Urteil des BVerwG vom 30.05.2012

Strafbefehl, Diebstahl, Beleidigung, Bedrohung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 58.11
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Stabsfeldwebel …,
…,
…,
- Bevollmächtigte:
…,
…-
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz als Vorsitzende,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Fuhrmann und
den ehrenamtlichen Richter Oberfeldwebel Lach
am 30. Mai 2012 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 - Sabotageschutz) durch den Ge-
heimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt.
Der 1963 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraus-
sichtlich mit Ablauf des 28. Februar 2018 enden wird. Er wurde mit Wirkung
vom 1. April 2010 zum Stabsfeldwebel ernannt. Seit dem 1. Januar 2009 wird er
beim Abgesetzten Bereich … in U. verwendet. Er war seit dem 21. Februar
2011 zunächst zum Zentrum für … und ist nunmehr seit dem 28. November
2011 zum …bataillon … in S. kommandiert. Dort übt er keine sicherheitsemp-
findliche Tätigkeit aus.
Da der Antragsteller in einem Bereich eingesetzt werden sollte, der dem vor-
beugenden personellen Sabotageschutz gemäß § 1 Abs. 4 SÜG unterliegt, be-
auftragte der zuständige Sicherheitsbeauftragte am 15. Januar 2010 den Militä-
rischen Abschirmdienst (MAD) mit einer einfachen Sicherheitsüberprüfung
(Ü 1). Im Rahmen dieses Verfahrens wurden folgende strafrechtliche Verurtei-
lungen des Antragstellers bekannt:
Das Amtsgericht L. setzte gegen den Antragsteller mit Strafbefehl vom
12. November 2007 wegen des Tatvorwurfs der Beleidigung und Bedrohung in
zwei Fällen eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 50 € fest.
Im Strafbefehl wurde dem Antragsteller folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
„1. Am 17.06.2007 beleidigten Sie in Bad W. Frau B. mit
den Worten: ‚blöde Kuh und daube Bix’, um Ihre Missach-
tung auszudrücken. Zudem drohten Sie ihr mit den Wor-
ten: ‚Ich schlag dir mit dem Hammer den Schädel ein.’
2. Am 09.09.2007 beleidigten Sie Frau B. mit den Worten:
‚dreckige Schlampe’, um Ihre Missachtung auszudrücken
und bedrohten sie mit den Worten: ‚Pass nur auf, ich bring
dich noch um. Ich jag dich, bis du verreckst.’“
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Auf den auf die Rechtsfolgen beschränkten Einspruch des Antragstellers änder-
te das Amtsgericht L. mit Urteil vom 22. Januar 2008 (Az.: …) den Strafbefehl
ab und verurteilte den Antragsteller zu einer Gesamtgeldstrafe von
30 Tagessätzen zu je 30 €. In den gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzten
Gründen nahm das Gericht wegen des festgestellten Sachverhalts, der rechtli-
chen Würdigung und der angewandten Strafvorschriften auf den Strafbefehl
Bezug. Das Urteil ist seit dem 22. Januar 2008 rechtskräftig.
Mit Einstellungsverfügung vom 17. März 2009 stellte der Kommandeur des
…kommandos der Luftwaffe das gegen den Antragsteller eingeleitete sachglei-
che gerichtliche Disziplinarverfahren ein; er stellte zugleich fest, dass der An-
tragsteller ein Dienstvergehen begangen habe. Diese Verfügung hat der An-
tragsteller nicht angefochten.
Mit Strafbefehl vom 9. Februar 2009 (Az.: …), rechtskräftig seit dem
28. Februar 2009, verhängte das Amtsgericht R. gegen den Antragsteller we-
gen Diebstahls eine Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 30 €. Im
Strafbefehl wurde dem Antragsteller zur Last gelegt, am 30. Dezember 2008
gegen 12.40 Uhr in den Geschäftsräumen der Firma R. in … We.,
…-Straße 108, eine FC-Bayern-Jacke und eine FC-Bayern-Hose im Wert von
59,90 € entwendet zu haben, um die Ware ohne Bezahlung für sich zu behal-
ten.
Nach Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 (nunmehr
R II 2) - machte der Antragsteller in der Befragung durch den MAD am 5. Mai
2009 Angaben zu dem Tatvorwurf der Beleidigung und Bedrohung, ohne das
Verfahren wegen des Diebstahlsvorwurfs zu erwähnen. In einer weiteren Befra-
gung durch den MAD am 19. November 2009 äußerte sich der Antragsteller
auch zu dem Diebstahl und erklärte, es sei nicht seine Absicht gewesen, die
Bekleidungsstücke zu stehlen. Er habe sich mit seiner Tochter in dem Geschäft
aufgehalten. Diese habe plötzlich dringend die Toilette aufsuchen müssen. Er
habe sich daraufhin mit seiner Tochter auf die Suche nach einer Toilette bege-
ben und dabei den Kassenbereich des Geschäfts mit den unbezahlten Klei-
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dungsstücken passiert. Als er bemerkt habe, dass er im Besitz unbezahlter Wa-
re sei, habe er versucht, eine Kassiererin zwecks Bezahlung aufzusuchen. In
diesem Moment sei er jedoch von einem Ladendetektiv gestellt worden. Er ha-
be den Diebstahl zunächst eingeräumt, um das Geschäft schnell verlassen zu
können. Es sei nicht seine Absicht gewesen, das Diebstahlsverfahren in der
ersten Befragung zu verheimlichen; er habe es schlicht und einfach vergessen.
Der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt bewertete die strafrechtli-
chen Verurteilungen des Antragstellers, die Feststellung eines Dienstvergehens
sowie den Umstand, dass der Antragsteller in den Befragungen durch den MAD
unvollständige und unwahre Angaben zu den strafrechtlichen Verfahren ge-
macht habe, als sicherheitserheblich. Er gab dem Antragsteller mit Verfügungen
vom 15. Oktober 2010 und vom 17. November 2010 Gelegenheit zur Äußerung.
In seinen Stellungnahmen vom 30. Oktober 2010 und vom 10. Dezember 2010
erklärte der Antragsteller, er sei zweimal unschuldigerweise angezeigt worden.
In dem Verfahren wegen Beleidigung und Bedrohung habe Aussage gegen
Aussage gestanden; die ihm vorgeworfenen Äußerungen habe er nicht getätigt.
Auf Anraten des Richters und seines Verteidigers habe er davon abgesehen,
seine Kinder, die damals die einzigen Zeugen gewesen seien, anhören zu las-
sen. Seine Kinder hätten die Vorwürfe nicht bestätigen können. Auch der Dieb-
stahl sei ihm nicht vorzuwerfen. Seinerzeit habe er das Warenhaus schnell ver-
lassen wollen, weil seine damals schwangere Freundin ihn im fraglichen Au-
genblick per SMS darüber informiert habe, dass sie mit Komplikationen in ein
Krankenhaus gebracht worden sei.
Der Disziplinarvorgesetzte des Antragstellers erklärte in seiner Stellungnahme
vom 4. November 2010, der Antragsteller sei ein engagierter und pflichtbewuss-
ter Soldat. Im Dienst überzeuge er durch untadeliges und vorbildliches Auftre-
ten. Sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten sei immer offen und loyal. Über
das außerdienstliche Auftreten des Antragstellers seien ihm keine negativen
Erkenntnisse oder Informationen außer den vorliegenden bekannt.
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Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. Januar 2011 stellte der Geheim-
schutzbeauftragte beim Streitkräfteamt fest, dass die einfache Sicherheitsüber-
prüfung (Ü 1) gemäß Nr. 2502 Abs. 4 ZDv 2/30 (Sabotageschutz) Umstände
ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Zur Begründung wies er auf
die strafgerichtlichen Verurteilungen des Antragstellers hin und führte aus, dass
dessen Einlassung, er habe die Kleidungsstücke nicht vorsätzlich entwendet, im
Hinblick auf das gegenüber einem Mitarbeiter des Geschäfts abgegebene Ge-
ständnis als bloße Schutzbehauptung zu werten sei. Der Vortrag des Antrag-
stellers, auch eine SMS seiner Freundin sei dafür verantwortlich, dass er den
Kassenbereich mit unbezahlter Ware verlassen habe, mache seine Unschulds-
beteuerungen noch unglaubhafter. Es sei auch davon auszugehen, dass der
Antragsteller die vom Amtsgericht L. sanktionierten Straftaten begangen habe.
Das Gericht habe in seinem Strafbefehl verschiedene Zeugen benannt, die die
Täterschaft des Antragstellers im Falle einer Gerichtsverhandlung hätten be-
zeugen können. Der Antragsteller habe seinen Einspruch gegen den Strafbe-
fehl aber nur auf die Rechtsfolgen beschränkt. Zudem sei er im sachgleichen
disziplinargerichtlichen Verfahren nicht gegen die Feststellung eines Dienstver-
gehens durch den Kommandeur des …kommandos der Luftwaffe vorgegangen.
Die vom Antragsteller begangenen Straftaten ließen ein gestörtes Verhältnis zur
Rechtsordnung erkennen und begründeten Zweifel an seiner sicherheitsrechtli-
chen Zuverlässigkeit. Insoweit wiege besonders schwer, dass er die Taten im
Alter von über 40 Jahren und als Hauptfeldwebel der Bundeswehr verübt und
den Diebstahl zudem in dem Bewusstsein begangen habe, dass er bereits ein-
mal strafgerichtlich verurteilt worden sei. Es sei zu besorgen, dass der Antrag-
steller im Rahmen der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Si-
cherheitsbestimmungen ebenfalls nicht hinreichend beachten werde. Dies sei
mit der Wahrnehmung einer solchen Tätigkeit nicht in Einklang zu bringen. Die
Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers würden dadurch verstärkt,
dass er die von ihm begangenen Straftaten im Sicherheitsüberprüfungsverfah-
ren geleugnet habe. Darin liege ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht im Sin-
ne des § 13 Abs. 1 SG.
Die Entscheidung über die Feststellung eines Sicherheitsrisikos wurde dem An-
tragsteller am 13. Januar 2011 im Auftrag der zuständigen personalbearbeiten-
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den Dienststelle eröffnet. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Antragstel-
lers vom 18. Januar 2011 wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 -
nach Beteiligung des Geheimschutzbeauftragten mit Beschwerdebescheid vom
19. Mai 2011 zurück. Zur Begründung führte er unter anderem aus, der Ge-
heimschutzbeauftragte sei rechts- und ermessensfehlerfrei zu dem Ergebnis
gekommen, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen wer-
den könne, dass das Verhalten des Antragstellers Auswirkungen auf den Ge-
heimschutz haben könnte. Die strafrechtlichen Verurteilungen des Antragstel-
lers seien rechtskräftig geworden. Bereits aus diesem Grund sei davon auszu-
gehen, dass sich die jeweils zugrundeliegenden Sachverhalte tatsächlich so
abgespielt hätten. Die Ausführungen des Antragstellers zu den ihm vorgeworfe-
nen Straftaten seien nicht glaubhaft. Insbesondere sei nicht nachvollziehbar,
warum er bei eigener Überzeugung von seiner Unschuld den Einspruch gegen
den Strafbefehl vom 12. November 2007 auf den Rechtsfolgenausspruch be-
schränkt habe und nicht gegen die Feststellung eines Dienstvergehens vorge-
gangen sei. Seine Behauptung, er habe seine Kinder nicht belasten wollen, sei
als Schutzbehauptung zu werten. Auch seine Ausführungen zu dem ihm vor-
geworfenen Diebstahl seien nicht glaubhaft. Seine Aussagen zum Ablauf des
Geschehens seien widersprüchlich. Während er noch in einem Schreiben vom
1. Januar 2009 gegenüber dem Kaufhaus erklärt habe, die entwendete Weste
und die Hose beim Passieren des Kassenbereichs unter seiner Jacke getragen
zu haben, habe er im Beschwerdeschreiben ausgeführt, die Hose sichtbar vor
sich getragen zu haben. Gegen seine Darstellung im Beschwerdeschreiben
spreche auch der Inhalt der Strafanzeige. Darin heiße es, dass der Antragsteller
vom Ladendetektiv beobachtet worden sei, wie er mit einer FC-Bayern-Sport-
hose und einer FC-Bayern-Jacke in eine Umkleidekabine gegangen sei, jedoch
ohne die beiden Kleidungsstücke wieder herausgekommen sei. Nachdem der
Antragsteller den Kassenbereich passiert habe und dort vom Ladendetektiv ge-
stellt worden sei, habe sich herausgestellt, dass er die Weste unter seiner
Oberbekleidung angezogen und die Hose in seiner Jacke eingesteckt hatte. Ein
offenes „Vor-sich-Hertragen“ habe demnach nicht vorgelegen. Der Umstand,
dass der Antragsteller gegen den zweiten Strafbefehl keinen Einspruch einge-
legt habe, spreche ebenfalls gegen seine Version des Tatgeschehens. Die von
ihm begangenen Straftaten belegten, dass er ein gestörtes Verhältnis zur
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Rechtsordnung habe. Er sei offensichtlich nicht jederzeit bereit und in der Lage,
sich an allgemein gültige Gesetze zu halten und Rechtsnormen sowie die da-
raus resultierenden Pflichten vor seine persönlichen Interessen zu stellen. Ent-
gegen seiner Auffassung sei ein Sicherheitsrisiko nicht nur bei schwerem krimi-
nellen Unrecht festzustellen. Im Einzelfall könnten sich tatsächliche Anhalts-
punkte für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos schon dann ergeben, wenn
der Betroffene ein Dienstvergehen begangen habe.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gründe sich im Fall des Antragstellers
auch darauf, dass er in der Befragung durch den MAD und bei der Anhörung
durch den Geheimschutzbeauftragten vorsätzlich unwahre Angaben bezüglich
der ihm vorgeworfenen Straftaten gemacht habe. Dieser Umstand lasse die
Sorge entstehen, dass er sich z.B. bei Verschlusssachen-Verlusten nicht mit
der gebotenen Ehrlichkeit und Umfänglichkeit unverzüglich gegenüber dem
Dienstherrn offenbare.
Gegen eine positive Prognose spreche neben den Verstößen gegen die Wahr-
heitspflicht, dass der Antragsteller aus der ersten strafgerichtlichen Verurteilung
keine Lehren gezogen habe und nur ein Jahr später erneut strafrechtlich in Er-
scheinung getreten sei. Außerdem sei er im Jahr 2007 sogar zweimal durch
Beleidigung und Bedrohung seiner früheren Ehefrau aufgefallen. Insoweit sei
nicht von Bedeutung, ob sein Verhalten durch eine damals schwierige familiäre
Situation verursacht worden sei. Vielmehr lasse sein Vorgehen darauf schlie-
ßen, dass er in Stresssituationen nicht zu der erforderlichen Selbstbeherr-
schung in der Lage sei. Das sei für einen Geheimnisträger bedenklich. Im
Rahmen der Prognose sei ferner zu berücksichtigen, dass der letzte Strafbefehl
im Zeitpunkt der Feststellung eines Sicherheitsrisikos erst zwei Jahre zurückge-
legen habe. Ein Zeitraum von zwei Jahren sei zu kurz, um eine gesicherte posi-
tive Prognose über das zukünftige Verhalten stellen zu können. Die befürwor-
tende Stellungnahme des Disziplinarvorgesetzten sei nicht geeignet, die Zuver-
lässigkeitsbedenken zu zerstreuen. Denn diesem Vorgesetzten sei offensicht-
lich der sicherheitserhebliche Sachverhalt nicht in vollem Umfang bekannt ge-
wesen. Sowohl gegenüber dem Kaufhausdetektiv als auch gegenüber der Poli-
zei habe der Antragsteller als Beruf „Dreher-Meister“ angegeben. Deshalb sei
der Dienstherr ersichtlich nicht über den Strafbefehl wegen Diebstahls informiert
worden. Hierfür spreche auch die Formulierung in der Einstellungsverfügung
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vom 17. März 2009, dass die erste Verurteilung wegen Beleidigung und Bedro-
hung eine erzieherische Wirkung beim Antragsteller hinterlassen habe und die-
ser sich bisher straffrei geführt habe.
Gegen den ihm am 5. Juni 2011 eröffneten Beschwerdebescheid hat der An-
tragsteller mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 20. Juni 2011 die Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Den Antrag hat der Bun-
desminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom
27. Oktober 2011 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Zur weiteren Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller
insbesondere vor:
Die beiden strafrechtlichen Vorwürfe stellten kein schweres kriminelles Unrecht
dar. Aus ihnen lasse sich ein Rückschluss auf gravierende Charaktermängel
nicht rechtfertigen. Im Verfahren gegen den Strafbefehl vom 12. November
2007 sei der Einspruch in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenaus-
spruch beschränkt worden, weil ansonsten eine Geldstrafe verhängt worden
wäre, bei der die Tagessatzhöhe nicht seinen wirtschaftlichen Verhältnissen
entsprochen hätte. Eine Beschränkung des Einspruchs auf den Straffolgenaus-
spruch sei erfolgt, um seinen Kindern die Einvernahme als Zeugen zu ersparen.
Er bestreite weiterhin, einen Diebstahl begangen zu haben. Im Sicherheitsüber-
prüfungsverfahren habe er nicht die Unwahrheit gesagt. Die strittigen Vorfälle
habe er seinem Disziplinarvorgesetzten zeitgerecht bekannt gegeben. Das Dis-
ziplinarverfahren gegen ihn sei eingestellt worden. Für ihn spreche außerdem
eine gute planmäßige Beurteilung aus dem Jahr 2010. Bei der Sachverhalts-
ermittlung sei unberücksichtigt geblieben, dass er weiter in sicherheitsempfind-
licher Tätigkeit verwendet worden sei.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streit-
kräfteamt vom 3. Januar 2011 und den Beschwerdebe-
scheid des Bundesministers der Verteidigung vom 19. Mai
2011 aufzuheben.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er verteidigt den Inhalt des angefochtenen Beschwerdebescheids und führt er-
gänzend aus, es stehe fest, dass gegen den Antragsteller wegen Beleidigung
und Bedrohung ein rechtskräftiger Strafbefehl ergangen sei und die gegen ihn
bestehenden Vorwürfe bis heute nicht entkräftet seien. Das gelte auch für den
Diebstahlsvorwurf. Nach wie vor sei nicht glaubhaft, dass der Antragsteller die
Bekleidungsstücke nur versehentlich aus dem Verkaufsbereich des Kaufhauses
mitgenommen habe. Selbst wenn es zu der von ihm beschriebenen Stresssitua-
tion in dem Geschäft gekommen sein sollte, hätte er die unbezahlten Beklei-
dungsstücke an irgendeiner Stelle im Verkaufsbereich ablegen können. In sei-
ner Befragung durch den MAD habe der Antragsteller den Strafbefehl wegen
Diebstahls offensichtlich verheimlichen wollen. Er habe nicht davon ausgehen
dürfen, dass dieser Strafbefehl nicht mehr von Bedeutung sei. Das folge schon
daraus, dass der Vorfall der Beleidigung und Bedrohung, über den in der Befra-
gung durch den MAD gesprochen worden sei, noch länger zurückgelegen habe
als der Diebstahl. Der Feststellung eines Sicherheitsrisikos stünden die Äuße-
rung des Disziplinarvorgesetzten und die dienstliche Beurteilung des Antragstel-
lers aus dem Jahr 2010 nicht entgegen; die sicherheitsrechtliche Zuverlässig-
keit sei nicht mit der allgemeinen dienstlichen Zuverlässigkeit gleichzusetzen.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bun-
desministers der Verteidigung - PSZ I 7 - …/11 - und die Personalgrundakte
des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
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II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
1. Zwar ist der Antrag zulässig.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach
ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des ent-
sprechenden Bescheids angefochten werden (vgl. z.B. Beschlüsse vom 24. Mai
2000 - BVerwG 1 WB 25.00 -
111, 219 und in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 9>, vom 20. Januar 2009
- BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 18 m.w.N., vom 21. Juli 2010 - BVerwG 1 WB
68.09 - Rn. 17
und vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 25
öffentlicht in Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1>).
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid des Geheimschutzbeauf-
tragten beim Streitkräfteamt vom 3. Januar 2011 und der Beschwerdebescheid
des Bundesministers der Verteidigung vom 19. Mai 2011 sind rechtlich nicht zu
beanstanden und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle dieser Bescheide ist die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister
der Verteidigung an den Senat (stRspr, Beschlüsse vom 27. September 2007
- BVerwG 1 WDS-VR 7.07 -
§ 14 SÜG Nr. 13>, vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130,
291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 Rn. 35 und vom 21. Juli 2010 - BVerwG
1 WB 68.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 23 Rn. 21).
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Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist
eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit aus-
schließen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 23
m.w.N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle, aufgrund einer an diesem
Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzel-
falls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit
zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).
Zuständig für die Entscheidung, ob in der Person des Antragstellers ein Sicher-
heitsrisiko vorliegt, ist hier gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung
mit Nr. 2416 ZDv 2/30 der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt.
Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person
eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur einge-
schränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle be-
schränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzli-
chen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige
Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen
Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl. z.B. Urteile vom 15. Februar
1989 - BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <264> = Buchholz 236.1 § 59 SG
Nr. 2 und vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> =
Buchholz 442.40 § 29d LuftVG Nr. 1; Beschlüsse vom 11. März 2008 a.a.O.
Rn. 24, vom 1. Oktober 2009 - BVerwG 2 VR 6.09 - juris Rn. 15, vom
21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 30
in Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1>, vom 1. Februar 2011 - BVerwG 1 WB
40.10 - Rn. 22 und vom 21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 - BVerwGE 140,
384 Rn. 24 ff. jeweils m.w.N.).
Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des
hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko be-
reits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte - wie hier allein in Rede ste-
hend - Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung
einer sicherheitsempflindlichen Tätigkeit begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
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SÜG). Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Be-
langen (§ 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die
zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Sol-
daten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein
abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine „Beweislast”, weder für den
Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bis-
her gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass
der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig
nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001
- BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 S. 17, vom 8. März
2007 - BVerwG 1 WB 63.06 - Rn. 22 und vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB
53.08 - Rn. 24; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -
BVerfGE 39, 334 <353>).
Die Feststellung im Bescheid vom 3. Januar 2011, dass in der Person des An-
tragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt, hält die Grenzen des vorbezeichneten
Beurteilungsspielraums ein.
Der Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen oder unvollstän-
digen Sachverhalt ausgegangen.
Bei der Sachverhaltserfassung hat er zutreffend die rechtskräftigen Verurteilun-
gen des Antragstellers durch das Urteil des Amtsgerichts L. vom 22. Januar
2008 und durch den Strafbefehl des Amtsgerichts R. vom 9. Februar 2009 so-
wie die Feststellung eines Dienstvergehens in der Einstellungsverfügung des
Kommandeurs des …kommandos der Luftwaffe vom 17. März 2009 dokumen-
tiert. Er hat auch den Inhalt der Stellungnahmen des Antragstellers vom
30. Oktober 2010 und vom 10. Dezember 2010 sowie die befürwortende Äuße-
rung des Disziplinarvorgesetzten vom 4. November 2010 berücksichtigt. Weite-
re Gesichtspunkte, die der Antragsteller im Beschwerdeverfahren als entlasten-
de Momente geltend gemacht hat, hat der Bundesminister der Verteidigung im
Beschwerdebescheid aufgegriffen und gewürdigt. In der Fassung des Be-
schwerdebescheids ist die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten ge-
mäß § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zu beurteilen.
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Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in den
strafrechtlich bzw. disziplinarrechtlich geahndeten Verfehlungen des Antragstel-
lers hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an seiner Zuverlässig-
keit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit erkannt hat.
Mit dieser Einschätzung hat der Geheimschutzbeauftragte weder den anzu-
wendenden Begriff noch den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen
kann, verkannt; er hat insoweit auch nicht allgemeingültige Wertmaßstäbe
missachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt.
Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbin-
dung mit Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Zweifel an der Zuverlässigkeit des Be-
troffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (hier
im Sinne des § 1 Abs. 4 SÜG) und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, kön-
nen sich nach der Rechtsprechung des Senats unter anderem daraus ergeben,
dass der Betroffene eine Straftat begangen hat, die ohne speziellen Bezug zu
Geheimhaltungsvorschriften oder zur dienstlichen Tätigkeit ein gestörtes Ver-
hältnis zur Rechtsordnung erkennen lässt (vgl. Beschlüsse vom 12. April 2000
- BVerwG 1 WB 12.00 -, vom 20. August 2003 - BVerwG 1 WB 15.03 - Buch-
holz 402.8 § 5 SÜG Nr. 16 S. 34 = NZWehrr 2004, 168, vom 20. Januar 2009
- BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 26 und vom 21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 -
Rn. 40 jeweils m.w.N.). Tatsächliche Anhaltspunkte dieser Art können sich au-
ßerdem daraus ergeben, dass der Betroffene ein Dienstvergehen begangen hat
(vgl. Beschlüsse vom 9. November 2005 - BVerwG 1 WB 19.05 - Buchholz
402.8 § 5 SÜG Nr. 19, vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 17.05 - Buchholz
402.8 § 5 SÜG Nr. 20 und vom 14. Dezember 2010 - BVerwG 1 WB 13.10 -
Rn. 29). In Übereinstimmung hiermit nennt Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1
Nr. 1 ZDv 2/30 (Anlage C 18) als Beispiele für entsprechende Anhaltspunkte
strafrechtliche Verfahren gegen den Betroffenen, insbesondere Verurteilungen,
und Verstöße des Betroffenen gegen Dienstpflichten.
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Die Delikte der zweimaligen Beleidigung und Bedrohung zulasten der ehemali-
gen Ehefrau des Antragstellers mit dem zugrundeliegenden Sachverhalt konnte
der Geheimschutzbeauftragte ohne Weiteres in seine sicherheitsrechtliche Prü-
fung und Bewertung einbeziehen. Insoweit liegt mit dem rechtskräftigen Urteil
des Amtsgerichts L. vom 22. Januar 2008 das Urteil eines Strafgerichts vor, das
nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich bindend ist (vgl. hierzu z.B.
Beschlüsse vom 26. Juni 2007 - BVerwG 1 WB 59.06 - Buchholz 402.8 § 5
SÜG Nr. 21, vom 8. August 2007 - BVerwG 1 WB 52.06 -
fentlicht in Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 12> und vom 11. März 2008 - BVerwG
1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14). Darunter
ist zu verstehen, dass der Umstand der Verurteilung (oder des Freispruchs) als
solcher im Rahmen der Rechtskraft des Urteils auch für das Sicherheitsüber-
prüfungsverfahren feststeht. Darüber hinaus können der Beurteilung im Sicher-
heitsüberprüfungsverfahren die in den Gründen des Strafurteils getroffenen tat-
sächlichen Feststellungen zugrunde gelegt werden, sofern nicht besondere
Umstände zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Feststellungen und damit zu
eigenen Ermittlungen des Geheimschutzbeauftragten oder der mitwirkenden
Behörde (§ 3 Abs. 2 SÜG) Anlass geben (Beschluss vom 11. März 2008
a.a.O.). Solche besonderen Umstände, insbesondere nachträglich aufgetretene
Gesichtspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen
hervorrufen könnten, liegen hier nicht vor. Derartige Zweifel begründet auch
nicht der vom Antragsteller erstmals im Sicherheitsüberprüfungsverfahren gel-
tend gemachte Grund für den Verzicht auf einen unbeschränkten Einspruch
gegen den Strafbefehl. Er hat insoweit keine neuen Tatsachen vorgetragen,
sondern nur sein persönliches Motiv für den Verzicht auf eine Beweisaufnahme.
Der Bindungswirkung steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Urteil des
Amtsgerichts L. um eine in abgekürzter Form nach § 267 Abs. 4 StPO abge-
setzte Entscheidung handelt. Nach der Rechtsprechung des 2. Wehr-
dienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts zur Bindungswirkung eines
rechtskräftigen Strafurteils entfaltet auch ein in abgekürzter Form nach § 267
Abs. 4 StPO abgesetztes Urteil Bindungswirkung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO
(Beschluss vom 27. März 2012 - BVerwG 2 WD 16.11 - Rn. 20). Verweist das
Urteil wegen der Tatsachen auf den zugelassenen Anklagesatz, sind nur die
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dort angeführten Tatsachen von dieser Bindungswirkung umfasst. Diese Recht-
sprechung des 2. Wehrdienstsenats kann sinngemäß auch im Sicherheitsüber-
prüfungsverfahren Geltung beanspruchen. Die Annahme einer Bindungswir-
kung trägt der Zielsetzung Rechnung, im Interesse der Rechtssicherheit und
des Vertrauensschutzes sicherzustellen, dass zu einem historischen Gesche-
hensablauf nicht in verschiedenen gerichtlichen Verfahren rechtskräftig unter-
schiedliche Feststellungen getroffen werden (Beschluss vom 27. März 2012
- BVerwG 2 WD 16.11 - Rn. 20 zu 84 Abs. 1 Satz 1 WDO). Diese Zielsetzung
ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht auf gerichtliche Verfahren be-
schränkt, sondern soll auch in vorgerichtlichen Verfahren oder Verwaltungsver-
fahren wirken (vgl. z.B. § 23a Abs. 1 WBO und § 34 Abs. 1 WDO). Systematik
und Verfahrensstruktur des vorgerichtlichen Sicherheitsüberprüfungsverfah-
rens, soweit in ihm strafrechtlich relevante Sachverhalte zu beurteilen sind, ste-
hen hiernach der Annahme einer Bindungswirkung nicht entgegen.
Den schriftlichen Urteilsgründen des Amtsgerichts L. ist eindeutig zu entneh-
men, von welchem Geschehensablauf das Strafgericht bei seiner Entscheidung
ausgegangen ist. Mit der Verweisung auf den Anklagesatz im Strafbefehl vom
12. November 2007 hat das Gericht die konkreten Tatsachenfeststellungen zur
zweimaligen Beleidigung und Bedrohung dokumentiert, die es der Verurteilung
des Antragstellers zugrunde gelegt hat.
Eine vergleichbare Bindungswirkung kommt allerdings dem Strafbefehl des
Amtsgerichts R. vom 9. Februar 2009 nicht zu. Deshalb hatte der Geheim-
schutzbeauftragte eigene Feststellungen im Rahmen seiner Sachverhaltsermitt-
lung zu der Frage zu treffen, ob der Antragsteller den ihm vorgeworfenen Dieb-
stahl begangen hat. In einer eigenständigen Beweiswürdigung hat der Geheim-
schutzbeauftragte in sich schlüssig und widerspruchsfrei seine Annahme darge-
legt, dass der Antragsteller dieses Delikt tatsächlich begangen hat. Er hat inso-
weit insbesondere das zeitnah zu dem Vorfall gegenüber einem Mitarbeiter des
geschädigten Geschäfts abgegebene Geständnis des Antragstellers zu dessen
Lasten gewürdigt und in der vom Antragsteller behaupteten Ablenkung durch
eine SMS seiner Freundin keinen überzeugenden Grund dafür gesehen, dass
der Antragsteller deshalb den Kassenbereich des Geschäfts mit unbezahlter
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Ware verlassen hat. Im Übrigen hätte der Antragsteller durch eine Anfechtung
des Strafbefehls vom 9. Februar 2009 eine weitere Sachverhaltsaufklärung zu
seinen Gunsten betreiben können. Darauf hat er jedoch bewusst verzichtet. Der
Bundesminister der Verteidigung hat - nach Anhörung des Geheimschutzbeauf-
tragten zum Beschwerdevorbringen - im Beschwerdebescheid die sich wider-
sprechenden Aussagen des Antragstellers zum Ablauf des Vorgangs in dem
Warenhaus erneut gewürdigt und ausgewertet. Auch insoweit ist es rechtlich
nicht zu beanstanden, dass der Bundesminister der Verteidigung die Feststel-
lung des Geheimschutzbeauftragten bestätigt hat, dass der Antragsteller den
ihm vorgeworfenen Diebstahl begangen hat.
Zutreffend haben der Geheimschutzbeauftragte und der Bundesminister der
Verteidigung aus den mehrfachen Rechtsverstößen des Antragstellers ein
ernstzunehmendes sicherheitsrelevantes Fehlverhalten abgeleitet.
Wie oben bereits ausgeführt, gründen sich sicherheitsrechtliche Zweifel an der
Zuverlässigkeit des Betroffenen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG bei
außerdienstlich begangenen Straftaten darauf, dass der Betroffene mit einem
derartigen Fehlverhalten ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen
lässt. Dieses persönlich-charakterliche Defizit kann sich auch bei der Wahr-
nehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit auswirken. Dabei geht es
nicht nur um den Befund, dass insbesondere wiederholte Bedrohungen einer
anderen Person und ein Diebstahlsdelikt den begründeten Schluss zulassen,
dass der Betroffene dazu neigt, persönliche Vorstellungen und Prioritäten über
die rechtlich geschützten Interessen anderer Personen zu setzen, und dass er
nicht über die erforderliche Selbstbeherrschung verfügt. Gerade für im Bereich
des Sabotageschutzes einzusetzende Soldaten ist es erforderlich, dass sie
selbst in Stress- oder Belastungssituationen ihre Selbstkontrolle bewahren,
nicht kopflos reagieren und die Vorschriften und die Sicherheitsinteressen des
Dienstherrn nicht aus dem Blick verlieren. Entscheidend für die Annahme eines
gestörten Verhältnisses zur Rechtsordnung ist hier - wie der Geheimschutzbe-
auftragte mit Recht hervorhebt - , dass der Antragsteller in Kenntnis einer
rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung noch im gleichen Jahr (im De-
zember 2008) erneut straffällig geworden ist und sich auch angesichts seines
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gereiften Lebensalters und seines hohen Feldwebeldienstgrades nicht von einer
weiteren Straftat hat abhalten lassen. Dieses Verhalten lässt eindeutig erken-
nen, dass der Antragsteller die Warnfunktion der ersten Verurteilung nicht ver-
innerlicht und obendrein das im August 2008 gegen ihn eingeleitete gerichtliche
Disziplinarverfahren in seinem Gewicht und seinen möglichen Auswirkungen
nicht ernst genommen hat. Deshalb ist die - nicht zuletzt durch die gesetzliche
Vorrangregelung in § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG gestützte - Einschätzung des Ge-
heimschutzbeauftragten gerechtfertigt, dass der Antragsteller infolge seiner
nachhaltig belegten Nachlässigkeit gegenüber verpflichtenden (Straf-)Rechts-
normen auch im Bereich des Sabotageschutzes nicht hinreichend vertrauens-
würdig und nicht hinreichend zuverlässig ist.
Der Senat kann offenlassen, ob dem Antragsteller zusätzlich falsche oder zu-
mindest unvollständige Angaben während des Sicherheitsüberprüfungsverfah-
rens unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Wahrheitspflicht (§ 13
Abs. 1 SG) als sicherheitserhebliche Tatsachen entgegengehalten werden dür-
fen.
Denn der Geheimschutzbeauftragte hat in Abschnitt II seines Bescheids (auf
Seite 2 unten und Seite 3 oben) betont, dass (bereits) die gerichtlich sanktio-
nierten Straftaten des Antragstellers die für die Feststellung eines Sicherheitsri-
sikos maßgeblichen Zweifel im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG begrün-
den. Diese durchgreifenden und vor dem Hintergrund des § 14 Abs. 3 Satz 2
SÜG ausreichenden Zweifel sind nach seiner Darlegung durch den Aspekt der
möglichen Wahrheitspflichtverletzung lediglich „verstärkt“ worden.
Nicht zu beanstanden ist schließlich die vom Geheimschutzbeauftragten getrof-
fene Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers
(zu den Voraussetzungen der Prognose im Einzelnen: Beschlüsse vom 8. März
2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR
7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 und vom 20. Januar 2009 - BVerwG
1 WB 22.08 -). Er hat aus den wiederholten Rechtsverstößen des Antragstellers
die Besorgnis abgeleitet, dass dieser im Rahmen der Ausübung einer sicher-
heitsempfindlichen Tätigkeit Sicherheitsbestimmungen ebenfalls nicht hinrei-
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chend beachten könnte, und deshalb - auch nach Prüfung eines milderen Mit-
tels (Auflagenbescheid) und der Möglichkeit einer Verkürzung der Frist für eine
Wiederholungsüberprüfung - keine positive Prognose für den Antragsteller aus-
gesprochen. Dem ist der Bundesminister der Verteidigung im Beschwerdebe-
scheid beigetreten; er hat in einer eingehenden Abwägung unter Berücksichti-
gung der für den Antragsteller sprechenden Umstände dargelegt, dass die
durch die Verfehlungen des Antragstellers begründeten nachhaltigen Zweifel an
seiner Zuverlässigkeit noch nicht ausgeräumt seien, sondern noch einen gewis-
sen Zeitraum der Bewährung erforderten. Diese prognostischen Bewertungen
begründen keine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als eines allge-
meingültigen Wertmaßstabs. Vielmehr darf einem Betroffenen noch über eine
längere Zeit eine Bewährung abverlangt werden, die belegt, dass eine Verhal-
tensänderung eingetreten ist, die auch eine nachhaltige Bestätigung finden und
von Bestand sein wird (Beschlüsse vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB
16.10 - und vom
21. Juli 2011 - BVerwG 1 WB 12.11 -
140, 384>). Nicht zu beanstanden ist, dass sich die Entscheidung des Geheim-
schutzbeauftragten dabei grundsätzlich an der Fünfjahresfrist der Nr. 2710
Abs. 2 Satz 1 ZDv 2/30 orientiert (vgl. Beschluss vom 1. Februar 2011
- BVerwG 1 WB 40.10 -).
Sollte der Antragsteller - wie sein Bevollmächtigter vorträgt - tatsächlich schon
vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung und vor der Eröffnung der Entschei-
dung des Geheimschutzbeauftragten eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit
wahrgenommen haben, folgt daraus kein Argument für eine positive Prognose.
Insoweit weist der Bundesminister der Verteidigung im Beschwerdebescheid zu
Recht darauf hin, dass ein (vorzeitiger) Einsatz in sicherheitsempfindlicher Tä-
tigkeit das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung nicht vorwegnehmen kann.
Dass der Geheimschutzbeauftragte für den Antragsteller eine vorläufige Zuwei-
sungsentscheidung nach § 15 SÜG getroffen hätte, hat keiner der Verfahrens-
beteiligten vorgetragen und ist auch den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen.
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Verfahrensfehler weisen die angefochtenen Entscheidungen nicht auf. Der An-
tragsteller hatte gemäß § 14 Abs. 3 Satz 3 und § 6 Abs. 1 SÜG Gelegenheit,
sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Dr. Frentz Dr. Langer Dr. Eppelt
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