Urteil des BVerwG vom 26.04.2006

Rechtliches Gehör, Beförderung, Ausbildung, Rechtswidrigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 45.05
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Fahnenjunkers …,
…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt …,
… -
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz als Vorsitzende,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Deipenau und
Unteroffizier Seitz
als ehrenamtliche Richter
am 26. April 2006 beschlossen:
Der Antrag wird als unzulässig verworfen.
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G r ü n d e :
I
Der 1979 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit mit einer festgesetzten
Dienstzeit von acht Jahren, die voraussichtlich mit Ablauf des 30. Juni 2007
enden wird. Zum Fahnenjunker wurde er mit Wirkung vom 1. Juli 2001 beför-
dert, nachdem er den Offizieranwärterlehrgang (OAL) Teil I (Ausbildungsklasse
Roland) im Rahmen einer Wiederholung erfolgreich bestanden hatte.
Vom 17. September 2001 bis zum 22. Februar 2002 wurde er zum OAL Teil II
kommandiert, jedoch am 11. Februar 2002 aus gesundheitlichen Gründen
durch zwischenzeitlich bestandskräftigen Bescheid vorzeitig abgelöst. In der
Folgezeit prüfte das Personalamt der Bundeswehr (PersABw) die Einleitung
eines Verfahrens zur Feststellung die Dienstunfähigkeit. Aufgrund einer Stel-
lungnahme des Beratenden Arztes des PersABw vom 4. März 2004 sah das
PersABw von der Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Dienstunfä-
higkeit ab und teilte dem Antragsteller mit Fernschreiben vom 18. März 2004
mit, es sei beabsichtigt, ihn vorbehaltlich seines Gesundheitszustandes zum
1. Oktober 2004 in den 73. Offizieranwärterjahrgang (OAJ) zu überführen und
zu diesem Datum in den OAL Teil II einzusteuern. Unter Ablehnung des Antra-
ges des Antragstellers vom 1. Juni 2004 auf Zuerkennung der Ausbildungs-/Tä-
tigkeitsbezeichnungen (ATB) Flugabwehrraketenfeldwebel (3001763), Kom-
mandant FRP Roland (3001730), Sicherungsfeldwebel (3002967) und Zugfüh-
rer (3000042) sowie der Beförderung zum Fähnrich teilte das PersABw dem
Antragsteller mit Bescheid vom 6. Juli 2004 erneut die Absicht mit, ihn vorbe-
haltlich seiner Verwendungsfähigkeit in den 73. OAJ zu überführen. Nachdem
das PersABw diesen Bescheid in Bezug auf die Nichtzuerkennung der ATB
aufgehoben hatte, lehnte das Heeresamt den diesbezüglichen Antrag mit Be-
scheid vom 30. November 2004 ab. Dagegen legte der Antragsteller keinen
Rechtsbehelf ein.
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Die gegen die Ablehnung der Beförderung zum Fähnrich gerichtete Beschwer-
de liegt dem Bundesministerium der Verteidigung - PSZ I 8 - vor und ist mit dem
Einverständnis des Antragstellers bis zum Abschluss des vorliegenden
Verfahrens ausgesetzt.
Am 17. November 2004 erkannte der zuständige Truppenarzt mit Belegart 90/5
dem Antragsteller die uneingeschränkte Offizieranwärter- und Verwendungsfä-
higkeit für den Gefechtsdienst aller Truppen zu. Zu diesem Zeitpunkt befand
sich der OAL Teil II (Ausbildungsklasse Roland) des 73. OAJ bereits in der
7. Lehrgangswoche. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2004, ausgehändigt am
3. Januar 2005, überführte das PersABw den Antragsteller in den 74. OAJ
(07/04) im Ausbildungsgang mit Studium (Studiengang Luft- und Raumfahrt-
technik an der Universität der Bundeswehr, München). Zur Begründung wurde
ausgeführt, der Antragsteller habe aus gesundheitlichen Gründen wesentliche
Teile der Ausbildung des OAL Teil II des 70. OAJ versäumt und „somit einen für
die Ausbildung zum OffzTrD unabdingbaren Ausbildungsabschnitt nicht erfüllt“.
Dagegen legte der Antragsteller mit einem am 14. Januar 2005 beim
Bundesminister der Verteidigung (BMVg) eingegangenen Schreiben vom sel-
ben Tage Beschwerde ein, die der BMVg - PSZ I 7 - mit Bescheid vom 2. Au-
gust 2005, dem Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 4. August
2005, zurückwies.
Dagegen richtet sich der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entschei-
dung vom 18. August 2005, der am selben Tag per Telefax beim BMVg einging.
Diesen Antrag hat der BMVg - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom
21. September 2005 - eingegangen am 23. September 2005 - dem Senat vor-
gelegt.
Zur Begründung trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor:
Ihm sei hinsichtlich der Lehrgangsunterlagen des OAL Teile I und II kein hinrei-
chendes rechtliches Gehör gewährt worden. Darüber hinaus sei er der Ansicht,
dass er für die Zeit vom 7. September 2001 bis 22. Februar 2002 nicht zum
OAL Teil II kommandiert worden sei; vielmehr habe er sich nach Ende seiner
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vorhergehenden Kommandierung zurück zur Truppenschule und zum OAL
Teil II begeben.
Die auf sein Akteneinsichtsbegehren hin übersandten Lehrgangsunterlagen
seinen unzutreffend sowie unecht. Zum Zeitpunkt seiner Ablösung vom Lehr-
gang seien alle Noten vergeben gewesen; er, der Antragsteller, habe außerdem
an allen Bewertungen, die mit einer Prüfungsnote versehen gewesen seien,
teilgenommen. Nach Aussage von Hauptmann Bernarth habe er, der An-
tragsteller, den OAL Teil II zum Zeitpunkt seiner Ablösung bereits bestanden
gehabt; die Abschlussübung hätte nicht benotet werden sollen. Im Übrigen sei
die Ablösung vom Lehrgang nicht erforderlich gewesen, sodass ihm, dem An-
tragsteller, am letzten Tag das Lehrgangszeugnis hätte ausgehändigt werden
müssen. Es sei nie die Rede davon gewesen, dass er den Lehrgang bereits
nicht bestanden habe. Es habe keine Bewertungen im Gefechtsdienst gegeben,
an denen er nicht teilgenommen hätte. Ebenso habe er, der Antragsteller, an
allen prüfungsähnlichen Ausbildungsabschnitten im Gefechtsdienst teilge-
nommen. Lediglich an der „zusammengefassten Ausbildung Gefechtsdienst der
HFlaTr und am Gefechtsdienst der HFlaTr in der Abschlussübung“ habe er
nicht teilgenommen. Für die Abschlussübung und während deren Dauer habe
es keine Noten gegeben. Die Abschlussübung habe lediglich die zusammenge-
fasste Überprüfung aller praktischen Kenntnisse der Soldaten beinhaltet. Die
Noten des Lehrganges und die erzielte Lehrgangsgesamtnote seien bereits vor
Antritt zu dieser Abschlussübung unveränderbar gewesen. Es sei unzutreffend,
dass er, der Antragsteller, den OAL Teil II im Jahre 2002 nicht mehr erfolgreich
hätte abschließen können. Ihm sei damals bis zum Ende des Lehrganges nicht
einmal andeutungsweise erklärt worden, dass er das Lehrgangsziel nicht errei-
chen werde. Er zweifle die Aussagen und die Unterlagen der Heeresflugab-
wehrschule an. Mithin müsse er davon ausgehen, dass bis zu seiner Ablösung
wegen Krankheit bei ihm kein Leistungsdefizit vorhanden gewesen sei, welches
zur vorzeitigen Ablösung/Entlassung geführt habe.
Sofern nunmehr eine Einsteuerung in den 73. OAJ nicht mehr möglich sei, sei
er berechtigt, seinen Antrag auf Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
mit dem Antrag aufrecht zu erhalten
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festzustellen, dass die nicht erfolgte Zuordnung des An-
tragstellers zum 73. OAJ rechtswidrig war.
Er habe ein berechtigtes Interesse daran, dass die Feststellung der Rechtswid-
rigkeit erfolge. Denn ihm seien bisher schon erhebliche Rechtsnachteile ent-
standen, die auszugleichen nur möglich sei, wenn festgestellt werde, dass die
angegriffene Entscheidung rechtswidrig gewesen sei. Der Antrag sei auch be-
gründet, weil ihm, dem Antragsteller, der OAL Teil II im Jahr 2002 als bestan-
den zuzurechnen sei.
Der BMVg - PSZ I 7 - beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag sei unzulässig. Soweit sich der Antragsteller ursprünglich gegen die
Entscheidung des PersABw vom 9. Dezember 2004 gewendet habe, ihn nicht
dem 73., sondern dem 74. OAJ zuzuordnen, sei das Rechtsschutzziel auf eine
mittlerweile unmögliche Leistung gerichtet. Denn der begehrten Zuordnung zum
73. OAJ stehe entgegen, dass dessen Offizierlehrgang bereits im April 2005
begonnen habe und der Antragsteller nicht mehr in diesen eingesteuert werden
könne.
Sofern der Antragsteller nunmehr im Wege eines Fortsetzungsfeststellungsan-
trages die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner nicht erfolgten Zuordnung
zum 73. OAJ begehre; fehle es an dem erforderlichen Feststellungsinteresse.
Ein solches sei nicht ersichtlich.
Sofern sich der Antragsteller auf sein beim Bundesministerium der Verteidigung
- PSZ I 8 - anhängiges und bis zum Abschluss des vorliegenden Rechtsstreites
ausgesetztes Beschwerdeverfahren gegen die abgelehnte Beförderung zum
Fähnrich beziehen sollte, könne er daraus kein rechtliches Interesse herleiten.
Im Übringen sei für die im Ermessen des PersABw liegende Beförderung auch
nicht die Zuordnung zu einem bestimmten OAJ oder die Feststellung der
Rechtswidrigkeit einer diesbezüglichen Entscheidung, sondern u.a. das Beste-
hen des Offizierlehrganges erforderlich, den der Antragsteller bislang unstreitig
nicht absolviert habe. Durch die gewünschte Feststellung könne er insoweit
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deshalb seine Rechtsposition auch nicht verbessern. Unbestritten sei, dass bei
dem Antragsteller hinsichtlich seiner Ausbildung zum Offizier erhebliche Verzö-
gerungen eingetreten seien, die nicht nur für ihn, sondern auch für den Dienst-
herrn ausgesprochen bedauerlich seien. Diese Ausbildungsverzögerung sei
jedoch lediglich ein tatsächlicher Nachteil, der ein berechtigtes Interesse für
einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht begründen könne. Schließlich sei
der Fortsetzungsfeststellungsantrag auch unbegründet, weil die Zuordnung zum
74. und nicht zum 73. OAJ aus den bereits im Beschwerdebescheid dargeleg-
ten Gründen ermessenfehlerfrei sei.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Be-
teiligten gewechselten Schriftsätze und der Akten Bezug genommen. Die Be-
schwerdeakte des BMVg - PSZ I 7 - 666/05 - sowie die Personalgrundakte des
Antragstellers, Hauptteile A bis C, haben dem Senat bei der Beratung vorgele-
gen.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
Soweit das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers weiterhin im Sinne des
Schriftsatzes vom 18. August 2005 darauf gerichtet sein sollte, den Bescheid
des PersABw vom 9. Dezember 2004 in der Gestalt des Beschwerdebeschei-
des des BMVg vom 2. August 2005 aufzuheben und den Antragsteller zum
73. OAJ zuzuordnen, ist der Antrag unzulässig.
Denn nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des BMVg hat der
betreffende Offizierlehrgang bereits im April 2005 begonnen. Der Antragsteller
kann in diesen nicht mehr eingesteuert werden. Der Senat hat keine Veranlas-
sung, an dem - auch vom Antragsteller nicht bestrittenen - Vortrag des BMVg
zu zweifeln, dass eine nachträgliche Einsteuerung aufgrund des fortgeschritte-
nen Stadiums des Lehrgangs nicht mehr möglich ist. Das Rechtsschutzbegeh-
ren im Sinne eines Verpflichtungsantrages hatte sich damit in der Sache bereits
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zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Antrages vom 18. August
2005 auf gerichtliche Entscheidung beim Bundesverwaltungsgericht (23. Sep-
tember 2005) erledigt.
Soweit der Antragsteller nunmehr im Schriftsatz vom 28. Oktober 2005 bean-
tragt festzustellen, „dass die nicht erfolgte Zuordnung zum 73. OAJ rechtswidrig
war“, ist der Antrag ebenfalls unzulässig.
Ein derartiger Antrag setzt ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse
voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann sich ein solches
Fortsetzungsfeststellungsinteresse aus einem Rehabilitierungsinteresse, aus
einer Wiederholungsgefahr oder aus der Absicht ergeben, einen Schadener-
satzanspruch geltend zu machen, sofern dieser nicht von vornherein als aus-
sichtslos erscheint. Zusätzlich kommt auch unter dem Gesichtspunkt effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ein berechtigtes Feststellungsinteresse in
Betracht, wenn die erledigte Maßnahme eine fortdauernde faktische Grund-
rechtsbeeinträchtigung nach sicht zieht (vgl. Beschlüsse vom 11. Dezember
2003 - BVerwG 1 WB 14.03 - BVerwGE 119, 341 = NZWehrr 2004, 163 und
vom 22. September 2005 - BVerwG 1 WB 32.05 -, jeweils m.w.N.). Ein Fest-
stellungsinteresse in diesem Sinne muss der Antragsteller spezifiziert darlegen
und geltend machen. Daran fehlt es hier.
Im Schriftsatz vom 28. Oktober 2005, in dem der anwaltlich vertretene An-
tragsteller erstmals den Fortsetzungsfeststellungsantrag („sofern die Einsteue-
rung in den 73. OAJ nicht mehr möglich ist“) gestellt hat, hat er lediglich vorge-
tragen, ihm seien „bisher schon erhebliche Rechtsnachteile entstanden, die
auszugleichen nur möglich ist, wenn festgestellt wird, dass die Entscheidung
der Antragsgegnerin rechtswidrig war“. Damit verweist der Antragsteller ledig-
lich auf nicht näher bezeichnete und nicht näher spezifizierte ihm entstandene
„erhebliche Rechtsnachteile“, ohne konkret anzugeben, worin diese bestehen
sollen und in welcher Weise ein für ihn erfolgreiches Fortsetzungsfeststellungs-
begehren daran etwas ändern könnte. Er hat insoweit weder ein Rehabilitie-
rungsinteresse substantiiert dargelegt noch auch nur angekündigt, Schadener-
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satzansprüche geltend machen zu wollen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass er
eine Wiederholungsgefahr sieht oder eine fortdauernde faktische Grundrechts-
beeinträchtigung abwenden will. Es ist nicht Sache des Gerichts, nach einem
für den Antragsteller möglicherweise in Betracht kommenden Fortsetzungsfest-
stellungsinteresse zu suchen. Vielmehr obliegt es dem Antragsteller, ein sol-
ches nachvollziehbar darzutun.
Von einer Belastung des Antragstellers mit Verfahrenskosten sieht der Senat
ab, weil er die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 WBO nicht
als gegeben erachtet.
Dr. Frentz Prof. Dr. Widmaier Dr. Deiseroth
Deipenau Seitz
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