Urteil des BVerwG vom 08.03.2006

Ablauf der Frist, Rückführung, Dienstzeit, Vertrauensperson

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
Beschluss
BVerwG 1 WB 58.05
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
,
…,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Brigadegeneral Wundrak und
Oberstabsgefreiter Deiwick
als ehrenamtliche Richter
am 8. März 2006
b e s c h l o s s e n :
Der Antrag wird als unzulässig verworfen.
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G r ü n d e :
I
Der 1983 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit (SaZ) mit einer festgesetzten
Dienstzeit von vier Jahren, die mit Ablauf des 30. Juni 2006 enden wird. Zum
Hauptgefreiten wurde er mit Wirkung vom 1. Oktober 2003 ernannt. Seit dem
1. Mai 2005 wird er als Kraftfahrer Klasse B bei der U…Stff) der L…U…G…)
Wahn in Köln verwendet.
Am 12. März 2003 beantragte er die Ernennung zum SaZ sowie die Erstverpflich-
tung in der Laufbahngruppe der Unteroffiziere ohne Portepee. Mit Fernschreiben
vom 25. April 2003 an das L...U…R… in K. stimmte die Stammdienststelle der
Luftwaffe (SDL) der beantragten Erstverpflichtung zu und wies das L…U…R… an,
die Zulassung des Antragstellers als Unteroffizieranwärter zum 1. April 2004 zu
verfügen und seine Dienstzeit entsprechend festzusetzen. Daraufhin wurde der
Antragsteller mit Wirkung vom 16. Mai 2003 in das Dienstverhältnis eines SaZ be-
rufen; seine Dienstzeit wurde auf vier Jahre festgesetzt. Der Kommandeur
L…U…R… verfügte unter dem 20. Mai 2003 die Zulassung des Antragstellers als
Anwärter für die Laufbahngruppe der Unteroffiziere mit Wirkung vom 1. April 2004.
Am 11. September 2003 erhielt der Antragsteller durch den Staffelchef N…Stff
L…U…R… einen bestandskräftigen Verweis, weil er seinen Dienst zum wieder-
holten Mal nicht wie befohlen um 7.00 Uhr, sondern erst um 8.30 Uhr angetreten
hatte. Am 29. Januar 2004 erging gegen den Antragsteller eine rechtskräftige ver-
schärfte Ausgangsbeschränkung von 14 Tagen, weil er seinen Wachdienst nicht
wie befohlen am 24. Januar 2004 um 9.30 Uhr angetreten hatte, sondern dem
Dienst bis zum 26. Januar 2004 ferngeblieben war. Am 16. September 2004 wur-
de der Antragsteller mit einer bestandskräftigen Disziplinarbuße von 250 € belegt,
weil er seinen Dienst am 24. August 2004 nicht wie befohlen um 7.00 Uhr, son-
dern erst um 7.45 Uhr, und am nächsten Tag nicht wie befohlen um 7.00 Uhr,
sondern erst um 10.30 Uhr angetreten hatte.
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Unter Bezugnahme auf diese Verfehlungen beantragte der Staffelchef N…Stff
L…U…R… am 29. September 2004 die „Überprüfung der Entlassung durch die
SDL gemäß § 55 Abs. 4 SG“ wegen Nichteignung bzw. die Rückführung des An-
tragstellers in die Laufbahngruppe der Mannschaften. Nach Anhörung des An-
tragstellers und der Vertrauensperson erteilte die SDL dem Antragsteller mit Be-
scheid vom 21. Oktober 2004 einen ausdrücklichen Hinweis auf die Entlassung
nach § 55 Abs. 5 SG, sah von einer Rückführung nach § 55 Abs. 4 SG jedoch ab.
Am 8. Dezember 2004 beantragte der Staffelchef N…Stff L…U…R… erneut die
Rückführung des Antragstellers in die Laufbahn der Mannschaften gemäß § 55
Abs. 4 SG und führte zur Begründung aus, die drei genannten Disziplinarmaß-
nahmen begründeten Zweifel an der charakterlichen Eignung des Antragstellers
für die in Aussicht genommene Laufbahn. Zu diesem Antrag waren der Antragstel-
ler und die Vertrauensperson zuvor angehört worden. Die SDL setzte mit Be-
scheid vom 3. Februar 2005 eine Entscheidung über die Rückführung des Antrag-
stellers bis zum 31. März 2005 aus und teilte ihm mit, dass beabsichtigt sei, seine
Beförderung zum Unteroffizier ebenfalls bis zum 31. März 2006 zurückzustellen.
Nachdem der Staffelchef U…Stff L…U…G… am 4. März 2005 gebeten hatte, die
beantragte Rückführung des Antragstellers aufrecht zu erhalten, weil dieser in den
Merkmalen Eignung, Leistung und Befähigung nicht dem Leistungsbild eines Un-
teroffiziers entspreche, wurde der Antragsteller - nach seiner Anhörung sowie der
Beteiligung seiner Disziplinarvorgesetzten und der Vertrauensperson - mit Be-
scheid der SDL vom 2. Mai 2005 in die Laufbahngruppe der Mannschaften zu-
rückgeführt und seine Ausbildung zum Stabsdienstunteroffizier eingestellt.
Die dagegen eingelegte Beschwerde vom 23. Mai 2005 wies der Bundesminister
der Verteidigung (BMVg) - PSZ I 7 - mit Bescheid vom 2. November 2005 zurück.
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Gegen diese Entscheidung beantragte der Antragsteller am 17. November 2005
zur Niederschrift seines Disziplinarvorgesetzten die gerichtliche Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts. Diesen Antrag hat der BMVg - PSZ I 7 - mit seiner
Stellungnahme vom 25. November 2005 dem Senat vorgelegt.
Die Niederschrift vom 17. November 2005 bezieht sich auf den Beschwerdebe-
scheid des BMVg vom 2. November 2005 und hat folgenden Wortlaut:
„Hauptgefreiter … hat bei mir heute mündlich Widerspruch gegen ihre
ablehnende Entscheidung eingelegt und beantragt die Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts - Wehrdienstsenate -. Eine Begründung
liegt noch nicht vor und soll folgen.“
Der BMVg beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag sei unzulässig, weil der Antragsteller diesen nicht innerhalb der Frist
des § 17 Abs. 4 WBO begründet habe. Er habe auch - bis zum Zeitpunkt der Vor-
lage - nicht im Einzelnen substantiiert vorgetragen, aus welchen Gründen er die
Rückführung in die Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes für rechts-
widrig halte. Insoweit würde selbst die - hier nicht vorliegende - Behauptung, die
Rückführung sei rechtswidrig, nicht ausreichen. Der Umstand, dass der Antrag-
steller von einem Rechtsanwalt hinsichtlich der Notwendigkeit einer fristgerechten
Begründung möglicherweise falsch beraten worden sei, könne an der Unzulässig-
keit des Antrags nichts ändern. Ein Rechtsirrtum des Bevollmächtigten geht re-
gelmäßig zu Lasten des vertretenen Soldaten; hieraus folge auch kein fristverlän-
gerndes „unabwendbares Ereignis“ im Sinne des § 7 Abs. 1 WBO. In der Sache
sei der Antrag unbegründet. Es sei offensichtlich, dass sich ein mehrfach diszipli-
nar aufgefallener Soldat für die Laufbahn der Unteroffiziere des allgemeinen
Fachdienstes nicht eigne.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Be-
teiligten und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des BMVg
- PSZ I 7 - 869/05 - sowie die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem
Senat bei der Beratung vorgelegen.
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II
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers, der weder in seinem zur Nieder-
schrift des Disziplinarvorgesetzten erklärten Antrag vom 17. November 2005 noch
im weiteren Verlauf des gerichtlichen Verfahrens einen ausdrücklichen Antrag ge-
stellt hat, ist auslegungsbedürftig. In seiner Erklärung vom 17. November 2005
wendet er sich gegen die „ablehnende Entscheidung“ im Bescheid des BMVg vom
2. November 2005, die - ausschließlich - den Streitgegenstand der Rückführung
des Antragstellers in die Laufbahn der Mannschaften des Truppendienstes betrifft.
Dieser Gegenstand ist auch Regelungszweck und Regelungsinhalt der Verfügung
der SDL vom 2. Mai 2005. Vor diesem Hintergrund kommt den Ausführungen des
Antragstellers in seiner Beschwerde vom 23. Mai 2005, er beschwere sich
- abgesehen von der Entscheidung über seine Rückführung in die Laufbahn der
Mannschaften - auch gegen die „damit verbundene Nichtfestsetzung meiner
Dienstzeit auf 8 Jahre bzw. die Festsetzung meines Dienstzeitendes auf den
30.6.2006“, keine eigenständige Bedeutung für das gerichtliche Antragsverfahren
zu. Vielmehr ergibt sich aus diesem Beschwerdeschreiben des Antragstellers
ebenfalls, dass er die Entscheidung über seine Rückführung in die Laufbahn der
Mannschaften des Truppendienstes aufgehoben wissen will und sich gegen die
Festsetzung seines Dienstzeitendes nur mittelbar - nämlich soweit diese mit der
Rückführungsentscheidung verbunden ist - wendet. Demzufolge ist der Antrag des
Antragstellers dahin auszulegen, dass er die Aufhebung der Bescheide der SDL
vom 2. Mai 2005 und des BMVg vom 2. November 2005 anstrebt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.
Zwar hat der Antragsteller gegen den ihm am 4. November 2005 eröffneten Be-
schwerdebescheid des BMVg am 17. November 2005 den insoweit statthaften
Antrag auf gerichtliche Entscheidung zur Niederschrift erklärt und damit die Zwei-
Wochen-Frist des § 21 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO für
die Einlegung dieses Rechtsbehelfs eingehalten.
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Der Antragsteller hat jedoch diesen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht in
der gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO erforderlichen Weise fristgerecht begründet.
Die Begründungspflicht, die der Gesetzgeber in § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO für den
Antrag auf gerichtliche Entscheidung ausdrücklich und zwingend fixiert hat, ver-
folgt nicht nur den Zweck, das Gericht alsbald von dem vom Antragsteller geltend
gemachten Rechtsschutzziel und den dieses stützenden Gründen in Kenntnis zu
setzen. Sie hat auch den Sinn, die unüberlegte Einlegung von Anträgen auf ge-
richtliche Entscheidung zu verhindern. Durch die Notwendigkeit einer Begründung
innerhalb von zwei Wochen soll der Antragsteller im Wehrbeschwerdeverfahren
dazu angehalten werden, sein Vorbringen alsbald kritisch zu überprüfen, um sich
gegebenenfalls von der Aussichtslosigkeit seines Antrags zu überzeugen. Deshalb
muss - wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO ergibt („Der
Antrag ist … zu begründen“) - in der Begründung des Antrags auf gerichtliche
Entscheidung im Einzelnen dargelegt werden, aus welchen Gründen die an-
gefochtene (Beschwerde-)Entscheidung nach Auffassung des Antragstellers
rechtswidrig ist (vgl. Beschlüsse vom 27. Januar 1998 - BVerwG 1 WB 40.97 -
m.w.N., vom 14. Juli 2004 - BVerwG 1 WB 9.04 - und vom 16. September 2004
- BVerwG 1 WB 35.04 - jeweils m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom
17. November 2005 nicht.
Der Beschwerdebescheid des BMVg ist dem Antragsteller am 4. November 2005
eröffnet worden. Die Zwei-Wochen-Frist des § 17 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2
Satz 1 WBO zur Einlegung und zur Begründung eines gegen diesen Bescheid des
BMVg gerichteten Antrags auf wehrdienstgerichtliche Entscheidung endete mit
Ablauf des 18. November 2005 (§§ 186, 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Innerhalb
dieser Frist hat der Antragsteller in seinem Antrag vom 17. November 2005, der
am selben Tage beim BMVg einging, lediglich erklärt, er lege mündlich „Wider-
spruch“ gegen die ablehnende Entscheidung des BMVg ein und beantrage die
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts; eine Begründung liege noch nicht
vor und solle folgen.
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Dieser Inhalt trägt nicht dem Erfordernis Rechnung, dass der Antragsteller zur Be-
gründung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung im Einzelnen substantiiert
vortragen muss, wodurch er sich beschwert fühlt und aus welchen Gründen er die
angefochtene Maßnahme für rechtswidrig hält. Die Begründung kann auch nicht
dadurch ersetzt werden, auf frühere Anträge, Beschwerden oder Schriftsätze zu
verweisen oder - wie hier - eine Begründung nur anzukündigen (Beschluss vom
16. September 2004 - BVerwG 1 WB 35.04 - m.w.N.). Bis zum Ablauf der Frist
erfolgte keine Begründung des Antrags.
Der Beschwerdebescheid des BMVg vom 2. November 2005 war mit einer ord-
nungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, sodass die Voraussetzungen
des § 7 Abs. 2 WBO nicht erfüllt sind. In dem Bescheid ist ausdrücklich darauf hin-
gewiesen, dass der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des
Bescheids beim BMVg oder beim nächsten Disziplinarvorgesetzten des Antrag-
stellers einzulegen und zu begründen und dass die Frist nur gewahrt ist, wenn der
Antrag und die Begründung vor Ablauf der Frist bei der zur Einlegung zuständigen
Stelle eingehen. Ein Missverständnis darüber, dass die Zwei-Wochen-Frist auch
für die Begründung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gilt, konnte beim
Antragsteller angesichts der besonderen Unterstreichung dieses Erfordernisses in
der Rechtsbehelfsbelehrung nicht ausgelöst werden.
Die Annahme einer Hinderung des Antragstellers an der Einhaltung der Begrün-
dungsfrist durch militärischen Dienst, durch Naturereignisse oder andere unab-
wendbare Zufälle kommt ebenfalls nicht in Betracht. Ein derartiger unabwendbarer
Zufall läge auch dann nicht vor, wenn der Antragsteller - wie der BMVg in der Vor-
lage andeutet - von einem Anwalt dahin beraten worden wäre, eine Begründung
des Antrags auf gerichtliche Entscheidung könne auch nach Ablauf der Zwei-
Wochen-Frist noch eingereicht werden. Angesichts der inhaltlich eindeutigen - und
zutreffenden - Rechtsbehelfsbelehrung im Beschwerdebescheid stellt ein Rechts-
irrtum des Antragstellers über Beginn und Dauer der Begründungsfrist keinen
„unabwendbaren“ Zufall dar.
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Von einer Belastung des Antragstellers mit Verfahrenskosten sieht der Senat ab,
weil er die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 WBO nicht für gegeben erachtet.
Prof. Dr. Pietzner Dr. Frentz Dr. Deiseroth
Wundrak Deiwick