist hier erfüllt, weil auf der Grundlage einer
summarischen Überprüfung durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßig-
keit der angefochtenen Versetzungsverfügung bestehen.
Angesichts des im Hauptsacheverfahren BVerwG 1 WB 48.08 gestellten An-
fechtungsantrages ist für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeit-
punkt der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister der Verteidigung
an den Senat maßgeblich (23. Juni 2008).
Die Verfügung des Bundesministeriums der Verteidigung - PSZ I 3 - vom
27. Mai 2008 ist rechtswidrig, weil sie auf einer Beurteilung der Eignung des An-
tragstellers für seinen bisherigen Dienstposten beruht, die die maßgeblichen
Grenzen des Beurteilungsspielraums nicht einhält.
Der Soldat hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte fachliche
oder örtliche Verwendung oder auf Verwendung auf einem bestimmten Dienst-
posten. Ein dahingehender Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorge-
pflicht ableiten. Vielmehr entscheidet der zuständige Vorgesetzte bzw. die zu-
ständige personalbearbeitende Stelle über die Verwendung eines Soldaten,
sofern hierfür ein dienstliches Bedürfnis besteht, nach pflichtgemäßem Ermes-
sen. Während das Vorliegen eines dienstlichen Bedürfnisses als unbestimmter
Rechtsbegriff gerichtlich voll nachprüfbar ist, kann die Ermessensentscheidung
nur daraufhin überprüft werden, ob der Vorgesetzte oder die zuständige Stelle
den Soldaten durch Überschreiten oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in
seinen Rechten verletzt bzw. die gesetzlichen Grenzen des ihm/ihr insoweit
zustehenden Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. In diesem
Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob die gesetzlich vorgegebenen
oder vom Bundesministerium der Verteidigung im Wege der Selbstbindung in
Erlassen und Richtlinien festgelegten Verfahrensvorschriften eingehalten sind
(stRspr, z.B. Beschlüsse vom 27. Februar 2003 - BVerwG 1 WB 57.02 -
BVerwGE 118, 25 = Buchholz 252 § 23 SBG Nr. 2
in NZWehrr 2003, 212> und vom 11. Januar 2007 a.a.O.).
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Die Anfechtung einer Versetzungsverfügung erfasst grundsätzlich sowohl die
Weg- als auch die Zuversetzung.
Ein dienstliches Bedürfnis für eine Wegversetzung liegt regelmäßig vor, wenn
der Soldat sich für seinen Dienstposten nicht eignet (Nr. 5 Buchst. g der Richtli-
nien zur Versetzung, zum Dienstpostenwechsel und zur Kommandierung von
Soldaten vom 3. März 1988 in der zuletzt am 11. August 1998
geänderten Fassung - Versetzungsrichtlinien -). Bei der Ent-
scheidung über die Eignung eines Soldaten für eine bestimmte Verwendung im
Sinne des § 3 Abs. 1 SG steht dem zuständigen Vorgesetzten ein gerichtlich
nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche
Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob der Vorgesetzte bei der Entscheidung
den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen des Beurteilungs-
spielraums verkannt hat, ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen
ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen
angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl.
Beschlüsse vom 25. April 2007 - BVerwG 1 WB 31.06 - BVerwGE 128, 329
<332 f.> = Buchholz 449 § 3 SG Nr. 41 m.w.N. und vom 10. April 2008
- BVerwG 1 WDS-VR 5.08 -).
Die Einschätzung des Bundesministeriums der Verteidigung - PSZ I 3 -, dass
der Antragsteller für den Dienstposten des Leiters der Abteilung ... im Bundes-
wehr...krankenhaus K. charakterlich nicht (mehr) geeignet ist, hält die Grenzen
des vorbezeichneten Beurteilungsspielraums nicht ein.
Zwar hat das Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 3 - den anzuwen-
denden Begriff der Eignung nicht verkannt. Zur charakterlichen Eignung gehört
jedenfalls, dass der Dienstherr von einem Soldaten die jederzeitige Erfüllung
seiner Dienstpflichten erwarten kann. Deshalb können schwerwiegende und
nachhaltige, in Verbindung mit der dienstlichen Stellung begangene Dienst-
pflichtverletzungen und Straftaten der Art, wie sie dem Antragsteller vorgewor-
fen werden, einen Mangel der charakterlichen Eignung begründen
und zum Anlass für eine Wegversetzung von dem betreffenden Dienstposten
genommen werden (Beschluss vom 10. April 2008 - BVerwG 1 WDS-VR 5.08).
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Das Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 3 - ist auch nicht von einem
unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Es durfte seiner Versetzungsverfügung
den Inhalt der Einleitungsverfügung zugrunde legen. Es war nicht gehalten, zu-
nächst den Abschluss des gerichtlichen Disziplinarverfahrens abzuwarten oder
durch eigene Ermittlungen - parallel zum Disziplinarverfahren - die erhobenen
Vorwürfe zu überprüfen (Beschluss vom 10. April 2008 - BVerwG 1 WDS-VR
5.08 -).
Verfahrensfehler sind ebenfalls nicht feststellbar. Der Antragsteller ist entspre-
chend Nr. 9 der Versetzungsrichtlinien zu der beabsichtigten Personalmaß-
nahme angehört worden. Der Personalrat beim Bundeswehr...krankenhaus K.
ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 SBG beteiligt worden.
Zutreffend hat das Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 3 - im Übrigen
angenommen, dass die Voraussetzungen für ein Verhängungsverbot nach § 17
Abs. 2 bis 4 WDO zurzeit noch nicht abschließend beurteilt werden können.
Das Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 3 - hat jedoch allgemeingültige
Wertmaßstäbe bei seiner Versetzungsentscheidung nicht beachtet.
Zu den allgemeingültigen Wertmaßstäben gehört der aus dem Rechtsstaats-
prinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er
bindet alle staatliche Gewalt, sofern sie subjektive Rechte des Bürgers in ir-
gendeiner Weise beeinträchtigt (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl. 2007,
Art. 20 Rn. 80, 81 m.w.N.).
Eine wesentliche Komponente des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist die
Proportionalität. Sie setzt voraus, dass eine Maßnahme oder Beeinträchtigung
nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen darf, dass sie bei einer
Gesamtbewertung angemessen und deshalb für den Betroffenen zumutbar sein
muss. Zur Prüfung dieser Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sind neben
einer Abwägung aller relevanten Belange insbesondere auch die Beson-
derheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen (Sachs, in: Sachs, GG, 4. Aufl.
2007, Art. 20 Rn. 154 m.w.N.).
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Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als eines allgemeingülti-
gen Wertmaßstabes hätte im vorliegenden Fall wegen des verstrichenen langen
Zeitraums erfordert, trotz des disziplinarrechtlich noch verfolgbaren Verdachts
eines Dienstvergehens gesondert zu prüfen und im Einzelnen zu begründen,
warum aktuelle Konsequenzen notwendig sind.
Gegenstand der Einleitungsverfügung sind ausschließlich Vorfälle aus dem Jahr
1993. Lediglich diese Vorfälle sind in der angegriffenen Versetzungsanordnung
Grundlage für die Einschätzung des Bundesministeriums der Verteidigung
- PSZ I 3 -, dem Antragsteller für seinen bisherigen Dienstposten auch aktuell
die charakterliche Eignung abzusprechen. Weitere Verdachtsmomente gegen
den Antragsteller aus jüngerer Zeit sind ausweislich der vorgelegten Akten nicht
Gegenstand des gerichtlichen Disziplinarverfahrens geworden und werden auch
von dem Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - nicht geltend gemacht.
Vor diesem Hintergrund hätte der Zeitablauf von fünfzehn Jahren seit den streit-
befangenen Vorfällen Veranlassung für eine sorgfältige Abwägung sein
müssen, ob eine Änderung der Verwendung des Antragstellers in der aktuellen
Lage (noch) dem Schutzzweck der Nr. 5 Buchst. g der Versetzungsrichtlinien
entspricht. Die (charakterliche) Eignung, die § 3 Abs. 1 SG als fortdauernde
Voraussetzung einer bestimmten Verwendung verlangt, muss dabei auch und
vorrangig für die aktuelle Zeit geprüft werden. Eignungsmängel oder charakter-
liche Schwächen müssen in der Biographie eines Menschen, der an seiner
Persönlichkeit arbeitet (und in der Bundeswehr nach den Prinzipien der „Inne-
ren Führung“ auch arbeiten soll), kein Dauerzustand sein. Für die jeweils zu
beurteilende Verwendung eines Soldaten ist deshalb insbesondere seine
Eignungs-Entwicklung in den Blick zu nehmen. Insofern wird dem Schutzzweck
der eignungsbezogenen Normen und Verwaltungsvorschriften nicht allein mit
einer reinen Vergangenheitsbetrachtung Rechnung getragen. Zusätzlich hat der
Eignungsbegriff nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch eine
prognostische Komponente (vgl. z.B. Beschluss vom 14. Juni 2006 - BVerwG
1 WB 8.06 - NZWehrr 2006, 246).
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Eine Abwägung und Prüfung der Verhältnismäßigkeit im dargelegten Sinne ist
sowohl im Entwurf der Versetzungsverfügung vom 24. April 2008 als auch in
deren Endfassung vom 27. Mai 2008 gänzlich unterblieben. In seiner Vorlage
an den Senat vom 18. Juni 2008 hat der Bundesminister der Verteidigung
- PSZ I 7 - den eingetretenen Zeitablauf seit 1993 insgesamt als unerheblich
bezeichnet; damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass er dem Zeitablauf weder
beim Eignungsbegriff noch bei der - erforderlichen - Ermessensausübung eine
Bedeutung beimisst. Diese Einschätzung ist - wie dargelegt - rechtlich fehler-
haft.
Bereits die Unterlassung einer Prüfung des eingetretenen Zeitablaufs unter dem
Aspekt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes missachtet diesen allgemeingülti-
gen Wertmaßstab und verletzt damit den Beurteilungsspielraum des
Dienstherrn.
Für den Senat ist beim derzeitigen Stand des Verfahrens im Übrigen auch nicht
erkennbar, dass eine aktuell fehlende charakterliche Eignung des Antragstellers
dessen kurzfristige Wegversetzung gebietet. Der Antragsteller hat unwiderspro-
chen die Vorfälle als einmaliges Fehlverhalten bezeichnet und dargelegt, dass
er seit vielen Jahren ohne geringste Beanstandungen ein tadelloses dienstli-
ches Verhalten auf seinem herausgehobenen Dienstposten an den Tag gelegt
habe. Der Bundesminister der Verteidigung hat nichts dazu vorgetragen, dass
das derzeitige charakterliche Erscheinungsbild des Antragstellers durch den
Verdacht eines gegenwärtig noch andauernden oder in die Gegenwart hinein-
wirkenden oder noch nicht lange zurückliegenden Fehlverhaltens getrübt sei.
Bei derartigen Einbußen der uneingeschränkten charakterlichen Qualität in der
Dienstpostenwahrnehmung wäre eine Wegversetzung in der Regel verhältnis-
mäßig. Liegt der vorwerfbare Sachverhalt indessen - wie hier - fünfzehn Jahre
zurück, erscheint eine solche Maßnahme ohne Darstellung zusätzlicher Belas-
tungsaspekte für den jetzt in Rede stehenden Dienstposten nicht mehr verhält-
nismäßig.
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Die Feststellung eines dienstlichen Bedürfnisses für die Wegversetzung des
Antragstellers ist deshalb rechtswidrig. Dem Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes ist daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1
WBO.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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