Urteil des BVerwG vom 09.08.2007

Rechtsberater, Disziplinarverfahren, Strafanzeige, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 51.06
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberstleutnant ... G.,
Sanitätsführungskommando, K.,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer
sowie
Oberst Diefenbach und
Oberstleutnant Riehs
als ehrenamtliche Richter
am 9. August 2007 beschlossen:
Der Antrag wird als unzulässig verworfen.
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G r ü n d e :
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Der Antragsteller wendet sich dagegen, dass eine vom ihm erhobene Dienst-
aufsichtsbeschwerde abschlägig beschieden wurde.
Der 1949 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit wird voraus-
sichtlich mit Ablauf des 31. Dezember 2007 enden. Zum Oberstleutnant wurde
er mit Wirkung zum 1. Dezember 1995 ernannt. Derzeit wird der Antragsteller
im Sanitätsführungskommando ... in K. verwendet.
Im August 2004 leitete der Befehlshaber des Sanitätsführungskommandos ge-
gen den Antragsteller ein gerichtliches Disziplinarverfahren ein. Nach weiteren
Ermittlungen wurden dem Antragsteller mit Anschuldigungsschrift der Wehrdis-
ziplinaranwaltschaft für den Bereich Sanitätsführungskommando vom 21. April
2005 in drei Punkten Dienstvergehen zulasten des Leutnant (w) L. (damals
Oberfähnrich) vorgeworfen. Das Truppendienstgericht Süd setzte mit Beschluss
vom 30. März 2006 (...) das gerichtliche Disziplinarverfahren gemäß § 99 Abs. 2
WDO aus, weil die Wehrdisziplinaranwaltschaft eine Nachtragsanschuldigung
gegen den Antragsteller vorzulegen beabsichtigte und hierfür wiederum die
Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen abgewartet werden sollten.
Mit Schreiben vom 16. Februar 2006 teilte der Antragsteller dem Leitenden
Rechtsberater des Sanitätsführungskommandos sein Missfallen über das Ver-
halten des 2. Rechtsberaters des Sanitätsführungskommandos, Oberregie-
rungsrat H., mit. Danach habe die Hauptbelastungszeugin in dem gegen ihn
gerichteten Disziplinarverfahren, Leutnant (w) L., am 4. August 2005 bei der
Polizeiinspektion D. Strafanzeige wegen Beleidigung und Verleumdung gegen
ihn erstattet. Nach dem Polizeiprotokoll habe Frau L. diesen Schritt unternom-
men, nachdem Oberregierungsrat H. mit ihr einen Oberstaatsanwalt bei der
Staatsanwaltschaft Koblenz aufgesucht habe. Er, der Antragsteller, bezweifle,
dass Oberregierungsrat H. als der mit den hauptsächlichen Ermittlungen gegen
ihn betraute Wehrdisziplinaranwalt ein derartiges Verhalten an den Tag legen
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dürfe. Herr H. setze sich dem Verdacht aus, befangen zu sein; vermutlich fehle
ihm auch die Bereitschaft zu objektiver Sachverhaltsaufklärung.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2006 teilte die Wehrdisziplinaranwaltschaft für
den Bereich Sanitätsführungskommando dem Antragsteller mit, dass aus dem
geschilderten Sachverhalt ein Fehlverhalten von Herrn Oberregierungsrat H.
nicht hergeleitet werden könne.
Mit Schreiben vom 1. März 2006 an den Bundeswehrdisziplinaranwalt beim
Bundesverwaltungsgericht legte der Antragsteller Dienstaufsichtsbeschwerde
gegen die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Sanitätsführungs-
kommandos ein. Er beurteile das Verhalten des Oberregierungsrats H. als
Dienstpflichtverletzung, da er für Leutnant (w) L. parteinehmend und unter
Missachtung seiner Neutralitätspflicht mit ihr gemeinsam in beratender Funktion
einen Oberstaatsanwalt aufgesucht habe, so dass sich Frau L. danach veran-
lasst gesehen habe, gegen ihn, den Antragsteller, Strafanzeige wegen Ver-
leumdung und Beleidigung zu erstatten. Er bitte um Maßnahmen gegen Ober-
regierungsrat H.
Der Rechtsberater des Führungsstabs des Sanitätsdienstes im Bundesministe-
rium der Verteidigung, an den die Dienstaufsichtsbeschwerde zuständigkeits-
halber abgegeben worden war, teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom
22. März 2006 mit, eine pflichtwidrige Beratung des Leutnant (w) L. durch Ober-
regierungsrat H. sei nicht zu erkennen. Das Protokoll der Polizeiinspektion D.
belege lediglich, dass Oberregierungsrat H. ein persönliches Gespräch des
Leutnant (w) L. mit der Staatsanwaltschaft K. vermittelt habe, weil der An-
tragsteller seit dem 1. April 2005 erneut - wohl unerwünschten - Kontakt mit
Frau L. gesucht habe, sowie ferner, dass ein bestimmter Oberstaatsanwalt Frau
L. zur Anzeigeerstattung geraten habe.
Unter dem 5. April 2006 legte der Antragsteller hiergegen „weitere Beschwerde“
ein. Er halte unverändert die (zugunsten von Frau L.) beratende Tätigkeit des
Oberregierungsrats H. mit seiner Funktion als Rechtsberater und Wehrdiszipli-
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naranwalt für unvereinbar und bitte infolgedessen wegen der Verletzung von
Dienstpflichten um Maßnahmen gegen ihn.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2006 teilte das Bundesministerium der Verteidigung
- R I 5 - dem Antragsteller mit, dass sein Vorbringen geprüft worden sei, jedoch
keinen Grund zur Beanstandung des dienstlichen Verhaltens von Oberregie-
rungsrat H. ergeben habe. Unter dem 28. Juni 2006 teilte das Bundesministeri-
um der Verteidigung - R I 5 - dem Antragsteller außerdem mit, dass ein formel-
ler Rechtsbehelf gegen eine abschlägig beschiedene Dienstaufsichtsbe-
schwerde nicht gegeben sei.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2006, gerichtet unmittelbar an das Bundesverwal-
tungsgericht - Wehrdienstsenate -, beantragte der Antragsteller die Entschei-
dung des Bundesverwaltungsgerichts.
Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Kernpunkt seiner Beschwer sei die Tatsache, dass ein mit Ermittlungen gegen
ihn beauftragter Wehrdisziplinaranwalt zeitgleich als Berater mit der Hauptbe-
lastungszeugin bei einem Oberstaatsanwalt vorstellig werde und mit diesem ei-
ne inhaltsähnliche Strafanzeige gegen ihn initiiere. Ein ermittelnder Wehrdiszip-
linaranwalt sei zur Objektivität verpflichtet; eine beratende Tätigkeit für die
Hauptbelastungszeugin widerspreche eklatant diesem Gebot.
Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag erweise sich bereits als offensichtlich unstatthaft und damit unzu-
lässig. Ein förmlicher Rechtsbehelf gegen eine ordnungsgemäß beschiedene
(weitere) Dienstaufsichtsbeschwerde sei nicht gegeben. Dem Anspruch des
Beschwerdeführers auf förmliche Befassung und Bescheidung durch die zu-
ständige Behörde sei durch das Schreiben des Bundesministeriums der Vertei-
digung - R I 5 - vom 29. Mai 2006 genügt. Der Antragsteller habe keinen An-
spruch auf erneute sachliche Prüfung.
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Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Be-
teiligten gewechselten Schriftsätze und der Akten Bezug genommen. Die Ver-
fahrensakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 25-05-12
484/06 - und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis C, ha-
ben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller hat keinen förmlichen (Sach-) Antrag gestellt. Bei sach- und
interessengerechter Auslegung seines Vorbringens beantragt er sinngemäß,
festzustellen, dass der Rechtsberater des Führungsstabs des Sanitätsdienstes
im Bundesministerium der Verteidigung und das Bundesministerium der Vertei-
digung - R I 5 - in den Schreiben vom 22. März bzw. 29. Mai 2006 zu Unrecht
das Vorliegen der von dem Antragsteller geltend gemachten Dienstpflichtverlet-
zung verneint und entsprechend zu Unrecht ein dienstaufsichtliches Einschrei-
ten abgelehnt haben.
Der Antrag ist unzulässig. Ein Bescheid, der das Ergebnis einer dienstaufsicht-
lichen Prüfung mitteilt, kann - mit dem Ziel einer inhaltlichen „Richtigkeitskon-
trolle“ - nicht zum Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung
nach den §§ 17, 21 WBO gemacht werden.
Die Dienstaufsicht stellt eines der Kontrollinstrumente dar, die der Durchset-
zung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) dienen. Sie be-
steht in einer personalrechtlichen (hier insbesondere beamtenrechtlichen) Auf-
sicht über die Pflichterfüllung der Amtswalter im Innenverhältnis zu ihrem
Dienstherrn durch den jeweiligen Dienstvorgesetzten (vgl. Wolff/Bachof, Ver-
waltungsrecht II, 4. Aufl. 1976, § 77 II b 6). Die Rechtsgrundlagen der Dienst-
aufsicht und ihre Instrumente ergeben sich demgemäß aus dem öffentlichen
Dienstrecht. Die Dienstaufsicht wird allein im öffentlichen Interesse wahrge-
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nommen (vgl. Franke, in: GKÖD, Bd. I, Stand Juni 2007, K § 3 Rn. 11 f.). Die
Pflicht zu ihrer Ausübung obliegt dem Dienstvorgesetzten gegenüber dem
Dienstherrn, nicht jedoch gegenüber dem Beamten oder - im Außenverhältnis -
gegenüber dem Bürger. Der Einzelne hat keinen Rechtsanspruch auf ein Ein-
greifen der Dienstaufsichtsbehörde (Beschluss vom 22. Oktober 1957
- BVerwG 1 B 127.57 - Buchholz 310 Vorbem. III zu § 42 VwGO Ziff. 1 Nr. 36).
Aus diesen Grundsätzen ergeben sich zugleich Funktion und Reichweite der
Dienstaufsichtsbeschwerde, die als formloser und an keine Fristen gebundener
Rechtsbehelf zu den Petitionen im Sinne des Art. 17 GG gehört (Beschluss vom
1. September 1976 - BVerwG 7 B 101.75 - Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 67;
vgl. auch Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Stand März 2007, Art. 17 Rn. 48 m.w.N.).
Wer eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegt, hat Anspruch darauf, dass die
zuständige Stelle die Beschwerde entgegennimmt, sachlich prüft und ihm die
Art der Erledigung mitteilt (vgl. zur Petition BVerfG, Beschluss vom 22. April
1953 - 1 BvR 162/51 - BVerfGE 2, 225). Dem Beschwerdeführer steht jedoch
- darüber hinausgehend - kein Recht auf einen Bescheid bestimmten Inhalts
bzw. auf eine bestimmte Entscheidung in seiner Sache zu. Stellt das Ergebnis
der dienstaufsichtlichen Prüfung den Beschwerdeführer nicht zufrieden, so kann
er eine gerichtliche Überprüfung in der Sache nicht durch einen Rechtsbehelf
gegen den (abschlägigen) Bescheid über die Dienstaufsichtsbeschwerde
erlangen. Soweit sich der Beschwerdeführer durch die von ihm beanstandete
Verhaltensweise oder Maßnahme in seinen Rechten verletzt sieht, kann und
muss er vielmehr diejenigen Rechtsbehelfe ergreifen, die das Prozessrecht,
etwa in der Verwaltungsgerichtsordnung oder der Wehrbeschwerdeordnung,
zum Schutz seiner subjektiven Rechte eröffnet; dabei hat er die dort in der
Regel vorgesehenen Formen und Fristen zu beachten. Eine - parallele -
Zulassung von Klagen oder Anträgen gegen die Versagung von Dienstauf-
sichtsmaßnahmen wäre mit der Ordnung des Rechtsschutzes durch die Verfah-
rensgesetze nicht vereinbar (Beschluss vom 11. Oktober 1963 - BVerwG 7 B
95.63 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 25).
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Demgemäß entspricht es ständiger Rechtsprechung des Senats, dass Be-
scheide, die im Wege der Dienstaufsicht ergehen, einer inhaltlichen Überprü-
fung durch die Wehrdienstgerichte entzogen sind (vgl. Beschlüsse vom 2. März
1994 - BVerwG 1 WB 25.93 -, vom 18. November 1997 - BVerwG 1 WB 27.97,
53.97 -, vom 29. April 1999 - BVerwG 1 WB 82.98 -, vom 14. Dezember 2000
- BVerwG 1 WB 107.00, 113.00 -, vom 20. Juni 2006 - BVerwG 1 WB 33.06 -
sowie zuletzt vom 26. Juni 2007 - BVerwG 1 WB 3.07 - jeweils m.w.N.). Auch
im Bereich der Bundeswehr obliegt die Dienstaufsicht dem zuständigen Vorge-
setzten im öffentlichen Interesse und nicht im Interesse der Untergebenen; sie
dient damit nicht der Wahrung der Rechte eines Soldaten im Sinne des § 17
Abs. 1 Satz 1 WBO. Der das Ergebnis einer dienstaufsichtlichen Prüfung eröff-
nende Bescheid oder die Unterlassung einer dienstaufsichtlichen Prüfung stel-
len deshalb dem Soldaten gegenüber keine anfechtbaren truppendienstlichen
Maßnahmen im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO
dar. Dies gilt auch dann, wenn der Soldat die dienstaufsichtliche Prüfung bean-
tragt hat (vgl. Beschlüsse vom 14. Dezember 2000 a.a.O. und vom 26. Juni
2007 a.a.O., jeweils m.w.N.).
Im vorliegenden Fall haben sowohl der Rechtsberater des Führungsstabs des
Sanitätsdienstes im Bundesministerium der Verteidigung als auch das Bun-
desministerium der Verteidigung - R I 5 - das Beschwerdevorbringen des An-
tragstellers in der Sache geprüft und dem Antragsteller mit Schreiben vom
22. März bzw. 29. Mai 2006 - jeweils mit kurzer Begründung - mitgeteilt, dass
kein Grund zur Beanstandung des dienstlichen Verhaltens von Oberregierungs-
rat H. und damit auch kein Anlass zum dienstaufsichtlichen Einschreiten gegen
diesen gesehen werde. Die Dienstaufsichtsbeschwerde bzw. „weitere Be-
schwerde“ des Antragstellers ist damit ordnungsgemäß erledigt und beschie-
den. Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass das Wehrdienstgericht
die Mitteilungen über das Ergebnis der dienstaufsichtlichen Prüfung inhaltlich
überprüft. Soweit der Antragsteller weiterhin die - seiner Auffassung nach vor-
eingenommene und parteiische - Ermittlungstätigkeit in seiner Diszipli-
narangelegenheit rügen will, ist es ihm - worauf er in dem Schreiben vom
29. Mai 2006 zutreffend hingewiesen wurde - unbenommen, seine Vorwürfe in
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dem noch laufenden, derzeit lediglich ausgesetzten gerichtlichen Disziplinarver-
fahren anzubringen.
Von der Belastung des Antragstellers mit Verfahrenskosten sieht der Senat ab,
weil er die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1
WBO zwar für gegeben erachtet, der Antrag aber nicht mutwillig erscheint.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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