Urteil des BVerwG vom 27.04.2010

Altersgrenze, Erstellung, Slv, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 60.09
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Hauptmann ...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...
... -
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die ehrenamtliche Richterin Oberstabsveterinär Dr. Hartmann und
die ehrenamtliche Richterin Stabsarzt Dr. Schwinger
am 27. April 2010 beschlossen:
Die Aufhebungsverfügung des Personalamts der
Bundeswehr vom 3.
Juli 2008 und der
Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der
Verteidigung - PSZ I 7 - vom 25. März 2009 werden
aufgehoben.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem
Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im
vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen
Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Verfügung des Personalamts der
Bundeswehr, mit der seine planmäßige Beurteilung vom 3. Juni 2008
aufgehoben wurde.
Der am .... März ... geborene Antragsteller ist Offizier des militärfachlichen
Dienstes. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich mit Ablauf des ... enden. Seit
dem 16. März 2008 wird er auf seinem derzeitigen Dienstposten „...“ (A 12) im
... der Bundeswehr in L... verwendet. Unter dem 3. Juni 2008 fertigte der
zuständige Bereichsleiter im ... der Bundeswehr für den Antragsteller eine
planmäßige Beurteilung zum Vorlagetermin 31. März 2008 an. Weil Unklarheit
darüber bestand, ob für den Antragsteller zu dem Stichtag noch eine
Beurteilung zu fertigen war, war es zuvor zu Absprachen zwischen dem
Personalbearbeiter beim ... der Bundeswehr und dem Personalführer beim
Personalamt der Bundeswehr gekommen, die damit endeten, dass eine
Beurteilung zu erstellen sei.
Mit der im vorliegenden Verfahren angefochtenen Verfügung des Personalamts
der Bundeswehr - Dezernat I 2 - vom 3. Juli 2008 wurde die Beurteilung vom 3.
Juni 2008 nach ZDv 20/6 Nr. 901 aufgehoben, weil die Bestimmung der ZDv
20/6 Nr. 205a nicht beachtet worden sei. Danach unterbleibe die Erstellung
planmäßiger Beurteilungen für Berufssoldaten fünf Jahre vor dem
Überschreiten der für die Zurruhesetzung geltenden besonderen oder
allgemeinen Altersgrenze. Die Aufhebungsverfügung wurde dem Antragsteller
am 28. August 2008 eröffnet.
Mit seiner Beschwerde vom 1. September 2008, die am selben Tage beim
Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers einging, machte der Antragsteller
geltend, seiner Auffassung nach lägen die Voraussetzungen der ZDv 20/6 Nr.
205a nicht vor, da sein Geburtstag im Beurteilungszeitraum liege und von
diesem Zeitpunkt bis zum Zurruhesetzungstag noch fünf Jahre und drei Tage
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lägen. Er sehe sich gegenüber den Kameraden, die eine Beurteilung erhielten,
bei Durchführung einer Auswahlkonferenz für Dienstposten Stabshauptmann
benachteiligt. Er befürchte daher, aufgrund der Aufhebung der Beurteilung im
hinteren Feld der Wertung für eine eventuelle Auswahl zu landen und damit
nicht berücksichtigt zu werden. Bei den Personalbearbeitern bestehe
Unsicherheit darüber, ob Stichtag für die Regelung der Nr. 205a der
Zurruhesetzungstag oder der Geburtstag sei. Da zur Klärung dieser
Unsicherheiten im Vorfeld der Beurteilung eine Absprache mit dem
Personalamt der Bundeswehr erfolgt sei, sei die jetzige Aufhebung für ihn
unerklärlich.
Eine mit Schreiben vom 5. Februar 2009 eingelegte „Untätigkeitsbeschwerde“
hat der Antragsteller mit Schreiben vom 26. Februar 2009 wieder
zurückgenommen.
Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - hat die Beschwerde des
Antragstellers mit Beschwerdebescheid vom 25. März 2009 zurückgewiesen
und zur Begründung ausgeführt, die Aufhebungsverfügung sei sachgerecht
gewesen und rechtlich nicht zu beanstanden. Das Personalamt der
Bundeswehr habe bei der Überprüfung des Beurteilungsvorganges festgestellt,
dass die Regelung der ZDv 20/6 Nr. 205a Abs. 1 Satz 1 nicht beachtet worden
sei. Danach unterbleibe die Erstellung einer planmäßigen Beurteilung bei
Berufssoldaten fünf Jahre vor dem Überschreiten der für die Zurruhesetzung
geltenden besonderen oder der allgemeinen Altersgrenze. Für die Berechnung
des Fünf-Jahres-Zeitraumes sei nach dem unmissverständlichen Wortlaut von
dem Zeitpunkt vor dem Überschreiten der besonderen Altersgrenze, bei
Hauptleuten also der Vollendung des 55. Lebensjahres, auszugehen. Dagegen
sei nicht auf den Zeitpunkt der Zurruhesetzung abzustellen. Bei Erlass der
Aufhebungsverfügung sei die am 5. Februar 2009 in Kraft getretene Änderung
des „§ 45 Abs. 1 Nr. 5 SG“, wonach die festgesetzte besondere Altersgrenze für
Hauptleute ab dem 1. Januar 2013 um einen Monat angehoben werde, noch
nicht zu berücksichtigen gewesen. Da der Antragsteller am ... 2013 das 55.
Lebensjahr vollenden werde, unterbleibe die Erstellung einer planmäßigen
Beurteilung fünf Jahre vor diesem Zeitpunkt, also ab dem ... 2008. Zum
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Vorlagetermin ... 2008 hätte daher eine planmäßige Beurteilung nicht mehr
angefertigt werden dürfen. Die in der Regelung der ZDv 20/6 Nr. 205a Abs. 1
Satz 2 vorgesehene Ausnahme läge nicht vor. Die im Mai 2008 vom
Grundsatzdezernat des Personalamts der Bundeswehr zunächst
vorgenommene Auslegung, die zur Anforderung der Beurteilung vom 3. Juni
2008 geführt habe, habe sich nach einer späteren Rücksprache mit dem für die
ZDv 20/6 im Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 1 - zuständigen
Referenten als fehlerhaft erwiesen. Daraufhin habe das Dezernat I 1 des
Personalamts der Bundeswehr dem personalführenden Dezernat I 2 die
Aufhebung der Beurteilung empfohlen. Dem Antragsteller seien durch die
Aufhebung der Beurteilung keine laufbahnrechtlichen Nachteile im Hinblick auf
eine gegebenenfalls noch mögliche förderliche Verwendung auf einem A 13g-
wertigen Dienstposten entstanden. In seiner Ausbildungs-
und
Verwendungsreihe seien nur insgesamt vier höher bewertete Dienstposten der
Dotierung A 13g vorhanden, auf denen Stabshauptleute noch längerfristig
verwendet würden. Die Möglichkeit der Nachbesetzung auf einen dieser
Dienstposten bestehe frühestens zum 1. Juli 2012. Nach dem Erlass „Wechsel
in höherwertige Verwendungen - Letzte Verwendung vor Zurruhesetzung“ des
Bundesministeriums der Verteidigung - PSZ I 1 - Az.: 16-32-00/4 - vom 14.
Januar 2008 sollten Verwendungsentscheidungen, die mit der Übertragung
eines höher bewerteten Dienstpostens verbunden seien, spätestens drei Jahre
vor der Zurruhesetzung rechtswirksam werden. Dies bedeute, dass die
Versetzung eines Offiziers des militärfachlichen Dienstes auf einen
höherwertigen Dienstposten der Dotierung A 13g aufgrund einer zu seinen
Gunsten getroffenen Verwendungsentscheidung des Personalamts der
Bundeswehr spätestens drei Jahre vor seinem festgesetzten Dienstzeitende
erfolgt sein müsse. Diese Voraussetzung könne der Antragsteller nicht mehr
erfüllen. Bei einer Versetzung auf den höherwertigen Dienstposten am 1. Juli
2012 sei unter Berücksichtigung des Zurruhesetzungszeitpunkts ... 2013 der
geforderte Mindestzeitraum von drei Jahren nicht mehr gegeben.
Der Beschwerdebescheid wurde dem Antragsteller am 14. April 2009
ausgehändigt. Mit dem am 14. Mai 2009 beim Bundesministerium der
Verteidigung per Telefax eingegangenen Antrag auf Entscheidung des
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Bundesverwaltungsgerichts wendet sich der Antragsteller weiterhin gegen die
Aufhebung seiner Beurteilung. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges
Vorbringen und weist ergänzend darauf hin, dass die im Februar 2009 in Kraft
getretene Änderung des Soldatengesetzes, wonach die besondere
Altersgrenze um einen Monat angehoben worden sei, entgegen der Ansicht des
Bundesministeriums der Verteidigung hier zu berücksichtigen sei. Maßgeblicher
Zeitpunkt sei insoweit die Vorlage des Antrags beim Wehrdienstgericht. Das
Vorbringen, in der Ausbildungs- und Verwendungsreihe des Antragstellers
könne ein Dienstposten der Dotierung A 13g frühestens zum 1. Juli 2012
besetzt werden, werde mit Nichtwissen bestritten. Es könne eine Reihe von
Umständen geben, wie der Tod eines derzeitigen Dienstposteninhabers oder
die haushaltsrechtliche Schaffung weiterer Dienstposten, die zu einer Änderung
der Situation führen könnten.
Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - hat den Antrag auf gerichtliche
Entscheidung mit Vorlageschreiben vom 12. Oktober 2009 dem Senat vorgelegt
und beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung nimmt er auf den Beschwerdebescheid Bezug und führt
ergänzend aus, maßgeblich sei die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der Entscheidung des Personalamts der Bundeswehr, die Beurteilung
vom 3. Juni 2008 aufzuheben. Im Wehrbeschwerdeverfahren wegen
Anfechtung einer Beurteilung bzw. Aufhebung einer Beurteilung sei
entscheidend, welche Vorschriften am Beurteilungsstichtag Gültigkeit gehabt
hätten. Die vom Antragsteller geltend gemachte laufbahnrechtliche
Benachteiligung sei nicht ersichtlich. Seine Hinweise bezögen sich auf
hypothetische Sachverhalte.
Der Senat hat eine amtliche Auskunft des Amtschefs des Personalamts der
Bundeswehr zu den Fragen eingeholt, ob und ggf. in wie vielen vergleichbaren
Fällen eine Regelbeurteilung auf Anforderung des Personalamts oder auch
ohne Anforderung erstellt worden sei und ob auch diese Beurteilungen nach
ZDv 20/6 Nr. 901 aufgehoben worden seien.
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BA I, 40
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Zu diesen Fragen hat sich der Amtschef des Personalamts der Bundeswehr mit
Schreiben vom 15. März 2010 wie folgt geäußert:
„Zu 1.
In der Personalführung von PersABw befinden
sich insgesamt 40 Offiziere in der Laufbahn der
Offiziere des militärfachlichen Dienstes
(OffzMilFD) im Geburtsmonat ... 1958. Hiervon
erhielten elf Offiziere zum 31.03.2008 eine
planmäßige Beurteilung gemäß ZDv 20/6 Ziff.
203a.
In drei Fällen erfolgte deren Erstellung
erlasskonform, da jene drei Offiziere einer
Besoldungsgruppe (BesGrp) angehörten, die
geringer war als die der von ihnen besetzten
Dienstposten (DP). In Fällen, in denen der Soldat
einen DP besetzt, dessen Besoldungshöhe er
noch nicht erreicht hat, ist regelmäßig eine
planmäßige Beurteilung zu erstellen (vgl. ZDv
20/6 Ziff. 205a (1) Satz 2).
Die übrigen acht planmäßigen Beurteilungen
wurden den gültigen Beurteilungsbestimmungen
zuwider erstellt, in zwei Fällen jedoch durch den
zuständigen Personalführer aufgehoben. Eine
dieser aufgehobenen Beurteilungen war für den
Antragsteller erstellt worden.
Soweit eine Aufhebung unterblieben ist, ist dies
auf ein Versäumnis des jeweiligen
Personalführers zurückzuführen.
Zu 2.
Um eine abteilungsübergreifend einheitliche
Behandlung von Beurteilungen zu erreichen, wird
betreffend die Sach- und Rechtslage stets auf
den Beurteilungsstichtag und nicht auf den
Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung selbst
abgestellt.“
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der
Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der
Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: ... - und die Personalgrundakte des Antragstellers -
Hauptteile A bis C - haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
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- 7 -
II
Der Antragsteller hat keinen förmlichen Antrag gestellt. Seinem Vorbringen ist
aber das Begehren zu entnehmen,
die Verfügung des Personalamts der Bundeswehr vom 3.
Juli 2008 und den Beschwerdebescheid des
Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 25.
März 2009 aufzuheben.
1. a) Dieser Antrag ist zulässig. Der Soldat hat zwar keinen Anspruch darauf,
dass seine Beurteilung außerhalb eines förmlichen Beschwerdeverfahrens in
Ausübung der Dienstaufsicht durch einen höheren Vorgesetzten oder durch
personalführende Stellen aufgehoben wird; die Aufhebung einer Beurteilung im
Wege der Dienstaufsicht stellt aber dann eine dienstliche Maßnahme im Sinne
des § 17 Abs. 3 WBO dar, wenn sie gegen den Willen des Soldaten erfolgt
(stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Februar 1986 - BVerwG 1 WB 90.83 -
BVerwGE 83, 113 <114 f.> = NZWehrr 1986, 158 = NVwZ 1988, 64, vom 15.
Oktober 1996 - BVerwG 1 WB 29.96 - BVerwGE 113, 1 = Buchholz 236.11 § 1a
SLV Nr. 1 und zuletzt vom 28. Mai 2008 - BVerwG 1 WB 11.08 -).
b) Für den Antrag ist auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass bei einem Anfechtungsantrag, mit
dem die Aufhebung einer belastenden Maßnahme erreicht werden soll, ein
Rechtsschutzbedürfnis anzunehmen ist. Im vorliegenden Fall hat zwar der
Bundesminister der Verteidigung darauf hingewiesen, dass der Antragsteller mit
einer Verwendung auf einem Dienstposten der Besoldungsgruppe A 13g und
einer anschließenden Beförderung wegen der Nähe zum Zeitpunkt seiner
Zurruhesetzung nicht mehr rechnen könne. Dies schließt aber nicht vor
vornherein aus, dass der Antragsteller noch in irgendeiner Weise Vorteile aus
der ihm erteilten dienstlichen Beurteilung ziehen kann (z.B. im Rahmen einer
kurzfristigen sog. Bedarfsberatung), zumal auch nicht ausgeschlossen ist, dass
die derzeitige Weisungslage hinsichtlich des spätesten Zeitpunkts der
Einweisung in einen höherwertigen Dienstposten noch einmal geändert wird. Im
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Übrigen sind auch Beförderungen innerhalb der letzten zwei Dienstjahre zwar
unüblich, aber rechtlich nicht ausgeschlossen.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Das Personalamt der Bundeswehr hat die dienstliche Beurteilung vom 3. Juni
2008 zu Unrecht aufgehoben. Sie beruht zwar auf einem Verfahrensfehler (a),
das Personalamt der Bundeswehr hat aber sein Ermessen unter Verstoß gegen
den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ausgeübt (b).
Grundlage der angefochtenen Entscheidung ist die ZDv 20/6 (Bestimmungen
über die Beurteilung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in der
Fassung vom Januar 2007) Nr. 901. Danach prüfen die nächsthöheren
Vorgesetzten und die zuständige personalbearbeitende Stelle die Beurteilung
und deren ordnungsgemäßes
Zustandekommen
(Satz 1). Werden
Verfahrensverstöße oder inhaltliche Fehler festgestellt, entscheidet im Rahmen
der Dienstaufsichtspflicht jede oder jeder Vorgesetzte, solange sie oder er mit
der Beurteilung befasst ist, anschließend die personalbearbeitende Stelle, ob
die Beurteilung oder eine Stellungnahme aufgehoben, berichtigt oder ergänzt
werden muss oder ob davon abgesehen werden kann (Satz 2).
a) Die aufgehobene dienstliche Beurteilung verstößt gegen die Regelung in der
ZDv 20/6 Nr. 205a Abs. 1 Satz 1. Nach dieser Bestimmung unterbleibt die
Erstellung planmäßiger Beurteilungen für Berufssoldaten fünf Jahre vor dem
Überschreiten der für die Zurruhesetzung geltenden besonderen oder
allgemeinen Altersgrenze. (Die Ausnahmeregelung des Satzes 2 liegt hier -
auch nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten - nicht vor.) Die vom
Bundesminister der Verteidigung im Beschwerdebescheid vorgenommene
Auslegung, wonach es für den Fünf-Jahres-Zeitraum auf den jeweiligen
Geburtstag, an dem das für die Zurruhesetzung maßgebliche Alter erreicht wird,
und nicht auf den Tag der Zurruhesetzung ankommt, ist rechtlich nicht zu
beanstanden. Abgesehen davon, dass bereits der Wortlaut der Regelung diese
Auslegung nahelegt, kommt es letztlich nur darauf an, wie die Vorschrift in der
Verwaltungspraxis ausgelegt wird. Denn es handelt sich bei der ZDv 20/6 nicht
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um eine Rechtsnorm, sondern um eine Verwaltungsvorschrift, mit der das
Bundesministerium der Verteidigung das ihm nach § 2 Abs. 2 SLV (in der bis
zum 28. September 2009 geltenden Fassung) zustehende Ermessen für sich
und die nachgeordneten Stellen gebunden hat. Außenwirkung gegenüber dem
Soldaten erlangen solche Verwaltungsvorschriften nur mittelbar über den
allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (stRspr, vgl. Beschluss vom
28. Mai 2008 - BVerwG 1 WB 19.07 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 44). Eine - wie
hier - an Verwaltungsvorschriften orientierte ständige Verwaltungspraxis
verpflichtet zur Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle; andererseits kann der
Soldat nur (und nicht mehr als) eine Behandlung entsprechend der gleichmäßig
vollzogenen Verwaltungsvorschrift beanspruchen. Die tatsächlich geübte
Verwaltungspraxis ist auch insofern von Bedeutung, als eine bestehende
Ermessensbindung durch eine hiervon abweichende Praxis aus sachgerechten
Erwägungen für die Zukunft geändert werden kann (vgl. Beschluss vom 26.
Juni 2007 - BVerwG 1 WB 12.07 - Buchholz 449.2 § 40 SLV 2002 Nr. 3
m.w.N.).
Der vom Antragsteller präferierten Auslegung der Regelung steht daher außer
dem Wortlaut auch die Verwaltungspraxis entgegen. Auch wenn es zunächst
offenbar im Bereich des Personalamts der Bundeswehr Unsicherheiten bei der
Auslegung der Vorschrift gegeben hat, sind diese jedenfalls seit der Klarstellung
durch das für die ZDv 20/6 zuständige Referat PSZ I 1 des Bundesministeriums
der Verteidigung ausgeräumt worden.
Maßgeblich für die Frage, ob die Beurteilung auf einem Verfahrensverstoß im
Sinne der ZDv 20/6 Nr. 901 Satz 2 beruht, ist die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt des Beurteilungsstichtags (vgl. Beschluss vom 15. Mai 2003 -
BVerwG 1 WB 10.03 - BVerwGE 118, 197 <200> = Buchholz 236.110 § 2 SLV
2002 Nr. 2). An dem Stichtag ... 2008 war für die Zurruhesetzung des
Antragstellers noch die Vorschrift des § 45 Abs. 2 Nr. 4 SG in der bis zum 11.
Februar 2009 gültigen Fassung maßgeblich. Danach galt für Hauptleute als
besondere Altersgrenze die Vollendung des 55. Lebensjahres. Dies wird bei
dem Antragsteller der ... 2013 sein. Demnach lag der Beurteilungsstichtag ...
2008 innerhalb des Zeitraums von fünf Jahren vor diesem Datum, sodass nach
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der ZDv 20/6 Nr. 205a Abs. 1 Satz 1 eine planmäßige Beurteilung nicht zu
erstellen war.
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Die spätere Heraufsetzung der Altersgrenze in § 96 Abs. 1 Nr. 5 SG in der
Fassung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I
S. 160 <252 f.>) ändert daran nichts, weil sie erst nach dem
Beurteilungsstichtag in Kraft getreten ist.
b) Wie die Regelung der ZDv 20/6 Nr. 901 Satz 2 zeigt, steht es auch bei
Vorliegen eines Verfahrensverstoßes oder eines inhaltlichen Fehlers der
Beurteilung im pflichtgemäßen Ermessen der personalbearbeitenden Stelle, ob
sie die Beurteilung aufhebt oder ob davon abgesehen wird. Die angefochtene
Aufhebungsverfügung und der Beschwerdebescheid des Bundesministers der
Verteidigung lassen schon nicht erkennen, ob und mit welcher Begründung das
Ermessen betätigt wurde (vgl. dazu Beschluss vom 18. August 2004 - BVerwG
1 WB 8.04 - NZWehrr 2005, 118). Unabhängig davon verstößt die
Ermessensausübung jedenfalls gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1
GG. Nach der vom Amtschef des Personalamts der Bundeswehr erteilten
amtlichen Auskunft wurden für 11 Offiziere des militärfachlichen Dienstes mit
dem Geburtsmonat März 1958, die demnach im März 2013 die besondere
Altersgrenze des § 45 Abs. 2 Nr. 4 SG a.F. erreichen, zum Stichtag 31. März
2008 eine planmäßige Beurteilung erstellt. Davon lag in drei Fällen die in der
ZDv 20/6 Nr. 205a Abs. 1 Satz 2 vorgesehene Ausnahme vor, in den übrigen
acht Fällen verstieß die Erstellung der Beurteilung gegen die Regelung der ZDv
20/6 Nr. 205a Abs. 1 Satz 1. Das Personalamt der Bundeswehr hat aber nur im
Falle des Antragstellers und eines weiteren Offiziers von der Möglichkeit
Gebraucht gemacht, die Beurteilung nach ZDv 20/6 Nr. 901 Satz 2 aufzuheben,
während in den übrigen sechs Fällen die Aufhebung unterblieb, ohne dass ein
sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung der betroffenen Soldaten
dargetan wurde. Vielmehr hat der Amtschef lediglich ausgeführt, soweit eine
Aufhebung unterblieben sei, sei dies „auf ein Versäumnis des jeweiligen
Personalführers“ zurückzuführen. Dies allein rechtfertigt aber eine
unterschiedliche Behandlung nicht, sodass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG
vorliegt. Wie die Ausführungen des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7
- in seinem Schriftsatz vom 19. März 2010 zeigen, ist auch nicht davon
auszugehen, dass noch weitere dienstliche Beurteilungen aufgehoben werden
sollen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1
WBO.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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