Urteil des BVerwG vom 24.11.2009

Persönliche Anhörung, Unterhaltspflicht, Überprüfung, Pfändung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 6.09
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Hauptmann
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Schwörer und
den ehrenamtlichen Richter Hauptmann Detlefsen
am 24. November 2009 beschlossen:
Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im
Bundesministerium der Verteidigung vom 4. April
2008 wird aufgehoben.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bun-
desverwaltungsgericht erwachsenen notwendigen
Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3)
durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung.
Der 1966 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit
voraussichtlich mit Ablauf des 31. Januar 2021 enden wird. Zum Hauptmann
wurde er am 16. März 2006 ernannt. Zum 1. April 2001 wurde er zur Deutschen
Militärischen Verbindungsgruppe in B. auf den Dienstposten eines
Nachrichtenoffiziers versetzt. Nach dem Entzug der Ermächtigung zum Zugang
zu Verschlusssachen der Stufe „Streng Geheim“ wurde der Antragsteller vom 1.
März 2004 bis 28. Februar 2005 zur Dienstleistung in das ...amt in Bonn
kommandiert und zum 1. Januar 2006 zum Kommando ... Aufklärung in R.
versetzt, wo er keine sicherheitsempfindlichen Aufgaben wahrnahm. Seit dem
4. Oktober 2006 wird er im ... verwendet, zunächst in B. als
Personalorganisationsoffizier und seit dem 1. Juli 2008 in S. als
Fachinformationsoffizier
...
. Er ist weiterhin nicht
in einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt.
Für den Antragsteller wurde zuletzt am 5. Oktober 1998 eine erweiterte
Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) ohne Erkenntnisse
abgeschlossen.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2006 schloss der Geheimschutzbeauftragte im
Bundesministerium der Verteidigung für den Antragsteller die erweiterte
Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) mit der Feststellung
eines Sicherheitsrisikos ab. Er stützte diese Entscheidung darauf, dass der
Antragsteller in Höhe von 32 269 € verschuldet sei und von September 1999 bis
Juni 2003 keinen Unterhalt an seine Kinder aus zwei früheren Ehen gezahlt
habe. Dagegen beantragte der Antragsteller die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts. Mit Beschluss vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB
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63.06 - verpflichtete der Senat - unter Aufhebung des Bescheids vom 22. Mai
2006 - den Bundesminister der Verteidigung zur Neubescheidung der Frage, ob
in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt. Für diesen
Beschluss war unter anderem maßgeblich, dass vor der Feststellung eines
Sicherheitsrisikos der aktuelle Schuldenstand des Antragstellers sowie seine
laufenden Verpflichtungen nicht ermittelt worden waren und dass die
erforderliche Prognose fehlerhaft war.
Daraufhin forderte der Geheimschutzbeauftragte den Antragsteller mit
Anhörungsschreiben vom 22. Oktober 2007 und vom 23. November 2007 zur
Angabe seines Restschuldenstandes und zur Stellungnahme zu den
unterlassenen Unterhaltszahlungen auf. Er wies darauf hin, dass der
Antragsteller die hohen Rückstände bei den Unterhaltszahlungen für seine
Kinder in der Vergangenheit zwar stark reduziert habe. Durch sein - auch
strafrechtlich relevantes - Verhalten habe er aber anscheinend billigend in Kauf
genommen, dass seine Kinder zeitweise in wirtschaftliche Schwierigkeiten
geraten könnten. Diese Handlungsweise deute auf einen Charaktermangel hin
und könne als tatsächlicher Anhaltspunkt gewertet werden, der Zweifel an
seiner Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit begründe. Der Antragsteller
äußerte sich mit Schreiben vom 31. Oktober 2007 und vom 5. Dezember 2007;
er legte unter dem 12. März 2008 eine Mitteilung der Wehrbereichsverwaltung
... vom 11. März 2008 vor, der zufolge alle dort bekannten Forderungen gegen
den Antragsteller „im April 2008 schuldbefreiend ausgekehrt“ würden; der
Antragsteller sei nach Aktenlage schuldenfrei.
Mit Schreiben vom 4. April 2008 teilte der Geheimschutzbeauftragte dem
Antragsteller mit, dass er trotz der vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen
gehalten sei, die Sicherheitsüberprüfung mit der Feststellung eines
Sicherheitsrisikos abzuschließen. Der Antragsteller habe nicht nachvollziehbar
darlegen können, warum er über einen Zeitraum von fast sieben Jahren - von
1999 bis 2006 - seiner Verpflichtung, Kindesunterhalt zu zahlen, nicht
nachgekommen sei. Die Verletzung der Unterhaltspflicht stelle eine
Dienstpflichtverletzung dar. Seine Argumentation, von den Unterhaltsleistungen
abgesehen zu haben, um auf diese Weise ein Umgangsrecht bezüglich der
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Kinder zu erreichen, dokumentiere, dass er bereit sei, Rechtspositionen anderer
Personen zur Durchsetzung seiner eigenen Interessen zu ignorieren. Erst
während des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens sei
eine nachhaltige
Begleichung der ausstehenden Forderungen erfolgt. Deshalb bestünden Zweifel
an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der Wahrnehmung einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Zurzeit sei
eine günstige
Prognoseentscheidung nicht möglich, weil noch nicht abschließend beurteilt
werden könne, ob er erneut seine persönlichen Interessen vor das
Allgemeininteresse stellen werde. Unter Hinweis auf die von der
Wehrbereichsverwaltung West bestätigte Begleichung aller ausstehenden
Forderungen ließ der Geheimschutzbeauftragte die Einleitung einer erneuten
Sicherheitsüberprüfung zum April 2011 zu, sofern der Antragsteller dann für
eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit eingeplant sei.
Mit Bescheid vom 4. April 2008, der dem Antragsteller nach Mitteilung des
Bundesministers der Verteidigung am 28. April 2008 eröffnet wurde, stellte der
Geheimschutzbeauftragte fest, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit
Sicherheitsermittlungen (Ü 3) Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko
darstellten; die Entscheidung schließe auch einen Einsatz in einer
sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach Ü
1/Ü
2 aus; einer
Wiederholungsüberprüfung in drei Jahren werde zugestimmt.
Dagegen beantragte der Antragsteller am 13. Mai 2008 die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts. Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 -
hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2009 dem Senat
vorgelegt.
Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Die Feststellung des Sicherheitsrisikos beruhe auf einem unzutreffenden
Sachverhalt. Es sei nicht richtig, dass er seinen Kindern über einen Zeitraum
von fast sieben Jahren Unterhalt schuldig geblieben sei. Nachdem sich seine
erste Ehefrau Anfang der 90er Jahre von ihm getrennt habe, sei der
Kindesunterhalt für den Sohn ... zur Höhe streitig geworden. Seine ehemalige
Ehefrau habe daraufhin einen Titel erwirkt und auf Pfändung bestanden, obwohl
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er, der Antragsteller, eine freiwillige Forderungserfüllung angeboten habe. Der
Unterhalt für den Sohn .. sei bis Oktober 2006 im Wege der Pfändung vom
Gehalt monatlich einbehalten worden. Durch die Trennung von seiner zweiten
Ehefrau im Jahr 1999 sei er in eine tiefe Lebenskrise geraten. Seinerzeit habe
er geglaubt, durch Verweigerung der Unterhaltszahlungen mit seiner Frau ins
Gespräch zu kommen; dabei sei es ihm vor allem darum gegangen, seine drei
Kinder (aus der zweiten Ehe) regelmäßig zu sehen, um mit ihnen Umgang zu
pflegen. Seine zweite Ehefrau habe darauf mit Unterhaltsklagen reagiert. Ab
Januar 2001 habe er die bezüglich des Kindesunterhalts ausgebrachten
Gehaltspfändungen regelmäßig bedient. Im März 2008 habe ihm - nach seinen
Bemühungen um Klärung der finanziellen Situation
-
die
Wehrbereichsverwaltung mitgeteilt, dass er Gehalt in Höhe von rund 16 000 €
brutto nachgezahlt erhalte. Eine Überprüfung habe ergeben, dass der
kinderbezogene Ortszuschlag über Jahre irrtümlich an seine zweite Ehefrau
ausgezahlt worden sei. Mit diesem Betrag habe er dann sämtliche Altschulden
getilgt. Damit habe er gezeigt, dass er seine Zahlungsverpflichtungen auch
hinsichtlich des Kindesunterhaltes ernst nehme und nicht erst durch das
Sicherheitsüberprüfungsverfahren zu einem verantwortungsvollen Handeln in
Geldangelegenheiten veranlasst worden sei.
Der Antragsteller beantragt,
den Bundesminister der Verteidigung unter Aufhebung
des Bescheides des Geheimschutzbeauftragten im
Bundesministerium der Verteidigung vom 4. April 2008 zu
verpflichten, ihn, den Antragsteller, über das Bestehen
eines Sicherheitsrisikos unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts mit der Maßgabe neu zu
bescheiden, ihm die Sicherheitsstufe Ü 3, hilfsweise die
Sicherheitsstufe Ü 2 zu erteilen.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Geheimschutzbeauftragte habe den ihm zustehenden
Beurteilungsspielraum bei der Feststellung eines Sicherheitsrisikos nicht
überschritten. Der Antragsteller sei seiner Pflicht, Kindesunterhalt zu zahlen,
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über mehrere Jahre hinweg nicht nachgekommen. Die
Unterhaltspflichtverletzung stelle ein sehr ernst zu nehmendes Versagen dar.
Das Verhalten des Antragstellers belege, dass er seinen privaten Interessen
den Vorrang vor den ihm gesetzlich obliegenden Verpflichtungen einräume.
Auch
sein
früheres
leichtfertiges
Schuldenmachen sei aus
sicherheitserheblicher Sicht bedeutsam. Obwohl der Antragsteller seine
Schulden inzwischen beglichen habe, dürfe nicht außer Betracht bleiben, dass
noch zu Beginn des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens ein Schuldenstand von
rund 34 000 € bestanden habe. Das lasse Rückschlüsse auf die Persönlichkeit
des Antragstellers zu und berühre seine dienstlichen
Verwendungsmöglichkeiten.
Mit Schriftsatz vom 16. April 2009 hat der Bundesminister der Verteidigung den
Zeitraum der unterlassenen Kindesunterhaltszahlungen auf die Jahre 1999 bis
2001 reduziert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der
Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 466/08 -, die Gerichtsakte BVerwG 1 WB 63.06
und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, haben dem
Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid des
Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 4. April
2008 ist zulässig und begründet.
Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
Vorlage durch den Bundesminister der Verteidigung maßgeblich (stRspr,
Beschlüsse vom 8. November 1994 - BVerwG 1 WB 64.94 - BVerwGE 103, 182
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= NZWehrr 1995, 27 und vom 13. November 2009 - BVerwG 1 WDS-VR 6.09 -
m.w.N.).
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Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist
eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit
ausschließen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB
37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14). Die Beurteilung
des Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose der künftigen Entwicklung
der Persönlichkeit des Soldaten und seiner Verhältnisse darstellt, darf sich
dabei nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis
stützen, sondern muss auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunkte getroffen
werden. Dabei gibt es keine „Beweislast”, weder für den Soldaten dahingehend,
dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und
künftig wahren wird, noch für den zuständigen Geheimschutzbeauftragten, dass
der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig
nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001 -
BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 und vom 8. März 2007 -
BVerwG 1 WB 63.06 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL
13/73 - BVerfGE 39, 334 <353>).
Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der ihm hiernach obliegenden
Entscheidung ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle
beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den
gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt,
allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen
angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl.
Beschlüsse vom 18. August 2004 - BVerwG 1 WB 37.04 -
veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 18> m.w.N. und vom 22. Juli 2009
- BVerwG 1 WB 53.08 -).
Die Feststellung des - hier zuständigen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i.V.m. Nr.
2416 ZDv 2/30 Teil C) - Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der
Verteidigung, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko
vorliegt, verletzt die vorgenannten Maßgaben.
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Der Geheimschutzbeauftragte ist bei der Feststellung eines Sicherheitsrisikos
von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
Als maßgeblichen sicherheitserheblichen Umstand hat er in seinem
Begründungsschreiben vom 4. April 2008 ausgeführt, dass der Antragsteller
fast sieben Jahre lang - von 1999 bis 2006 - den Unterhalt für seine Kinder aus
erster und zweiter Ehe nicht gezahlt habe. Der Bundesminister der Verteidigung
hat diese Zeitangabe in der Vorlage an den Senat nicht korrigiert, sondern im
Sinne eines „jahrelangen Zeitraums“ bzw. einer Unterlassung „über mehrere
Jahre hinweg“ (Seiten 3 und 6 der Vorlage vom 27. Januar 2009) bestätigt. Im
vorangegangenen Verfahren BVerwG 1 WB 63.06 hatte er hingegen in seiner
Vorlage vom 9. November 2006 erklärt, der Antragsteller habe von September
1999 bis Juni 2003 keinen Kindesunterhalt gezahlt. Dem war der Antragsteller
seinerzeit mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. Dezember 2006
entgegen getreten und hatte lediglich die „vorübergehende“ Einstellung der
Unterhaltszahlungen eingeräumt. Die nunmehr als maßgeblich bezeichnete
Verlängerung des Zeitraums der unterlassenen Unterhaltszahlungen auf fast
sieben Jahre ist weder in dem zitierten Begründungsschreiben des
Geheimschutzbeauftragten noch in der Vorlage vom 27. Januar 2009 erläutert
und begründet worden. Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller
demgegenüber mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. März 2009
konkret
dargelegt, dass er ab Januar 2001 die ausgebrachten
Gehaltspfändungen hinsichtlich des Kindesunterhalts regelmäßig bedient habe.
Dem hat der Bundesminister der Verteidigung nicht widersprochen, sondern im
Schreiben vom 16. April 2009 den Zeitraum der gänzlich unterlassenen
Kindesunterhaltszahlungen auf den Zeitraum „von 1999 bis 2001“ begrenzt.
Daher geht der Senat davon aus, dass sich der Zeitraum der unterlassenen
Kindesunterhaltszahlungen auf 16 Monate beschränkt, denn seine pauschale
Aussage „bis 2001“ (offenbar einschließlich des ganzen Jahres) hat der
Bundesminister der Verteidigung nicht belegt.
Zwar können sich tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SÜG, Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C Zweifel an der Zuverlässigkeit des
Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und
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damit ein Sicherheitsrisiko begründen, nach der Rechtsprechung des Senats
unter anderem daraus ergeben, dass der Betroffene ein Dienstvergehen
begangen hat, das auch ohne speziellen Bezug zu
Geheimhaltungsbestimmungen ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung
erkennen lässt (vgl. Beschlüsse vom 9. November 2005 - BVerwG 1 WB 19.05
- Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 19 und vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB
17.05 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 20 = NZWehrr 2006, 153). In
Übereinstimmung hiermit nennt Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv
2/30 Teil C (Anlage C 18) als Beispiel für entsprechende Anhaltspunkte
Verstöße des Betroffenen gegen Dienstpflichten. Die gänzliche Verweigerung
der Zahlung des Kindesunterhalts kann die Dienstpflicht eines Soldaten aus §
17 Abs. 2 Satz 2 SG auf Wahrung seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit
verletzen (Urteil vom 7. Mai 1992 - BVerwG 2 WD 2.92 - BVerwGE 93, 242 =
NZWehrr 1992, 259).
Unabhängig davon, dass gegen den Antragsteller kein Strafverfahren wegen
Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 170 StGB eingeleitet wurde, ist das ihm
vorgeworfene Verhalten an den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift
zu messen, auf die auch der Bundesminister der Verteidigung ausdrücklich
verweist. Danach entzieht sich der Unterhaltspflicht, wer - trotz bestehender
tatsächlicher Leistungsfähigkeit - das, was er aufgrund einer gesetzlichen
Unterhaltspflicht zu leisten verpflichtet ist, ganz oder teilweise nicht leistet;
Tathandlung ist somit die Nichtgewährung von Unterhalt, also ein echtes
Unterlassen (Dippel in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl. 2005, § 170
Rn. 38, 43). Unerheblich ist hingegen, auf welche Weise die Unterhaltspflicht
erfüllt wird. Auch die Leistung aufgrund einer Gehaltspfändung ist eine Erfüllung
der Unterhaltspflicht.
Maßgeblich für die vorgeworfene Unterlassung sind mithin die Zeiträume der
unterbliebenen Unterhaltszahlungen, die sich nach dem Dargelegten nicht auf
fast sieben Jahre, sondern auf 16 Monate erstrecken. Damit ist der vom
Geheimschutzbeauftragten im maßgeblichen Zeitpunkt der rechtlichen
Beurteilung zugrunde gelegte Sachverhalt unrichtig. Schon dieser Umstand
führt zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung.
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Daraus folgen zudem
durchgreifende Zweifel daran, dass der
Geheimschutzbeauftragte
den allgemeingültigen Wertmaßstab des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei seiner Entscheidung angemessen
berücksichtigt hat.
Zu den allgemeingültigen Wertmaßstäben gehört der aus dem
Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, dessen wesentliche Komponente die Proportionalität
darstellt. Sie setzt voraus, dass eine Maßnahme oder Beeinträchtigung nicht
außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen darf, dass sie bei einer
Gesamtbewertung angemessen und deshalb für den Betroffenen zumutbar sein
muss. Zur Prüfung dieser Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sind neben
einer Abwägung aller relevanten Belange insbesondere auch die
Besonderheiten des Einzelfalles zur berücksichtigen (Beschluss vom 15. Juli
2008 - BVerwG 1 WDS-VR 11.08 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 46 m.w.N. zum
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Beurteilungsspielraums bei
einer Eignungsprüfung). Der vorliegende Einzelfall ist dadurch gekennzeichnet,
dass die Zeitspanne der gänzlich unterlassenen Unterhaltszahlungen mehr als
acht Jahre zurückliegt. Überdies können dem Antragsteller seine früheren
Schulden, die er vor Rechtshängigkeit des Verfahrens vollständig beglichen hat,
nicht mehr pauschal als Sicherheitsrisiko vorgehalten werden (vgl. Beschluss
vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, Beschlussabdruck Rn. 26).
Dementsprechend hat der Geheimschutzbeauftragte in seinem Schreiben an
den Antragsteller vom 22. Oktober 2007 selbst ausgeführt: „Sollte sich Ihre
finanzielle Lage mittlerweile derart entspannt darstellen, wäre diesbezüglich hier
kein Sicherheitsrisiko mehr festzustellen.“
Bei dieser Sachlage drängt sich die Frage auf, ob der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz statt der Feststellung eines Sicherheitsrisikos
nicht eine Auflage, eine Einschränkung oder einen personenbezogenen
Sicherheitshinweis im Sinne der Nr. 2705 Abs. 1 ZDv 2/30 Teil C gefordert
hätte. Die vom Geheimschutzbeauftragten getroffene Entscheidung enthält
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dazu keine plausiblen Erwägungen und erweist sich deshalb als disproportional
zum Schutzzweck des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. SÜG.
Angesichts dieser Mängel ist auch die erforderliche Prognose fehlerhaft (vgl.
zum Erfordernis einer Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit
des Antragstellers und seiner Verhältnisse Beschlüsse vom 8. März 2007 -
BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 -
Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13, vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 -
BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 und vom 22. Juli 2009 -
BVerwG 1 WB 53.08 -). Eine rechtsfehlerfreie Prognose setzt in jedem Fall
einen vollständig und richtig ermittelten Sachverhalt voraus.
Im Übrigen ist das vom Bundesminister der Verteidigung erstmalig in der
Vorlage an den Senat in das Verfahren eingeführte „leichtfertige
Schuldenmachen“ nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung des
Geheimschutzbeauftragten selbstständig zu tragen. Insoweit sind die Grenzen
des Beurteilungsspielraums des Geheimschutzbeauftragten nicht eingehalten,
weil ein Verfahrensfehler vorliegt.
Nach ständiger Rechtsprechung des 2. Wehrdienstsenats des
Bundesverwaltungsgerichts stellt allerdings das leichtfertige Schuldenmachen
einen eigenständigen Vorwurf gegen einen Soldaten dar, der seine
Verwendung in sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten berührt und ihn in
vielfältiger Weise zu einem Sicherheitsrisiko werden lässt (z.B. Urteile vom 7.
Mai 1992 a.a.O., vom 18. Juni 1996 - BVerwG 2 WD 10.96 - BVerwGE 103,
343 <345> = Buchholz 235.0 § 34 WDO Nr. 15 und vom 27. Januar 2000 -
BVerwG 2 WD 28.99 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 16).
Auch ist es dem Bundesminister der Verteidigung unbenommen, spätestens in
der Vorlage an den Senat weitere tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme
eines Sicherheitsrisikos im Sinne des § 5 Abs. 1 SÜG - in Ergänzung einer
angefochtenen Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten - in das Verfahren
einzuführen. Denn für die gerichtliche Überprüfung der Feststellung eines
Sicherheitsrisikos ist die Sach- und Rechtslage maßgeblich, die im Zeitpunkt
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der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister der Verteidigung an den
Senat besteht (Beschluss vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 - m.w.N.).
Bei einer Ergänzung tatsächlicher Anhaltspunkte geht der Senat grundsätzlich
davon aus, dass dies mit Zustimmung des Geheimschutzbeauftragten und nach
dessen neuerlicher Beurteilung des Sachverhalts erfolgt (Beschluss vom 27.
September 2007 a.a.O.). Der Bundesminister der Verteidigung bleibt dann aber
verpflichtet, die aus § 14 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 SÜG
resultierende ordnungsgemäße (persönliche) Anhörung des betroffenen
Soldaten zu diesen - neuen - Tatsachen sicherzustellen (Beschluss vom 27.
September 2007 a.a.O.). Zu dem Vorwurf des „leichtfertigen Schuldenmachens“
ist der Antragsteller jedoch in den Anhörungsschreiben vom 22. Oktober 2007
und vom 23. November 2007 vom Geheimschutzbeauftragten nicht gehört
worden. Bis zur Vorlage des Verfahrens an den Senat ist eine solche Anhörung
auch nicht nachgeholt worden.
Der Senat hat davon abgesehen, den Bundesminister der Verteidigung zur
Neubescheidung zu verpflichten. Der zuständige Geheimschutzbeauftragte hat
eine Entscheidung im Sinne des § 14 SÜG von Amts wegen vorzunehmen,
wenn der Antragsteller (wieder) in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
verwendet werden soll (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SÜG, Nr. 2403 Satz 1 ZDv 2/30 Teil
C). Nach dem Inhalt der Akten ist zur Zeit nicht ersichtlich, ob und ab wann der
Antragsteller auf einem Dienstposten verwendet werden soll, der mit der
Wahrnehmung sicherheitsempfindlicher Tätigkeiten verbunden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 WBO.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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