Urteil des BVerwG vom 22.11.2011

Disziplinarverfahren, Verfügung, Bestandteil, Auflage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 50.11
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberfeldwebel der Reserve …,
…,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß,
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Strehl und
den ehrenamtlichen Richter Hauptfeldwebel Metzger
am 22. November 2011 beschlossen:
Der Antrag wird als unzulässig verworfen.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Verfügung, mit der ein gerichtliches
Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wurde.
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Der Antragsteller war Soldat auf Zeit und ist mit Ablauf des 30. April 20.. aus
der Bundeswehr ausgeschieden. Zuletzt wurde er als Jägerfeldwebel bei der
5./… in U. verwendet.
Mit Urteil des Amtsgerichts U. vom 28. März 20.. wurde der Antragsteller wegen
eigenmächtiger Abwesenheit sowie Urkundenfälschung zu einer Gesamtgeld-
strafe von 80 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Über die vom Antragsteller ge-
gen das Urteil eingelegte Berufung ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschie-
den worden.
Mit der hier angefochtenen Verfügung vom 19. April 20.., dem Antragsteller
ausgehändigt am 20. April 20.., leitete der Befehlshaber … gegen den Antrag-
steller ein sachgleiches gerichtliches Disziplinarverfahren ein. Dagegen legte
der Antragsteller mit Schreiben vom 19. April 20.., beim nächsten Disziplinar-
vorgesetzten eingegangen am selben Tage, Beschwerde ein und führte zur Be-
gründung aus, das Urteil des Amtsgerichts U. sei noch nicht rechtskräftig. Die
schnelle Einleitung des Disziplinarverfahrens stehe offenbar im Zusammenhang
mit dem bevorstehenden Dienstzeitende, das eine Strafverfolgung erschwere.
Der Dienstherr wolle verhindern, dass er, der Antragsteller, mit voller Besoldung
entlassen werde.
Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der
Streitkräftebasis wies die Beschwerde des Antragstellers mit Beschwerdebe-
scheid vom 16. Mai 20.. als unzulässig zurück. Zur Begründung führte er aus,
Einzelmaßnahmen im gerichtlichen Disziplinarverfahren könnten nur mit Hilfe
der Rechtsbehelfe angefochten werden, die die Wehrdisziplinarordnung vorse-
he. Im Übrigen sei die Beschwerde vom 19. April 20.. verfrüht eingelegt worden,
da die Einleitungsverfügung erst mit der Aushändigung am 20. April 20.. wirk-
sam geworden sei.
Mit Schreiben vom 23. Mai 20.. legte der Antragsteller weitere Beschwerde ein
und beantragte, das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren einzustellen.
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Die weitere Beschwerde wurde durch den Bundesminister der Verteidigung
- PSZ I 7 - mit Bescheid vom 20. Juli 20.. mit der Begründung zurückgewiesen,
die Beschwerde sei unzulässig. Gegen die Einleitung eines gerichtlichen Diszi-
plinarverfahrens sei ein Rechtsbehelf nach der Wehrdisziplinarordnung nicht
gegeben. Diese gesetzliche Regelung könne nicht dadurch umgangen werden,
dass eine Wehrbeschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung eingelegt wer-
de. Die vom Antragsteller dagegen mit Schreiben vom 7. August 20.. eingelegte
"Beschwerde" hat der Bundesminister der Verteidigung als Antrag auf gerichtli-
che Entscheidung angesehen und dem Senat mit Vorlageschreiben vom
22. August 20.. vorgelegt. Zur Begründung beruft sich der Antragsteller unter
anderem auf eine krankheitsbedingte Schuldunfähigkeit.
Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Gründe des Bescheides vom 22. Juli 20..,
mit dem er die weitere Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen hat.
II
Der Antragsteller hat keinen Sachantrag gestellt. Aus seinem Vorbringen ergibt
sich bei sachgerechter Auslegung der Antrag,
die Einleitungsverfügung des Befehlshabers … vom
19. April 20.., den Beschwerdebescheid des Stellvertreters
des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteurs
der Streitkräftebasis vom 16. Mai 20.. und den Beschwer-
debescheid des Bundesministers der Verteidigung - PSZ
I 7 - vom 20. Juli 20.. aufzuheben.
Dieser Antrag ist im Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung unzulässig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört die
Wahrung der den Soldaten durch die Wehrdisziplinarordnung gegebenen Ver-
fahrensgarantien nicht zu den Rechten bzw. Pflichten eines Vorgesetzten, die
Gegenstand eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 17 Abs. 1
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WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 1 und 2 WBO) sein können. Die Einleitungsverfü-
gung nach § 93 WDO ist als Prozesshandlung Bestandteil eines einheitlichen,
in der Wehrdisziplinarordnung abschließend geregelten disziplinargerichtlichen
Verfahrens und kann als Einzelmaßnahme dieses Verfahrens nur nach Maßga-
be der Wehrdisziplinarordnung angefochten werden. Der Umstand, dass die
Wehrdisziplinarordnung einen selbständigen Rechtsbehelf gegen eine Einlei-
tungsverfügung nicht vorsieht, führt nicht dazu, dass die Verfügung außerhalb
des Disziplinarverfahrens mit einer Wehrbeschwerde und einem Antrag auf ge-
richtliche Entscheidung angefochten werden könnte (stRspr, vgl. u. a. Be-
schlüsse vom 14. November 1978 - BVerwG 1 WB 169.77 - BVerwGE 63, 152
<154>, vom 30. Januar 1996 - BVerwG 1 WB 61.95 - und vom 15. Oktober
1996 - BVerwG 1 WB 36.96 - jeweils m.w.N.; vgl. auch Dau, WDO, 5. Auflage
2009, § 93 Rn. 12 m.w.N. auch aus der Rechtsprechung des Bundesdiszipli-
narhofs). Der Antragsteller ist dadurch ausreichend geschützt, dass er im weite-
ren disziplinargerichtlichen Verfahren gegenüber der Wehrdisziplinaranwalt-
schaft und ggf. später auch gegenüber dem Wehrdienstgericht Mängel bei der
Einleitung des Verfahrens ebenso geltend machen kann wie seinen Einwand
der Schuldunfähigkeit.
Von der Belastung des Antragstellers mit Verfahrenskosten sieht der Senat ab,
weil er die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 2 WBO zwar für
gegeben erachtet, der Antrag aber nicht mutwillig erscheint.
Golze
Dr. Frentz
Rothfuß
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