Urteil des BVerwG vom 27.01.2010

Gleitende Arbeitszeit, Leiter, Begriff, Überstunden

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 38.09
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Hauptmann ...
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Wilcke und
den ehrenamtlichen Richter Hauptmann Ballak
am 27. Januar 2010 beschlossen:
Der Bescheid des Leiters der Stammdienststelle der
Bundeswehr vom 27. März 2009 sowie die
Beschwerdebescheide des Stellvertreters des
Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteurs der
Streitkräftebasis vom 23. April 2009 und des
Bundesministers der Verteidigung
vom 8. Juni 2009 werden aufgehoben.
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Der Bundesminister der Verteidigung wird verpflichtet, den
Antrag des Antragstellers auf Zulassung zusätzlicher
Gleittage für den 15., 17., 18. und 19. Dezember 2008
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu
zu bescheiden.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem
Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im
vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen
Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Versagung der Genehmigung von
zusätzlichen Gleittagen im Zeitraum vom 15. bis 19. Dezember 2008 über die
Obergrenze von 12 Tagen hinaus.
Der 1960 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit
voraussichtlich mit Ablauf des 31. Oktober 2015 enden wird. Seine Ernennung
zum Hauptmann erfolgte am 15. August 2002. Er wird seit dem 1. Oktober 2006
als ...offizier ... bei der Stammdienststelle der Bundeswehr in Köln verwendet.
Die ...-Abteilung der Stammdienststelle teilte dem Antragsteller am 20.
November 2008 mit, dass sein Korrekturbeleg für Zeitausgleich vom 15. bis 19.
Dezember 2008 nicht mehr in der Gesamtheit der angegebenen Tage verbucht
werden könne, weil er bereits 11 Gleittage im Abrechnungszeitraum
(Kalenderjahr) erhalten habe; die Obergrenze im Abrechnungszeitraum betrage
nach dem „Befehl für die Regelung der Dienstzeit der Soldaten in der
Stammdienststelle der Bundeswehr“ (vom 14. Juni 2006, im Folgenden:
Dienstzeitregelungsbefehl) 12 Tage. Nur wenn es dienstlichen Belangen
förderlich oder nach den dienstlichen Verhältnissen zweckmäßig sei, könnten
bis zu 24 Tage zugelassen werden; die Entscheidung darüber treffe der
Dienststellenleiter unter Beteiligung des Personalrates.
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Mit E-Mail vom selben Tag beantragte der Antragsteller daraufhin beim Leiter
der Stammdienststelle Zeitausgleich über die Obergrenze von 12 Tagen hinaus.
Den Antrag lehnte der Stellvertretende Leiter und Chef des Stabes der
Stammdienststelle mit Bescheid vom 15. Dezember 2008 ab.
Diesen Bescheid hob der Leiter der Stammdienststelle auf die Beschwerde des
Antragstellers mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. März 2009 unter
Hinweis auf die fehlende Zuständigkeit des Stellvertretenden Leiters der
Stammdienststelle auf; er lehnte seinerseits den Antrag des Antragstellers auf
Gewährung von mehr als 12 Arbeitszeitausgleichs-Gleittagen ab. Zur
Begründung führte er aus, die beim Antragsteller zu berücksichtigende Anzahl
von 120 Stunden und 32 Minuten Arbeitszeit könne auch bei voller Ausnutzung
der Gleitzeitmöglichkeiten im Jahr 2008 nicht mehr abgebaut werden. Dessen
ungeachtet sei es seine Aufgabe und die seiner Vorgesetzten, im Verlauf des
Jahres für einen Ausgleich der Überstunden Sorge zu tragen. Nach Ablauf des
ersten Halbjahres 2008 habe die Überstundenzahl des Antragstellers 88
Stunden betragen. Von diesem Zeitpunkt an sei deren Abgeltung noch
problemlos möglich gewesen. Die im Dienstzeitregelungsbefehl vom 14. Juni
2006 getroffene Arbeitszeitregelung enthalte eine für die Gruppe der Soldaten
großzügige Kernarbeitszeitregelung; darüber hinaus stünden jedem Soldaten
pro Jahr ein Urlaubsanspruch von 26 bis 30 Tagen sowie bis zu 12 Gleittage
zu. Hinzu kämen Sonderurlaub und Ansprüche aus Dienstzeitausgleich für
Sonderdienste. Während der Dienstzeit hätten die Soldaten weitere Dienste zu
absolvieren. Daraus ergäben sich zwangsläufig weitere Reduzierungen der
fachlichen Arbeit. Die für gemeinsame Besprechungen und Abstimmungen
nutzbaren Zeiträume seien dadurch so knapp bemessen, dass deren
zusätzliche Reduzierung durch Gewährung von Gleittagen über die Obergrenze
von 12 Tagen hinaus die Festsetzung solcher Termine deutlich erschwere. Die
Gewährung weiterer Gleittage sei daher weder vertretbar noch zweckmäßig.
Hierfür sei auch maßgeblich, dass die Genehmigung weiterer Gleittage für den
Antragsteller insoweit eine Gleichbehandlung anderer Angehöriger der
Dienststelle zur Folge haben müsse.
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Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde des Antragstellers vom 6.
April 2009 wies der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und
Inspekteur der Streitkräftebasis mit Beschwerdebescheid vom 23. April 2009
zurück.
Die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 15. Mai 2009 wies der
Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit Bescheid vom 8. Juni 2009
zurück.
Dagegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 5. Juli 2009 die Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Den Antrag hat der Bundesminister
der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 15. Juli 2009 dem
Senat vorgelegt.
Der Antragsteller musste an den streitbefangenen Ausgleichstagen keinen
Dienst leisten: Er erhielt
am 15. Dezember 2008 Erholungsurlaub,
am 16. Dezember 2008 Arbeitszeitausgleich (12. Gleittag),
am 17. Dezember 2008 Sonderurlaub im Rahmen einer
förmlichen Anerkennung,
am 18. und 19. Dezember 2008 Freistellung vom Dienst
für geleisteten Wachdienst.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller
insbesondere vor:
Im Kalenderjahr 2008 sei er bis zum 15. August im Rahmen einer
Arbeitsgliederung im Dezernat ... mit den Schwerpunktaufgaben „...“, „...“ und
„...“ betraut gewesen. Nach Auflösung dieses Dezernates habe er die Aufgabe
als Sachgebietsleiter ... und stellvertretender Dezernatsleiter im Dezernat ...
übernommen. Zeitgleich seien ihm im Rahmen eines Aufgabentransfers in die
Zielstruktur der Stammdienststelle unter anderem die Aufgabenbereiche „...“
und „...“ übertragen worden. Bis Oktober 2008 habe er außerdem das Amt als
... im Gesamtpersonalrat der Stammdienststelle wahrgenommen. Bis zum 29.
Februar 2008 seien ihm im Kalenderjahr 2008 bereits mehr als 152
Überstunden entstanden. Es sei ihm gelungen, durch 11 Gleittage im Zeitraum
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von April bis Juni 2008 seine Überstunden auf 88 zu reduzieren. Der von ihm
beabsichtigte weitere Überstundenabbau durch Reduzierung der täglichen
Arbeitszeit sei aufgrund der beschriebenen Aufgaben gescheitert. An den
Tagen, für die er die zusätzlichen Gleittage beantragt habe, sei er dienstlich
abkömmlich gewesen. Anstelle der Gleittage habe man ihm Erholungsurlaub
gewährt, der - anders als der Anspruch auf Arbeitszeitausgleich - am
Jahresende nicht verfallen wäre. Mit
der Ausgleichsvorschrift im
Dienstzeitregelungsbefehl sei die Dienststellenleitung eine Selbstbindung
eingegangen, über die jährlich zu gewährenden 12 Tage Arbeitszeitausgleich
hinaus maximal weitere 12 Tage als Gleittage dann zu genehmigen, wenn es
dienstlichen Belangen förderlich oder nach den dienstlichen Verhältnissen
zweckmäßig sei. Diese Entscheidung liege nicht in der freien und willkürlichen
Entscheidung des Dienststellenleiters. Die zusätzlichen Gleittage hätten
vermutlich zu einer Verschiebung der Erholungsurlaubszeiten in das nicht
derart belastete Folgejahr geführt.
Der Antragsteller beantragt,
1. den Bescheid des Stellvertretenden Leiters und Chefs
des Stabes der Stammdienststelle der Bundeswehr vom
15. Dezember 2008 in Gestalt der Entscheidung des
Leiters der Stammdienststelle der Bundeswehr vom 27.
März 2009 in Gestalt des Beschwerdebescheides des
Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. April 2009
aufzuheben, weil die darin erfolgte Versagung von
Zeitausgleich über die Obergrenze von 12 Tagen hinaus
rechtswidrig gewesen sei,
2. hilfsweise
festzustellen, dass die durch den Bescheid des
Stellvertretenden Leiters und Chefs des Stabes der
Stammdienststelle der Bundeswehr vom 15. Dezember
2008 in Gestalt der Entscheidung des Leiters der
Stammdienststelle der Bundeswehr vom 27. März 2009 in
Gestalt des Beschwerdebescheides des
Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. April 2009
erfolgte Versagung von Zeitausgleich über die Obergrenze
von 12 Tagen hinaus rechtswidrig gewesen ist,
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3. ihm die erstrebten Gleittage zu gewähren und die
ersatzweise und unter ausdrücklichem Vorbehalt
beantragten Tage für Erholungsurlaub am 15. Dezember
2008, für Sonderurlaub am 17. Dezember 2008 und zwei
Tage Freistellung vom Dienst am 18. und 19. Dezember
2008 als nicht verbraucht festzustellen,
4. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig
zu erklären.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält - wie der Antragsteller - den Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten für
zulässig, den Antrag aber für unzulässig. An den streitbefangenen Tagen habe
der Antragsteller keinen Dienst leisten müssen, sodass hinsichtlich seines
Verpflichtungsbegehrens Erledigung eingetreten sei. Für einen
Fortsetzungsfeststellungsantrag habe er das erforderliche
Feststellungsinteresse nicht dargelegt. In der Sache sei die Entscheidung des
Leiters
der Stammdienststelle in Gestalt der ergangenen
Beschwerdebescheide, den Antrag auf Genehmigung zusätzlicher Gleittage
über die Obergrenze von 12 Tagen hinaus für den Zeitraum vom 15. bis 19.
Dezember 2008 abzulehnen, rechtmäßig. Gerade wegen der auch vom
Antragsteller vorgetragenen erheblichen Arbeitsbelastung innerhalb der
Stammdienststelle sei es nachvollziehbar, dass der Leiter dieser Dienststelle zu
dem Ergebnis gekommen sei, dass eine zusätzliche, über 12 Tage
hinausgehende Gewährung von Gleittagen den dienstlichen Belangen nicht
förderlich und nach den dienstlichen Verhältnissen nicht zweckmäßig sei.
Vielmehr hätte eine weitere Abwesenheit des Antragstellers angesichts dieser
erheblichen Arbeitsbelastung zur Einschränkung von dienstlichen Belangen
geführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der
Verteidigung - PSZ I 7 - ... - und die Personalgrundakte des Antragstellers,
Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
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- 7 -
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
Die Anträge des Antragstellers im Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 24.
August 2009 sind sach- und interessengerecht dahin auszulegen, dass er
hauptsächlich - in Zusammenfassung der Anträge zu 1. und 3. - beantragt, den
Bescheid des Leiters der Stammdienststelle der Bundeswehr vom 27. März
2009 in der Gestalt der Beschwerdebescheide des Stellvertreters des
Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 23. April 2009 sowie des
Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 8. Juni 2009 aufzuheben und
den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, ihm, dem Antragsteller,
die erstrebten Gleittage zu gewähren und die ersatzweise und unter Vorbehalt
beantragten Tage für Erholungsurlaub (am 15. Dezember 2008), für
Sonderurlaub (am 17. Dezember 2008) und für Freistellung vom Dienst (am 18.
und 19. Dezember 2008) als nicht verbraucht festzustellen. Der Hauptantrag ist
nicht auf den Bescheid des Stellvertretenden Leiters der Stammdienststelle
vom 15. Dezember 2008 zu erstrecken, weil dieser Bescheid durch den
angefochtenen Bescheid des Leiters der Stammdienststelle vom 27. März 2009
vollständig aufgehoben und durch eine neue Sachentscheidung des Leiters
ersetzt worden ist. Ferner ist der hilfsweise formulierte Antrag zu 2. dahin
auszulegen, es möge festgestellt werden, dass die durch die genannten
Bescheide erfolgte Versagung von Gleittagen über die Obergrenze von 12
Tagen hinaus rechtswidrig gewesen ist.
1. Für das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist der Rechtsweg zu den
Wehrdienstgerichten eröffnet.
Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen
öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben,
soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht
ausdrücklich zugewiesen ist. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 82 Abs. 1
SG auch für Klagen der Soldaten aus dem Wehrdienstverhältnis eröffnet,
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soweit nicht ein anderer Rechtsweg gesetzlich vorgeschrieben ist. Dies ist
gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO für die Fälle vorgesehen, in denen Gegenstand
der Beschwerde des Soldaten eine Verletzung seiner Rechte oder eine
Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber ist, die im Zweiten
Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der
§§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Die Wehrdienstgerichte haben hiernach
über die Verletzung solcher Rechte und Pflichten zu entscheiden, die auf dem
Verhältnis der militärischen Über- und Unterordnung beruhen, also in
truppendienstlichen Angelegenheiten (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 6. April
2005 - BVerwG 1 WB 61.04 -
212> und vom 20. November 2009 - BVerwG 1 WB 55.08 - m.w.N.). Für die
Bestimmung, ob es sich um eine truppendienstliche Angelegenheit oder um
eine Verwaltungsangelegenheit handelt, für die der Rechtsweg zu den
Verwaltungsgerichten eröffnet ist, ist auf die wahre Natur des geltend
gemachten Anspruchs und auf die daraus abzuleitende Rechtsfolge abzustellen
(Beschlüsse vom 15. Mai 2003 - BVerwG 1 WB 7.03 -, vom 6. April 2005 a.a.O.
und vom 15. Juli 2008 - BVerwG 1 WB 46.07 - Buchholz 449 § 82 SG Nr. 3 =
NZWehrr 2009, 31).
Danach liegt hier eine den Wehrdienstgerichten zugewiesene
truppendienstliche Angelegenheit vor.
Die Wehrdienstgerichte sind insbesondere für Streitigkeiten über die dienstliche
Verwendung eines Soldaten sachlich zuständig (Urteil vom 15. Februar 1989 -
BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <259> = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2;
Beschlüsse vom 15. Juli 2008 a.a.O, vom 30. September 2008 - BVerwG 1 WB
31.08 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 48; vgl. ferner Beschluss vom 9. August 2005
- BVerwG 2 B 15.05 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 58 = DVBl 2006, 50).
Truppendienstliche Verwendungsentscheidungen sind solche Maßnahmen oder
Entscheidungen, die sich nicht auf den dienstrechtlichen Status des Soldaten
(z.B. Begründung, Änderung oder Dauer des Wehrdienstverhältnisses),
sondern auf die Gestaltung des militärischen Dienstbetriebs beziehen und
durch die der zuständige militärische Vorgesetzte (oder die zuständige
Dienststelle der Bundeswehr) festlegt, wann, wo und wie - d.h. zu welchen
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Zeiten, an welchem Ort, mit welchem Inhalt und unter welchen fachlichen
und/oder persönlichen Voraussetzungen - der Soldat seinen Dienst zu
verrichten hat (vgl. auch Beschluss vom 9. August 2005 a.a.O.). Deshalb stellt
die Gewährung von Urlaubnach Maßgabe des § 28 SG eine truppendienstliche
Verwendungsentscheidung dar. Bei
Anträgen auf Bewilligung von
Erholungsurlaub, Sonderurlaub oder Betreuungsurlaub entscheidet der
zuständige Vorgesetzte über die zeitliche Konkretisierung der Dienstpflicht, also
darüber, ob der Soldat an bestimmten Tagen oder für einen bestimmten
Zeitraum von der individuellen Dienstleistungspflicht auf seinem Dienstposten
freigestellt werden kann. Streitigkeiten um die Gewährung von Erholungsurlaub
(§ 28 Abs. 1 SG), von Sonderurlaub (§ 28 Abs. 3, Abs. 4 SG) und von
Betreuungsurlaub (§ 28 Abs. 5 SG) gehören deshalb in die Zuständigkeit der
Wehrdienstgerichte (vgl. zum Erholungsurlaub: Beschluss vom 12. Juli 1989 -
BVerwG 1 WB 46.88 -; zum Sonderurlaub: Beschlüsse vom 7. Mai 1991 -
BVerwG 1 WB 72.91 - DokBer(B) 1992, 31 und vom 18. Dezember 1991 -
BVerwG 1 WB 143.91 -; zum Betreuungsurlaub: Beschlüsse vom 10. März
2005 - BVerwG 1 WB 42.04 - Buchholz 236.1 § 28 SG Nr. 5 = NZWehrr 2005,
213 und vom 1. September 2005 - BVerwG 1 WB 18.05 - BVerwGE 124, 187 =
Buchholz 236.1 § 28 SG Nr. 7).
Eine derartige zeitliche Konkretisierung der Dienstpflicht durch den zuständigen
Vorgesetzten ist auch Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der
Antragsteller wünscht für konkret benannte Tage (15., 17., 18. und 19.
Dezember 2008) primär die nachträgliche Bewilligung einzelner Gleittage nach
Maßgabe des Dienstzeitregelungsbefehls und damit die Befreiung von seiner
Dienstleistungspflicht an diesen Tagen durch eine Zulassungsentscheidung des
Leiters der Stammdienststelle als des insoweit zuständigen militärischen
Vorgesetzten. Das vom Antragsteller geltend gemachte Rechtsschutzbegehren
betrifft demnach nicht eine Streitigkeit um die lediglich „abstrakte“ Festlegung
der Arbeitszeit der Soldaten und die Bewertung von Tätigkeiten der Soldaten
als Dienst, für die der 2. Revisionssenat den Rechtsweg zu den allgemeinen
Verwaltungsgerichten als eröffnet angesehen hat (Beschluss vom 9. August
2005 a.a.O.).
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2. Der Hauptantrag ist zulässig.
Das mit ihm verfolgte Rechtsschutzziel ist nicht durch Zeitablauf erledigt.
Rechtsgrundlage für das Verpflichtungsbegehren des Antragstellers ist Nr. 6
Buchst. j des „Befehls für die Regelung der Dienstzeit der Soldaten in der
Stammdienststelle der Bundeswehr“ vom 14. Juni 2006. Nach dieser
Bestimmung ist ein Gleittag ein mit Zustimmung der oder des unmittelbaren
Vorgesetzten gewährter ganztägiger Zeitausgleich im Abrechnungszeitraum bei
Gleitzeit, wobei eine Obergrenze von 12 ganzen Tagen im
Abrechnungszeitraum besteht. Wenn es dienstlichen Belangen förderlich oder
nach den dienstlichen Verhältnissen zweckmäßig ist, können bis zu 24 Tage
zugelassen werden; die Entscheidung trifft der Dienststellenleiter unter
Beteiligung des Personalrats. Diese Regelung setzt für das Arbeitszeitmodell
der gleitenden Arbeitszeit in der Stammdienststelle die Vorschrift in § 7 Abs. 5
Satz 1 und 2 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten
des Bundes (Arbeitszeitverordnung - AZV) vom 23. Februar 2006 (BGBl I S.
427) um. Danach kommen bei automatischer Zeiterfassung bis zu 12 Gleittage
in Betracht; wenn es dienstlichen Belangen förderlich oder nach den
dienstlichen Verhältnissen zweckmäßig ist, können bis zu 24 Gleittage
zugelassen werden. Nach § 2 Nr. 8 AZV ist der Abrechnungszeitraum bei
Gleitzeit das Kalenderjahr oder ein ähnlich bestimmter Zeitraum von 12
Monaten, in dem ein Über- oder Unterschreiten der regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit auszugleichen ist. Auf dieser Basis legt Nr. 6 Buchst.
g des Dienstzeitregelungsbefehls das Kalenderjahr als Abrechnungszeitraum
fest. Der maßgebliche Abrechnungszeitraum für den Zeitausgleich bei
gleitender Arbeitszeit, den der Antragsteller geltend macht, endete damit am 31.
Dezember 2008.
Dieser Umstand führt indessen nicht zur Erledigung des Hauptantrags durch
Zeitablauf. Der Hauptantrag bezieht sich auf vier Tage innerhalbdes
Abrechnungszeitraums 2008, an denen der Antragsteller tatsächlich keinen
Dienst geleistet hat. Das Kalenderjahr stellt den maßgeblichen
Zeitraum für den Zeitausgleich dar. Nr. 6 Buchst. j des
Dienstzeitregelungsbefehls schließt deshalb den materiellen Anspruch des
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Soldaten auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über zusätzliche Gleittage nur
für zusätzliche Termine des jeweiligen Abrechnungszeitraums aus.
Mit Ablauf des Kalenderjahrs 2008 ist es weder rechtlich noch tatsächlich
unmöglich geworden, nachträglich für die vier gewünschten - dienstfrei
gebliebenen - Tage zusätzliche Gleittage zuzulassen und die vom Antragsteller
„unter Vorbehalt“ wahrgenommenen Urlaubs- und Freistellungstage rechnerisch
in das Folgejahr 2009, erforderlichenfalls auch in das Jahr 2010 zu übertragen.
Insoweit könnte eine rückwirkende Verrechnung der Gleittage für das Jahr 2008
mit den bewilligten Urlaubs- und Freistellungstagen stattfinden.
3. Der Hauptantrag ist begründet.
Die Ablehnung der Zulassung von zusätzlichen Gleittagen über die Obergrenze
von 12 Tagen hinaus für den 15., 17., 18. und 19. Dezember 2008 ist
rechtswidrig. Die angefochtenen Bescheide weisen Ermessensfehler auf und
verletzen den Antragsteller in seinen Rechten. Sie sind deshalb aufzuheben. Da
die Sache nicht spruchreif ist, ist der Bundesminister der Verteidigung zur
Neubescheidung zu verpflichten.
Auf die Zulassung zusätzlicher Gleittage über die Obergrenze von 12 ganzen
Tagen im Abrechnungszeitraum hinaus besteht kein Rechtsanspruch. Die
Zulassung zusätzlicher Gleittage bis zu 24 Tagen steht vielmehr nach Nr. 6
Buchst. j des Dienstzeitregelungsbefehls im pflichtgemäßen Ermessen des
Dienststellenleiters und hängt davon ab, ob sie dienstlichen Belangen förderlich
oder nach den dienstlichen Verhältnissen zweckmäßig ist. Das Ermessen ist
jeweils einzelfallbezogen auszuüben, weil die Entscheidung über die Zulassung
zusätzlicher Gleittage durch den Umfang des individuellen Zeitguthabens eines
Antragstellers und die Stellungnahmen seiner unmittelbaren Vorgesetzten mit
bestimmt wird. Die Ermessensentscheidung kann gerichtlich darauf überprüft
werden, ob der Dienststellenleiter den Antragsteller mit der Ablehnung der
beantragten zusätzlichen Gleittage durch Überschreiten oder Missbrauch
dienstlicher Befugnisse in seinen Rechten verletzt hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2
WBO), d.h., ob er dabei die gesetzlichen Grenzen des ihm insoweit
eingeräumten Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem
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Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat
(Beschluss vom 22. Juni 2005 - BVerwG 1 WB 1.05 - Buchholz 236.1 § 28 SG
Nr. 6). Die angefochtene Ablehnungsentscheidung weist - auch in der Gestalt
der Beschwerdebescheide - Ermessensfehler auf.
Der Begriff der „dienstlichen Belange“ ist in Nr. 6 Buchst. j des
Dienstzeitregelungsbefehls nicht näher definiert. Es kann offen bleiben, ob
dieser Befehl als Anordnung im Sinne des § 2 Nr. 2 WStG eine normative
Vorgabe der Arbeitszeitverordnung (hier des § 7 Abs. 5 Satz 2 AZV) und damit
auch den Terminus der „dienstlichen Belange“ als unbestimmten Rechtsbegriff
umsetzt oder ob er als ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift anzusehen
ist, die Bindungswirkung nur über Art. 3 Abs. 1 GG unter Berücksichtigung der
ständigen Verwaltungspraxis der Stammdienststelle entfaltet.
Den
angefochtenen Bescheiden liegt ersichtlich eine Interpretation des Begriffs der
„dienstlichen Belange“ zugrunde, die im Ausgangspunkt rechtlich nicht zu
beanstanden ist; sie lässt sich als „dienstliches Interesse an einer zeitnahen
und reibungslosen Aufgabenerfüllung in der Stammdienststelle der
Bundeswehr“ zusammenfassen. Weder vom Antragsteller noch vom
Bundesminister der Verteidigung wird behauptet, dass diese Begriffsauslegung
nicht der ständigen Verwaltungspraxis der Stammdienststelle entspräche. Sie
steht auch im Einklang mit der Interpretation der „dienstlichen Belange“ in
arbeits-
bzw.
dienstzeitrechtlichen
Normen durch das
Bundesverwaltungsgericht (vgl. z.B. Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 2 C
21.03 - BVerwGE 120, 382 <384> = Buchholz 237.95 § 88a SHLBG Nr. 1).
Gegenüber dem Begriff der „dienstlichen Belange“ hat der Begriff der
„dienstlichen Verhältnisse“ keine eigenständige Bedeutung. Vielmehr ist er
ersichtlich sowohl in § 7 Abs. 5 Satz 2 AZV als auch in Nr. 6 Buchst. j des
Dienstzeitregelungsbefehls nur deshalb aufgenommen worden, um eine
sprachlich korrekte Anpassung an den Begriff der Zweckmäßigkeit - im
Verhältnis zur Förderlichkeit - sicherzustellen. Davon gehen auch die
angefochtenen Bescheide aus, indem sie beide Begriffe synonym verwenden.
Bei der erforderlichen einzelfallbezogenen Prüfung, ob die Zulassung der
beantragten Gleittage dem dienstlichen Interesse an einer zeitnahen und
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reibungslosen Aufgabenerfüllung förderlich oder für sie zweckmäßig ist, wird in
den angefochtenen Bescheiden jedoch verkannt, dass die Reibungslosigkeit
der Aufgabenerfüllung nicht nur durch den persönlichen Einsatz der Soldaten,
sondern in gleicher Weise durch die Fürsorgepflicht der Vorgesetzten bestimmt
wird. Im Abschnitt „Gleitende Arbeitszeit“ schreibt der Dienstzeitregelungsbefehl
dazu als „Grundsätze“ fest: „Alle Vorgesetzten und Angehörigen der
Dienststelle sind gemeinsam verantwortlich, die der Stammdienststelle der
Bundeswehr übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Hieran haben sich die
Regelungen zur Arbeitszeit in der Stammdienststelle der Bundeswehr
auszurichten.“ Mit dieser Bestimmung nimmt der Dienstzeitregelungsbefehl
ausdrücklich Vorgesetzten in die Pflicht, verantwortlich, das heißt auch und
gerade unter Einhaltung ihrer Fürsorgepflicht, im Zusammenwirken mit den
Angehörigen der Stammdienststelle einen substanziellen Beitrag zur
Aufgabenerfüllung zu leisten.
Zur Fürsorgepflicht des Leiters der Stammdienststelle gehört die Kontrolle, ob
bei sehr hoher Dienstzeitbelastung und umfangreichen Zeitguthaben der
Soldaten durch deren unmittelbare Vorgesetzte zeitgerecht für angemessenen
Ausgleich gesorgt wird. Das dienstliche Interesse an einer reibungslosen
Aufgabenerfüllung schließt deshalb die fürsorgliche Beachtung der persönlichen
Belange eines einzelnen Soldaten ein; die Zulassung zusätzlicher Gleittage
stellt insofern ein nachträgliches Steuerungsinstrument des Leiters dar, einen
gerechten Zeitausgleich bei überobligationsmäßiger zeitlicher Belastung
sicherzustellen. Das schließt nicht aus, dass Betrachtung und Würdigung
der persönlichen Belange des einzelnen Antragstellers gleichwohl die
zusätzlichen Gleittage versagt werden können, wenn dienstliche Gründe dem
entgegenstehen. In dieser Abwägung können besondere Belastungssituationen,
wie sie im Jahr 2008 z.B. infolge der Zusammenführung der ehemaligen
Stammdienststellen der Teilstreitkräfte in der Stammdienststelle der
Bundeswehr vorlagen, ebenso eine maßgebliche Rolle spielen wie die Frage
der dienstlichen Unabkömmlichkeit des betroffenen Antragstellers.
Unter Beachtung dieser Maßgaben enthält der angefochtene
Ausgangsbescheid unzureichende Ermessenserwägungen. Der Leiter der
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Stammdienststelle beschränkt sich darin auf die Wiedergabe von Urlaubs- und
Dienstbefreiungsregelungen und lehnt unter Hinweis auf eine großzügige
Kernarbeitszeitregelung die Zulassung zusätzlicher Gleittage generell ab. Damit
ist die erforderliche Einzelfallbetrachtung der Belange des Antragstellers
unterblieben und zugleich das in Nr. 6 Buchst. j des Dienstzeitregelungsbefehls
ausdrücklich eingeräumte Ermessen letztlich nicht ausgeübt worden. Soweit der
Leiter der Stammdienststelle erwähnt, die Vorgesetzten des Antragstellers über
ihre Fürsorgepflicht bezüglich seiner Dienstzeitbelastung belehrt zu haben,
handelt es sich um eine Maßnahme der Dienstaufsicht, die den festgestellten
Ermessensfehler nicht kompensiert.
Die Beschwerdebescheide enthalten ebenfalls keine hinreichende Abwägung
der Belange des Antragstellers mit denen der Stammdienststelle; insbesondere
ist nicht nachvollziehbar dargelegt, warum die Zulassung der zusätzlichen
Gleittage nicht in Betracht kam, obwohl der Antragsteller an den vier strittigen
Tagen im Dezember 2008 durchgehend als dienstlich abkömmlich betrachtet
wurde und ihm deshalb Urlaub bzw. Dienstbefreiung wegen geleisteter
Wachdienste bewilligt worden sind. Außerdem hat der unbestritten gebliebene
Vortrag des Antragstellers
keine Berücksichtigung gefunden,
seine
Überstunden seien im Wesentlichen durch Aufträge der Abteilung ... und ...
sowie durch seine Mitarbeit im Gesamtpersonalrat verursacht worden. Der Sinn
und Zweck der Vorschriften über die Freistellung eines
Personalvertretungsmitglieds (§ 46 Abs. 3 BPersVG) wird unterlaufen, wenn
dessen dienstliche Aufgaben in erheblichem Umfang nur durch
Überstundenleistung erledigt werden können, für die es dann anschließend
keinen angemessenen Arbeitszeitausgleich gibt.
Der Senat verkennt nicht, dass eine sehr hohe Dienstzeitbelastung
möglicherweise ein grundsätzliches Phänomen in bestimmten Einheiten und
Dienststellen der Bundeswehr darstellt. Im Hinblick auf die Spanne der
gestatteten Zulassung von „bis zu“ 24 Ausgleichstagen stehen dem insoweit
zuständigen Vorgesetzten aber quantitative Abstufungen in seinen
Zulassungsentscheidungen zur Verfügung, mit deren Hilfe er den zu
beachtenden Belangen Geltung verschaffen kann.
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Die angefochtenen Bescheide sind deshalb aufzuheben
und der
Bundesminister der Verteidigung ist zur Neubescheidung zu verpflichten. Die
Sache ist nicht spruchreif, weil offen ist, ob der Zulassung der beantragten
Gleittage andere als die bisher genannten dienstlichen Gründe entgegenstehen
und welche Äußerung der zu beteiligende Personalrat im Rahmen des neuen
Entscheidungsverfahrens gegenüber dem Leiter der Stammdienststelle
abgeben wird.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1
Satz 1 WBO. Für einen gesonderten Ausspruch über die Zuziehung des
Bevollmächtigten im Vorverfahren ist schon deswegen kein Raum, weil der
Bevollmächtigte erst im gerichtlichen Antragsverfahren die Interessen des
Antragstellers wahrgenommen hat.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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