Urteil des BVerwG vom 11.03.2008

Ablauf der Frist, Slv, Stellvertreter, Gegendarstellung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 41.07
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
der Frau Oberstleutnant der Reserve
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Falkenberg und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Pohl
am 11. März 2008 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
- 2 -
G r ü n d e :
I
Die Antragstellerin wendet sich gegen die ihr im Rahmen einer besonderen
Auslandsverwendung in M./Bosnien-Herzegowina erteilte Beurteilung.
Die 1951 geborene Antragstellerin ist Zivilbeschäftigte des Bundes beim ...amt
in B. Nach ihrer Einberufung zu einer besonderen Auslandsverwendung war sie
vom 21. Februar 2007 bis zum 22. Juni 2007 mit dem zeitweilig höheren
Dienstgrad Oberstleutnant im Soldatenstatus als Stellvertretende Leiterin der
Stabsabteilung ... im Headquarter Multinational Task Force ... sowie anschlie-
ßend im Headquarter Multinational Task Force ... in M. eingesetzt.
Der S 8 Chief als zuständiger (französischer) Vorgesetzter bewertete die „over-
all performance“ der Antragstellerin in der internationalen Beurteilung (Interna-
tional Evaluation Report) vom 28. April 2007 mit „very good“. Dieser Beurteilung
schloss sich am selben Tag der zuständige Vorgesetzte der italienischen Ar-
mee an.
Der Dienstälteste Deutsche Offizier des Hauptquartiers, Oberst i.G. G., äußerte
sich in Teil VIII dieses International Evaluation Report am 15. Mai 2007 wie folgt
über die Antragstellerin:
„I agree with rater concerning the language skills and the
financial issues responding to her work. I do not agree
with rater concerning her overall performance which is not
more than satisfactory. Her behavoir as staff officer in re-
lationship with the German officers Corps was weak.“
Diese internationale Beurteilung wurde der Antragstellerin am 22. Mai 2007
eröffnet.
Am 23. Mai 2007 erstellte Oberst i.G. G. für die Antragstellerin die „Beurteilung
von Reservistinnen und Reservisten“ nach Nr. 201, 212, 213 Buchst. b, 214
ZDv 20/6 i.V.m. Anlage 14/1, Vordruck E, zur ZDv 20/6 in der Fassung vom 17.
1
2
3
4
5
6
- 3 -
Januar 2007. Im Abschnitt 2. („Bewertung der Aufgabenerfüllung“) beurteilte er
die Leistungen der Antragstellerin mit der Wertungsstufe 2. Diese Wertungsstu-
fe wird innerhalb einer neunstufigen Skala (mit der Höchstnote 9) in Anlage 4
zur ZDv 20/6 als „die Leistungserwartungen wurden überwiegend erfüllt“ defi-
niert. Ergänzend führte er in freier Beschreibung aus:
„Frau OTL M. hat ihre Aufgaben, die nationalen Haus-
haltsinteressen im multinationalen Umfeld der Task Force
South East unter französischer Lead-Funktion zu vertre-
ten, überwiegend erfüllt. Ihre bisherige haushaltsrechtliche
Erfahrung sowie der formale Umgang mit den Vertretern
anderer Nationen halfen ihr dabei ebenso wie ihre Fremd-
sprachenkenntnisse. Frau OTL M. ist für ihr Alter eine
ausgezeichnete Langstreckenläuferin und hat dies bei
sportlichen Vorhaben im Camp Europe unter Beweis ge-
stellt. Sie ist physisch voll einsatzbereit. Ihr Einfühlungs-
vermögen im Umgang mit den Offizierskameraden muss
jedoch verbessert werden, da Frau M. nur sehr wenig
kompromissbereit war. Die militärische Gemeinschaft so-
wie das Offizierskorps schlechthin waren für Frau OTL M.
während ihres Einsatzes eine doch ‚fremde Welt’. Sie tat
sich sehr schwer mit der Integration und ‚ließ sich auch
nicht helfen’. Zusammenfassend bleibt mir festzustellen,
dass Frau OTL M. sich noch intensiv in die Zugehörigkeit
zum Offizierskorps einbringen muss, anderweitig wäre für
sie ein weiterer Einsatz nicht als Stabsoffizier, sondern
ausschließlich als zivile Mitarbeiterin wünschenswert.“
In ihrer Erklärung als Beurteilte führte die Antragstellerin in Abschnitt 4. der Be-
urteilung Folgendes aus:
„Ich bin Reservistin, zum zweiten Mal in M. in derselben
Position, jedoch zum ersten Mal mit dem Dienstgrad
‚Oberstleutnant’ eingesetzt. Mir ist durchaus bewusst,
dass ich noch eine Menge an Erfahrung und Ausbildung
benötige und bin keinesfalls der Meinung, ein perfekter
Oberstleutnant (w) zu sein. Dabei ziele ich nicht darauf ab,
jemals Führungsverantwortung in militärischen Aktivitäten
wahrnehmen zu wollen oder zu können.
Ich begrüße, wenn unter 3.3. als Vorschläge für weitere
Ausbildung Stabsdienstlehrgänge an der FüAkBw aufge-
führt werden, die ich sehr gern besuchen würde, um Auf-
gaben im militärischen Umfeld besser wahrnehmen zu
können und bei Bedarf ähnliche Dienstposten in Uniform
zu besetzen. Ich möchte auch weiterhin militärisch üben
und auch in Uniform in Auslandseinsätze gehen.
7
- 4 -
Trotzdem bin ich der Auffassung, dass die Beurteilung
bezüglich der Wahrnehmung meiner Fachaufgaben sowie
die Ansicht über meine Eingliederung in die militärische
Gemeinschaft nicht angemessen ist.
Den Weg der Gegendarstellung behalte ich mir offen.“
Diese Beurteilung hatte Oberst i.G. G. der Antragstellerin am 21. Mai 2007 im
Entwurf ausgehändigt und mit ihr am 22. Mai 2007 im persönlichen Gespräch
erörtert. Der nächsthöhere Vorgesetzte, der Kommandeur des 7. Deutschen
Einsatzkontingents, schloss sich der Beurteilung am 28. Mai 2007 „in vollem
Umfang“ an.
Mit Schreiben vom 24. Mai 2007 erhob die Antragstellerin eine Gegendarstel-
lung, zu der Oberst i.G. G. am 25. Mai 2007 schriftlich Stellung nahm. Diese
Stellungnahme wurde der Antragstellerin am 25. Mai 2007 ausgehändigt und
am 26. Mai 2007 im persönlichen Gespräch mit ihr erörtert.
Gegen die Beurteilung legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 4. Juni 2007
Beschwerde ein und rügte den Verstoß gegen Beurteilungsgrundsätze. Sie
machte u.a. geltend, die Beurteilung stehe nicht im Einklang mit dem Ergebnis
der „Fachbeurteilungsbeiträge“ vom 28. April 2007. Zu Unrecht bescheinige ihr
Oberst i.G. G., dass sie kein Teamplayer sei. In der fachlichen Qualifikation und
in der Aufgabenerfüllung habe sie ein besseres Werturteil verdient.
Die Beschwerde wies der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der
Bundeswehr mit Beschwerdebescheid vom 4. Juli 2007 zurück.
Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24. Juli
2007 weitere Beschwerde ein, die der Stellvertreter des Generalinspekteurs der
Bundeswehr und Inspekteur der Streitkräftebasis mit Beschwerdebescheid vom
28. September 2007 ebenfalls zurückwies. Dieser Bescheid enthielt folgende
Rechtsbehelfsbelehrung:
„Gegen diesen Bescheid können Sie die Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts (Wehrdienstsenate),
Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, beantragen. Der Antrag ist
8
9
10
11
12
- 5 -
innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses
Bescheides bei mir einzulegen und zu begründen. Sie
können den Antrag auch bei Ihrem nächsten Disziplinar-
vorgesetzten einlegen und begründen. Mit dem Antrag
kann nur geltend gemacht werden, dass eine dienstliche
Maßnahme oder Unterlassung rechtswidrig sei. Der An-
trag kann schriftlich oder mündlich zur Niederschrift ge-
stellt werden. Wird er schriftlich gestellt, ist die Frist nur
gewahrt, wenn der Antrag mit Begründung vor Ablauf der
Frist bei der zur Einlegung zuständigen Stelle eingeht.“
Gegen diese ihr am 9. Oktober 2007 zugestellte Entscheidung richtet sich der
Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung vom 22. Oktober 2007,
den sie an das Bundesverwaltungsgericht - Wehrdienstsenate - in Leipzig ad-
ressiert hat. Der Antrag, der lediglich im Bezug den Hinweis „BMVg - FüS/RB-
Az 250511/21.07 vom 28. September 2007“ enthielt, ging am 23. Oktober 2007
beim Bundesverwaltungsgericht ein. Von dort wurde er am selben Tag per Te-
lefax an den Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - übermittelt, der ihn an
den Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr weiterleitete. Dort
ging der Antrag am 25. Oktober 2007 ein.
Zu dem Antrag hat der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr
mit Schreiben vom 8. November 2007 Stellung genommen.
Zur Begründung ihres Antrages trägt die Antragstellerin insbesondere vor:
Sie habe im internationalen Bereich eine überwiegend positive Beurteilung er-
halten. Diese verkehre sich in der von Oberst i.G. G. erstellten Beurteilung total
ins Gegenteil. Er habe insbesondere auf negative Aspekte abgehoben, die sich
im Verlauf der gesamten Einsatzzeit lediglich auf „formale Aspekte“ des Bun-
deswehralltags bezogen hätten und nur zu einem kleinen Teil auf ihr eigentli-
ches Fachgebiet als Beauftragte für den Haushalt. Hinweise zur Mängelabstel-
lung insbesondere zu formalen Aspekten habe sie sehr wohl angenommen. Die
Beurteilung enthalte zwei Sätze zur Aufgabenerfüllung während ihrer Einsatz-
dauer. Diese ließen sich durchaus positiv interpretieren. Einem fremden Leser
erschließe sich aber nicht, was tatsächlich hinter der Dienstpostenbezeichnung
im Tagesbetrieb zu leisten gewesen sei. Darin erkenne sie einen klaren Verstoß
gegen die Beurteilungsgrundsätze. Ihre anerkannt sehr guten Fremdspra-
13
14
15
- 6 -
chenkenntnisse in Englisch, Französisch und Spanisch hätten ihr einen beson-
deren Zugang zu Offizierskameraden anderer Nationen eröffnet. Innerhalb der
neunskaligen Wertung sei das Ergebnis „überwiegend erfüllt“ deprimierend. Die
Gesamtbewertung sei widersprüchlich.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beurteilung im Auslandseinsatz vom 23. Mai 2007 auf-
zuheben.
Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der
Streitkräftebasis beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag für unzulässig, weil die Antragstellerin die Antragsfrist des
§ 17 Abs. 4 Satz 1 WBO nicht eingehalten habe. Erst nach Ablauf dieser Frist
sei der Antrag auf gerichtliche Entscheidung am 25. Oktober 2007 bei ihm ein-
gegangen. Der Eingang beim Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - am
23. Oktober 2007 sei unmaßgeblich, weil dieses Referat ausschließlich für den
Bundesminister der Verteidigung handele. Die aus der falschen Adressierung
resultierenden Zeitverzögerungen seien allein der Antragstellerin zuzurechnen.
In der Sache sei der Antrag unbegründet.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakten des
Einsatzführungskommandos der Bundeswehr und des Stellvertreters des Ge-
neralinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteurs der Streitkräftebasis
- FüS/RB - 25-05-11/21.07 - sowie zwei Handakten „Reservisten“, die Antrag-
stellerin betreffend, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
16
17
18
19
- 7 -
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass er erst am 25. Oktober 2007,
zwei Tage nach Ablauf der hier am 23. Oktober 2007 endenden Antragsfrist des
§ 17 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 und § 22 WBO, beim
Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der
Streitkräftebasis als der zuständigen Einlegungsstelle eingegangen ist.
Dessen Beschwerdebescheid vom 28. September 2007 war der Antragstellerin
mit der oben wiedergegebenen Rechtsbehelfsbelehrung am 9. Oktober 2007
zugestellt worden.
Diese Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig. Eine Rechtsbehelfs- oder Rechts-
mittelbelehrung ist unrichtig, wenn in ihr die zutreffenden Angaben über die
Stelle, bei der der Rechtsbehelf einzulegen ist, fehlen oder wenn diese Anga-
ben irreführend bzw. durch falsche oder irreführende Zusätze ergänzt sind, die
ihrerseits geeignet sind, die Rechtsverfolgung zu erschweren (vgl. Bött-
cher/Dau, WBO, 4. Aufl. 1997, § 7 Rn. 30). Das ist hier der Fall.
Gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) ist der
Antrag auf gerichtliche Entscheidung bei dem für die Entscheidung über die
weitere Beschwerde zuständigen Vorgesetzten (§ 16 Abs. 3 WBO), hier also
dem Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der
Streitkräftebasis, einzureichen. Die Frist wird auch gewahrt, wenn der Antrag
bei dem nächsten Disziplinarvorgesetzten oder in den - hier nicht vorliegenden -
Fällen des § 5 Abs. 2 WBO und des § 11 Buchst. b WBO bei den dort bezeich-
neten Vorgesetzten eingelegt wird (§ 17 Abs. 4 Satz 2 WBO).
Die schlichte Angabe im Satz der Rechtsbehelfsbelehrung des Be-
schwerdebescheids, der Antrag könne „bei mir“ eingelegt werden, ist geeignet,
beim Leser einen Irrtum über den richtigen Adressaten des Antrags auf gericht-
liche Entscheidung hervorzurufen. Dieser Hinweis kann zur Identifizierung der
richtigen Einlegungsstelle allenfalls dann genügen, wenn er sich inhaltlich auf
eine eindeutig und unmissverständlich formulierte Kopfzeile des Bescheids be-
20
21
22
23
24
25
- 8 -
zieht. Die Kopfzeile des Beschwerdebescheids lautet indessen (lediglich) „Bun-
desministerium der Verteidigung“. Unter dieser Kopfzeile firmieren allerdings
sowohl der Bundesminister der Verteidigung (Referat PSZ I 7) als auch der
Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der
Streitkräftebasis. Diese konkretisierenden Bezeichnungen sind jedoch generell
(und auch hier) nicht in der Kopfzeile enthalten, sondern - in abgesetzter Form -
Teil der Angaben zu Adresse und Verbindungsdaten. Die infolgedessen mögli-
che Irreführung des Lesers wird noch dadurch gesteigert, dass die Rechtsbe-
helfsbelehrung in ihrem Satz auf das Bundesverwaltungsgericht und
dessen vollständige Adresse hinweist; damit wird suggeriert, dort könne unmit-
telbar der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden. Genau diesen
Eindruck hat diese (unzutreffende) Information ersichtlich bei der Antragstellerin
hervorgerufen.
Darüber hinaus ist auch der Hinweis auf die Einlegungsmöglichkeit „bei Ihrem
nächsten Disziplinarvorgesetzten“ unrichtig. Denn die Antragstellerin als zivile
Beschäftigte der Bundeswehr hat keinen nächsten Disziplinarvorgesetzten. An
die Stelle des nächsten Disziplinarvorgesetzten tritt in diesem Falle auch nicht,
wie dies etwa in der Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdebescheids vom
4. Juli 2006 angegeben wurde, der „frühere nächste Disziplinarvorgesetzte“.
Eine solche erweiternde Auslegung widerspricht dem Wortlaut des § 17 Abs. 4
Satz 2 WBO, der sich - ebenso wie § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 16 Abs. 3 WBO -
nur auf das aktuell bestehende, nicht auf ein früheres Vorgesetztenverhältnis
bezieht. Sie ist auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht geboten.
Denn der Antrag auf gerichtliche Entscheidung soll, wie sich aus dem Verhältnis
von § 17 Abs. 4 Satz 1 zu § 17 Abs. 4 Satz 2 WBO ergibt, in erster Linie bei
dem für die Entscheidung über die weitere Beschwerde zuständigen Vorgesetz-
ten eingereicht werden; nur dieser ist auch verpflichtet, zu dem Antrag eine
Stellungnahme abzugeben und diese mit dem Antrag dem Wehrdienstgericht
vorzulegen (§ 17 Abs. 4 Satz 3 WBO). Die Möglichkeit, den Antrag bei dem
nächsten Disziplinarvorgesetzten einzulegen, hat dagegen nur eine technische
Funktion; sie soll die Antragstellung erleichtern, indem sie dem Antragsteller
ermöglicht, sich auf kurzem Wege an den ihm bekannten nächsten Disziplinar-
vorgesetzten zu wenden. Wenn dieser Erleichterungseffekt nicht mehr eintreten
26
- 9 -
kann, weil das Vorgesetztenverhältnis nicht mehr besteht, gibt es auch keinen
Grund, im Wege der erweiternden Auslegung eine zusätzliche Einlegungsmög-
lichkeit bei dem „früheren nächsten Disziplinarvorgesetzten“ - hier dem Dienst-
ältesten Deutschen Offizier in M./Bosnien-Herzegowina - zu eröffnen.
Die Unrichtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung stellt hinsichtlich der Hinderung
an der Einhaltung einer Frist nach § 7 Abs. 2 WBO einen unabwendbaren Zufall
im Sinne des § 7 Abs. 1 WBO dar. Diese Bestimmung ist auf Anträge auf
gerichtliche Entscheidung entsprechend anzuwenden (Beschluss vom 8. März
2007 - BVerwG 1 WB 63.06 - m.w.N.). Die mit dem Wegfall dieses unabwend-
baren Zufalls einsetzende Nachfrist von drei Tagen im Sinne des § 7 Abs. 1
WBO beginnt jedoch erst mit Beseitigung des Hindernisses, d.h. für den Falle
einer unrichtigen Belehrung erst mit der Richtigstellung zu laufen. Eine derartige
Berichtigung der Rechtsbehelfsbelehrung hat die Antragstellerin nicht erhalten.
Ihr Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist deshalb nicht verfristet.
Der gegen die Beurteilung vom 23. Mai 2007 gerichtete Antrag ist auch im Üb-
rigen zulässig.
Dienstliche Beurteilungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SLV i.V.m. Nr. 201
ZDv 20/6 stellen nach ständiger Rechtsprechung des Senats truppendienstliche
Maßnahmen dar, die nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 Satz 1 SLV i.V.m. Nr. 1102
ZDv 20/6 vor den Wehrdienstgerichten angefochten werden können. Das gilt
auch für Beurteilungen von Reservistinnen und Reservisten nach Nr. 201 i.V.m.
Nr. 212 ff. ZDv 20/6. Zwar findet gemäß § 1 Abs. 3 WBO sowie § 2 Abs. 2
Satz 1 SLV i.V.m. Nr. 1101 ZDv 20/6 eine Beschwerde gegen die in dienstli-
chen Beurteilungen enthaltenen Aussagen und Wertungen zur Persönlichkeit,
Eignung, Befähigung und Leistung der Beurteilten nicht statt. Derartige Aussa-
gen und Wertungen sind als höchstpersönliche Werturteile einer inhaltlichen
gerichtlichen Prüfung nicht zugänglich. Gleichwohl kann ein Soldat oder eine
Soldatin eine Beurteilung mit der Begründung anfechten, sie verstoße gegen
Rechte, die ihm oder ihr in Bezug auf die Erstellung von Beurteilungen einge-
räumt sind (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 8. März 2006 - BVerwG 1 WB
23.05 - Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 7 ).
27
28
29
- 10 -
Nr. 1102 Buchst. b ZDv 20/6 weist insoweit klarstellend darauf hin, dass eine
Beschwerde statthaft ist, wenn die Beurteilten glauben, dass bei der Erstellung
der Beurteilung solche Rechte verletzt worden sind, die ihnen als Garantie für
eine sachgerechte Beurteilung nach der Rechtsordnung eingeräumt sind. Hier-
nach ist eine Beschwerde im Einzelnen dann statthaft, wenn der Beurteilte z.B.
einen Verstoß gegen die Beurteilungsgrundsätze (Nr. 401 bis 409) geltend
macht. Das ist hier seitens der Antragstellerin geschehen.
Der Antrag ist indessen nicht begründet.
Die Beurteilung vom 23. Mai 2007 und die deren Rechtmäßigkeit bestätigenden
- sinngemäß ebenfalls angefochtenen - Beschwerdebescheide des Befehlsha-
bers des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr vom 4. Juli 2007 und
des Stellvertreters des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteurs
der Streitkräftebasis vom 28. September 2007 sind rechtmäßig und verletzen
die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.
Dienstliche Beurteilungen sind in der Sache gerichtlich nur beschränkt nach-
prüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob der
beurteilende Vorgesetzte den anzuwendenden Begriff der Beurteilung oder den
gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, von ei-
nem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe
nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvor-
schriften verstoßen hat. Wenn das Bundesministerium der Verteidigung auf der
Grundlage des § 2 Abs. 2 SLV Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurtei-
lungen erlassen hat, kann das Gericht bei gegebenem Anlass im Hinblick auf
das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) ferner prüfen, ob diese Richtli-
nien eingehalten worden sind und mit den gesetzlichen Regelungen, speziell
mit denen der Soldatenlaufbahnverordnung über die dienstliche Beurteilung,
und mit sonstigen Rechtsvorschriften in Einklang stehen (Beschlüsse vom
6. März 2001 - BVerwG 1 WB 117.00 - BVerwGE 114, 80 = Buchholz 236.11
§ 1a SLV Nr. 15, vom 3. Juli 2001 - BVerwG 1 WB 17.01 - Buchholz 236.11
§ 1a SLV Nr. 16 jeweils m.w.N., vom 16. September 2004 - BVerwG 1 WB
21.04 - Buchholz 236.110 § 2 SLV Nr. 5 und vom 8. März 2006 a.a.O.).
30
31
32
- 11 -
Die angefochtene Beurteilung hält diese Maßgaben ein und ist rechtlich nicht zu
beanstanden.
Für den Senat ist nicht erkennbar, dass der beurteilende Vorgesetzte den an-
zuwendenden Begriff der Beurteilung oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er
sich frei bewegen kann, verkannt hätte.
Oberst i.G. G. ist auch von einem vollständigen und zutreffenden Sachverhalt
ausgegangen. Entgegen der Darstellung der Antragstellerin ist ihre Fachtätig-
keit ausführlich in der Beschreibung ihrer Aufgaben und Tätigkeiten während
der Wehrdienstleistung dokumentiert. Ihre Fremdsprachenkenntnisse sind in
Abschnitt 2. der Beurteilung erwähnt worden. Im Feld „Beiträge Dritter“ ist
- neben dem Beitrag des Vorgängers im Amt - die internationale Beurteilung,
die nach Nr. 504 ZDv 20/6 wie ein Beurteilungsbeitrag zu berücksichtigen ist,
als (weitere) Beurteilungsgrundlage genannt. Zusätzliche fachliche Beurtei-
lungsbeiträge waren für die Antragstellerin nicht einzuholen, weil diese nur für
Soldatinnen bzw. Soldaten in den Laufbahnen des Sanitätsdienstes, des Mili-
tärmusikdienstes oder des Geoinformationsdienstes der Bundeswehr zu erstel-
len sind (vgl. Nr. 506 ZDv 20/6).
Ohne Erfolg beanstandet die Antragstellerin, dass Oberst i.G. G. die positive
internationale Beurteilung nicht genügend in seiner Beurteilung berücksichtigt
habe. Internationale Beurteilungen (International Evaluation Reports) stellen
keine Beurteilungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SLV dar. Die Arten der Be-
urteilungen hat das Bundesministerium der Verteidigung aufgrund der Ermäch-
tigung in § 2 Abs. 2 Satz 1 SLV in Nr. 201 Buchst. a Nr. 1 bis 5 ZDv 20/6 ab-
schließend geregelt. Internationale Beurteilungen sind hingegen den Beurtei-
lungs gleichgestellt (Nr. 504 ZDv 20/6). Sie sind ebenso wie nationale
Beurteilungsbeiträge nach Nr. 503 ZDv 20/6 (lediglich) dafür vorgesehen, dem
für die Beurteilung zuständigen nationalen Vorgesetzten zusätzliche Erkennt-
nisquellen zu erschließen und ihm dadurch eine umfassende und treffende ei-
gene Beurteilung zu erleichtern. Die Feststellungen und Bewertungen in einem
derartigen Beurteilungsbeitrag sind (nur) insoweit beachtlich, als sie bei der ab-
33
34
35
36
- 12 -
schließenden Beurteilung zur Kenntnis genommen und bedacht werden müs-
sen. Der für die Beurteilung zuständige nationale Vorgesetzte ist an die in den
Beurteilungsbeiträgen enthaltenen Werturteile indessen nicht in der Weise ge-
bunden, dass er sie in seine Beurteilung „fortschreibend“ übernehmen müsste
(stRspr, Beschlüsse vom 29. April 1999 - BVerwG 1 WB 55.98, 66.98 - Buch-
holz 236.11 § 1a SLV Nr. 6 = NZWehrr 1999, 204 und vom 8. März 2006
a.a.O.). Demgemäß ist - in rechtlich nicht zu beanstandender Weise - in Nr. 503
Buchst. i ZDv 20/6 ausdrücklich festgelegt, dass der beurteilende Vorgesetzte
auf der Grundlage einer , die auch die durch Beur-
teilungsbeiträge vermittelten Erkenntnisse einzubeziehen hat, seine Bewertung
in Verantwortung trifft. Deshalb ist der beurteilende Vorgesetzte ferner
nicht verpflichtet, im Abschnitt 2. im Einzelnen schriftlich darzulegen, in wel-
chem Umfang die an dieser Stelle getroffene Gesamtwürdigung des Beurteilten
auf seinen eigenen Erkenntnissen und auf den Beiträgen Dritter beruht. Die
Gesamtwürdigung selbst ist - wie oben dargelegt - einer inhaltlichen gerichtli-
chen Kontrolle entzogen.
Oberst i.G. G. hat in der Beurteilung auch nicht gegen allgemeingültige Wert-
maßstäbe verstoßen. Insbesondere ist die Beurteilung selbst in sich wider-
spruchsfrei und entspricht damit den Vorgaben der Nr. 401 Abs. 1 ZDv 20/6.
Die Vergabe der Wertungsstufe 2 in Abschnitt 2. („Bewertung der Aufgabener-
füllung“) korrespondiert mit der Bewertung der fachlichen Leistungen als „über-
wiegend erfüllt“ im freien Text der Beurteilung. Ohne Erfolg rügt die Antragstel-
lerin im Hinblick auf ihr persönliches Verhalten eine besonders negative Bewer-
tung durch Oberst i.G. G. Nach Nr. 402 ZDv 20/6 sind besonders positiv oder
auch negativ hervortretende Leistungen im Rahmen der Gesamtleistung zu
werten; dabei ist nicht das Zufällige, sondern das Charakteristische im (fachli-
chen und im charakterlich-persönlichen) Erscheinungsbild des Beurteilten zu
betonen. Diese Vorgabe schließt es nicht aus, in die Wertung auch die dienst-
grad- und dienstpostenbezogene Stellung des Beurteilten einzubeziehen. Es
liegt innerhalb des Beurteilungsspielraums des beurteilenden Vorgesetzten, ob
er bestimmten besonders positiven oder besonders negativen Leistungen im
Hinblick auf die Anforderungen des Dienstpostens bzw. der Tätigkeit des Beur-
teilten und im Vergleich zu anderen Soldaten ein spezifisches Gewicht zu-
37
- 13 -
schreibt (vgl. Nr. 404 Satz 1 und 2 ZDv 20/6). Deshalb ist es rechtlich nicht zu
beanstanden, dass Oberst i.G. G. auch die Stellung der Antragstellerin als
Stabsoffizier innerhalb des Offizierskorps als wesentlich für die Beurteilung ein-
geschätzt und dazu eine Bewertung abgegeben hat.
Soweit die Antragstellerin den aus ihrer Sicht gegebenen Widerspruch zwischen
der guten internationalen Beurteilung und der hier angegriffenen Beurteilung
beanstandet, verkennt sie, dass sie damit die eigentliche Leistungsbewertung
durch Oberst i.G. G. inhaltlich in Frage stellt. Dieser Kern der Beurteilung ist
aber - abgesehen von dem Fall sachfremder Beeinflussung des Werturteils -
durch § 1 Abs. 3 WBO der richterlichen Nachprüfung ausdrücklich entzogen
(Beschluss vom 29. April 1999 a.a.O.). Die Ausfüllung des Persönlichkeits- und
Leistungsbildes einer Soldatin oder eines Soldaten, und zwar sowohl die Ge-
wichtung der Einzelmerkmale als auch die zusammenfassende Beurteilung, ist
allein Sache des beurteilenden Vorgesetzten und fällt in den Kernbereich seines
gerichtlich nicht nachprüfbaren subjektiven Werturteils.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass Oberst i.G. G. bei seiner Beurteilung sach-
fremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen
hätte. Das Anhörungs- und Erörterungsverfahren nach Nr. 618, 619 ZDv 20/6
ist eingehalten worden. Oberst i.G. G. hat mit der Antragstellerin überdies - wie
er in seiner Stellungnahme vom 25. Mai 2005 zu ihrer Gegendarstellung aus-
führt - am 17. April und am 30. April 2007 zwei Beurteilungsgespräche geführt;
damit hat er den Vorgaben der Nr. 508 ZDv 20/6 entsprochen.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
38
39