Urteil des BVerwG vom 21.05.2015

Persönliche Anhörung, Amt, Gefährdung, Fremder

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Vorlagen, Anträge und Beschwerden nach der WBO in
truppendienstl. Angelegenheiten
Rechtsquelle/n:
SÜG § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SÜG § 6 Abs. 1 Satz 1
Stichworte:
Sicherheitsrisiko; Prognose; Anhörung; Anhörungsfehler; Anbahnungs- und
Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste; Insolvenzverfahren.
Leitsatz:
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG
erfordert auch dann, wenn sie sich auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
stützt, eine Gesamtwürdigung des Einzelfalles mit einer prognostischen
Einschätzung der Persönlichkeit des Betroffenen.
Beschluss des 1. Wehrdienstsenats vom 21. Mai 2015 - BVerwG 1 WB 54.14
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 54.14
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Hauptfeldwebel ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwaltskanzlei ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die ehrenamtliche Richterin Oberfeldveterinär Dr. Sauer und
den ehrenamtlichen Richter Stabsfeldwebel Becker
am 21. Mai 2015 beschlossen:
Der Bescheid der Geheimschutzbeauftragten beim ...amt
vom 11. März 2013 und der Beschwerdebescheid des
Bundesministeriums der Verteidigung vom 16. Juni 2014
werden aufgehoben.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesver-
waltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Ver-
fahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden
dem Bund auferlegt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) - Sabotageschutz - durch die
Geheimschutzbeauftragte beim ...amt.
Der 19.. geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit wird voraus-
sichtlich mit Ablauf des 31. Januar 20.. enden. Er wurde mit Wirkung vom
1. April 20.. zum Hauptfeldwebel ernannt. Seit dem 1. November 20.. wird er als
Sanitätsfeldwebel... im Institut … der Bundeswehr in M. verwendet. Der gesam-
te Laborbereich dieses Instituts unterliegt dem Sabotageschutz im Sinne des
§ 1 Abs. 4, Abs. 5 SÜG. Nach Mitteilung des Sicherheitsbeauftragten der
…akademie der Bundeswehr vom 26. März 2013 ist der Antragsteller seit dem
22. März 2013 in dieser Dienststelle nicht mehr mit der Wahrnehmung sicher-
heitsempfindlicher Tätigkeiten betraut.
Für den Antragsteller wurde zuletzt am 21. Dezember 2009 eine einfache Si-
cherheitsüberprüfung (Ü 1) ohne Einschränkungen abgeschlossen.
In seiner Sicherheitserklärung vom 8. November 2009 hatte der Antragsteller
bei den Angaben zu seiner finanziellen Situation die Frage 4.2 nach in den letz-
ten fünf Jahren gegen ihn erfolgten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verneint;
die Frage 4.1, ob er in der Lage sei, seinen finanziellen Verpflichtungen nach-
zukommen, und ob auch keine Veränderungen absehbar seien, die dies in Fra-
ge stellen könnten, hatte er ohne Einschränkung bejaht.
Mit Beschluss vom 23. November 2010 (Az.: 1542 IK 3784/10) eröffnete das
Amtsgericht M. über das Vermögen des Antragstellers wegen Zahlungsunfähig-
keit das Insolvenzverfahren und bestellte eine Treuhänderin. Die angemeldeten
Forderungen beliefen sich auf insgesamt 56 467,55 €.
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Nachdem der Militärische Abschirmdienst (MAD) den Antragsteller zu dem
Sachverhalt befragt hatte, hörte ihn die Geheimschutzbeauftragte beim ...amt
mit Schreiben vom 7. Juli 2011 zu folgenden sicherheitserheblichen Erkenntnis-
sen an:
In der Sicherheitserklärung vom 8. November 2009 habe der Antragsteller die
Frage 4.2 verneint und die Frage 4.1 bejaht. Das Amtsgericht M. habe mit Be-
schluss vom 23. November 2010 über sein Vermögen das Insolvenzverfahren
eröffnet. In den Befragungen durch den MAD habe der Antragsteller folgendes
angegeben: Er habe im Jahr 2005 eine Kneipe in D. übernommen. Diese sei
von Anfang an schlecht gelaufen; sämtliche Versuche, Gewinne zu erzielen
oder auch nur kostendeckend zu wirtschaften, seien erfolglos geblieben. Nach
der Geschäftsaufgabe im März 2009 sei der Verpächter des Lokals mit Forde-
rungen an ihn herangetreten, die er nicht habe begleichen können. Er habe sich
an einen Insolvenzverwalter gewandt, der eine Gläubigerliste erarbeitet und ihn
bei der Einleitung des Verbraucherinsolvenzverfahrens unterstützt habe. Die
Wohlverhaltensphase ende voraussichtlich am 23. November 2016. Jetzt kom-
me er mit seinem Geld aus.
Die Geheimschutzbeauftragte kündigte dem Antragsteller die Absicht an, ein
Sicherheitsrisiko nach Nr. 2414 Nr. 1 und Nr. 2 ZDv 2/30 festzustellen. Die dar-
gelegten Umstände begründeten Zweifel an seiner Eignung zum Geheimnisträ-
ger und außerdem eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- bzw. Wer-
bungsversuche fremder Nachrichtendienste. Eine verlässliche positive Progno-
se könne derzeit noch nicht gestellt werden, weil eine insolvenzgerichtliche Ent-
scheidung über die Restschuldbefreiung keineswegs automatisch erfolge, son-
dern erst nach erneuter Anhörung der Insolvenzgläubiger.
Mit Schreiben vom 4. August 2011 machte der Antragsteller im Wesentlichen
geltend: Er habe stets die Interessen seiner Dienststelle und der Bundeswehr
vertreten und private Anliegen hintangestellt. Dies werde durch seine über-
durchschnittlichen Beurteilungen und seine Förmlichen Anerkennungen belegt.
Die Probleme mit der von ihm geführten Gaststätte seien durch das Nichtrau-
chergesetz entstanden. Er habe geeignete Umbaumaßnahmen in die Wege
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leiten müssen, um die Vorgaben dieses Gesetzes zu erfüllen. Nach den Um-
bauarbeiten seien Stammgäste ausgeblieben und die Umsätze eingebrochen.
Da er zu dieser Zeit schon einige Zahlungsverpflichtungen gehabt habe, denen
er termingerecht nachgekommen sei, habe er an eine Geschäftsaufgabe zum
damaligen Zeitpunkt nicht denken dürfen. Im Rahmen der Weltwirtschaftskrise
2007 bis 2009 sei ihm dann kein anderer Weg geblieben, als zum 31. März
2009 das Geschäft aufzugeben. Im Jahr 2010 habe er sich an den Sozialdienst
der Bundeswehr gewandt und seine finanzielle Lage geschildert. Ihm sei eine
Verbraucherinsolvenz empfohlen worden. Diese habe er dann eingeleitet. Den
Fragebogen zur Sicherheitsüberprüfung habe er nach bestem Wissen ausge-
füllt. In den vergangenen fünf Jahren vor der Sicherheitserklärung sei es zu kei-
nen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gekommen. Ein Vollstreckungsbescheid
des Amtsgerichts A. vom 24. August 2009 sei nicht zum Einsatz gekommen,
weil der Gläubiger auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verzichtet habe und
man sich auf eine Ratenzahlung habe einigen können. Zu keiner Zeit habe er
unwahre bzw. unvollständige Angaben gemacht. Seit mehr als zwei Jahren sei
er ehrenamtlich in ... Justizvollzugsanstalten tätig, bei denen ebenfalls eine vor-
herige, jährlich zu aktualisierende Sicherheitsüberprüfung durchgeführt werde.
Dort habe es nie Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit
gegeben. Die letzte Aktualisierung der dortigen Sicherheitsüberprüfung sei am
1. Juni 2011 durchgeführt worden. Überdies sei er in der Wehrdienstgerichts-
barkeit als ehrenamtlicher Richter tätig. Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko
in seiner Person könne er deshalb nicht feststellen.
In dem anschließenden Schriftwechsel mit der Geheimschutzbeauftragten beim
...amt legte der Antragsteller weiterhin im Einzelnen dar, dass aus seiner Sicht
kein Grund für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos vorliege. Er übermittelte
der Geheimschutzbeauftragten den Bericht der Treuhänderin vom 26. Februar
2011, deren Schlussbericht vom 11. September 2012, den Beschluss des
Amtsgerichts M. vom 19. Oktober 2012 über die Vornahme der Schlussvertei-
lung sowie die Beschlüsse des Amtsgerichts M. vom 16. Januar 2013 und vom
7. Februar 2013 zur Ankündigung einer Restschuldbefreiung zum
23. November 2016.
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In ihrer Anhörungsverfügung vom 9. Juli 2012 erklärte die Geheimschutzbeauf-
tragte gegenüber dem Bevollmächtigten des Antragstellers, dass sie von der
Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß Nr. 2414 Nr. 1 ZDv 2/30 absehe,
dass sie aber ein Sicherheitsrisiko nach Nr. 2414 Nr. 2 ZDv 2/30 für begründet
halte.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. März 2013, dem Antragsteller am
22. März 2013 eröffnet, stellte die Geheimschutzbeauftragte beim ...amt fest,
dass die einfache Sicherheitsüberprüfung Ü 1 - Sabotageschutz - Umstände
ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Im November 2016 könne
bei Bedarf eine Wiederholungsüberprüfung eingeleitet werden, in der für den
Betroffenen gegebenenfalls eine günstigere Entscheidung in Frage kommen
könne.
Mit Schreiben vom 2. April 2013 übermittelte die Geheimschutzbeauftragte
beim ...amt dem Bevollmächtigten des Antragstellers die Entscheidungsgründe.
Darin erläuterte sie das Erfordernis, ein Sicherheitsrisiko nach Nr. 2414 Nr. 2
ZDv 2/30 festzustellen, wie folgt: Für den Antragsteller bestehe eine besondere
Gefährdung durch Anbahnungs- bzw. Werbungsversuche fremder Nachrichten-
dienste. Bei einem laufenden Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit
werde auch öffentlich bekannt, dass der Betroffene nicht zahlungsfähig sei.
Dieser könne leicht identifiziert und angesprochen werden. Die besondere Ge-
fährdungslage hinsichtlich der Ansprechbarkeit sei objektiv gegeben; deshalb
müsse zum Schutz der militärischen Sicherheit und zur Erfüllung des Verteidi-
gungsauftrages im Rahmen einer vorbeugenden Maßnahme ein Sicherheitsrisi-
ko festgestellt werden. Der besonderen nachrichtendienstlichen Gefährdung
könne mit Auflagen nicht hinreichend begegnet werden. Eine verlässliche posi-
tive Prognose könne aus sicherheitsmäßiger Bewertung nicht gestellt werden.
Dies gelte auch unter Berücksichtigung von Fürsorgegesichtspunkten und unter
Beachtung der positiven dienstlichen und fachlichen Leistungen des Antragstel-
lers. In Anbetracht der für den Antragsteller sprechenden Umstände erscheine
es vertretbar, bei Bedarf bereits im November 2016 eine Wiederholungsüber-
prüfung zuzulassen.
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Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller mit Schreiben vom 25. März
2013 Beschwerde ein, die sein Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 29. De-
zember 2013 im Wesentlichen wie folgt begründete: Zwar könne die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens noch keine positive Aussage über die zukünftige Ent-
wicklung der finanziellen Verhältnisse des Betroffenen indizieren. Gleichwohl
sei es erforderlich, sämtliche für und gegen eine positive Zukunftsprognose
sprechenden Aspekte bei der erforderlichen individuellen Ermessensentschei-
dung zu berücksichtigen. Dem werde die angefochtene Entscheidung nicht ge-
recht. Aus der Stellungnahme des Institutsleiters vom 22. August 2011 gehe
klar hervor, dass aus Sicht des Disziplinarvorgesetzten durch geeignete Maß-
nahmen (z.B. Einschränkungen des Zugangs zu Verschlusssachen oder des
Zugangs zum ...labor ...) die Feststellung eines Sicherheitsrisikos vermieden
werden könne. Diese Möglichkeiten habe die Geheimschutzbeauftragte nicht
geprüft. Der Institutsleiter habe die Zutrittsregelung neu gefasst und strenger
reguliert. Diese Maßnahme verhindere jeglichen unerlaubten Zutritt von nicht
zutrittsberechtigten Personen; dies gelte auch für ihn, den Antragsteller. Seit
seiner Verwendung am Institut ... habe er sich stets einwandfrei verhalten und
mehrere Förmliche Anerkennungen sowie exzellente Beurteilungen bekommen.
Das dritte Mal in Folge habe man ihm eine Leistungsprämie zuerkannt. Die be-
anstandungsfrei fortgesetzte Tätigkeit in einem sicherheitsempfindlichen Be-
reich bis zur Eröffnung des Ergebnisses der Sicherheitsüberprüfung habe in die
Prognoseerwägungen der Geheimschutzbeauftragten ebenfalls keinen Eingang
gefunden. Deshalb sei auch eine profunde Prüfung unterblieben, ob angesichts
seines konstruktiven und offenen Verhaltens im gesamten Verfahren anstelle
der Feststellung eines Sicherheitsrisikos bestimmte Auflagen und Einschrän-
kungen hinreichend seien. Zurzeit befinde er sich in der Wohlverhaltensphase
und könne wieder Ansparungen vornehmen. Über die eingeschaltete Treuhän-
derin hätten im Jahr 2013 weitere 8 000 € zugunsten der Gläubiger verwendet
werden können. In diesem Umfang hätten sich die Verbindlichkeiten verringert.
Die Beschwerde wies das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - mit Be-
scheid vom 16. Juni 2014 zurück. Es bestätigte die Feststellung eines Sicher-
heitsrisikos gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG in Verbindung mit Nr. 2414
Nr. 2 ZDv 2/30 und führte aus, dass der Antragsteller durch die Eröffnung des
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Insolvenzverfahrens einer erhöhten Gefahr der Ansprechbarkeit durch fremde
Nachrichtendienste ausgesetzt sei. Dieser besonderen Gefährdung könne mit
Auflagen nicht hinreichend begegnet werden. Derartige Gefahrensituationen
seien nicht ausreichend kalkulierbar und kontrollierbar. Eine verlässliche positi-
ve Prognose könne aus sicherheitsmäßiger Bewertung nicht gestellt werden.
Aufgrund des Präventivzwecks des staatlichen Geheimschutzes sei im Rahmen
der Güterabwägung im Zweifel dem Sicherheitsinteresse der Bundeswehr Vor-
rang vor privaten Belangen zu geben und ein Sicherheitsrisiko festzustellen.
Auch unter Beachtung von Fürsorgegesichtspunkten komme eine andere si-
cherheitsmäßige Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht, weil der
Antragsteller durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens objektiv einer erhöh-
ten Gefahr der Ansprechbarkeit ausgesetzt sei. Positive dienstliche fachliche
Leistungen sowie die positiven Stellungnahmen seiner Disziplinarvorgesetzten
und des Dienststellenleiters stünden dieser sicherheitsmäßigen Bewertung
nicht entgegen, weil sie die sicherheitserheblichen Umstände nicht revidieren
oder kompensieren könnten. Zumindest für die Dauer des laufenden Insolvenz-
verfahrens könne von einem Wegfall oder der Reduzierung der besonderen
Gefährdung des Antragstellers nicht ausgegangen werden.
Gegen diese ihm am 18. Juni 2014 eröffnete Entscheidung hat der Antragsteller
am 17. Juli 2014 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt.
Den Antrag hat das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - mit seiner
Stellungnahme vom 11. November 2014 dem Senat zur Entscheidung vorge-
legt.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens wiederholt und vertieft der An-
tragsteller sein Beschwerdevorbringen und weist ergänzend darauf hin, dass
die nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats erforderliche sorgfäl-
tige Prognoseabwägung unterblieben sei. In seinem Fall hätten unglückliche
Umstände zu der Insolvenz geführt. Der Sachverhalt sei insoweit unvollständig
erfasst worden. Er sei beanstandungsfrei weiter in sicherheitsempfindlicher Tä-
tigkeit verwendet worden. Seine Verschuldung mit etwa 60 000 € sei über-
schaubar. Zur Beseitigung seiner finanziellen Verbindlichkeiten habe er selbst
die Initiative ergriffen. Vor der Anhörung durch den MAD habe man ihn nicht
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darüber belehrt, dass er einen Rechtsbeistand hinzuziehen könne. Auch habe
man ihm eine Akteneinsicht in die Vorgänge des MAD vorenthalten.
Der Antragsteller beantragt,
den angefochtenen Beschluss (gemeint: Bescheid) der
Geheimschutzbeauftragten beim ...amt aufzuheben.
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es verteidigt den Inhalt seines Beschwerdebescheids und trägt ergänzend vor,
dass erst nach Ablauf der sogenannten Wohlverhaltensphase die Möglichkeit
einer Restschuldbefreiung abschließend zu prüfen sei. Wegen der Schuldenlast
bestehe rein objektiv die Gefahr eines Anbahnungsversuches fremder Nach-
richtendienste. Die Befragung durch den MAD sei nicht verfahrensfehlerhaft
durchgeführt worden. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SÜG erhalte der Betroffene vor
der Ablehnung der Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Gele-
genheit zur Äußerung. Das sei vorliegend geschehen. Im Rahmen der Ermitt-
lungsmaßnahmen des MAD nach § 12 Abs. 1, Abs. 5 SÜG bestehe hingegen
kein Recht des Betroffenen auf Anwesenheit eines Anwalts. Insoweit liege ein
Belehrungsfehler nicht vor. Im Übrigen verkenne der Antragsteller, dass erst
nach der Sachverhaltsermittlung des MAD eine abschließende rechtliche und
fachliche Würdigung erfolge, die in den Entscheidungsvorschlag an den Ge-
heimschutzbeauftragten oder in einen "glatten" Abschluss der Sicherheitsüber-
prüfung ohne weitere Beteiligung des Geheimschutzbeauftragten münde. Erst
ab diesem Zeitpunkt drohten dem Betroffenen rechtliche Risiken, denen der
Gesetzgeber mit der Regelung des § 6 SÜG begegnet sei. Im Rahmen seiner
Anhörung durch den MAD sei der Antragsteller allerdings zutreffend darüber
belehrt worden, dass die Befragung im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung
erfolge; auch auf datenschutz- und sicherheitsüberprüfungsrechtliche Vorgaben
sei er hingewiesen worden. Sein Akteneinsichtsgesuch habe der Antragsteller
im gerichtlichen Verfahren nicht mehr weiterverfolgt. Am 22. März 2013 seien
für den Antragsteller, um dem festgestellten Sicherheitsrisiko Rechnung zu tra-
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gen, folgende Maßnahmen getroffen worden: Die Zugangsberechtigung zum
Labor der ...stufe 3 sei ihm entzogen worden. Seine Zutrittsberechtigung zum
sonstigen Laborbereich habe man eingeschränkt. Der Sperrzonenausweis des
Antragstellers sei entsprechend geändert worden. Dem Antragsteller sei ein
Büroarbeitsplatz außerhalb des Laborbereichs zugewiesen worden, wo er seit-
dem fast ausschließlich mit administrativen Tätigkeiten als Qualitätsmanage-
ment-Beauftragter des Instituts beschäftigt sei. Er betrete den Laborbereich nur
noch unter Beaufsichtigung. Eine Wegversetzung des Antragstellers sei bisher
nicht erfolgt und sei auch nicht beabsichtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Ge-
richtsakten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums
der Verteidigung - 773/14 - und die Personalgrundakte des Antragstellers ha-
ben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
1. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist über die im Schriftsatz sei-
nes Bevollmächtigten vom 2. März 2015 beantragte Aufhebung des Bescheids
der Geheimschutzbeauftragten beim ...amt vom 11. März 2013 hinaus auch auf
die Aufhebung des Beschwerdebescheids des Bundesministeriums der Vertei-
digung vom 16. Juni 2014 zu erstrecken.
Dieser Anfechtungsantrag ist zulässig.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach
ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung der ent-
sprechenden Entscheidung angefochten werden (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss
vom 21. Oktober 2010 - 1 WB 16.10 - Rn. 25).
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2. Der Antrag ist auch begründet.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid der Geheimschutzbeauf-
tragten beim ...amt vom 11. März 2013 und der Beschwerdebescheid des Bun-
desministeriums der Verteidigung vom 16. Juni 2014 sind rechtswidrig; sie ver-
letzen den Antragsteller in seinen Rechten.
Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle dieser Bescheide ist die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung
durch das Bundesministerium der Verteidigung beim Senat (stRspr, vgl. z.B.
BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 - 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291).
Bis zu diesem Zeitpunkt - und damit auch durch einen Beschwerdebescheid
oder durch das Vorlageschreiben - können tatsächliche Anhaltspunkte für das
Vorliegen eines Sicherheitsrisikos einschließlich der dabei zu treffenden Prog-
nose in Ergänzung zu der Entscheidung des bzw. der Geheimschutzbeauftrag-
ten in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse
vom 27. September 2007 - 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13
Rn. 23 und vom 30. Januar 2014 - 1 WB 47.13 - juris Rn. 29).
Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist
eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit aus-
schließen soll (stRspr, z.B. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2012 - 1 WB
10.12 - juris Rn. 27 m.w.N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle, aufgrund
einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdi-
gung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vor-
gesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1
und 2 SÜG).
Zuständig für die Entscheidung, ob in der Person des Antragstellers ein Sicher-
heitsrisiko vorliegt, ist hier gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung
mit Nr. 2416 ZDv 2/30 die Geheimschutzbeauftragte beim ...amt.
Dem zuständigen Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in
der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich
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nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche
Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem
unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den
gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemein-
gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder
gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, z.B. BVerwG, Beschluss
vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 24 ff. m.w.N.).
Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des
hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko be-
reits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit
des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche
fremder Nachrichtendienste begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SÜG).
Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen
(§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zu-
gleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Solda-
ten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein ab-
strakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Sol-
daten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher
gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der
Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht
gerecht werden wird (stRspr, z.B. BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2012
- 1 WB 58.11 - juris Rn. 30; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975
- 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <353>).
Danach ist die Geheimschutzbeauftragte beim ...amt zwar von einem zutreffen-
den Sachverhalt ausgegangen (dazu nachfolgend a). Die Feststellung im Be-
scheid vom 11. März 2013, dass in der Person des Antragstellers ein Sicher-
heitsrisiko gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG in Verbindung mit Nr. 2414 Nr. 2
ZDv 2/30 vorliegt, weist unter Berücksichtigung dieser Vorgaben jedoch keine
rechtsfehlerfreie Prognose auf (dazu nachfolgend b). Zudem leidet die gesetz-
lich angeordnete Anhörung des Antragstellers an Verfahrensfehlern (dazu
nachfolgend c).
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a) Bei der Sachverhaltserfassung hat die Geheimschutzbeauftragte im Einzel-
nen die Entwicklung der angespannten finanziellen Verhältnisse des Antragstel-
lers sowie die Eröffnung, die Modalitäten und den Fortschritt des Verbrau-
cherinsolvenzverfahrens dokumentiert. Sie hat den Inhalt der Stellungnahmen
des Antragstellers, die Beschlüsse des Amtsgerichts M. vom 16. Januar 2013
und vom 7. Februar 2013 und die Ankündigung der Restschuldbefreiung zum
23. November 2016 berücksichtigt. Ferner hat sie die Berichte der Treuhänderin
sowie die Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers und
des Dienststellenleiters aufgegriffen und gewürdigt. Sie hat schließlich mit dem
Abstellen auf die sechsjährige Wohlverhaltensfrist inzident zum Ausdruck ge-
bracht, dass sie eine Verkürzung der Zeit, nach der eine Restschuldbefreiung
möglich ist, von sechs Jahren auf fünf Jahre nach dem "Gesetz zur Verkürzung
des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte"
vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379) nicht in Betracht gezogen hat. Das war zu-
treffend, weil diese Verkürzung der Frist nach Art. 6 Nr. 2 des vorbezeichneten
Gesetzes nicht für Insolvenzverfahren gilt, die vor dem 1. Juli 2014 beantragt
worden sind.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können sich tatsächliche An-
haltspunkte, die eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Wer-
bungsversuche fremder Nachrichtendienste im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 SÜG und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, aus einer hohen Ver-
schuldung des Betroffenen ergeben (z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 15. De-
zember 2009 - 1 WB 58.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 und vom
28. August 2012 - 1 WB 10.12 - juris Rn. 35). Aus der Tatsache einer erhebli-
chen Schuldenlast allein kann allerdings - auch in Fällen eines Insolvenzverfah-
rens des Betroffenen - noch nicht zwingend auf das Bestehen eines Sicher-
heitsrisikos geschlossen werden; vielmehr ist stets eine wertende Beurteilung
des Einzelfalls erforderlich, in die z.B. der Aspekt einbezogen werden kann, ob,
wie weit und mit welchem Erfolg die sogenannte Wohlverhaltensphase des In-
solvenzschuldners schon vorangeschritten ist (stRspr, z.B. BVerwG, Beschlüs-
se vom 6. September 2007 - 1 WB 61.06 -, vom 15. Dezember 2009 - 1 WB
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58.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22, vom 28. August 2012 - 1 WB 10.12 -
juris Rn. 35 und vom 30. Januar 2014 - 1 WB 47.13 - juris Rn. 36).
In dem angefochtenen Bescheid der Geheimschutzbeauftragten beim ...amt
wird eine Schuldensituation des Antragstellers festgestellt, die es diesem un-
möglich macht, seinen finanziellen Verpflichtungen uneingeschränkt und in vol-
lem Umfang Rechnung zu tragen. Mit der am 23. November 2010 erfolgten Er-
öffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens steht - wie das Amtsgericht aus-
drücklich ausgeführt hat - die Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers fest (§ 17
i.V.m. § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nach der Rechtsprechung des Senats kann
bereits der Umstand der Zahlungsunfähigkeit eines Soldaten die Annahme ei-
nes Sicherheitsrisikos durch den zuständigen Geheimschutzbeauftragten recht-
fertigen, wenn die Entscheidung im Übrigen insbesondere bei der Prognose die
notwendige einzelfallbezogene Würdigung der Indizwirkung der Zahlungsunfä-
higkeit für ein mögliches Sicherheitsrisiko enthält (BVerwG, Beschluss vom 28.
August 2012 - 1 WB 10.12 - juris Rn. 36 m.w.N.).
Diesem Erfordernis entsprechen die angefochtenen Bescheide nicht.
Sowohl die Geheimschutzbeauftragte beim ...amt als auch das Bundesministe-
rium der Verteidigung haben bei den prognostischen Erwägungen übereinstim-
mend auf eine objektiv feststehende besondere Gefährdung des Antragstellers
durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste ver-
wiesen, die für die gesamte Dauer der sogenannten Wohlverhaltensphase be-
stehe und deshalb eine positive Prognose für diesen Zeitraum ausschließe.
Das ist im Ansatz - unter anderem mit Blick auf die Bekanntmachung des Eröff-
nungsbeschlusses und auf damit erleichterte Möglichkeiten der Identifizierung
einer Person, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 30. Januar 2014 - 1 WB 47.13 - juris Rn. 37) - rechtlich nicht zu
beanstanden, wenn es nach der der Geheimschutzbeauftragten zustehenden
fachlichen Einschätzungsprärogative (dazu im Einzelnen: BVerwG, Beschluss
vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 32) tatsächlich eine
derartige sicherheitsrechtliche "Regelvermutung" geben sollte.
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Der zuständige Geheimschutzbeauftragte hat sich aber bei der Beurteilung, ob
ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, prognostisch zur künftigen Entwicklung
der Persönlichkeit des Antragstellers und seiner Verhältnisse zu äußern, weil
das Sicherheitsüberprüfungsverfahren im besonderen Maße einer vorbeugen-
den Risikoeinschätzung dient (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom
15. Dezember 2009 - 1 WB 58.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 29
m.w.N.). Dieses Erfordernis beruht auf dem Umstand, dass die Feststellung
eines Sicherheitsrisikos keine zusätzliche Ebene der repressiven Reaktion auf
ein individuelles (Fehl-)Verhalten des Betroffenen (gegebenenfalls nach einer
disziplinarrechtlichen und/oder strafrechtlichen Ahndung) darstellt, sondern eine
Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr. Der Aspekt der Gefahrenab-
wehr im Sicherheitsüberprüfungsrecht reduziert sich dabei nicht auf eine Ab-
wehr abstrakter Gefahren oder Gefährdungslagen, sondern wird entscheidend
durch die Bewertung der Persönlichkeit des Betroffenen und der Art und des
Schwerpunkts der konkreten vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
geprägt. Das unterstreicht der Gesetzgeber in § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG, wo er
die Feststellung eines Sicherheitsrisikos von der Gesamtwürdigung des
, insbesondere im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit, abhängig macht.
Das gilt auch für Fälle, in denen gegen den Betroffenen ein Insolvenzverfahren
eröffnet worden ist. Auch und insbesondere dann, wenn der zuständige Ge-
heimschutzbeauftragte bei einer solchen Sachlage von der Feststellung eines
Sicherheitsrisikos nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG absieht, ist er bei Anwen-
dung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG im Hinblick auf die erforderliche Risi-
koeinschätzung verpflichtet, Gesichtspunkte der Persönlichkeitsstruktur des
betroffenen Soldaten und die Frage der Gefährdungsintensität nach der Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens und im Verlauf der Wohlverhaltensphase zu
würdigen. Wortlaut und Normzweck des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG verlangen
eine spezifische Prüfung der Gefährdungsintensität, weil die Norm ausdrücklich
an eine Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche
fremder Nachrichtendienste anknüpft. In diesem Zusammenhang kann für die
Abwägung und die Prognose von Bedeutung sein, wie weit das Insolvenzver-
fahren fortgeschritten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2014 - 1 WB
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47.13 - juris Rn. 36), ob der Termin für die angekündigte Restschuldbefreiung
noch in weiter Zukunft liegt oder - wie im Fall des Antragstellers - bereits relativ
kurzfristig absehbar ist. Im maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtliche Überprü-
fung (bei der Vorlage des Verfahrens beim Senat am 14. November 2014) hatte
der Antragsteller die Wohlverhaltensphase immerhin bereits zu zwei Dritteln
beanstandungsfrei absolviert.
Zu diesen Gesichtspunkten und zu ihrer Relevanz für die Tätigkeit des Antrag-
stellers als Laborassistent in einem dem Sabotageschutz unterliegenden Institut
... haben weder die Geheimschutzbeauftragte beim ...amt noch das Bundesmi-
nisterium der Verteidigung in den angefochtenen Bescheiden oder im Vorlage-
schreiben prognostisch Stellung genommen. Vielmehr haben sie maßgeblich
auf eine objektive Gefährdung, also auf ein abstraktes Risiko abgestellt und
damit eine gewisse „Automatik“ zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfah-
rens und der Feststellung eines Sicherheitsrisikos nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SÜG etabliert. Daher fehlt es an der erforderlichen einzelfallbezogenen prog-
nostischen Würdigung der Indizwirkung der Zahlungsunfähigkeit des Antragstel-
lers für ein mögliches Sicherheitsrisiko nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG.
c) Außerdem weist die angefochtene Entscheidung einen Verfahrensfehler auf.
Dem Antragsteller war nach der gesetzlichen Anordnung in § 14 Abs. 3 Satz 4
und § 6 Abs. 1 Satz 1 SÜG vor Ablehnung der Zulassung zu einer sicherheits-
empfindlichen Tätigkeit Gelegenheit zu geben, sich persönlich zu den für die
Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Geheimschutzbeauftragte
beim ...amt hat dem Antragsteller mit ihrer Anhörungsverfügung vom 7. Juli
2011 aber lediglich eine Anhörung im schriftlichen Verfahren unter Verwendung
eines ihm zur Verfügung gestellten Beiblattes angeboten. Diese Gestaltung der
Anhörung ist nach der Rechtsprechung des Senats mit § 6 Abs. 1 Satz 1 SÜG
nicht zu vereinbaren und deshalb unzulässig (dazu im Einzelnen und zum Fol-
genden: BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 1 WB 57.12 - BVerwGE
148, 267 Rn. 56 ff.).
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Eine derartige Verletzung des Rechts auf persönliche Anhörung des Betroffe-
nen führt im jeweiligen Einzelfall zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung des
oder der Geheimschutzbeauftragten, wenn sich die Vorenthaltung der Möglich-
keit, sich gerade persönlich und nicht nur schriftlich zu äußern, entscheidungs-
erheblich auf die Feststellung eines Sicherheitsrisikos ausgewirkt hat. Das ist im
Fall des Antragstellers nicht mit der notwendigen Sicherheit auszuschließen.
Der Antragsteller hat sich vor Erlass der angefochtenen Entscheidung ausführ-
lich schriftlich - sowohl selbst als auch durch seinen Bevollmächtigten - geäu-
ßert. Speziell zu den Voraussetzungen der im Ergebnis dann entscheidungstra-
genden Feststellung eines Sicherheitsrisikos nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG
hat sein Bevollmächtigter im Schriftsatz vom 14. März 2012 unter dem Ab-
schnitt "7. Sonstiges" (auf Seite 7) Tatsachen dargelegt, die aus Sicht des An-
tragstellers gegen eine negative Prognose sprechen, und abschließend formu-
liert: "Sollten dennoch Zweifel verbleiben, erklärt sich Herr M. L. hiermit bereit,
in Begleitung des Unterzeichners einen persönlichen Termin im ...amt wahrzu-
nehmen". Auf dieses Angebot ist die Geheimschutzbeauftragte im Verlauf des
weiteren Anhörungs-Schriftwechsels nicht eingegangen. Eine persönliche An-
hörung des Antragstellers hat nach Aktenlage nicht stattgefunden. Da die erfor-
derliche Prognose - wie oben dargelegt - auch eine Bewertung der Persönlich-
keitsstruktur des Betroffenen einschließt, die im Einzelfall durch eine persönli-
che Anhörung unterstützt werden kann, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich
die Unterlassung der vom Antragsteller ausdrücklich angebotenen persönlichen
Anhörung auf die negative Prognose und damit auf das Ergebnis der angefoch-
tenen Entscheidung ausgewirkt hat.
Die angefochtenen Bescheide sind deshalb aufzuheben (§ 19 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO).
Die Geheimschutzbeauftragte beim ...amt hat von Amts wegen eine neue Ent-
scheidung über die Frage zu treffen, ob in der Person des Antragstellers ein
Sicherheitsrisiko besteht, sofern dieser wieder in sicherheitsempfindlicher Tä-
tigkeit verwendet werden soll.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit
§ 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.
Dr. von Heimburg Dr. Frentz Dr. Langer
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