Urteil des BVerwG vom 24.04.2012

Betroffene Person, Fremder, Treuhänder, Gefährdung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 62.11
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Kapitänleutnant …,
…,
- Bevollmächtigte:
…,
… -
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz als Vorsitzende,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß,
den ehrenamtlichen Richter Kapitän zur See Holm und
die ehrenamtliche Richterin Kapitänleutnant Nagel
am 24. April 2012 beschlossen:
Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streit-
kräfteamt vom 2. März 2011 und der Beschwerdebescheid
des Bundesministers der Verteidigung vom 25. Juli 2011
werden aufgehoben.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesver-
waltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Ver-
fahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden
dem Bund auferlegt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) durch den Geheimschutzbeauf-
tragten beim Streitkräfteamt.
Der 1965 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraus-
sichtlich mit Ablauf des 28. Februar 2021 enden wird. Er wurde am 15. April
2005 zum Kapitänleutnant ernannt. Bis zum 31. Mai 2010 war er beim Kom-
mando … in W. eingesetzt und dort als …-Offizier mit einer sicherheitsempfind-
lichen Tätigkeit betraut. Seit dem 1. Juni 2010 wird er beim Stab … in K. ver-
wendet und übt dort keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr aus. Seit dem
1. April 2011 ist er beim Stab … auf einem „dienstpostenähnlichen Konstrukt“
eingesetzt und mit Tätigkeiten nach Maßgabe des Chefs des Stabes betraut.
Für den Antragsteller wurde zuletzt am 16. September 2005 eine erweiterte Si-
cherheitsüberprüfung (Ü 2) ohne Einschränkungen abgeschlossen.
Das Amtsgericht W. - Insolvenzgericht - eröffnete mit Beschluss vom
10. Dezember 2009 (Geschäftsnummer: …/09) über das Vermögen des An-
tragstellers das Insolvenzverfahren und bestellte einen Treuhänder.
Der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt hörte den Antragsteller mit
Schreiben vom 23. April 2010 zu folgenden sicherheitserheblichen Erkenntnis-
sen an: Der Militärische Abschirmdienst (MAD) habe am 26. Januar 2010 über
eine sehr angespannte finanzielle Situation des Antragstellers berichtet. Dieser
habe den MAD im Februar 2009 um ein Gespräch gebeten, weil er festgestellt
habe, dass er seinen finanziellen Verbindlichkeiten nicht mehr problemlos nach-
kommen könne; er müsse deshalb „die Reißleine ziehen“. Die Ermittlungen des
MAD hätten ergeben, dass der Antragsteller seit 1987 durch einen Kredit für
den Erwerb eines Kraftfahrzeugs und einer Wohnungseinrichtung seine finan-
ziellen Verbindlichkeiten kontinuierlich erhöht habe. Anfang der 1990er Jahre
habe der Antragsteller einen weiteren Kredit über 40 000 DM für den Erwerb
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eines Pkw und für die Beteiligung an der Firma eines Freundes aufgenommen.
Da diese Firma keine Einkünfte erzielt habe, sei der Antragsteller kurze Zeit
später wieder ausgestiegen. In der Folgezeit sei er weitere Verbindlichkeiten
eingegangen. Es sei auch zum Vollzug einer Abtretung gekommen. Trotz der
angespannten Finanzlage habe der Antragsteller seinen Kredit zuletzt im Okto-
ber 2008 nochmals aufgestockt. Die Höhe der Aufstockung und die Verwen-
dung des Geldes habe er gegenüber dem MAD nicht erläutern können. Er habe
eingeräumt, über seine Verhältnisse gelebt zu haben. Seine Schwiegermutter
unterstütze ihn gelegentlich, wobei dies kein Kredit sei. Nach dem Bericht des
MAD verfüge der Antragsteller über Verbindlichkeiten in Höhe von ca.
103 000 €; für einen Vier-Personen-Haushalt verbleibe ihm monatlich ein Be-
trag von 250 € für den Lebensunterhalt.
In seiner Stellungnahme vom 25. Juni 2010 erklärte der Antragsteller, dass sei-
ne finanzielle Situation bis zum Frühjahr 2009 sehr angespannt gewesen sei. Er
sei privat in finanzieller Hinsicht zu nachlässig gewesen; seine starke Fixierung
auf den Beruf habe dazu geführt, die finanziellen Verhältnisse aus den Augen
zu verlieren. Durch die Familiengründung mit drei nachfolgenden dienstlichen
Umzügen und Neuanschaffungen unter leichtfertiger Hilfe der Banken sei die
Situation immer enger geworden. Der Impuls für seine Entscheidung, ein Insol-
venzverfahren zu beantragen, sei durch den finanziellen Engpass aufgrund der
Schulden, durch den Wegfall des Einkommens seiner Frau und durch die Un-
terstützung für seine Mutter entstanden, deren Sozialhilfe nicht nachgezahlt
worden sei. Er zweifle aber nicht daran, dass er seinen Pflichten bei der Aus-
übung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sorgfältig nachkommen werde.
Für Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste sei er
nicht empfänglich.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2010 teilte der Geheimschutzbeauftragte dem An-
tragsteller als weiteren sicherheitserheblichen Umstand die zwischenzeitlich
bekannt gewordene Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10. Dezember 2009
mit und gab ihm auch insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme. Hierzu äußerte
sich der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Oktober 2010 und vom 18. Januar
2011; er legte insbesondere dar, durchgehend seit 1986 und während seines
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Einsatzes im Sudan habe es keine Annäherungen fremder Nachrichtendienste
gegeben. Derartige Kontakte ziehe er selbst grundsätzlich nicht in Erwägung.
Seine ihm derzeit ausgezahlten Bezüge reichten aus, um allen finanziellen Ver-
pflichtungen nachzukommen.
Mit Beschluss vom 7. Oktober 2010 hatte das Amtsgericht W. - Insolvenz-
gericht - ausgesprochen, dass dem Antragsteller Restschuldbefreiung erteilt
werde, wenn er während der Laufzeit der Abtretungserklärung („Wohlverhal-
tensperiode“) die Obliegenheiten gemäß § 295 InsO erfülle und die Restschuld-
befreiung nicht zuvor nach §§ 296 ff. InsO versagt werde. Die Wohlverhaltens-
periode betrage sechs Jahre, beginnend mit der Verfahrenseröffnung am
10. Dezember 2009. Als Treuhänder für die Wohlverhaltensperiode wurde der
bisherige Treuhänder Rechtsanwalt H. aus Wi. eingesetzt. Mit Beschluss vom
26. November 2010 hob das Amtsgericht W. das Verbraucherinsolvenzverfah-
ren über das Vermögen des Antragstellers gemäß § 200 InsO auf, weil die
Schlussverteilung vollzogen war. Mit Schreiben vom 6. Januar 2011 teilte das
Amtsgericht W. dem Treuhänder mit, dass der Aufhebungsbeschluss vom
26. November 2010 rechtskräftig sei; nach Beginn der Wohlverhaltensphase sei
nunmehr das Verfahren nach §§ 292 ff. InsO einzuleiten. Als Wiedervorlagefrist
für die Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag sei der
10. Dezember 2015 notiert.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. März 2011, dem Antragsteller am
5. April 2011 eröffnet, stellte der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt
fest, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) Umstände ergeben habe,
die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Die Entscheidung schließe auch einen Ein-
satz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der Überprüfungsart Ü 1 (Ver-
schlusssachenschutz) aus. Im Dezember 2015 könne bei Bedarf eine Wieder-
holungsüberprüfung eingeleitet werden.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 15. April
2011 Beschwerde ein, die der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit
Bescheid vom 25. Juli 2011 zurückwies. Im Beschwerdebescheid ist ausge-
führt, die tatsächlichen Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des
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Antragstellers im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG beruhten darauf, dass
dieser in eine Überschuldung geraten sei, weil er in der Vergangenheit sein
Ausgabe- und Konsumverhalten nicht an seine Einnahmen angepasst habe.
Das lasse auf Sorglosigkeit und Nachlässigkeit in seiner Lebensführung und
- wegen der Unteilbarkeit des Charakters - auch auf Zuverlässigkeitsdefizite bei
der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit schließen. Mit der
Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens stehe gemäß § 17 InsO die
Zahlungsunfähigkeit als Schuldner objektiv fest. Zwar gebe das Verbraucherin-
solvenzverfahren dem Antragsteller die Möglichkeit, eine Restschuldbefreiung
zu erhalten. Dies rechtfertige jedoch nicht die Annahme positiver Auswirkungen
auf den Sicherheitsüberprüfungsstatus. Es sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt
noch nicht sicher, ob es tatsächlich zu einer Restschuldbefreiung komme. Zu-
sätzlich sei ein Sicherheitsrisiko auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SÜG festzustellen, weil die finanzielle Situation des Antragstellers ihn einer be-
sonderen Gefährdung aussetze, dass fremde Nachrichtendienste ihn durch
Versprechen von finanziellen Zuwendungen zur Mitarbeit bewegen könnten. Da
die Entstehungsgeschichte von Verbindlichkeiten regelmäßig mit der Erhöhung
des Lebensstandards einhergehe und dieser höhere Lebensstandard während
der Dauer der Wohlverhaltensphase nicht gehalten werden könne, könnten Si-
tuationen einer erhöhten Ansprechbarkeit auch im Rahmen der Verbraucherin-
solvenz nicht ausgeschlossen werden. Überdies würden Beschlüsse des zu-
ständigen Amtsgerichts im Rahmen des Insolvenzverfahrens im Internet veröf-
fentlicht. Dadurch werde einem angreifenden Nachrichtendienst eine Identifizie-
rung erleichtert. Der Antragsteller könne deshalb im Interesse der militärischen
Sicherheit, aber auch zu seinem Schutz und dem seiner Familie nicht in einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet werden. Zurzeit lasse sich noch
keine verlässliche Aussage dazu treffen, wie sich in den kommenden Jahren
die finanzielle Situation des Antragstellers entwickeln und wie er mit möglichen
Angeboten finanzieller Zuwendung umgehen werde. Es bedürfe deshalb eines
längeren Zeitabschnitts, um darüber eine gesicherte Aussage treffen zu kön-
nen. Im Zweifel habe das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen.
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Gegen diese ihm am 2. August 2011 eröffnete Entscheidung hat der Antragstel-
ler am 22. August 2011 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts be-
antragt. Den Antrag hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit
seiner Stellungnahme vom 30. November 2011 dem Senat zur Entscheidung
vorgelegt.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller insbe-
sondere vor:
Seit Februar 2009 sei seine Verschuldung bekannt. Gleichwohl sei er bis
Mai 2010 weiter in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit verwendet worden. Diesen
Umstand habe man bei der angefochtenen Entscheidung nicht hinreichend be-
rücksichtigt. Überdies habe der Geheimschutzbeauftragte verkannt, dass durch
das Insolvenzverfahren der finanzielle Druck gemildert werden solle. Deshalb
bestehe gerade nicht die Gefahr für eine Ansprechbarkeit durch fremde Nach-
richtendienste. Er wehre sich vehement gegen die Unterstellung, dass er als
deutscher Staatsbürger und als deutscher Offizier für fremde Nachrichtendiens-
te ansprechbar sei. Das Insolvenzverfahren eröffne aus seiner Sicht insbeson-
dere die Perspektive, dass am Ende der Wohlverhaltensperiode Schuldenfrei-
heit eintrete. Dies sei ein Neuanfang. Es sei für ihn nicht nachzuvollziehen,
dass das Bundesministerium der Verteidigung offenbar meine, dass ein Soldat,
der einen so radikalen Schritt wie die Einleitung eines Insolvenzverfahrens voll-
ziehe, gleichzeitig so dumm sein solle, genau diese großartige Chance leichtfer-
tig wegzuwerfen, indem er Geld von fremden Nachrichtendiensten annehme. Im
Übrigen habe er selbst im Februar 2009 seine Verschuldung dem MAD gemel-
det. Der MAD habe die Einleitung des Insolvenzverfahrens empfohlen und ver-
sichert, dass ihm, dem Antragsteller, hieraus keine Nachteile entstehen würden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streit-
kräfteamt vom 2. März 2011 und den Beschwerdebe-
scheid des Bundesministers der Verteidigung vom 25. Juli
2011 aufzuheben.
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Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er verteidigt den Inhalt des angefochtenen Beschwerdebescheids und führt er-
gänzend aus, dass es sich bei einer Restschuldbefreiung im Rahmen des In-
solvenzverfahrens nicht um einen Automatismus handele. Vielmehr müsse der
Betroffene zuvor den ihm gemäß § 295 InsO obliegenden Verpflichtungen
nachkommen; außerdem sei Voraussetzung, dass keine Versagungsgründe im
Sinne des § 290 InsO vorlägen. Der Umstand, dass der Antragsteller, der viele
Jahre lang über seine finanziellen Verhältnisse gelebt habe, während der Wohl-
verhaltensphase finanziellen Einschränkungen unterliege, begründe die Gefahr
nachrichtendienstlicher Ansprechbarkeit. Eine regelmäßige oder anlassbezoge-
ne Leistung eines fremden Nachrichtendienstes, die am Insolvenzverwalter
„vorbei gehe“, bilde dann durchaus einen „Anreiz“ zur Annahme einer solchen
Leistung. Die Zweifel an der sicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit des Antrag-
stellers resultierten aus dem Umstand, dass er sein Ausgabe- und Konsumver-
halten über einen Zeitraum von über 20 Jahren nicht an seine Einnahmen an-
gepasst habe und mit seinen finanziellen Mitteln sorglos umgegangen sei. Die
zunächst noch fortgesetzte beanstandungsfreie Tätigkeit des Antragstellers im
sicherheitsempfindlichen Bereich stehe einer negativen Prognose nicht ent-
gegen. Die Intention des Sicherheitsüberprüfungsrechts sei es, Entscheidungen
erst auf einer hinreichend gefestigten Erkenntnisgrundlage zu treffen und nicht
vorzeitig für die betroffene Person nachteilige Fakten zu schaffen.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bun-
desministers der Verteidigung - PSZ I 7 - (nunmehr R II 2) - …/11 - und die Per-
sonalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgele-
gen.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach
ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des ent-
sprechenden Bescheids angefochten werden (vgl. Beschlüsse vom 24. Mai
2000 - BVerwG 1 WB 25.00 -
111, 219 und in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 9>, vom 20. Januar 2009
- BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 18 m.w.N., vom 21. Juli 2010 - BVerwG 1 WB
68.09 - Rn. 17
und vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 25
öffentlicht in Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1>).
2. Der Antrag ist auch begründet.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid des Geheimschutzbeauf-
tragten beim Streitkräfteamt vom 2. März 2011 und der Beschwerdebescheid
des Bundesministers der Verteidigung vom 25. Juli 2011 sind rechtswidrig; sie
verletzen den Antragsteller in seinen Rechten.
Die Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ist nach der im
Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister der Verteidi-
gung maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu beurteilen (stRspr, vgl. z.B. Be-
schlüsse vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 -
veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13> und vom 15. Dezember 2009
- BVerwG 1 WB 58.09 - Rn. 17
§ 5 SÜG Nr. 22>).
Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist
eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit aus-
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schließen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB
37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14). Dabei obliegt
es der zuständigen Stelle, aufgrund einer an diesem Zweck orientierten Ge-
samtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf
die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3
Satz 1 und 2 SÜG).
Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person
eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur einge-
schränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle be-
schränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzli-
chen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige
Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen
Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl. z.B. Urteile vom 15. Februar
1989 - BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <264> = Buchholz 236.1 § 59 SG
Nr. 2 und vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> =
Buchholz 442.40 § 29d LuftVG Nr. 1; Beschlüsse vom 11. März 2008 a.a.O.
Rn. 24, vom 1. Oktober 2009 - BVerwG 2 VR 6.09 - juris Rn. 15, vom
21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 30
in Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1>, vom 1. Februar 2011 - BVerwG 1 WB
40.10 - Rn. 22, vom 21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 - Rn. 24 ff.
fentlichung in BVerwGE und in Buchholz vorgesehen> und vom 28. Februar
2012 - BVerwG 1 WB 28.11 - Rn. 25 jeweils m.w.N.).
Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des
hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko be-
reits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit
des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche
fremder Nachrichtendienste begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SÜG).
Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen
(§ 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zu-
gleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Sol-
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daten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein
abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine „Beweislast”, weder für den
Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bis-
her gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass
der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig
nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001
- BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 S. 17, vom 8. März
2007 - BVerwG 1 WB 63.06 - Rn. 22 und vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB
53.08 - Rn. 24; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -
BVerfGE 39, 334 <353>).
Die Feststellung des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt, dass in
der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt, weist unter Berück-
sichtigung dieser Vorgaben entscheidungserhebliche Mängel bei der Sachver-
haltserfassung und keine rechtsfehlerfreie Prognose auf. Überdies trägt sie dem
Gebot der Verhältnismäßigkeit als einem allgemeingültigen Wertmaßstab nicht
Rechnung, weil die fundierte Prüfung eines milderen Mittels als die Feststellung
eines Sicherheitsrisikos unterblieben ist.
Bei der Sachverhaltserfassung hat der Geheimschutzbeauftragte zwar im Ein-
zelnen die Entwicklung der angespannten finanziellen Verhältnisse des Antrag-
stellers seit 1987 und die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens durch
Beschluss des Amtsgerichts W. vom 10. Dezember 2009 dokumentiert. Den
Inhalt der Stellungnahmen des Antragstellers hat der Geheimschutzbeauftragte
ebenso berücksichtigt wie die zugunsten des Antragstellers abgegebene positi-
ve Äußerung seines Vorgesetzten vom 10. Mai 2010.
Es fehlt aber die Würdigung des Umstands, dass am 16. September 2005 eine
erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) für den Antragsteller ohne Einschrän-
kungen abgeschlossen worden ist. Da dem Antragsteller langjähriges Fehlver-
halten in seinen finanziellen Angelegenheiten seit 1987 über einen Zeitraum
von 20 Jahren vorgehalten wird, ist der positive Abschluss des vorangegange-
nen Sicherheitsüberprüfungsverfahrens noch im Jahr 2005 ein abwägungsrele-
vanter sicherheitserheblicher Aspekt.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können sich tatsächliche Anhalts-
punkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrneh-
mung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG)
und/oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversu-
che fremder Nachrichtendienste (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG) und damit ein
Sicherheitsrisiko begründen, aus einer hohen Verschuldung des Betroffenen
ergeben (vgl. z.B. Beschlüsse vom 30. Januar 2001 - BVerwG 1 WB
119.00 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 10, vom 6. September 2007 - BVerwG
1 WB 61.06
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und vom 15. Dezember 2009 - BVerwG 1 WB 58.09 - Buchholz
402.8 § 5 SÜG Nr. 22). Aus der Tatsache einer erheblichen Schuldenlast allein
kann allerdings noch nicht zwingend auf das Bestehen eines Sicherheitsrisikos
geschlossen werden, jedenfalls solange nicht, wie der Soldat seinen finanziel-
len Verpflichtungen nachkommt und eine seiner Dienststellung entsprechende
Lebensführung sicherstellen kann. Deshalb ist stets - auch in Fällen eines In-
solvenzverfahrens des Betroffenen - eine wertende Beurteilung des Einzelfalls
erforderlich (Beschlüsse vom 6. September 2007 - BVerwG 1 WB 61.06 - und
vom 15. Dezember 2009 a.a.O.).
In dem angefochtenen Bescheid wird eine Schuldensituation des Antragstellers
festgestellt, die es diesem unmöglich macht, seinen finanziellen Verbindlichkei-
ten uneingeschränkt und in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Mit der am
10. Dezember 2009 erfolgten Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens
steht die Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers fest (§ 17 i.V.m. § 304 Abs. 1
Satz 1 InsO). Zwar kann bereits der Umstand der Zahlungsunfähigkeit eines
Soldaten die Annahme eines Sicherheitsrisikos durch den Geheimschutzbeauf-
tragten rechtfertigen (Beschlüsse vom 6. September 2007 - BVerwG 1 WB
61.06 - und vom 15. Dezember 2009 a.a.O.). Die angefochtene Entscheidung
enthält aber nicht die insbesondere bei der Prognose notwendige einzelfallbe-
zogene Würdigung der Indizwirkung der Zahlungsunfähigkeit für ein mögliches
Sicherheitsrisiko.
Der Geheimschutzbeauftragte hat mit einer unzureichenden prognostischen
Einschätzung des Sicherheitsrisikos die Grenzen des ihm zustehenden Beurtei-
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lungsspielraums überschritten. Dieser Mangel ist bis zur Vorlage des Verfah-
rens an den Senat nicht geheilt worden.
Bei der Beurteilung, ob ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, hat sich der zu-
ständige Geheimschutzbeauftragte prognostisch zur künftigen Entwicklung der
Persönlichkeit des betroffenen Soldaten und seiner Verhältnisse zu äußern,
denn das Sicherheitsüberprüfungsverfahren dient in besonderem Maße einer
vorbeugenden Risikoeinschätzung, hingegen nicht der repressiven Ahndung
eines Fehlverhaltens. Die zu leistende Gefahreneinschätzung wird unter ande-
rem durch die Frage beeinflusst, ob das (Fehl-)Verhalten des betroffenen Sol-
daten in seinem unmittelbaren dienstlichen Umfeld bereits zu massiven oder
aber geringen oder gar keinen Vertrauenseinbußen geführt hat (Beschluss vom
15. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 29 m.w.N.).
In seiner Prognose hat der Geheimschutzbeauftragte im Fall des Antragstellers
nicht die erforderliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der Stellungnahme
des Disziplinarvorgesetzten vorgenommen. Seine pauschale Formulierung, die-
se Stellungnahme vermöge die sicherheitserheblichen Umstände nicht zu ent-
kräften, reicht insoweit nicht aus. Der Disziplinarvorgesetzte hat in seiner vom
Geheimschutzbeauftragten referierten Äußerung zum Ausdruck gebracht, dass
in der Dienststelle keine Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdig-
keit des Antragstellers bestünden; dieses Bild des Antragstellers könne er
selbst bestätigen. Die Auffassung des Bundesministers der Verteidigung auf
Seite 9 des Vorlageschreibens berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Äuße-
rung eines Disziplinarvorgesetzten jedenfalls eine taugliche Erkenntnisquelle für
die Beurteilung der Frage der persönlichen Integrität des betroffenen Soldaten
darstellt. Sie ist deshalb auch inhaltlich in der Prognose zu würdigen.
Davon abgesehen ist die prognostische Abwägung des Geheimschutzbeauf-
tragten in ihren tragenden Begründungselementen nur auf eine rein abstrakte
Besorgnis gestützt; dies genügt nach der oben zitierten Rechtsprechung des
Senats nicht für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos. In die Abwägung hät-
te der Geheimschutzbeauftragte den Umstand des noch im Jahr 2005 ohne
Einschränkungen oder Auflagen abgeschlossenen Sicherheitsüberprüfungsver-
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fahrens des Antragstellers einbeziehen müssen. Dieser Umstand bildet ein gra-
vierendes Indiz für eine bis 2005 bestehende sicherheitsrechtliche Zuverlässig-
keit und fehlende Gefährdung des Antragstellers für Anbahnungs- und Wer-
bungsversuche fremder Nachrichtendienste. Jedenfalls kann dem Antragsteller
vor diesem Hintergrund nicht pauschal ein 20 Jahre dauerndes sicherheitsrele-
vantes Fehlverhalten in seinem Finanz- und Wirtschaftsgebaren vorgehalten
werden. Außerdem ist das vorliegende Verfahren dadurch gekennzeichnet,
dass der Antragsteller aktenkundig umfassende Bemühungen um eine Konsoli-
dierung seiner Finanzlage unternommen und vor allem seine Situation aus ei-
gener Initiative dem MAD offenbart hat. Ferner ist die Zuspitzung der finanziel-
len Probleme des Antragstellers möglicherweise durch zwei von ihm nicht be-
einflussbare Faktoren, nämlich den Wegfall des Einkommens seiner Ehefrau
und die unerwarteten zusätzlichen Zahlungsverpflichtungen für seine Mutter
entscheidend geprägt.
Alle diese einzelfallbezogenen Gesichtspunkte hätten - gerade auch im Hinblick
auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit (zu dessen Geltung im Sicherheitsüber-
prüfungsrecht: Beschluss vom 24. November 2011 - BVerwG 1 WB 6.09 -) -
eine profunde Prüfung notwendig gemacht, ob angesichts des konstruktiven
und offenen Verhaltens des Antragstellers im gesamten Verfahren anstelle der
Feststellung eines Sicherheitsrisikos bestimmte Auflagen oder Einschränkun-
gen im Sinne der Nr. 2705 Abs. 1 ZDv 2/30 ausreichend sind (vgl. zu den mög-
lichen Modalitäten: Beschluss vom 15. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 31). Diese
Prüfung ist bis zur Vorlage des Verfahrens beim Senat unterblieben.
Die angefochtenen Bescheide sind deshalb aufzuheben (§ 19 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO). Der Geheimschutzbeauftragte hat von Amts
wegen eine neue Entscheidung über die Frage zu treffen, ob in der Person des
Antragstellers ein Sicherheitsrisiko besteht, sofern dieser wieder in sicherheits-
empfindlicher Tätigkeit verwendet werden soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 WBO.
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