Urteil des BVerwG vom 22.07.2009

Stiefvater, Beförderung, Wahrheitspflicht, Staat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 53.08
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Hauptfeldwebel …,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Breitkreutz und
den ehrenamtlichen Richter Stabsfeldwebel Lüddens
am 22. Juli 2009 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3)
durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung.
Der … geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit mit einer festgesetzten Dienst-
zeit von 15 Jahren, die am 30. April 2013 endet. Zum Hauptfeldwebel wurde er
am 25. Februar 2008 ernannt. Derzeit wird er bei der 1./Bataillon … in F. als
Funkfeldwebel verwendet.
Für den Antragsteller waren zuletzt in den Jahren 1998/99 und 2003 erweiterte
Sicherheitsüberprüfungen (Ü 2) durchgeführt worden, bei denen sich keine Um-
stände ergaben, die im Hinblick auf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ein
Sicherheitsrisiko darstellten (Mitteilungen über das Ergebnis der Sicherheits-
überprüfung vom 8. Februar 1999 und vom 27. August 2003). In den Sicher-
heitserklärungen vom 30. November 1998 und vom 22. Juli 2003 hatte der An-
tragsteller dabei die Fragen Nr. 8.3 (Nahe Angehörige in einem Staat mit be-
sonderen Sicherheitsrisiken) und Nr. 8.4 (Sonstige Beziehungen zu einem Staat
mit besonderen Sicherheitsrisiken) jeweils mit „Nein“ beantwortet.
Aufgrund einer für seinen Dienstposten erforderlich gewordenen Sicherheits-
überprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) gab der Antragsteller unter dem
6. Juli 2005 eine weitere Sicherheitserklärung ab. Dabei bejahte er die Fragen
Nr. 8.3 und 8.4. Unter Nr. 13 (Ergänzende Angaben) führte er dazu aus:
„Meine Mutter heiratete am ...1997 Herrn I. P., geboren
am … in B., Bosnien-Herzegowina, und lebt heute in
Scheidung. Beide besuchten im Sommerurlaub die Familie
des Stiefvaters. Mein persönlicher Bezug zu dieser Person
war wie zu einem Bekannten aus dem täglichen Leben
und eher sporadisch bis selten. Kontakte zur Familie des
Stiefvaters sind von meiner Seite nie entstanden, ebenso
wenig wie ein Besuch dessen Familie.“
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In der Befragung durch den Militärischen Abschirmdienst am 21. Februar 2006
gab der Antragsteller an, dass er zwar keinen guten und engeren Kontakt zu
seinem Stiefvater gehabt und auch keine Reisen durchgeführt habe, die Exis-
tenz des Stiefvaters jedoch aus Angst vor Problemen in der Sicherheitsüberprü-
fung verschwiegen habe. Da seine Eltern inzwischen in Scheidung lebten und
er die Sicherheitserklärung für eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Si-
cherheitsermittlungen auszufüllen gehabt habe, habe er die Kreuze jetzt an die
richtige Stelle gesetzt. Bei der Sicherheitserklärung von 1998 habe er die Fra-
gen Nr. 8.3 und 8.4 offen gelassen und der Spieß habe sich darum „geküm-
mert“. Bei der Sicherheitserklärung von 2003 habe er die Fragen wiederum of-
fen gelassen und nur die Änderung seiner Adresse gemeldet.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2007 hörte der Geheimschutzbeauftragte im
Bundesministerium der Verteidigung den Antragsteller zu den vom Militärischen
Abschirmdienst ermittelten sicherheitserheblichen Erkenntnissen an.
Unter dem 21. März 2007 nahm der Antragsteller hierzu Stellung und erklärte,
dass ihm bei der Sicherheitserklärung von 1998 nicht klar gewesen sei, wofür
und weshalb diese Überprüfung so wichtig sei. Die Ü 2 sei für ihn damals nur
ein Formular gewesen, das er habe ausfüllen müssen. Da ihm einige Passagen
auf dem Formular nicht ganz klar gewesen seien, habe er den Kompaniefeld-
webel gefragt, was er zu seinem Stiefvater schreiben solle. Als später eine Ü 3
notwendig geworden sei, habe er sich mit dem S 2-Feldwebel in Verbindung
gesetzt. Hier sei er dann über die Wichtigkeit der Ü 3 aufgeklärt und in Sachen
Sicherheit sensibilisiert worden. Der S 2-Feldwebel sei mit ihm alle Angaben
durchgegangen und habe die fehlenden Angaben aus der Vergangenheit korri-
giert. Dass er früher sehr blauäugig gehandelt habe, sei ihm heute klar. Dies sei
jedoch nicht aus Angst, sondern aufgrund blinden Vertrauens in den Kom-
paniefeldwebel geschehen, der „das schon regeln“ würde. Bei der Sicherheits-
erklärung 2003 sei er zwischen Tür und Angel gefragt worden, ob sich etwas
geändert habe, wobei er lediglich die geänderte Adresse angegeben habe.
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Im Rahmen weiterer Überprüfungsmaßnahmen wurden der von dem Antrag-
steller benannte Kompaniefeldwebel und der frühere Sicherheitsbeauftragte der
Einheit des Antragstellers durch den Militärischen Abschirmdienst befragt. Der
frühere Kompaniefeldwebel erklärte, dass er allen Soldaten, die eine Sicher-
heitserklärung ausfüllen mussten, anhand der Ausfüllanleitung und bei Bedarf
auch persönlich mit Erklärungen zur Seite gestanden habe. Er habe jedoch nie-
mals selbst irgendwelche Änderungen oder Ergänzungen in den Sicherheitser-
klärungen vorgenommen, so definitiv auch nicht bei dem Antragsteller. Eben-
sowenig habe er jemals vorgeschlagen, erforderliche Angaben von sicherheits-
erheblicher Bedeutung beim Ausfüllen der Sicherheitserklärung wegzulassen.
Der frühere Sicherheitsbeauftragte erklärte, ihm sei nicht erinnerlich, dass er bei
der Sicherheitserklärung des Antragstellers Ergänzungen oder Änderungen
vorgenommen habe. Grundsätzlich sei dies nur in Absprache mit dem jeweili-
gen Soldaten erfolgt und dann auch entsprechend kenntlich gemacht worden.
Der Kompaniechef des Antragstellers äußerte sich unter dem 28. Januar 2008
zugunsten des Antragstellers und erklärte, dass aus seiner Sicht an der Eig-
nung des Antragstellers als Geheimnisträger nicht zu zweifeln sei.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2008 teilte der Geheimschutzbeauftragte dem
Antragsteller mit, dass er aufgrund der tatsächlichen Anhaltspunkte gehalten
sei, die Sicherheitsüberprüfung mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos ab-
zuschließen. Die Tatsache, dass der Antragsteller in zwei Sicherheitserklärun-
gen sicherheitserhebliche Angaben unterlassen habe, um sich einen persönli-
chen Vorteil zu verschaffen, zeige ein fehlendes Verantwortungsbewusstsein,
welches Zweifel an seiner Zuverlässigkeit als Geheimnisträger begründe. Der
von dem Antragsteller beabsichtigte Vorteil liege darin, dass er sich von dem
Unterlassen der Angaben zu seinem damaligen, aus Bosnien-Herzegowina
stammenden Stiefvater versprochen habe, die Sicherheitsüberprüfungen ohne
Schwierigkeiten und Nachteile zum Abschluss zu bringen. Im Rahmen der Si-
cherheitsüberprüfung komme es jedoch entscheidend auf die Verlässlichkeit
hinsichtlich der wahrheitsgemäßen und vollständigen Beantwortung der Fragen
an. Falsche Angaben in der Sicherheitserklärung stellten einen schwerwiegen-
den Verstoß gegen die Wahrheitspflicht mit der Folge dar, dass Zweifel an der
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Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit in sicherheitsmäßiger Hinsicht be-
gründet seien. Aus dem Verhalten des Antragstellers, das erst durch die Si-
cherheitsüberprüfung im Jahre 2005 aufgedeckt worden sei, lasse sich ableiten,
dass er zur Unwahrheit neige, wenn andernfalls Schwierigkeiten zu erwarten
seien. Es bestünden deshalb nachhaltige Zweifel, dass er beim Umgang mit
oder beim Zugang zu Verschlusssachen derart korrekt arbeiten werde, dass bei
eventuellen Verlusten mit uneingeschränkter Offenheit und Ehrlichkeit gerech-
net werden könne. Der Antragsteller müsse erst über einen längeren Zeitraum
beweisen, dass sich der Dienstherr uneingeschränkt auf sein Wort und sein
Verhalten verlassen könne. Da er aus heutiger Sicht hierfür noch nicht die Ge-
währ biete, könne noch keine positive Prognose gestellt werden. Unter Berück-
sichtigung der Stellungnahme seines Vorgesetzten und der Tatsache, dass das
unbedachte Verhalten schon mehrere Jahre zurückliege, werde jedoch bereits
nach zwei Jahren eine Wiederholungsüberprüfung zugelassen, sofern der An-
tragsteller dann für eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit eingeplant werde.
Mit Bescheid vom 27. Februar 2008, dem Antragsteller eröffnet am 24. April
2008, stellte der Geheimschutzbeauftragte fest, dass die erweiterte Sicherheits-
überprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) Umstände ergeben habe, die ein
Sicherheitsrisiko darstellten. Die Entscheidung schließe auch einen Einsatz in
einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach Ü 1/Ü 2 aus. Eine Wiederho-
lungsüberprüfung werde nach Ablauf von zwei Jahren zugelassen.
Bereits mit Schreiben vom 17. März 2008 hatte der Antragsteller Beschwerde
gegen die Feststellung des Sicherheitsrisikos eingelegt. Der Bundesminister der
Verteidigung - PSZ I 7 - wertete dieses Schreiben als Antrag auf gerichtliche
Entscheidung und legte es dem Senat zusammen mit seiner Stellungnahme
vom 9. Juli 2008 vor.
Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Es treffe nicht zu, dass er sich einen Vorteil durch zwei unwahre Meldungen ha-
be verschaffen wollen. Bei der Sicherheitserklärung von 1998 habe er sich bei
seinem Kompaniefeldwebel erkundigt, wie er die Staatsangehörigkeit seines
Stiefvaters in der Sicherheitserklärung behandeln solle. Der Kompaniefeldwebel
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habe gefragt: „Ob ich die Ü 2 jetzt wolle oder nicht?!“; er habe die Papiere in
Empfang genommen und gesagt, er kümmere sich darum. Da damals keinerlei
Rückfragen gekommen seien, habe er, der Antragsteller, sich auch weiter keine
Sorgen gemacht. Fünf Jahre später habe ihn der damalige Sachbearbeiter ei-
nes Morgens gefragt, ob er, der Antragsteller, eine Minute Zeit habe, weil er
wissen müsse, ob sich bezüglich seiner Sicherheitsüberprüfung etwas geändert
habe. Die Frage nach dem Familienstand und dem Wohnort habe er dann ent-
sprechend den damaligen Gegebenheiten beantwortet. Es sei nicht explizit ge-
fragt worden, ob noch sonstige Umstände, die für eine Sicherheitsüberprüfung
relevant wären, bekannt seien. Erst bei Einleitung der Sicherheitsüberprüfung
Ü 3 sei er das erste Mal über das richtige Ausfüllen der Sicherheitserklärung
aufgeklärt worden. Erst dabei habe er erfahren, dass er Angaben zu seinem
Stiefvater machen müsse. Aufgrund seiner damaligen Unwissenheit und unge-
nügender Aufklärung durch die damaligen Sachbearbeiter seien die Daten zu
seinem Stiefvater nie eingearbeitet worden. Er habe jedoch nie beabsichtigt,
wichtige Informationen zu vertuschen oder zu verheimlichen.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Grundlage der Bewertung sei der wiederholte Verstoß des Antragstellers gegen
die ihm im Rahmen des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens obliegende Wahr-
heitspflicht. Dieses Verhalten rufe nachhaltige Zweifel an der für eine sicher-
heitsempfindliche Tätigkeit unabdingbaren Vertrauenswürdigkeit und Zuverläs-
sigkeit hervor. Die Einlassung des Antragstellers, die falschen Angaben in den
Sicherheitserklärungen von 1998 und 2003 seien nicht vorsätzlich erfolgt und
durch andere Personen vorgenommen worden, seien als Schutzbehauptung zu
bewerten. Die als Zeugen benannten Soldaten hätten die Darstellung des An-
tragstellers nicht bestätigt, sondern vielmehr eine nachträgliche Veränderung
der Sicherheitserklärung ausgeschlossen. Zudem sei die Sicherheitserklärung
von 2003 maschinenschriftlich erstellt worden; dabei seien auch die Fragen
Nr. 8.3 und 8.4 mittels eines maschinellen Kreuzes beantwortet. Ein „Offenlas-
sen“ der Fragen, wie es der Antragsteller anfänglich vorgetragen habe, bzw. ei-
ne nachträgliche Änderung der Angaben, ohne dass dies erkennbar wäre, sei
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somit auszuschließen. Der Antragsteller widerspreche sich zudem selbst, indem
er einerseits vortrage, dass er „vergessen“ habe, seinen Stiefvater zu er-
wähnen, um dann andererseits zu behaupten, er habe die Fragen Nr. 8.3 und
8.4 offen gelassen, weil er nicht gewusst habe, wie er die Beziehung zu seinem
Stiefvater habe aufzeigen müssen. Zum selben Sachverhalt habe er in der Be-
fragung durch den Militärischen Abschirmdienst ausgeführt, die Beziehung zu
seinem Stiefvater aus Angst vor Problemen verschwiegen zu haben.
Im Übrigen wiederholt und bekräftigt der Bundesminister der Verteidigung
- PSZ I 7 - die Darlegungen des Geheimschutzbeauftragten zu den sicherheits-
erheblichen Erkenntnissen und deren Bewertung, zur Prognose der künftigen
Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers sowie zur Güterabwägung
und zu den Fürsorgeaspekten. Der Umstand, dass der Antragsteller während
des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens zum Hauptfeldwebel befördert worden
sei, sei dem Geheimschutzbeauftragten nicht bekannt gewesen. Die Beförde-
rung stelle die Entscheidung allerdings nicht in Frage, weil zwischen der Zuver-
lässigkeit im Sinne des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes und der Zuverlässig-
keit als Bestandteil der Eignung eines Soldaten für die Wahrnehmung der
Funktion eines höheren Dienstgrades zu unterscheiden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Ak-
ten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidi-
gung - PSZ I 7 - Az.: … - und die Personalgrundakte des Antragstellers haben
dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Bundesminister der Verteidigung hat die „Beschwerde“ vom 17. März
2008 zutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das Bundes-
verwaltungsgericht gewertet (§ 21 Abs. 1 WBO).
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Der Antragsteller hat keinen bestimmten Sachantrag gestellt. Bei sach- und in-
teressengerechter Auslegung seines Vorbringens beantragt er sinngemäß, den
Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidi-
gung vom 27. Februar 2008 über die Feststellung eines Sicherheitsrisikos auf-
zuheben.
2. Dieser Antrag ist zulässig.
Anzufechtende Maßnahme ist bei der Feststellung eines Sicherheitsrisikos nicht
das Schreiben des Geheimschutzbeauftragten, das dem Betroffenen die
Eröffnung des Ergebnisses der Sicherheitsüberprüfung ankündigt und ihm die
Gründe für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos erläutert, sondern die auf
dem Formblatt nach Anlage C 10 zu Nr. 2710 ZDv 2/30 getroffene Entschei-
dung. Verfahrensgegenstand und Beschwerdeanlass im Sinne von § 6 Abs. 1
WBO ist im vorliegenden Fall also nicht das dem Antragsteller am 10. März
2008 ausgehändigte Begründungsschreiben des Geheimschutzbeauftragten
vom 27. Februar 2008, sondern der auf denselben Tag datierte, dem Antrag-
steller jedoch erst am 24. April 2008 eröffnete förmliche Bescheid. Die bereits
mit Schreiben vom 17. März 2008 erhobene „Beschwerde“ ist damit zu früh und
insofern nicht fristgerecht eingelegt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist
dies jedoch unschädlich (vgl. Beschlüsse vom 6. September 2007 - BVerwG
1 WB 62.06 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 65 und vom 11. März 2008
- BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 <292 f.> = Buchholz 402.8 § 14
SÜG Nr. 14). Der verfrüht gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird
zulässig, wenn die förmliche Bekanntgabe des Bescheids spätestens im Zeit-
punkt der Vorlage des Antrags beim Wehrdienstgericht erfolgt ist. Das war hier
der Fall, weil der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten dem Antragsteller
noch vor der Vorlage seines Antrags an den Senat eröffnet worden ist. Der
Soldat ist nach der förmlichen Eröffnung des Bescheids nicht genötigt, den An-
trag auf gerichtliche Entscheidung zu wiederholen.
3. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Geheimschutzbeauf-
tragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 27. Februar 2008 ist recht-
mäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
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Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist
eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit aus-
schließen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 11. März 2008 a.a.O. S. 293 f.
m.w.N.). Die Beurteilung des Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose der
künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Soldaten und seiner Verhältnisse
darstellt, darf sich dabei nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte
Besorgnis stützen, sondern muss auf der Grundlage tatsächlicher Anhaltspunk-
te getroffen werden. Dabei gibt es keine „Beweislast”, weder für den Soldaten
dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt
hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat
diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht
werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 1 WB
54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 und vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB
63.06 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -
BVerfGE 39, 334 <353>).
Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der ihm hiernach obliegenden Ent-
scheidung ein Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt
sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachver-
halt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rah-
men, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemein gültige Wertmaß-
stäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfah-
rensvorschriften verstoßen hat (Beschluss vom 18. August 2004 - BVerwG
1 WB 37.04 - insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 18
m.w.N.).
Die Feststellung des - hier zuständigen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i.V.m.
Nr. 2416 ZDv 2/30) - Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der
Verteidigung, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vor-
liegt, steht im Einklang mit diesen Grundsätzen.
a) Der Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt
ausgegangen.
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Der Geheimschutzbeauftragte hat als sicherheitserheblichen Umstand die Tat-
sache gewertet, dass der Antragsteller in den Sicherheitserklärungen vom
30. November 1998 und vom 22. Juli 2003 die Fragen Nr. 8.3 (Nahe Angehöri-
ge in einem Staat mit besonderen Sicherheitsrisiken) und Nr. 8.4 (Sonstige Be-
ziehungen zu einem Staat mit besonderen Sicherheitsrisiken) jeweils mit „Nein“
beantwortet hat, obwohl seine Mutter am … 1997 einen Staatsangehörigen von
Bosnien-Herzegowina geheiratet hatte. Diese Tatsachenfeststellung ist nicht zu
beanstanden. Die Darstellung des Antragstellers, er habe die Fragen Nr. 8.3
und Nr. 8.4 jeweils offen gelassen und die Antworten (Ankreuzen von „Nein“)
seien durch den damaligen Kompaniefeldwebel bzw. den S 2-Feldwebel einge-
fügt worden, erscheint nicht glaubhaft. Sie widerspricht zum einen der ur-
sprünglichen Äußerung des Antragstellers in der Befragung durch den Militäri-
schen Abschirmdienst am 21. Februar 2006, in der er angegeben hatte, die
Person des Stiefvaters aus Angst vor Problemen in der Sicherheitsüberprüfung
verschwiegen zu haben. Zum anderen besteht kein Anlass, an der Richtigkeit
der Aussagen des Kompaniefeldwebels und des S 2-Feldwebels zu zweifeln,
die erklärt haben, keine Ergänzungen oder Änderungen in den Sicherheitser-
klärungen vorgenommen und dem Antragsteller auch nicht vorgeschlagen zu
haben, bestimmte Angaben beim Ausfüllen der Sicherheitserklärung wegzulas-
sen; es ist kein Grund oder Motiv dafür ersichtlich, warum zwei Vorgesetzte in
verantwortlicher Funktion ihrerseits schwerwiegende Dienstvergehen begangen
haben sollten, um den Antragsteller bei seinem Fehlverhalten zu „unterstützen“.
Unabhängig davon müsste der Antragsteller selbst dann, wenn er das Ausfüllen
einzelner Punkte anderen Personen überlassen haben sollte, sich deren Erklä-
rungen zurechnen lassen, weil er mit seiner Unterschrift unter die Sicherheits-
erklärung bestätigt hat, alle Angaben nach bestem Wissen wahrheitsgemäß
und vollständig gemacht zu haben.
b) Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in den
zweimaligen unrichtigen Angaben in den Sicherheitserklärungen hinreichende
tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers
bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit erkannt hat. Er
hat mit dieser Einschätzung weder den anzuwendenden Begriff oder den
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gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt noch
allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen
angestellt.
Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG, Nr. 2414
Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der
Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und damit ein Sicher-
heitsrisiko begründen, können sich nach der Rechtsprechung des Senats unter
anderem daraus ergeben, dass der Betroffene ein Dienstvergehen begangen
hat, das auch ohne speziellen Bezug zu Geheimhaltungsbestimmungen ein ge-
störtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lässt (vgl. Beschlüsse vom
9. November 2005 - BVerwG 1 WB 19.05 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 19 und
vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 17.05 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 20 =
NZWehrr 2006, 153). In Übereinstimmung hiermit nennt Hinweis Nr. 9 zu
Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 (Anlage C 18) als Beispiel für entsprechende
Anhaltspunkte Verstöße des Betroffenen gegen Dienstpflichten. Dabei kommt
der Pflicht, in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1
SG), ein besonderes Gewicht für die sicherheitsrechtliche Beurteilung zu (vgl.
Beschlüsse vom 6. September 2007 - BVerwG 1 WB 61.06 - und vom 12. Au-
gust 2008 - BVerwG 1 WB 28.07 -). Nicht nur, aber gerade auch im Umgang mit
geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen
muss sich die militärische Führung auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen,
Erklärungen und Aussagen jederzeit und grundsätzlich ohne weitere Nachprü-
fung verlassen können (vgl. allgemein zum Stellenwert der Wahrheitspflicht Ur-
teil vom 26. Januar 2000 - BVerwG 2 WD 33.99 - Buchholz 236.1 § 13 SG Nr. 6
= NZWehrr 2001, 124 m.w.N.).
Es begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken, dass der Geheimschutzbe-
auftragte die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers als Geheimnis-
träger vor allem mit dessen Verstößen gegen die Wahrheitspflicht begründet
und dabei insbesondere die Bedeutung richtiger und vollständiger Angaben in
der für die Sicherheitsüberprüfung unerlässlichen Eigenerklärung hervorgeho-
ben hat. Zulasten des Antragstellers konnte auch dessen Motivation gewertet
werden, durch das Verschweigen sicherheitserheblicher Angaben möglichen
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Schwierigkeiten oder persönlichen Nachteilen bei der Sicherheitsüberprüfung
aus dem Weg zu gehen. Es entlastet den Antragsteller nicht, dass er solche
Nachteile tatsächlich nicht zu befürchten hatte, weil bei wahrheitsgemäßer An-
gabe des Stiefvaters ein Sicherheitsrisiko voraussichtlich nicht festgestellt wor-
den wäre (vgl. Schreiben des Geheimschutzbeauftragten vom 27. Februar 2008
unter III.); dieser Umstand bekräftigt vielmehr die Einschätzung des Ge-
heimschutzbeauftragten, dass der Antragsteller in für ihn kritischen Situationen
zur Unwahrheit neigt. Der Antragsteller kann sich schließlich auch nicht mit Er-
folg auf die - von ihm behauptete - Unkenntnis über die Bedeutung der falsch
beantworteten Fragen Nr. 8.3 und Nr. 8.4 berufen. Als Hilfestellung besteht eine
„Anleitung zum Ausfüllen der Sicherheitserklärung für die erweiterte Sicher-
heitsüberprüfung und die erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitser-
mittlungen“ (Anlage C 3, Beilage 1 zu ZDv 2/30), deren Berücksichtigung der
Antragsteller mit seiner Unterschrift unter die Sicherheitserklärung versichert
hat (siehe den Text nach Frage Nr. 14). Die Anleitung erläutert zu Nr. 8.3, dass
unter „Eltern“ auch „Stiefeltern“ fallen, und verweist unter Nr. 8 auf eine beige-
fügte Staatenliste, aus der sich ergibt, dass zu den Staaten mit besonderen Si-
cherheitsrisiken auch „Bosnien und Herzegowina“ zählt. Auch im Übrigen kann
der Antragsteller mit seiner Einlassung, er sei sich über die Bedeutung der Si-
cherheitserklärung nicht im Klaren gewesen bzw. er sei über das richtige Aus-
füllen der Sicherheitserklärung nicht hinreichend aufgeklärt worden, die Ver-
antwortung nicht auf andere abwälzen. Es wäre - wenn die von ihm vorgetrage-
nen Unsicherheiten tatsächlich bestanden haben sollten - Sache des An-
tragstellers gewesen, sich die erforderlichen Informationen bei dem Kompanie-
oder S 2-Feldwebel zu beschaffen; unterlässt er dies, so bestätigt dies lediglich
die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheits-
empfindlichen Tätigkeit.
c) Der Geheimschutzbeauftragte hat mit der prognostischen Einschätzung des
Sicherheitsrisikos den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschrit-
ten (vgl. zum Erfordernis einer Prognose der künftigen Entwicklung der Persön-
lichkeit des Antragstellers und seiner Verhältnisse Beschlüsse vom 8. März
2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR
7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 und vom 11. März 2008 - BVerwG
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1 WB 37.07 – BVerwGE 130, 291 <296 ff.> = Buchholz 402.8 § 14 SÜG
Nr. 14). Es ist nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte aus
der Verletzung der Wahrheitspflicht beim Ausfüllen der Sicherheitserklärung
abgeleitet hat, dass der Antragsteller zur Unwahrheit neige, wenn andernfalls
Schwierigkeiten zu erwarten seien, und deshalb Zweifel daran bestünden, dass
bei Problemen, die sich dem Antragsteller beim Umgang mit Verschlusssachen
stellen könnten, mit dessen uneingeschränkter Offenheit und Ehrlichkeit ge-
rechnet werden könne. Nicht zu beanstanden ist auch, dass der Geheim-
schutzbeauftragte es deshalb für erforderlich gehalten hat, dass der Antragstel-
ler, um eine positive Entwicklungsprognose stellen zu können, erst über einen
längeren Zeitraum seine Zuverlässigkeit unter Beweis stellen müsse.
Die für den Antragsteller sprechenden Gesichtspunkte - insbesondere die posi-
tive Stellungnahme seines Vorgesetzten und die Tatsache, dass das Fehlver-
halten einige Jahre zurückliegt - hat der Geheimschutzbeauftragte mit der Zu-
lassung der Wiederholungsüberprüfung bereits nach zwei Jahren und damit im
Sinne einer deutlichen Verkürzung der regelmäßigen Frist von fünf Jahren
(Nr. 2710 Abs. 2 Satz 1 ZDv 2/30) berücksichtigt. Er hat damit zugleich einzel-
fallbezogen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.
d) Rechtmäßig ist ferner, dass der Geheimschutzbeauftragte die Feststellung
eines Sicherheitsrisikos auf die Verwendung des Antragstellers in einer sicher-
heitsempfindlichen Tätigkeit der Überprüfungsart Ü 1 erstreckt hat. Für die Be-
urteilung der Zuverlässigkeit des Antragstellers und die Risikoeinschätzung er-
geben sich im vorliegenden Fall insoweit keine von der erweiterten Sicherheits-
überprüfung (Ü 2) abweichenden Gesichtspunkte.
e) Keinen Bedenken begegnet schließlich, dass die Feststellung eines Sicher-
heitsrisikos trotz der fast zeitgleichen Beförderung des Antragstellers zum
Hauptfeldwebel getroffen wurde (vgl. zum Folgenden Beschluss vom 8. August
2007 - BVerwG 1 WB 52.06 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 12). Zwar erscheint
es fraglich, ob der Auffassung des Bundesministers der Verteidigung
- PSZ I 7 -, dass zwischen der Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 SÜG und der Zuverlässigkeit als Teil der Eignung eines Soldaten für die
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Verleihung eines höheren Dienstgrads (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3 SG) zu un-
terscheiden ist, in dieser Allgemeinheit zu folgen ist. So kann die Beförderung in
einen hohen Dienstgrad, der in der Regel mit einer Verwendung in sicher-
heitsempfindlichen Tätigkeiten verbunden ist, implizit auch eine Aussage über
die persönliche Zuverlässigkeit des Soldaten in sicherheitsrechtlicher Hinsicht
enthalten (vgl. - für die Beförderung zum Oberstleutnant - Beschluss vom
18. August 2004 - BVerwG 1 WB 37.04 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 18). An
einem derartigen Zusammenhang fehlt es im Falle der Beförderung zum Haupt-
feldwebel, weil dieser Dienstgrad jedenfalls nicht typischerweise mit einer Ver-
wendung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verbunden ist. Ausschlag-
gebend ist jedoch, dass das einer Beförderung zugrunde liegende „Zuverläs-
sigkeitsurteil“ über den Soldaten nicht zu dem (in Bestandskraft erwachsenden)
Inhalt dieser Beförderungsentscheidung gehört (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG)
und deshalb nicht bindend für die sicherheitsrechtliche Beurteilung ist. Die Ent-
scheidung, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Feststellung eines
Sicherheitsrisikos vorliegen, hat die hierzu berufene Stelle vielmehr in eigener
Zuständigkeit und Verantwortung zu treffen. Dass diese Entscheidung nicht zu
beanstanden ist, ergibt sich aus dem vorstehend Gesagten.
f) Weitere Einwände gegen die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten,
wie etwa eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, sind weder geltend ge-
macht noch sonst ersichtlich.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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