Urteil des BVerwG vom 17.02.2009

Wahrheitspflicht, Afghanistan, Strafverfahren, Amt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 64.08
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Unteroffizier ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Kling und
den ehrenamtlichen Richter Stabsunteroffizier Trimkowski
am 17. Februar 2009 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
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Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3).
Der 1983 in K./Afghanistan geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit, dessen
zuletzt auf acht Jahre festgesetzte Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf des
31. Dezember 2012 enden wird. Zum Unteroffizier wurde er am 8. Dezember
2006 ernannt. Seit dem 30. Juni 2005 wurde er bei der .../Fernmeldeauf-
klärungsabschnitt ... in D. verwendet. Der dort von ihm seit dem 31. Oktober
2006 innegehabte Dienstposten Elektronischer Kampfführungsunteroffi-
zier/Maat, Teileinheit / Zeile ..., erfordert eine abgeschlossene erweiterte Si-
cherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3). Aufgrund der hier
streitbefangenen Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten im Bundesmi-
nisterium der Verteidigung wird der Antragsteller - nach vorangegangener ent-
sprechender Kommandierung - seit dem 3. Dezember 2007 bei der
.../Nachschubbataillon ... in Di. auf einem Dienstposten Nachschubbuchfüh-
rungsunteroffizier eingesetzt, der nicht mit der Wahrnehmung sicherheitsemp-
findlicher Tätigkeiten verbunden ist.
Im Rahmen seiner Erstbefragung am 5. Januar 2005 zu eventuellen sicher-
heitserheblichen Aspekten im Hinblick auf seine Verwendung im Fernmelde-
aufklärungsabschnitt ... erklärte der Antragsteller zur Frage 3.1 (Straf- oder Dis-
ziplinarverfahren etc.) unter anderem, er habe in seiner Ausbildung zwei Jahre
lang Unterstützung nach dem BAföG beantragt, nebenher aber „schwarz gear-
beitet“ und zusätzlich Geld vom Sozialamt erhalten. Daraus folge nun eine
Rückzahlung von BAföG-Leistungen und Sozialhilfeleistungen. Im Dezember
2004 sei er „schwarz gefahren“. Außerdem sei er im selben Monat wegen Über-
schreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von der Polizei geblitzt wor-
den.
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In der damals zunächst eingeleiteten erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2)
beantwortete der Antragsteller in der Sicherheitserklärung vom 16. Januar 2005
die Frage Nr. 10 nach anhängigen Straf- oder Disziplinarverfahren mit „nein“.
Im Hinblick auf die beabsichtigte Verwendung des Antragstellers beim Fern-
meldeaufklärungsabschnitt ..., für die er den Zugang zu Verschlusssachen mit
dem Geheimhaltungsgrad „Streng geheim“ benötigte, beantragte der Sicher-
heitsbeauftragte dieser Einheit am 22. Juni 2006 die Durchführung einer erwei-
terten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3). Innerhalb die-
ses Verfahrens stellte der Militärische Abschirmdienst unter anderem fest, dass
die E. GmbH am 22. Dezember 2004 gegen den Antragsteller Strafanzeige
wegen Beförderungserschleichung gestellt habe. Das geforderte erhöhte Be-
förderungsentgelt in Höhe von 40 € sei vom Antragsteller nur zum Teil gezahlt
worden. Obwohl noch 20 € zu zahlen gewesen seien, habe die Staatsanwalt-
schaft (W.) am 24. März 2005 nach § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Verfol-
gung abgesehen. In einer Befragung durch den Militärischen Abschirmdienst
habe der Antragsteller angegeben, fünf- bis sechsmal „schwarz gefahren“ und
zweimal „erwischt“ worden zu sein. In der Sicherheitserklärung vom 16. Januar
2005 habe der Antragsteller das laufende Strafverfahren jedoch nicht angege-
ben. Weiterhin habe der Antragsteller als Empfänger von Leistungen nach dem
BAföG (von 2002 bis 2004 monatlich 300 € bis 380 €) gleichzeitig Sozialhilfe
beantragt und nach eigenen Angaben „schwarz gearbeitet“. Der Magistrat der
Landeshauptstadt ... - Amt für Ausbildungsförderung - habe mit Bescheid vom
30. April 2004 mitgeteilt, dass gegen den Antragsteller eine Rückforderung in
Höhe von 1 392 € bestehe, die aufgrund einer Aufrechnung mit den monatli-
chen Förderungsbeträgen auf 1 322,40 € reduziert worden sei. Mit Bescheid
vom 1. November 2004 sei dem Antragsteller eine Rückerstattung in Teilbeträ-
gen gestattet und die monatlich zu zahlende Rate auf 30 € festgesetzt worden.
Diese Raten habe der Antragsteller nach eigenen Angaben nicht regelmäßig
gezahlt. Ein Stundungsantrag sei im März 2005 abgelehnt worden, weil er bis
dahin die erforderlichen Unterlagen (Einkommensnachweise und Nachweise
über monatliche Belastungen) nicht vorgelegt habe. Mit Bescheid vom
3. Januar 2005 habe das Amt für Soziale Arbeit der Landeshauptstadt ... mitge-
teilt, dass die Tilgung der bestehenden Rückforderung von Sozialhilfeleistungen
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in Höhe von 2 042,12 € ausgesetzt werde. Mit vorangegangenem Bescheid
vom 16. Dezember 2004 habe das genannte Amt dem Antragsteller mitgeteilt,
dass er von September 2001 bis Januar 2003 zu Unrecht Sozialhilfe in Höhe
von insgesamt 2 042,12 € bezogen habe. Schließlich ermittelte der Militärische
Abschirmdienst, dass die Firma N. vom 1. April 2004 bis 7. August 2004 und die
Firma „W.“ für die Zeiträume vom 1. August 2001 bis 31. Dezember 2001, vom
1. April 2003 bis 31. Dezember 2003 und vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Mai
2004 jeweils Beschäftigungsverhältnisse mit dem Antragsteller geschlossen
hatten.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2006 legte der Geheimschutzbeauftragte im
Bundesministerium der Verteidigung dem Antragsteller diesen Sachverhalt dar
und führte aus, aus dessen Umgang mit seinen finanziellen Verpflichtungen
sowie aus den unvollständigen und unwahren Angaben zu dem Strafverfahren
wegen Beförderungserschleichung in der Sicherheitserklärung vom 16. Januar
2005 ergäben sich Zweifel an seiner Zuverlässigkeit als Geheimnisträger bei
der Bundeswehr. Darüber hinaus bestehe im Hinblick auf seine afghanische
Staatsangehörigkeit ein tatsächlicher Anhaltspunkt für eine besondere Gefähr-
dung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste;
der Antragsteller verfüge durch seine Familie nach wie vor über verwandt-
schaftliche Beziehungen zu diesem Land, das einen Staat mit besonderen Si-
cherheitsrisiken darstelle. Der Antragsteller erhielt Gelegenheit zur Äußerung.
Im Rahmen seiner Stellungnahmen vom 24. Januar, 16. März und 24. Juli 2007
machte der Antragsteller im Wesentlichen geltend, er sei seit Eintritt in die
Bundeswehr erwachsener und reifer geworden. Seit er ein geregeltes Einkom-
men habe, sei er seinen finanziellen Verpflichtungen stets nachgekommen. Im
Dezember 2007 werde er die BAföG-Beträge komplett abbezahlt haben. Im
Zeitpunkt seiner Befragung durch den Militärischen Abschirmdienst seien ihm
wesentliche Punkte wie Treuepflicht oder Wahrheitspflicht nicht bewusst gewe-
sen. Seine Vorgesetzten könnten bestätigen, dass er sich diszipliniert, korrekt
und militärisch verhalte. Dies belege auch die Verleihung eines Bestpreises im
Dezember 2005 sowie die Bewilligung einer Leistungsprämie im November
2006. Er persönlich habe keine Kontakte nach Afghanistan. Lediglich seine El-
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tern pflegten telefonische Verbindungen mit den Verwandten in der Heimat. Er
sei bereit, die afghanische Staatsbürgerschaft abzulegen, weil diese für ihn kei-
ne Bedeutung und keinen Nutzen habe.
Der Antragsteller erklärte am 20. März 2007 einen Reiseverzicht im Hinblick auf
Reisen nach Afghanistan. In einem vom Antragsteller überreichten Schreiben
vom 26. Juli 2007 bescheinigte das Amt für Soziale Arbeit der Landeshaupt-
stadt ..., dass der Rückstand bei der Rückforderung gewährter Leistungen
1 505,12 € betrage.
Mit Schreiben vom 29. August 2007, dem Antragsteller am 14. September 2007
eröffnet, erklärte der Geheimschutzbeauftragte, die Sicherheitsüberprüfung des
Antragstellers sei trotz seiner Stellungnahmen, seiner dienstlichen Erklärung
und der bisher vorgelegten Unterlagen mit der Feststellung eines Sicherheitsri-
sikos abzuschließen. Die Leistungserschleichungen betreffend BAföG und So-
zialleistungen sowie das Verschweigen eines laufenden Strafverfahrens in der
Sicherheitserklärung zeigten einen schweren charakterlichen Mangel und eine
Missachtung der Rechtsordnung auf. Die vom Antragsteller vorgelegten Unter-
lagen könnten die bestehenden Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Person
nicht vollständig ausräumen. Es bedürfe vielmehr eines längeren Zeitraums, in
dem der Antragsteller ein die Rechtsordnung achtendes und Verantwortungs-
bewusstsein dokumentierendes Verhalten zeigen müsse. Auch die Möglichkeit
der Erpressbarkeit aufgrund seiner Verbindung nach Afghanistan über seinen
Vater berge die Gefahr, den Antragsteller selbst und seine Familie einem nach-
richtendienstlichen Interesse auszusetzen. Im Übrigen werde auf das Anhö-
rungsschreiben vom 18. Dezember 2006 Bezug genommen.
Mit förmlichem Bescheid vom 29. August 2007, dem Antragsteller am
1. Oktober 2007 eröffnet, stellte der Geheimschutzbeauftragte fest, dass die
erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) Umstände
ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten; die Entscheidung umfasse
auch die Verwendung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der Überprü-
fungsarten Ü 1 und Ü 2.
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Gegen das Ankündigungsschreiben vom 29. August 2007 hatte der Antragstel-
ler bereits am 27. September 2007 „Einspruch“ eingelegt, den der Bundesmi-
nister der Verteidigung - PSZ I 7 - als Antrag auf gerichtliche Entscheidung ge-
wertet hat. Diesen Antrag hat er mit seiner Stellungnahme vom 19. August 2008
dem Senat vorgelegt.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller insbe-
sondere vor:
Seit den beanstandeten Vorfällen habe er sich weiterentwickelt und sei reifer
geworden. Sein Eintritt in die Bundeswehr habe sein bisheriges Leben in neue
Bahnen gelenkt und dafür gesorgt, dass er von einer bis dahin eher chaoti-
schen zu einer geregelten Lebensweise übergegangen sei. Zudem habe er für
den durch ihn entstandenen finanziellen Schaden die Verantwortung über-
nommen. Die von ihm zu Unrecht bezogenen Gelder seien in Form einer Ra-
tenzahlung zurückerstattet worden bzw. würden bald abgegolten sein. Er habe
Fehler begangen, die sich nicht mehr ungeschehen machen ließen. Dafür habe
er zur Genüge gebüßt, sodass ihm die getroffene Entscheidung unverhältnis-
mäßig erscheine. Im Übrigen sei ihm die Argumentation, seinen familiären Hin-
tergrund gegen ihn zu verwenden, völlig unverständlich. Er sei gebürtiger Af-
ghane und schäme sich nicht für sein Herkunftsland. Natürlich unterhalte seine
Familie Kontakte nach Afghanistan; er selbst aber habe keinen Bezug mehr zu
diesem Land. Deshalb habe er einen Reiseverzicht erklärt.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bun-
desministerium der Verteidigung vom 29. August 2007
aufzuheben und den Bundesminister der Verteidigung zu
verpflichten, ihn, den Antragsteller, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
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Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos sei rechtmäßig. Der Geheimschutzbe-
auftragte habe den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
Das Fehlverhalten des Antragstellers stelle ein Versagen im Kernbereich solda-
tischer Pflichten dar. Der Wahrheitspflicht komme im militärischen Bereich eine
besondere Bedeutung zu. Sie werde im Pflichtenkatalog der Soldaten in § 13
Abs. 1 SG ausdrücklich normiert. Die Einlassung des Antragstellers, dass die
fehlenden Angaben in der Sicherheitserklärung bezüglich des laufenden Straf-
verfahrens wegen Beförderungserschleichung nicht auf Vorsatz, sondern darauf
beruhten, dass ihm damals wesentliche Punkte wie Treuepflicht und Wahr-
heitspflicht nicht bewusst gewesen seien, sei nicht nachzuvollziehen. Mit der
wiederholten Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Entgeltleistung habe
der Antragsteller zum Ausdruck gebracht, dass er bereit sei, für eine alltägliche
Dienstleistung mit Vorsatz gegen bestehende Gesetze zu verstoßen. Eine un-
verschuldete wirtschaftliche Notlage oder eine Augenblickstat, die das Verhal-
ten des Antragstellers relativieren könnte, sei nicht erkennbar. Auch sein Ver-
halten im Hinblick auf vom Staat erhaltene Zahlungen begründe Zweifel an sei-
ner Zuverlässigkeit. Der Antragsteller habe versucht, sich bei der Inanspruch-
nahme dieser Leistungen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaf-
fen. Obwohl dieses Verhalten vor seiner Bundeswehrzeit gelegen habe, lasse
sich dennoch ein Rückschluss auf den Charakter des Antragstellers ziehen.
Denn der Charakter eines Menschen und die Wertung seiner Festigkeit und
Untadeligkeit seien unteilbar. Daher würden Persönlichkeitsmängel des An-
tragstellers, die erst in seiner Bundeswehrzeit offenbar geworden seien, nicht
dadurch kompensiert, dass er im dienstlichen Bereich ansonsten bisher die ge-
botene Selbstdisziplin gezeigt habe. Angesichts des Fehlverhaltens des An-
tragstellers komme es auf seine Zugehörigkeit zu einem Staat mit besonderen
Sicherheitsrisiken nicht mehr an.
Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bun-
desministers der Verteidigung - PSZ I 7 - 480/08 - und die Personalgrundakte
des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
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II
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann aller-
dings zulässigerweise durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den
Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Be-
scheids angefochten werden (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 24. Mai 2000
- BVerwG 1 WB 25.00 -
219 und in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 9> und vom 11. März 2008 - BVerwG
1 WB 5.08 -).
Auch der Verpflichtungsantrag auf Neubescheidung ist zulässig.
Die zuständige Stelle ist, wenn die Feststellung des Bestehens eines Sicher-
heitsrisikos gerichtlich aufgehoben wird, grundsätzlich (von Amts wegen) ver-
pflichtet, eine neue Sachentscheidung zu treffen (Beschlüsse vom 24. Mai 2000
a.a.O. und vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -). Gleichwohl kann der
von einer solchen Feststellung Betroffene zusätzlich beantragen, den Ge-
heimschutzbeauftragten bzw. den Bundesminister der Verteidigung zu ver-
pflichten, über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos neu zu ent-
scheiden (vgl. Beschlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 - m.w.N.
und vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 -).
Zwar ist der Antrag in Gestalt eines „Einspruchs“ verfrüht eingelegt worden; er
ist aber dennoch zulässig.
Auf den Antrag ist hier noch § 17 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO
in der bis zum 31. Januar 2009 gültigen Fassung der Bekanntmachung des Ge-
setzes vom 11. September 1972 (BGBl I S. 1737, 1906), zuletzt geändert durch
Gesetz vom 12. August 2005 (BGBl I S. 2354), anzuwenden. Die danach
einzuhaltende Zwei-Wochen-Frist beginnt bei einem Antrag gegen eine
(Erst-)Maßnahme des Bundesministers der Verteidigung (im Sinne des § 21
Abs. 1 WBO) - in Anlehnung an § 6 Abs. 1 WBO - mit der Kenntnis des An-
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tragstellers von dem Beschwerdeanlass. Beschwerdeanlass ist bei der Feststel-
lung eines Sicherheitsrisikos durch den Geheimschutzbeauftragten im Bun-
desministerium der Verteidigung die förmliche Eröffnung dieser Feststellung auf
dem Formularblatt nach Anlage C 10 zu Nr. 2710 ZDv 2/30 Teil C. Denn erst
die förmliche Eröffnung der Feststellung eines Sicherheitsrisikos begründet die
Wirksamkeit dieser Entscheidung (Beschluss vom 6. September 2007
- BVerwG 1 WB 62.06 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 65).
Die Eröffnung des Bescheids über die Feststellung eines Sicherheitsrisikos vom
29. August 2007 erfolgte am 1. Oktober 2007. Der bereits am 27. September
2007 gestellte Antrag in Gestalt eines „Einspruchs“ ist damit verfrüht eingelegt
worden. Indessen ist dieser Rechtsbehelf durch das Ankündigungsschreiben
des Geheimschutzbeauftragten vom 29. August 2007 ausgelöst worden. Nach
der Rechtsprechung des Senats kann ein Soldat mit der Kenntnisnahme von
der Ankündigung der Feststellung eines Sicherheitsrisikos und der Mitteilung
der Gründe - wie sie hier im Schreiben an den Antragsteller vom 29. August
2007 enthalten sind - davon ausgehen, dass über die Feststellung eines
Sicherheitsrisikos bereits eine abschließende Entscheidung gefallen ist. Der
daraufhin - vorzeitig - gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird
zulässig, wenn die förmliche Bekanntgabe des Feststellungsbescheids spätes-
tens im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Antrags auf gerichtliche Entschei-
dung erfolgt ist, d.h. im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags beim Wehrdienstge-
richt (Beschluss vom 6. September 2007 a.a.O. m.w.N.). Diese Voraussetzung
ist hier erfüllt. Nach der förmlichen Eröffnung des Feststellungsbescheids ist der
betroffene Soldat dann nicht genötigt, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung
zu wiederholen.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid des Geheimschutzbeauf-
tragten vom 29. August 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht
in seinen Rechten.
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Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist
eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit aus-
schließen soll (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 26. Oktober 1999 - BVerwG 1 WB
13.99 -
402.8 § 5 SÜG Nr. 7 und in NZWehrr 2000, 31>, vom 24. Mai 2000 a.a.O., vom
30. Januar 2001 - BVerwG 1 WB 119.00 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 10 und
vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG
Nr. 11). Die Beurteilung des Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose der
künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Soldaten und seiner Verhältnisse
darstellt, darf sich dabei nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte
Besorgnis stützen, sondern muss auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunk-
te getroffen werden. Dabei gibt es keine „Beweislast”, weder für den Soldaten
dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt
hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat
diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht
werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001 a.a.O. und vom
8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom
22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <353>).
Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der ihm hiernach obliegenden Ent-
scheidung ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt
sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachver-
halt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rah-
men, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemein gültige Wertmaß-
stäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfah-
rensvorschriften verstoßen hat (Beschlüsse vom 18. August 2004 - BVerwG
1 WB 37.04 -
m.w.N. > und vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 -).
Die Feststellung des hier zuständigen Geheimschutzbeauftragten im Bundes-
ministerium der Verteidigung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i.V.m. Nr. 2416
ZDv 2/30 Teil C), dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko
vorliegt, steht im Einklang mit diesen Grundsätzen.
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Der Geheimschutzbeauftragte hat die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im
Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG auf die unwahren Angaben des An-
tragstellers in der Sicherheitserklärung vom 16. Januar 2005 zu dem Strafver-
fahren wegen Beförderungserschleichung sowie auf seine unberechtigte Inan-
spruchnahme von Sozialleistungen und Leistungen nach dem BAföG gestützt.
Das ist rechtlich nicht zu beanstanden und stellt insbesondere keine Verken-
nung oder fehlerhafte Gewichtung des gesetzlichen Begriffs der Zuverlässigkeit
dar.
Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i.V.m.
Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betrof-
fenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit
ein Sicherheitsrisiko begründen, können sich nach der Rechtsprechung des
Senats - unter anderem - daraus ergeben, dass der Betroffene in einer Sicher-
heitserklärung oder in sonstigen Formerklärungen falsche oder zumindest un-
vollständige Angaben macht (stRspr, vgl. - auch zum Folgenden - Beschlüsse
vom 20. August 2003 - BVerwG 1 WB 3.03 - Buchholz 402.8 § 13 SÜG Nr. 3,
vom 12. Mai 2004 - BVerwG 1 WB 29.03 - Buchholz 402.8 § 13 SÜG Nr. 4 und
vom 12. August 2008 - BVerwG 1 WB 28.07 -). Verstößen gegen die Wahr-
heitspflicht kommt ein besonderes Gewicht bei der sicherheitsrechtlichen Beur-
teilung zu. Nicht nur, aber gerade auch im Umgang mit geheimhaltungsbedürf-
tigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen muss sich die militärische
Führung auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussa-
gen jederzeit und grundsätzlich ohne weitere Nachprüfung verlassen können.
Ob es sich bei dem Verstoß gegen die Wahrheitspflicht um ein „Versagen in
Kernbereichen soldatischer Pflichten“ bzw. eine Verletzung von „Kernpflichten“
handelt, ist im vorliegenden Verfahren ohne Bedeutung. Maßgeblich für das
Vorliegen eines Sicherheitsrisikos im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG ist
allein, ob der sich aus der Verletzung von Dienstpflichten ergebende tatsächli-
che Anhaltspunkt geeignet ist, Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen
zu begründen (Beschluss vom 12. August 2008 - BVerwG 1 WB 28.07 -). In
seiner Sicherheitserklärung vom 16. Januar 2005 hat der Antragsteller die Fra-
ge Nr. 10 nach anhängigen Straf- oder Disziplinarverfahren mit „nein“ beantwor-
tet, obwohl er selbst kurz vorher im Rahmen seiner Erstbefragung vom 5. Ja-
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nuar 2005 auf die ihm vorgeworfene Beförderungserschleichung im Dezember
2004 hingewiesen hat. Im Zeitpunkt der Sicherheitserklärung war das Strafver-
fahren wegen dieser Verfehlung noch nicht abgeschlossen; die Staatsanwalt-
schaft W. hat ihre Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO erst
am 24. März 2005 verfügt.
Auch die Bezugnahme auf die unberechtigte Inanspruchnahme von Sozialleis-
tungen und Leistungen nach dem BAföG durch den Antragsteller ist als Grund-
lage für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos rechtlich nicht zu beanstanden.
Tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen
bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit können sich
auch aus Rechtsverstößen ergeben, die ohne speziellen Bezug zu Ge-
heimhaltungsvorschriften oder zur dienstlichen Tätigkeit des Betroffenen ein
gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lassen (vgl. Beschluss vom
20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 -). Hierzu enthält die Anhörungsverfü-
gung des Geheimschutzbeauftragten vom 18. Dezember 2006, auf die er im
Ankündigungsschreiben vom 29. August 2007 ausdrücklich Bezug nimmt, de-
taillierte Feststellungen und die Wertung der Rechtsverstöße als Betrug.
Für den Senat ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht substanzi-
iert geltend gemacht, dass der Geheimschutzbeauftragte den entscheidungs-
maßgeblichen Sachverhalt nicht vollständig erfasst hätte. Diesen Sachverhalt
hat der Antragsteller sowohl im Rahmen seiner Anhörungsschreiben als auch
im „Einspruch“ ausdrücklich bestätigt und dessen Vorwerfbarkeit eingeräumt.
Bei der sicherheitsmäßigen Beurteilung dieses Sachverhalts hat der Geheim-
schutzbeauftragte die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums
nicht überschritten. Ohne Rechtsfehler hat er die genannten Verhaltensweisen
des Antragstellers als ernstzunehmendes - hinsichtlich der Wahrheitspflicht
dienstpflichtwidriges - Fehlverhalten gewertet, welches Zweifel an dessen Zu-
verlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i.V.m. Nr. 2414 Satz 1
Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C begründet. Die Einschätzung, das Verhalten des An-
tragstellers zeige schwere charakterliche Mängel und eine Missachtung der
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Rechtsordnung auf, verkennt nicht den gesetzlichen Begriff der „Zuverlässig-
keit“ und lässt keine sachfremden Erwägungen erkennen.
Auch die vom Geheimschutzbeauftragten getroffene Prognose der künftigen
Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Verhältnisse ist
rechtlich nicht zu beanstanden. Der Geheimschutzbeauftragte hat in dem ange-
fochtenen Bescheid im Einzelnen ausgeführt, dass die verschiedenen Verfeh-
lungen des Antragstellers - auch in Abwägung mit den für ihn sprechenden Un-
terlagen und seiner dienstlichen Erklärung - noch nicht die bestehenden Zweifel
an der Zuverlässigkeit seiner Person hätten ausräumen können. Dabei hat der
Geheimschutzbeauftragte einen längeren Zeitraum für erforderlich gehalten,
aus dem sich ergeben soll, dass der Antragsteller die Rechtsordnung achtet
und Verantwortungsbewusstsein zeigt. Diese prognostische Bewertung ist
ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist zulässig und begründet keine
Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als eines allgemeinen Wertmaß-
stabs, einem Betroffenen noch über einen längeren Zeitraum eine Bewährung
abzuverlangen, dass die von ihm geltend gemachte Verhaltensänderung eine
nachhaltige Bestätigung finden und von Bestand sein wird (vgl. Beschlüsse vom
28. November 2000 - BVerwG 1 WB 97.00 - und vom 20. Januar 2009
- BVerwG 1 WB 22.08 -). Das gilt insbesondere bei der prognostischen Bewer-
tung einer Mehrzahl deliktischer Verhaltensweisen des Betroffenen.
Verfahrensfehler bei der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten hat der
Antragsteller nicht gerügt. Solche sind auch für den Senat nicht ersichtlich.
Da bereits das festgestellte Fehlverhalten des Antragstellers die Feststellung
eines Sicherheitsrisikos wegen fehlender Zuverlässigkeit rechtfertigt, kommt es
nicht mehr auf die Frage an, ob die aufrecht erhaltene afghanische Staatsan-
gehörigkeit des Antragstellers nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG i.V.m. Nr. 2414
Satz 1 Nr. 2 ZDv 2/30 Teil C in der Weise ein Sicherheitsrisiko begründen
könnte, dass der Antragsteller einer besonderen Gefährdung durch
Anbahnungsversuche fremder Nachrichtendienste ausgesetzt sein könnte. Die
in § 5 Abs. 1 SÜG gesetzlich benannten Gründe rechtfertigen - alternativ - jeder
für sich bereits die Feststellung eines Sicherheitsrisikos.
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Die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten trägt nicht zuletzt dem
Grundsatz des § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG Rechnung, wonach im Zweifel das Si-
cherheitsinteresse Vorrang vor privaten Interessen des Betroffenen hat.
Keine rechtlichen Bedenken bestehen schließlich dagegen, dass der Geheim-
schutzbeauftragte die Feststellung eines Sicherheitsrisikos auch auf die Ver-
wendung des Antragstellers in sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten der Über-
prüfungsarten Ü 1 und Ü 2 erstreckt hat. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit
des Antragstellers und die Risikoeinschätzung ergeben sich im vorliegenden
Fall insoweit keine von der einfachen und der erweiterten Sicherheitsüberprü-
fung abweichenden Gesichtspunkte.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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