Urteil des BVerwG vom 21.10.2010

Anweisung, Rechtliches Gehör, Bestandteil, Division

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 54.09
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberstleutnant ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Reiter und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Adams
am 21. Oktober 2010 beschlossen:
Die Anweisung des Personalamts der Bundeswehr vom 6.
Dezember 2007 an den Kommandeur der ...division und
der Beschwerdebescheid des Bundesministers der
Verteidigung vom 1. Dezember 2008 werden aufgehoben.
Der Bundesminister der Verteidigung wird verpflichtet, die
Streichung der Eintragungen in den Abschnitten 1.2 e und
1.3 der planmäßigen Beurteilung des Antragstellers vom
6.
Juni 2007 sowie die Entfernung der
Beurteilungsbeiträge vom 27. März 2006 und vom 7. Mai
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2007 aus dieser planmäßigen Beurteilung rückgängig zu
machen.
Die dem Antragsteller
im Verfahren vor dem
Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im
vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen
Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Anweisung des Personalamts der
Bundeswehr an den Kommandeur der 1. Luftwaffendivision, Korrekturen in den
Abschnitten 1.2 e und 1.3 seiner planmäßigen Beurteilung vom 6. Juni 2007
vorzunehmen und zwei Beurteilungsbeiträge aus dem Beurteilungsvorgang zu
entfernen; er beantragt, diese Maßnahmen rückgängig zu machen.
Der 1959 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit
voraussichtlich mit Ablauf des 30. November 2018 enden wird. Er wurde am 5.
März 1999 zum Oberstleutnant ernannt. Seit dem 1. Juni 2007 wird er als
Dezernent im Amt für ... - Außenstelle B. - verwendet.
Vom 1. April 2005 bis zum 31. Mai 2007 war er als Nachrichtenstabsoffizier und
Dezernatsleiter im Kommando ...division in F. eingesetzt. Während dieser
Verwendung wurde er vom 21. November 2005 bis zum 23. März 2006 als
personelle Verstärkung zur Dienstleistung beim ...kommando ... und erneut im
Zeitraum vom 11. Dezember 2006 bis zum 13. April 2007 zur Dienstleistung als
J 2 beim ...kommando ... jeweils nach ... T., USA, kommandiert. Zu diesen
Auslandsverwendungen des Antragstellers wurden am 27. März 2006 und am
7. Mai 2007 Beurteilungsbeiträge gefertigt.
Am 6. Juni 2007 erstellte der Chef des Stabes des Kommandos ...division für
den Antragsteller die planmäßige Beurteilung zum Vorlagetermin 30.
September 2007. Im Beurteilungsabschnitt 1.2 e (Teilnahme an einer
besonderen Auslandsverwendung/vergleichbaren Einsätzen) trug er unter
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„(Anzahl)“ ein: „2 / Beurteilungsbeträge beigefügt“. Im Abschnitt 1.3 der
Beurteilung (Besondere Auslandsverwendungen/Vergleichbare Einsätze im
Beurteilungszeitraum) trug er unter „(Anzahl Tage)“ ein: „240“.
Der Beurteilungsvorgang des Antragstellers wurde dem Personalamt der
Bundeswehr nach Angaben des Bundesministers der Verteidigung am 17.
August 2007 vorgelegt.
Das Personalamt wies den Kommandeur der ...division mit Schreiben vom 6.
Dezember 2007 unter Bezugnahme auf Nr. 801 ZDv 20/6 an, die formalen
Unrichtigkeiten in den Abschnitten 1.2 e und 1.3 der Beurteilung vom 6. Juni
2007 durch Streichung der dort vorgenommenen Eintragungen zu korrigieren
und die als Anlagen dem Beurteilungsvorgang beigefügten Beurteilungsbeiträge
zu entfernen. Zur Begründung führte das Personalamt aus, dass es sich bei
den Auslandsverwendungen des Antragstellers beim ...kommando ... in T.,
USA, nicht um besondere Auslandsverwendungen bzw. um vergleichbare
Einsätze handele, für die ein Beurteilungsbeitrag im Sinne der Nr. 505 Buchst. a
ZDv 20/6 zu fertigen sei. Die vergleichbaren Einsätze seien vom
Bundesministerium der Verteidigung (Führungsstab der Streitkräfte, Referat I 1)
am 7. November 2007 in einer Auflistung abschließend festgelegt worden. Die
beiden Verwendungen des Antragstellers in den USA seien in dieser
Festlegung nicht erfasst.
Am 22. Januar 2008 nahm der Chef des Stabes des Kommandos ...division als
zuständiger beurteilender Vorgesetzter die angeordneten Streichungen vor und
machte sie mit Handzeichen, Datum und Dienstsiegelabdruck kenntlich. Am 10.
März 2008 eröffnete er dem Antragsteller die vorgenommenen Korrekturen und
setzte ihn über die Entfernung der beiden Beurteilungsbeiträge aus dem
Beurteilungsvorgang in Kenntnis.
Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 20. März 2008 Beschwerde
ein. Er machte im Wesentlichen geltend, dass durch die Korrekturen
entscheidende Inhalte in den Beurteilungsabschnitten 3, 4 und 5 verändert
worden seien. Das wiege umso schwerer, weil er im Abschnitt 7 auf die
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offensichtliche „Schieflage“ zwischen dem Inhalt der Beurteilungsbeiträge
einerseits und den Wertungen der Einzelmerkmale in der Beurteilung
andererseits hingewiesen habe, worauf der nächsthöhere beurteilende
Vorgesetzte im Abschnitt 8 jedoch nicht eingegangen sei. Die Entfernung der
beiden Beurteilungsbeiträge stelle einen erheblichen Eingriff in die
Gesamtbeurteilung vom 6. Juni 2007 dar. Diese Beurteilung habe einheitlich
aus dem Beurteilungsvordruck A und aus den eigenständigen
Beurteilungsbeiträgen vom 27. März 2006 und vom 7. Mai 2007 bestanden.
Deshalb sei es aus seiner Sicht zwingend, dass die Beurteilung insgesamt
aufzuheben und der beurteilende Vorgesetzte zur Neufassung zu verpflichten
sei. Im Übrigen sei fraglich, ob die Festlegung des Führungsstabes der
Streitkräfte vom 7. November 2007 die bereits bestandskräftige Beurteilung
überhaupt habe erfassen können.
Die Beschwerde wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit
Beschwerdebescheid vom 1. Dezember 2008 als unzulässig zurück. Er führte
aus, das Ergebnis dienstaufsichtlicher Prüfungen stelle keine beschwerdefähige
Maßnahme für den Antragsteller dar.
Gegen diese ihm am 4. Dezember 2008 eröffnete Entscheidung hat der
Antragsteller am 18. Dezember 2008 die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Den Antrag hat der Bundesminister der
Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 8. September 2009 dem
Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller
ergänzend insbesondere vor:
Entgegen der Auffassung des Bundesministers der Verteidigung sei seine
Beschwerde gegen einen dienstaufsichtlichen Eingriff zulässig. Nach
abgeschlossenem Beurteilungsverfahren habe das Personalamt in der Sache
keine Änderungen der Beurteilung mehr vornehmen dürfen. Durch die
Separierung der beiden Beurteilungsbeiträge sei die planmäßige Beurteilung in
ihrem wesentlichen Inhalt nachhaltig verändert worden. Der beurteilende
Vorgesetzte, Oberst S., habe sich bei seinen Wertungen offensichtlich kurz
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gefasst, weil die beiden Beurteilungsbeiträge der Beurteilung als Anlage
beigefügt gewesen seien. Im Übrigen habe das Personalamt ihm, dem
Antragsteller, vor der beanstandeten Maßnahme kein rechtliches Gehör
gewährt.
Der Antragsteller beantragt,
den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, die
am 6. Dezember 2007 vom Personalamt der Bundeswehr
verfügte und am 10. März 2008 (offensichtlich gemeint:
am 22. Januar 2008) durch das Kommando der ...division
erfolgte Korrektur der planmäßigen Beurteilung vom 6.
Juni 2007 zurückzunehmen.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält die Beschwerde zwar für zulässig, weil die als Ergebnis der
dienstaufsichtlichen Prüfung durchgeführte Korrektur der Beurteilung gegen den
Willen des Antragstellers erfolgt sei und die entsprechende Anweisung des
Personalamts deshalb als truppendienstliche Maßnahme angefochten werden
könne. In der Sache habe das Personalamt nach Abschluss des
Beurteilungsverfahrens im Rahmen der ihm gemäß Nr. 901 ZDv 20/6
obliegenden Prüfung ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die beiden
Auslandsverwendungen des Antragstellers in T., USA, nicht als besondere
Auslandsverwendungen bzw. als vergleichbare Einsätze zu qualifizieren seien.
Deshalb hätten die insoweit angefertigten beiden Beurteilungsbeiträge nicht in
die Personalakte aufgenommen werden dürfen. Besondere
Auslandsverwendungen seien in § 59 Abs. 1 SG (offensichtlich gemeint: § 62
Abs. 1 SG in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Mai 2005
1482, 1501>) näher definiert. Der darin geforderte Beschluss der
Bundesregierung sei für Verwendungen von Soldaten beim ...kommando ... in
den USA nicht getroffen worden. Die Auslandsverwendungen des Antragstellers
könne man auch nicht als vergleichbare Einsätze gemäß Nr. 505 Buchst. a ZDv
20/6 werten. Denn der insoweit zuständige Führungsstab der Streitkräfte habe
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die strittigen Verwendungen nicht in seine Auflistung der „vergleichbaren
Einsätze“ aufgenommen. Das Personalamt sei nicht gehindert gewesen, den
diesbezüglichen Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung - FüS I 1 -
vom 7. November 2007 auf die Beurteilung des Antragstellers anzuwenden. Die
Entfernung der beiden Beurteilungsbeiträge aus dem Beurteilungsvorgang habe
nicht zur Folge, dass ein wesentlicher Teil der planmäßigen Beurteilung
weggefallen oder verändert sei. Die beiden Auslandsverwendungen seien im
Abschnitt 1.2 c (Beiträge Dritter) und im Abschnitt 12 (Ergänzende Angaben)
aufgeführt. Die Bewertung der Leistungen des Antragstellers in den
Beurteilungsbeiträgen habe der beurteilende Vorgesetzte gemäß Nr. 503
Buchst. i ZDv 20/6 in seine Gesamtwürdigung einbezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der
Verteidigung - PSZ I 7 - .../08 - und die Personalgrundakte des Antragstellers
haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
Der vom Antragsteller gestellte Sachantrag ist dahin auszulegen, dass er neben
dem Rechtsschutzziel, die am 22. Januar 2008 vollzogene Korrektur in den
Abschnitten 1.2 e und 1.3 seiner planmäßigen Beurteilung vom 6. Juni 2007
und die Entfernung der Beurteilungsbeiträge vom 27. März 2006 und vom 7.
Mai 2007 aus der Beurteilung rückgängig machen zu lassen, auch beantragt,
die Anweisung des Personalamts der Bundeswehr vom 6. Dezember 2007 und
den Beschwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung vom 1.
Dezember 2008 aufzuheben. In diesem Sinne ist der von ihm - als
Folgenbeseitigungsanspruch - geltend gemachte Antrag sachgerecht zu
ergänzen, weil anderenfalls die Anweisung des Personalamts ungeachtet ihres
Vollzuges weiter den Rechtsgrund für die Korrektur der planmäßigen
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Beurteilung und für die Separierung der beiden Beurteilungsbeiträge von der
Beurteilung bietet.
Damit geht der Senat nicht im Sinne des § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 88 VwGO
über das materielle Antragsbegehren hinaus, denn der Antragsteller hat schon
in seiner Beschwerdebegründung vom 4. August 2008 (Seite 2) ausdrücklich
die Rechtswidrigkeit der Anweisung des Personalamts gerügt.
1. Die Sachanträge sind zulässig.
a) Der gegen die Anweisung des Personalamts gerichtete Aufhebungsantrag ist
zulässig.
Das Personalamt hat seine Anweisung auf Nr. 801 ZDv 20/6 gestützt und die
getroffene Entscheidung als Korrektur einer „formalen Unrichtigkeit“ bezeichnet.
Eine derartige Berichtigung gemäß Nr. 801 Satz 2 ZDv 20/6 stellt eine der nach
Nr. 901 Satz 2 ZDv 20/6 zulässigen Maßnahmen des nachträglichen dienstauf-
sichtlichen Eingreifens in Beurteilungen dar (Beschluss vom 28. April 2009 -
BVerwG 1 WB 4.09 und 1 WB 5.09 - Buchholz 450.1 § 5 WBO Nr. 2 = NZWehrr
2009, 253).
Zwar ist das Ergebnis oder die Durchführung einer dienstaufsichtlichen Prüfung
grundsätzlich der wehrdienstgerichtlichen Kontrolle entzogen, weil die
Dienstaufsicht dem zuständigen Vorgesetzten nicht gegenüber dem
untergebenen Soldaten obliegt; sie dient damit nicht der Wahrung der Rechte
eines Soldaten im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (stRspr, Beschlüsse vom
9. August 2007 - BVerwG 1 WB 51.06 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 62 =
NZWehrr 2007, 252, vom 28. April 2009 - BVerwG 1 WB 78.08 - Buchholz
450.1 § 17 WBO Nr. 74 = NZWehrr 2009, 211 und vom 28. April 2009 -
BVerwG 1 WB 4.09 und 5.09 - a.a.O.). Die Korrektur oder Aufhebung einer
Beurteilung oder Stellungnahme im Wege der Dienstaufsicht durch die
personalbearbeitende Stelle nach Nr. 901 ZDv 20/6 ist aber ausnahmsweise als
dienstliche Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO zu qualifizieren
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und kann wehrdienstgerichtlich angefochten werden, wenn sie gegen den
Willen des beurteilten Soldaten erfolgt (stRspr, Beschlüsse vom 28. Mai 2008 -
BVerwG 1 WB 11.08 - und vom 28. April 2009 - BVerwG 1 WB 4.09 und 5.09 -
a.a.O., jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist im
Wehrbeschwerdeverfahren in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1
Satz 2 VwGO (i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO) außerdem ein Antrag zulässig, mit
dem ein Folgenbeseitigungsanspruch geltend gemacht wird. Dieser Anspruch
dient - als Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Vorgesetzten gemäß § 10
Abs. 3 SG - der Beseitigung von fortdauernden Schäden, die durch
rechtswidriges Handeln eines militärischen Vorgesetzten oder einer Dienststelle
der Bundeswehr herbeigeführt werden (Beschlüsse vom 20. September 2006 -
BVerwG 1 WB 25.06 - Buchholz 449.2 § 40 SLV Nr. 2 und vom 29. Januar
2008 - BVerwG 1 WB 10.07 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 42).
2. Die Anträge sind begründet.
Die Anweisung des Personalamts der Bundeswehr vom 6. Dezember 2007 ist -
auch in der Fassung des Beschwerdebescheids des Bundesministers der
Verteidigung vom 1. Dezember 2008 - rechtswidrig und verletzt den
Antragsteller in seinen Rechten. Der Folgenbeseitigungsanspruch des
Antragstellers ist begründet.
Nach Nr. 901 ZDv 20/6 prüfen die nächsthöheren Vorgesetzten und die
zuständige personalbearbeitende Stelle die Beurteilung und deren
ordnungsgemäßes Zustandekommen. Werden Verfahrensverstöße oder
inhaltliche Fehler festgestellt, entscheidet im Rahmen der Dienstaufsichtspflicht
jeder Vorgesetzte, solange er mit der Beurteilung befasst ist, anschließend die
personalbearbeitende Stelle, ob die Beurteilung oder eine Stellungnahme
aufgehoben, berichtigt oder ergänzt werden muss oder ob davon abgesehen
werden kann. Diese dienstaufsichtliche Prüfung ist - ungeachtet der
möglicherweise eingetretenen Bestandskraft der Beurteilung und der
Stellungnahmen höherer Vorgesetzter - solange zulässig, bis die
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nächstfolgende planmäßige Beurteilung abgeschlossen ist. Nr. 901 Satz 2 ZDv
20/6 erfordert dabei eine zweigliedrige Prüfung des jeweiligen Vorgesetzten
bzw. der personalbearbeitenden Stelle, nämlich einerseits die Feststellung
eines Verfahrensverstoßes oder eines inhaltlichen Fehlers und andererseits die
als Ermessensentscheidung ausgestaltete Prüfung, ob die Beurteilung oder die
Stellungnahme deshalb aufgehoben oder berichtigt bzw. ergänzt werden muss
oder ob davon abgesehen werden kann (Beschlüsse vom 18. August 2004 -
BVerwG 1 WB 8.04 - NZWehrr 2005, 118 und vom 28. April 2009 - BVerwG 1
WB 4.09 und 5.09 - a.a.O.).
a) Im Ergebnis zutreffend hat das Personalamt hier einen korrekturbedürftigen
Fehler in den Abschnitten 1.2 e und 1.3 der planmäßigen Beurteilung vom 6.
Juni 2007 festgestellt. Der Fehler ist allerdings nicht im Sinne der Nr. 801 Satz
2 ZDv 20/6 als „formale Unrichtigkeit“ zu qualifizieren. Hierzu gehören lediglich
Bezeichnungsfehler, die sich auf den Inhalt der Beurteilung nicht ausgewirkt
haben und die keinen Verfahrensfehler darstellen. Diese Voraussetzung ist hier
nicht erfüllt. Vielmehr handelt es sich bei der vom Personalamt beanstandeten
Beifügung der beiden strittigen Beurteilungsbeiträge zu der planmäßigen
Beurteilung und ihre Erwähnung in deren Abschnitten 1.2 e und 1.3 um
Verfahrensverstöße, weil die Beurteilungsbeiträge inhaltlich zu Unrecht als
Beiträge nach Nr. 505 Buchst. a ZDv 20/6 qualifiziert worden waren.
Nach Nr. 505 Buchst. a ZDv 20/6 ist beim Abschluss einer besonderen
Auslandsverwendung oder eines vergleichbaren Einsatzes ein
Beurteilungsbeitrag unter Beachtung der speziellen inhaltlichen und formellen
Anforderungen in Nr. 505 Buchst. a bis d zu erstellen. Der Begriff der
„besonderen Auslandsverwendung“ ist in § 62 Abs. 1 SG definiert. Nach dieser
Vorschrift sind besondere Auslandsverwendungen solche Verwendungen, die
aufgrund eines Übereinkommens, eines Vertrages oder einer Vereinbarung mit
einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen
Staat auf Beschluss der Bundesregierung im Ausland oder außerhalb des
deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen stattfinden. Ein
solcher Beschluss der Bundesregierung für Verwendungen von Soldaten beim
...kommando ... ist nicht getroffen worden. Damit fehlt den beiden
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Auslandseinsätzen des Antragstellers in T., USA, die Rechtsnatur einer
besonderen Auslandsverwendung, für die nach Nr. 505 Buchst. a ZDv 20/6 ein
spezieller Beurteilungsbeitrag zu fertigen ist.
Auch ein „vergleichbarer Einsatz“ im Sinne der Nr. 505 Buchst. a ZDv 20/6 liegt
nicht vor.
Nach Fußnote 1 zu Nr. 505 Buchst. a Satz 1 ZDv 20/6 werden „vergleichbare
Einsätze“ durch den Führungsstab der Streitkräfte festgelegt. Dem
Führungsstab der Streitkräfte steht dabei eine originäre
Einschätzungsprärogative zu, die nur im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG einer
wehrdienstgerichtlichen Kontrolle unterliegt. In seinem Grunderlass FüS I 1 vom
23. Januar 2007 zu Nr. 505 Buchst. a ZDv 20/6 hat der Führungsstab der
Streitkräfte in abstrakt-genereller Form die Kriterien bestimmt, die mit
besonderen Auslandsverwendungen vergleichbare Einsätze erfüllen müssen.
Diese Einsätze - entweder im Ausland oder außerhalb des deutschen
Hoheitsgebiets auf Schiffen/Booten bzw. in Luftfahrzeugen - müssen
Belastungen sowie erschwerende Besonderheiten mit sich bringen, die
besonderen Auslandsverwendungen vergleichbar sind. Dazu gehören nach Nr.
3 des Grunderlasses besondere zeitliche Belastungen, unregelmäßiger Dienst,
das Fehlen planbarer Freizeit, die Unterbringung in Zelten, Massenunterkünften
oder Containern, ferner besondere klimatische Bedingungen, die nicht dem
bundesdeutschen Standard entsprechen, erschwerende Besonderheiten für die
Kommunikation (etwa eingeschränkte Verfügbarkeit, hohe Telefonkosten), die
eingeschränkte Versorgung mit Sanitär- und Hygieneeinrichtungen und eine
gesteigerte Gefährdungslage. Nr. 4 des Grunderlasses regelt die
Entscheidungskompetenz des Führungsstabes der Streitkräfte, die
vergleichbaren Einsätze anhand der festgelegten Kriterien und unter Anlegung
eines strengen Maßstabs verbindlich festzustellen; diese Feststellung wird vom
Führungsstab in einer Übersicht der vergleichbaren Einsätze festgehalten und
der Personalführung über PSZ I 1 zur Verfügung gestellt.
Unter Bezugnahme auf diesen Grunderlass hat der Führungsstab der
Streitkräfte sodann im Erlass FüS I 1 vom 7. November 2007 mitgeteilt, dass er
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fünf Verwendungen als „vergleichbare Einsätze“ im Sinne der Nr. 505 Buchst. a
ZDv 20/6 festgestellt habe (im Einzelnen: Standing NATO Maritime Group 1
und Group 2 , Standing NATO Mine Countermeasure Group 1
und Group 2 und VN-Beobachtermissionen).
Im Zeitpunkt der angefochtenen Bescheide und der Vorlage des Verfahrens an
den Senat hatte demnach der Führungsstab der Streitkräfte die Verwendung
beim ...kommando ... in T. nicht als „vergleichbaren Einsatz“ festgestellt. Daher
waren die beiden strittigen Beurteilungsbeiträge als „einfache“
Beurteilungsbeiträge im Sinne der Nr. 503 Buchst. a ZDv 20/6 zu qualifizieren,
die in einer planmäßigen Beurteilung lediglich in Abschnitt 1.2 c als „Beiträge
Dritter“ zu erwähnen und im Übrigen im Rahmen der Gesamtwürdigung des
beurteilenden Vorgesetzten inhaltlich in die Beurteilung einzubeziehen sind,
ohne jedoch als eigenständige Anlagen Teil der Beurteilung zu werden (Nr. 503
Buchst. i ZDv 20/6).
b) Die angefochtene Anweisung erweist sich aber als ermessensfehlerhaft, weil
das Personalamt das ihm nach Nr. 901 Satz 2 ZDv 20/6 zustehende Ermessen
bei der Auswahl der möglichen dienstaufsichtlichen Maßnahmen nicht fehlerfrei
ausgeübt und insbesondere nicht erwogen hat, die Beurteilung insgesamt
aufzuheben. Für eine sorgfältige Ermessensausübung hätte hier besondere
Veranlassung bestanden, weil - wie der Antragsteller zutreffend vorträgt - durch
die Streichung der Angaben in den Abschnitten 1.2 e und 1.3 der Beurteilung
und durch die Entfernung der beiden Beurteilungsbeiträge aus der planmäßigen
Beurteilung deren Inhalt maßgeblich verändert wird.
Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Schon in der abschließenden Aufzählung der Beurteilungsarten in Nr. 201
Buchst. a ZDv 20/6 werden in Satz 2 bei den sechs dort genannten Aussagen
und Stellungnahmen mit Beurteilungscharakter die einfachen
Beurteilungsbeiträge nach Nr. 503 ZDv 20/6 nicht erwähnt, wohl aber - als erste
- die speziellen Beurteilungsbeiträge nach einer besonderen
Auslandsverwendung bzw. nach einem vergleichbaren Einsatz gemäß Nr. 505
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ZDv 20/6. Kennzeichnend für Beurteilungsbeiträge nach Nr. 505 ZDv 20/6 ist,
dass sie - wie reguläre Beurteilungen - den förmlichen Anhörungs-,
Erörterungs- und Eröffnungsverfahren nach Kapitel 6 und 7 der ZDv 20/6
unterliegen und dauerhafter Bestandteil der planmäßigen Beurteilung und
sodann auch Bestandteil der Personalakten werden (Nr. 505 Buchst. a letzter
Satz, Nr. 505 Buchst. c Satz 1 ZDv 20/6). Bei einfachen Beurteilungsbeiträgen
nach Nr. 503 ZDv 20/6 ist dagegen das Verfahren der Erörterung und Eröffnung
nach Kapiteln 6 und 7 ZDv 20/6 nicht durchzuführen (Nr. 503 Buchst. b Satz 2);
diese Beurteilungsbeiträge werden nicht Bestandteil der Beurteilung und sind
außerhalb der Personalakten zu verwahren. Sie sind drei Monate nach
Bestandskraft der Beurteilung zu vernichten (Nr. 503 Buchst. h Satz 1 ZDv
20/6).
Mit diesen Regelungen hat der Erlassgeber festgelegt, dass
Beurteilungsbeiträge nach Nr. 505 ZDv 20/6 einen materiell eigenständigen
Charakter aufweisen, weil sie - mit dem originären Werturteil des beurteilenden
Beitragsverfassers - inhaltlicher Bestandteil der planmäßigen Beurteilung
werden und bleiben und die Wertungen des zuständigen beurteilenden
Vorgesetzten aus der Perspektive eines weiteren Vorgesetzten ergänzen.
Spezielle Beurteilungsbeiträge im Sinne der Nr. 505 ZDv 20/6 sprechen also im
Rahmen der planmäßigen Beurteilung als selbständige Wertungen „durch sich
selbst“.
Die einfachen Beurteilungsbeiträge gemäß Nr. 503 Buchst. a Satz 1 ZDv 20/6
stellen demgegenüber lediglich unselbstständige Vorbereitungshandlungen dar,
die dem zur Beurteilung berufenen Vorgesetzten zusätzliche Erkenntnisquellen
eröffnen sollen. Die Feststellungen und Bewertungen in einem einfachen
Beurteilungsbeitrag nach Nr. 503 Buchst. a ZDv 20/6 sind nur insoweit
beachtlich, als sie bei der abschließenden Beurteilung zur Kenntnis genommen
und bedacht werden müssen. Der für die Beurteilung zuständige Vorgesetzte ist
dabei an die in diesen Beurteilungsbeiträgen enthaltenen Werturteile nicht in
der Weise gebunden, dass er sie in seine Beurteilung „fortschreibend“
übernehmen müsste (stRspr, vgl. Beschluss vom 8. März 2006 - BVerwG 1 WB
23.05 - Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 7 m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 5.
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November 1998 - BVerwG 2 A 3.97 - BVerwGE 107, 360 = Buchholz 236.11 §
1a SLV Nr. 5). Demgemäß ist in Nr. 503 Buchst. i ZDv 20/6 festgelegt, dass der
beurteilende Vorgesetzte auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung, die auch
die durch „einfache“ Beurteilungsbeiträge vermittelten Erkenntnisse
einzubeziehen hat, seine Bewertung in eigener Verantwortung trifft. Das
Werturteil des Verfassers eines einfachen Beurteilungsbeitrags steht also in der
Beurteilung nicht selbständig neben dem Werturteil des beurteilenden
Vorgesetzten, sondern geht inhaltlich darin auf.
Damit weist der Bewertungsvorgang des beurteilenden Vorgesetzten bei
einfachen Beurteilungsbeiträgen und solchen nach Abschluss besonderer
Auslandsverwendungen (bzw. vergleichbarer Einsätze) erhebliche Unterschiede
auf. Bei den speziellen Beurteilungsbeiträgen nach Nr. 505 ZDv 20/6 ist er frei
darin, ob er auf deren Inhalt Bezug nimmt, ob er sie zu eigenen Wertungen ins
Verhältnis setzt oder ob er sie „durch sich selbst“ sprechen lässt. Einfache
Beurteilungsbeiträge nach Nr. 503 ZDv 20/6 muss er hingegen „verarbeiten“
und im Rahmen seines eigenen Werturteils in die Beurteilung einbringen, ohne -
wie oben ausgeführt - an eine inhaltliche Fortschreibung ihres Inhalts gebunden
zu sein.
Die vom Personalamt angeordnete Korrektur verändert vor diesem Hintergrund
die planmäßige Beurteilung vom 6. Juni 2007 in ihrem materiellen Inhalt. Denn
mit der Separierung der beiden strittigen Beurteilungsbeiträge und der
Streichung der Angaben in den Abschnitten 1.2 e und 1.3 der Beurteilung
bleiben die Äußerungen des beurteilenden Vorgesetzten mit dem Inhalt stehen,
die er in Ausübung seines Beurteilungsspielraums in der Annahme formuliert
hat, die Beurteilungsbeiträge würden als dauerhafter Bestandteil der
Beurteilung (und der Personalakten) den personalführenden Stellen bei
künftigen Personalentscheidungen als zusätzliche eigenständige
Bewertungsquellen zur Verfügung stehen. Es ist daher nicht auszuschließen,
sondern sogar eher wahrscheinlich, dass die wertenden Äußerungen in der
planmäßigen Beurteilung inhaltlich anders ausgefallen wären, wenn der
beurteilende Vorgesetzte von einfachen Beurteilungsbeiträgen ausgegangen
wäre und nicht darauf vertraut hätte, dass die beiden strittigen
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Beurteilungsbeiträge als Bestandteil der Personalakte auch „für sich selbst
sprechen“ könnten.
Das Personalamt hätte deshalb im Rahmen des ihm nach Nr. 901 Satz 2 ZDv
20/6 zustehenden Ermessens prüfen und in seiner Entscheidung hinreichend
dokumentieren müssen, aus welchen Erwägungen eine Korrektur als
ausreichendes dienstaufsichtliches Mittel in Betracht kam oder ob
möglicherweise die Beurteilung insgesamt hätte aufgehoben werden müssen
bzw. - falls Letzteres nicht gewünscht war - ob von einer Änderung der
Beurteilung abgesehen werden sollte. Derartige Ermessenserwägungen hat das
Personalamt in der angefochtenen Anweisung jedoch nicht angestellt. Sie sind
auch nicht im Beschwerdebescheid oder in der Vorlage des Bundesministers
der Verteidigung an den Senat nachgeholt worden. Der Bundesminister der
Verteidigung hat in der Vorlage auf die Darlegung ergänzender
Ermessenserwägungen verzichtet, weil er von der unzutreffenden Annahme
ausgegangen ist, dass durch die Entfernung der beiden Beurteilungsbeiträge
wesentliche Aussagen und Bewertungen in der Beurteilung des Antragstellers
inhaltlich nicht verändert würden.
Die angefochtene Anweisung des Personalamts erweist sich deshalb als
ermessensfehlerhaft und ist aufzuheben (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1
Satz 1 WBO).
Dem Antrag auf Folgenbeseitigung ist in der aus dem Tenor ersichtlichen Form
zu entsprechen ( § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO).
Die vom Antragsteller angestrebte Rückgängigmachung der Anweisung des
Personalamts vom 6. Dezember 2007 ist nach wie vor möglich; die strittigen
Beurteilungsbeiträge sind nach dem Inhalt der vorgelegten Akten noch nicht
vernichtet. Es fehlt auch nicht an der Spruchreife.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1
Satz 1 WBO.
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Golze Dr. Frentz Dr. Langer