Urteil des BVerwG vom 08.03.2007

Ermessen, Wiederholungsgefahr, Qualifikation, Zustand

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 38.06
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Major ...,
...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz als Vorsitzende,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Wölpern und
Major Sauer
als ehrenamtliche Richter
am 8. März 2007 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der 1967 geborene Antragsteller wendet sich gegen die Ablehnung seines An-
trages auf Freistellung vom militärischen Dienst zur Durchführung einer Fach-
ausbildung. Er ist Berufssoldat mit der verwendungsbezogenen besonderen
Altersgrenze der Vollendung des 41. Lebensjahres (BO 41). Seine Dienstzeit
wird voraussichtlich mit Ablauf des 30. September 2008 enden. Er gehörte ur-
sprünglich der Teilstreitkraft (TSK) Marine an. Dort wurde er nach dem Ab-
schluss seiner fliegerischen Ausbildung als Waffensystemoffizier (WaSysOffz)
auf dem Waffensystem TORNADO im Marinefliegergeschwader ...in T. ver-
wendet. Anschließend war er vom 15. August 2001 bis zum 30. Juni 2005 als
Fluglehroffizier bei der Ausbildungsstaffel TORNADO in ... USA eingesetzt. Im
Hinblick auf die Auflösung des Marinefliegergeschwaders ... wechselte der An-
tragsteller im Jahr 2003 in die TSK Luftwaffe. Er wurde am 11. Oktober 2005
zum Major ernannt. Seit dem 1. Juli 2005 wird er auf dem Dienstposten Lehr-
stabsoffizier im T... an der M... in B. verwendet.
Mit Schreiben vom 10. November 2005 beantragte der Antragsteller seine Frei-
stellung vom militärischen Dienst zum 1. März 2006. Zur Begründung führte er
aus, er beabsichtige als Maßnahme der vorgezogenen Berufsförderung ein
Studium an der Fachhochschule F. zum Sommersemester 2006 zu beginnen.
Der Leiter T... als sein nächster Disziplinarvorgesetzter und der Kommandeur
M... als sein nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter erklärten in ihren Stellung-
nahmen, der beantragten Freistellung stünden dienstliche Gründe nicht entge-
gen, sofern möglichst zeitnah adäquater Ersatz für den Antragsteller gestellt
werde. Dieser Auffassung schloss sich auch das Marineamt an.
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Mit Bescheid vom 27. Januar 2006 lehnte das Personalamt der Bundeswehr
(PersABw) den Antrag auf Freistellung vom militärischen Dienst aus dienstli-
chen Gründen (Bedarf und besondere Qualifikation) ab.
Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 13. Februar 2006 Be-
schwerde ein, die der Bundesminister der Verteidigung (BMVg) - PSZ I 7 - mit
Bescheid vom 27. April 2006 zurückwies.
Gegen diese ihm am 8. Mai 2006 eröffnete Entscheidung richtet sich der Antrag
des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung vom 18. Mai 2006, die der
BMVg - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 19. Juli 2006 dem Senat vor-
gelegt hat.
Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Sein Antrag sei - weiterhin - zulässig und nicht durch die Nichtaufnahme des
Betriebswirtschaftsstudiums zum 1. März 2006 erledigt. Er wolle das Studium
zum nächstmöglichen Termin aufnehmen, was er immer angestrebt habe. Er
berufe sich auf ein Feststellungsinteresse, weil eine Wiederholungsgefahr be-
stehe und ein Schadenersatzprozess wegen verspätet begonnener Berufsför-
derung beabsichtigt sei. Er bezweifele, dass eine ordnungsgemäße Ermes-
sensentscheidung getroffen worden sei. Die für die vorgezogene Fachausbil-
dung von BO 41 entwickelten Entscheidungskriterien seien in seinem Fall nicht
angewendet worden. Außerdem rüge er eine Ungleichbehandlung, weil bei an-
deren Kameraden, die entsprechend ausgebildet seien, der Freistellungsantrag
nicht abgelehnt worden sei. Nach den zahlreichen Geschwaderauflösungen
existiere seines Erachtens keine angespannte Personallage bei den WaSys-
Offz TORNADO. Die Aufgaben seines bisherigen Dienstpostens könnten
durchaus von einem Piloten wahrgenommen werden.
Er beantragt
festzustellen, dass die Ablehnung der Freistellung vom mi-
litärischen Dienst zur vorgezogenen Durchführung einer
Fachausbildung rechtswidrig ist und die Verpflichtung be-
steht, ihn, den Antragsteller, wegen der Aufnahme eines
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Studiums zum nächsten Studientermin vom Dienst freizu-
stellen.
Der BMVg beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag für unzulässig, weil das ursprünglich geltend gemachte Frei-
stellungsbegehren des Antragstellers zum 1. März 2006 durch Zeitablauf erle-
digt sei. Bis zur Beschwerdeentscheidung habe der Antragsteller ein schutz-
würdiges Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht dargetan. Die von ihm be-
hauptete Wiederholungsgefahr habe er nicht näher konkretisiert. Der vom An-
tragsteller erst im Schreiben vom 18. Mai 2006 angekündigte Schadenersatz-
prozess begründe kein besonderes Feststellungsinteresse für eine wehrdienst-
gerichtliche Entscheidung. Ein eventueller Amtshaftungsanspruch sei nicht vor
den Wehrdienstgerichten, sondern vor den Zivilgerichten geltend zu machen. In
der Sache stehe dem Freistellungsbegehren des Antragstellers entgegen, dass
er bis zu seinem Dienstzeitende als WaSysOffz TORNADO in der Bundeswehr
benötigt werde. Die Personalbedarfslage (Stand 11. September 2006) stelle
sich in den Verbänden so dar, dass im Aufklärungsgeschwader 51 einem Soll
an WaSysOffz von 51 ein Ist von 43, im Jagdbombergeschwader 31 einem Soll
von 51 ein Ist von 48, im Jagdbombergeschwader 32 einem Soll von 51 ein Ist
von 41 und im Jagdbombergeschwader 33 einem Soll vom 51 ein Ist von 43
WaSysOffz gegenüberstehe. Diese Personalbedarfslage habe sich in der Fol-
gezeit nicht entspannt. Zum Stichtag 21. Februar 2007 stehe einem Soll an
WaSysOffz in den vier genannten Geschwadern von jeweils 51 Offizieren ein Ist
von 41 WaSysOffz im Aufklärungsgeschwader 51, von 43 im Jagdbomber-
geschwader 31, von 50 im Jagdbombergeschwader 32 sowie von 42 im Jagd-
bombergeschwader 33 gegenüber. Darüber hinaus seien Dienstposten durch
Offiziere in Stabs- und Lehrverwendungen zu besetzen, die - wie im Fall des
Antragstellers - eine fliegerische Expertise voraussetzten. Der derzeitige
Dienstposten des Antragstellers im Taktikzentrum der Marine an der MOS er-
fordere einen Lehrstabsoffizier und WaSysOffz TORNADO mit Erfahrung im
Bereich der Seekriegsführung aus der Luft. Der Antragsteller sei für diesen
Dienstposten als ehemaliger WaSysOffz im Marinefliegergeschwader ... unter
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Berücksichtigung seiner Erfahrungen als Ausbilder, seiner besonderen Qualifi-
kation als Überprüfungs- und Lehrberechtigter und als Inhaber der Waffenlehr-
befähigung TORNADO bestens geeignet und sei deshalb mit seinem Einver-
ständnis für diesen Dienstposten ausgewählt worden. Im Falle seiner Freistel-
lung müsse sein derzeitiger Dienstposten mit einem gleichwertig qualifizierten
Offizier nachbesetzt werden; dies werde aufgrund der insgesamt angespannten
Personalsituation im fliegerischen Bereich und angesichts des geforderten
Qualifikationsprofils für den Dienstposten zu einer zusätzlichen Vakanz führen.
Sollte der Antragsteller nicht auf seinem derzeitigen Dienstposten an der MOS
verwendet werden, werde er bedarfsgerecht als erfahrener und ausgebildeter
WaSysOffz in einem TORNADO-Einsatzverband eingesetzt werden. Diese
Planung habe sich inzwischen dahin konkretisiert, dass der Antragsteller zum
1. Juli 2007 in das Aufklärungsgeschwader 51 versetzt werden solle, um einer
Verschlechterung der Personallage in diesem Verband entgegen zu wirken. Mit
dieser Verwendungsplanung habe sich der Antragsteller einverstanden erklärt.
Sein derzeitiger Dienstposten an der M... werde zum 1. Juli 2007 voraussicht-
lich mit einem Kampfflugzeugführeroffizier nachbesetzt.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des BMVg
- PSZ I 7 - 338/06 - sowie die Personalgrundakte des Antragstellers, Haupttei-
le A bis D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bleibt ohne Erfolg.
Der Feststellungsantrag ist unzulässig.
Seiner Zulässigkeit steht § 43 Abs. 2 VwGO entgegen. Die Subsidiaritätsklausel
des § 43 Abs. 2 VwGO ist im Wehrbeschwerdeverfahren entsprechend an-
wendbar und nötigt den jeweiligen Antragsteller, seine in Rede stehenden
Rechte vorrangig mit einem Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag bzw. mit
einem Leistungsantrag zu verfolgen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 22. Sep-
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tember 2005 - BVerwG 1 WB 22.05 - m.w.N. und vom 31. Januar 2007
- BVerwG 1 WB 55.06 -). Der Antragsteller konnte die zum Gegenstand seines
Feststellungsantrages erklärte Ablehnung der Freistellung vom militärischen
Dienst zur vorgezogenen Durchführung einer Fachausbildung und die - in die-
sen Feststellungsantrag einbezogene - Verpflichtung (des BMVg), ihn wegen
der Aufnahme eines Studiums zum nächsten Studientermin vom Dienst freizu-
stellen, ohne Weiteres mit einem vorrangigen Anfechtungs- und Verpflich-
tungsantrag verfolgen. Hiervon hat er jedoch in seinem Antrag auf gerichtliche
Entscheidung vom 18. Mai 2006 ebenso wie in seinem Schriftsatz vom 4. Sep-
tember 2006 abgesehen.
Soweit sich der Antragsteller zur Begründung seines Feststellungsantrages auf
eine Wiederholungsgefahr und auf die Absicht eines Schadenersatzprozesses
beruft, geht er offensichtlich von einem Fortsetzungsfeststellungsantrag aus.
Ein derartiger Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO
in analoger Anwendung ist jedoch nur zulässig, wenn sich das ursprüngliche
Anfechtungs- oder Verpflichtungsbegehren eines Antragstellers durch Zeitab-
lauf oder in sonstiger Weise in der Hauptsache erledigt hat (stRspr, z.B. Be-
schlüsse vom 11. Dezember 2003 - BVerwG 1 WB 14.03 - BVerwGE 119, 341
= Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 52 = NZWehrr 2004, 163 und - BVerwG 1 WB
24.03 - Buchholz 236.110 § 6 SLV 2002 Nr. 1 sowie vom 22. Juni 2005
- BVerwG 1 WB 1.05 - Buchholz 236.1 § 28 SG Nr. 6
licht> m.w.N.). Der Antragsteller bestreitet ausdrücklich, dass sich sein ur-
sprüngliches Freistellungsbegehren ausschließlich auf den Termin 1. März 2006
beschränkt hätte; er meint deshalb, dieses Rechtsschutzziel sei noch nicht erle-
digt. Folgt man dieser Auffassung des Antragstellers, ist sein Antrag mangels
eingetretener Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache unzulässig.
Geht man andererseits - mit dem BMVg - davon aus, dass sich der Freistel-
lungsantrag vom 10. November 2005 nur auf den Freistellungstermin 1. März
2006 bezieht und demzufolge eine Erledigung des Rechtsschutzantrags durch
Zeitablauf eingetreten ist, ist der Antrag als Fortsetzungsfeststellungsantrag
ebenfalls unzulässig, weil dem Antragsteller das erforderliche Fortsetzungsfest-
stellungsinteresse nicht zur Seite steht.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann sich dieses Fortsetzungs-
feststellungsinteresse aus einem Rehabilitierungsinteresse, aus einer Wieder-
holungsgefahr oder aus der Absicht ergeben, einen Schadenersatzanspruch
geltend zu machen, sofern dieser nicht von vornherein als aussichtslos er-
scheint. Zusätzlich kommt auch unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechts-
schutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ein berechtigtes Feststellungsinteresse in Be-
tracht, wenn die erledigte Maßnahme eine fortdauernde faktische Grundrechts-
beeinträchtigung nach sich zieht (Beschlüsse vom 11. Dezember 2003
- BVerwG 1 WB 14.03 - BVerwGE 119, 341 = NZWehrr 2004, 163 und
- BVerwG 1 WB 24.03 - Buchholz 236.110 § 6 SLV 2002 Nr. 1, vom 22. Januar
2004 - BVerwG 1 WB 34.03 - jeweils m.w.N., vom 4. November 2004 - BVerwG
1 WB 29.04 - und vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 WB 19.04 -). Ein Feststel-
lungsinteresse in diesem Sinne muss der Antragsteller spezifiziert darlegen und
geltend machen.
Soweit sich der Antragsteller pauschal auf eine „Wiederholungsgefahr“ zur Be-
gründung seines Feststellungsinteresses bezieht, hat er diese nicht in der er-
forderlichen Weise näher konkretisiert.
Auch der nicht näher dargelegte Hinweis des Antragstellers auf einen Scha-
denersatzprozess begründet für ihn kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Ein Anspruch auf „Schadenersatz“, soweit er auf eine schuldhafte Amtspflicht-
verletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gestützt wird, könnte ohnehin
nur vor den Zivilgerichten (Art. 34 Satz 3 GG i.V.m. § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO)
oder, soweit es sich um einen Folgenbeseitigungsanspruch handeln sollte, nur
vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend
gemacht werden. Insoweit besteht nach ständiger Rechtsprechung des Senats
aber kein Anspruch auf den (vermeintlich) „sachnäheren“ Richter. Vielmehr ist
es Sache des Antragstellers, in den Fällen, in denen eine Erledigung der
Hauptsache bereits vor Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung ein-
getreten ist, wegen des von ihm angestrebten „Schadenersatzanspruchs“ un-
mittelbar das hierfür zuständige Zivil- oder Verwaltungsgericht anzurufen. Die-
ses Gericht hat dann über sämtliche den geltend gemachten Anspruch betref-
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fenden Rechtsfragen in eigener Zuständigkeit zu befinden (vgl. z.B. Beschlüsse
vom 8. Mai 2001 - BVerwG 1 WB 15.01 - Buchholz 442.40 § 30 LuftVG Nr. 6 =
NZWehrr 2001, 165 und vom 22. Juni 2005 a.a.O.
licht>).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf die oben dargelegte zweite Ausle-
gungsalternative ergibt, dass sich die vom Antragsteller angestrebte Freistel-
lung vom militärischen Dienst am 1. März 2006 und damit bereits vor der Stel-
lung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung erledigt hat. Damit liegt ein
Fortsetzungsfeststellungsinteresse für das vorliegende Verfahren auf der Basis
eines beabsichtigten Schadenersatzanspruchs nicht vor.
Dem Rechtsschutzbegehren des - nicht anwaltlich vertretenen - Antragstellers
kann allerdings im Wege der Auslegung auch der Antrag entnommen werden,
der BMVg möge verpflichtet werden, ihn wegen der Aufnahme eines Studiums
zum nächstmöglichen Studientermin vom Dienst freizustellen.
Dieser Antrag ist in der Sache nicht begründet.
Der Antragsteller hat keinen Rechtsanspruch auf die erstrebte Freistellung vom
militärischen Dienst zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Ablehnungsbescheid
des PersABw vom 27. Januar 2006 in der Gestalt des Beschwerdebescheides
des BMVg vom 27. April 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller
nicht in seinen Rechten.
Nach der maßgeblichen Regelung des - bis zum 30. September 2008 gelten-
den - § 10 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung der §§ 4, 5 und 5a
des Soldatenversorgungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom
14. November 1994 (BGBl I S. 3442), zuletzt geändert durch die Verordnung
zur Durchführung der Berufsförderung von Soldatinnen und Soldaten vom
23. Oktober 2006 (BGBl I S. 2336) - im Folgenden: DVO-SVG - kann mit der
Durchführung der Fachausbildung eines Berufssoldaten, dessen Dienstverhält-
nis wegen Überschreitens der für Offiziere in Verwendung als Flugzeugführer
oder WaSysOffz in strahlgetriebenen Kampfflugzeugen festgesetzten besonde-
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ren Altersgrenze nach § 44 Abs. 2 i.V.m. § 45 Abs. 2 Nr. 6 SG bis spätestens
zum 30. September 2008 endet, im dienstlichen Interesse am Abbau des per-
sonellen Überhangs auf Antrag bis zu drei Jahre vor dem Dienstzeitende unter
Freistellung vom militärischen Dienst begonnen werden. Die Entscheidung über
eine solche Freistellung steht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nach
dem insoweit nicht auslegungsfähigen Wortlaut der Vorschrift („kann“) im
Ermessen der zuständigen Stelle.
Dabei ist davon auszugehen, dass Rechtsvorschriften, die der zuständigen
Stelle ein Ermessen einräumen, einen individuellen Rechtsanspruch auf er-
messensfehlerfreie Entscheidung nur dann begründen, wenn die das Ermessen
einräumende Regelung - zumindest auch - dem Interesse des Betroffenen zu
dienen bestimmt ist (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 26. Oktober 2000 - BVerwG 2 C
31.99 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 4 GG Nr. 4 und Beschlüsse vom 21. Februar
2002 - BVerwG 1 WB 76.01 - und vom 28. März 2006 - BVerwG 1 WB 33.05 -
Buchholz 449.4 § 4 SVG Nr. 6). Die vom Antragsteller angestrebte
Verpflichtung des BMVg, ihn vorzeitig, d.h. vor Ablauf seiner festgelegten
Dienstzeit, für eine Fachausbildung (Studium der Betriebswirtschaft) vom militä-
rischen Dienst zum nächstmöglichen Termin freizustellen, könnte der Senat
zudem nur dann aussprechen, wenn das Ermessen der zuständigen Stelle feh-
lerfrei nur noch in dieser Weise ausgeübt werden könnte, mithin jede andere
Entscheidung als eine Freistellung ermessenfehlerhaft wäre. Ein solcher Fall
liegt hier nicht vor.
Ob § 10 Abs. 2 Satz 2 DVO-SVG - zumindest auch - das individuelle Interesse
des von ihm erfassten Personenkreises und damit auch dasjenige des An-
tragstellers schützt (wofür das Antragserfordernis sprechen könnte) oder ob
wegen der ausdrücklich in den Normtext aufgenommenen spezifischen Ermes-
sensvorgabe („im dienstlichen Interesse am Abbau des personellen Über-
hangs“) Schutzzweck der Regelung ausschließlich das öffentliche Interesse an
einer optimierten Personalstruktur ist, bedarf keiner Entscheidung. Denn die
vom PersABw im Bescheid vom 27. Januar 2006 erfolgte Ablehnung des An-
trages ist jedenfalls in der Sache rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verlet-
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zung von Rechten des Antragstellers liegt nicht vor; ein Rechtsanspruch auf
Freistellung vom militärischen Dienst besteht nicht.
Die von der zuständigen Stelle getroffene Ermessensentscheidung kann der
Senat nur daraufhin überprüfen, ob diese Stelle den Antragsteller mit der Ab-
lehnung des Antrages durch Überschreitung oder Missbrauch dienstlicher Be-
fugnisse in seinen Rechten verletzt hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO) bzw. ob die
gesetzlichen Grenzen des insoweit eingeräumten Ermessens überschritten
worden sind oder ob von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht
entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 114 Satz 1 VwGO
analog; vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. Juni 2003 - BVerwG 1 WB 5.03 - und vom
10. März 2005 - BVerwG 1 WB 42.04 - Buchholz 236.1 § 28 SG Nr. 5 =
NZWehrr 2005, 213).
Das PersABw als zuständige personalbearbeitende Stelle (vgl. Nr. 4 des Erlas-
ses des BMVg - PSZ V 5 - Az.: 37-61-05 - vom 28. November 2000) hat die
rechtlichen Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens eingehalten und von
seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Wei-
se Gebrauch gemacht, mithin seine dienstlichen Befugnisse weder überschrit-
ten noch missbraucht.
Die vom PersABw im Ablehnungsbescheid angeführte Begründung, einer Frei-
stellung des Antragstellers stünden „derzeit dienstliche Gründe (Bedarf und
besondere Qualifikation) entgegen“, orientiert sich an der in § 10 Abs. 2 Satz 2
DVO-SVG normierten rechtlichen Vorgabe, wonach eine stattgebende Ent-
scheidung ein (positives) dienstliches Interesse am Abbau eines bestehenden
personellen Überhangs voraussetzt. Fehlt es an einem solchen „dienstlichen
Interesse am Abbau des personellen Überhangs“, kommt eine positive Ermes-
sensentscheidung nicht in Betracht. Es muss positiv festgestellt werden, dass
die beanspruchte Entscheidung der in § 10 Abs. 2 Satz 2 DVO-SVG speziell
normierten Zwecksetzung entspricht (Beschluss vom 28. März 2006 a.a.O.).
Angesichts des Verplichtungsbegehrens des Antragstellers ist für die maßgeb-
liche Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats
abzustellen.
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Ob ein dienstliches Interesse am Abbau eines personellen Überhangs besteht,
hängt von der Bestimmung und Abschätzung des personellen Bedarfs ab, der
für den gestellten Freistellungsantrag relevant ist. Dabei ist der Ist-Zustand mit
dem planerisch gewollten Soll-Zustand zu vergleichen. Ein personeller Über-
hang besteht dann, wenn die Zahl der besetzten Dienstposten im Ist-Zustand
im Vergleich zum Soll-Zustand überhöht ist. Der Bildung und Abgrenzung der
maßgeblichen Vergleichsgruppen liegen militär- und personalpolitische Ent-
scheidungskriterien sowie Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte zugrunde, deren
Festlegung von den Wehrdienstgerichten nur auf mögliche Rechtsverletzungen
überprüft werden kann. Auch bei der Frage, welchen Bedarf die Bundeswehr in
ihren einzelnen Verwendungsbereichen hat, handelt es sich nicht um einen der
(vollen) gerichtlichen Nachprüfung unterliegenden unbestimmten Rechtsbegriff.
Eine derartige Bedarfsermittlung dient vielmehr der Verwirklichung planerischer
Vorstellungen und ist eine organisatorische Maßnahme, mit deren Hilfe das
Bundesministerium der Verteidigung und die von ihm beauftragten Stellen die
aus seiner/ihrer Sicht erforderlichen und verfassungsrechtlich zulässigen Auf-
gaben der Bundeswehr realisieren (wollen). Bei solchen planerischen Vorstel-
lungen und organisatorischen Maßnahmen handelt es sich in erster Linie um
Zweckmäßigkeitsbeurteilungen und Zweckmäßigkeitsentscheidungen. Sie müs-
sen bei der gerichtlichen Kontrolle einzelner Personalmaßnahmen, außer bei
Rechtsverstößen, als vorgegeben hingenommen werden (stRspr, vgl. u.a. Be-
schlüsse vom 11. November 1975 - BVerwG 1 WB 24.75 - BVerwGE 53, 95
<97>, vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 25.05 - und vom 28. März 2006
a.a.O.). Denn es gehört nicht zu den Aufgaben der Wehrdienstgerichte, eigene
Vorstellungen über die Organisation und die personelle Ausstattung der Streit-
kräfte zu entwickeln und diese an die Stelle derjenigen der dazu berufenen Or-
gane zu setzen. Insbesondere hat der Senat nicht zu prüfen, ob die vom Bun-
desministerium der Verteidigung entwickelte Konzeption sinnvoll und zweck-
mäßig ist (vgl. dazu allgemein: Beschlüsse vom 22. Juli 1999 - BVerwG 1 WB
12.99 - Buchholz 236.11 § 5 SLV Nr. 3 = NZWehrr 2000, 123, vom 10. März
2005 - BVerwG 1 WB 55.04 -, vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB 25.05 -
und vom 28. März 2006 a.a.O.).
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Nach diesem Maßstab sind die im vorliegenden Fall vorgenommene Bedarfs-
ermittlung und die auf dieser Basis erfolgte Verneinung eines personellen
Überhangs im Verwendungsbereich des Antragstellers rechtlich nicht zu bean-
standen; sie weisen keine Rechtsfehler auf. Der BMVg hat im Beschwerdebe-
scheid sowie in den Schriftsätzen vom 20. Oktober 2006 und vom 28. Februar
2007 im Einzelnen detailliert und nachvollziehbar dargelegt, dass in allen
TORNADO-Verbänden ein Fehl an WaSysOffz besteht. Im Aufklärungsge-
schwader 51 und in den Jagdbombergeschwadern 31, 32 und 33 stehe jeweils
einem Soll an WaSysOffz von 51 ein Ist von lediglich 43, 48, 41 bzw. 43 Offizie-
ren (Stand: 11. September 2006) bzw. ein Ist von lediglich 41, 43, 50 bzw. 42
Offizieren (Stand: 21. Februar 2007) gegenüber. Darüber hinaus sind Dienst-
posten durch Offiziere in Stabs- und Lehrverwendungen zu besetzen, die eine
spezifische fliegerische Expertise voraussetzen. Der BMVg hat im Einzelnen
ausgeführt, dass der derzeitige Dienstposten des Antragstellers im T... an der
M... einen Lehrstabsoffizier und WaSysOffz bzw. Jagdbomberflugzeugführer-
stabsoffizier TORNADO mit Erfahrung im Bereich der Seekriegsführung aus der
Luft erfordere. Im Falle der Freistellung des Antragstellers müsse sein der-
zeitiger Dienstposten mit einem gleichwertig qualifizierten Offizier nachbesetzt
werden, was angesichts der angespannten Personalsituation im fliegerischen
Bereich und des geforderten Qualifikationsprofils für den Dienstposten zu einer
zusätzlichen Vakanz führen würde. Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2007 hat
der BMVg diesbezüglich ergänzend vorgetragen, dass voraussichtlich (erst)
zum 1. Juli 2007 der derzeitige Dienstposten des Antragstellers an der M... mit
einem Kampfflugzeugführeroffizier nachbesetzt werde, um eine vorrangig er-
forderliche Versetzung des Antragstellers zum 1. Juli 2007 in das Aufklärungs-
geschwader 51 zu ermöglichen, weil dort einer Verschlechterung der Personal-
lage entgegengewirkt werden müsse.
Von dieser militärischen Bedarfsermittlung und Bedarfsfeststellung hat der Se-
nat auszugehen. Der Antragsteller hat keinen rechtlichen Anspruch darauf, sei-
ne anderweitigen militär- oder personalpolitischen Vorstellungen hinsichtlich der
Bedarfsdeckung (z.B. der Besetzung seines Dienstpostens mit einem „Piloten“)
an die Stelle derjenigen des BMVg zu setzen.
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Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergeben sich keine Anhaltspunkte da-
für, dass bei dieser Bedarfsbestimmung eigene Rechte des Antragstellers ver-
letzt worden sind. Im Übrigen hat der Antragsteller die Darlegungen des BMVg
zur Personalsituation im Bereich der WaSysOffz TORNADO und im Bereich der
Stabs- und Lehrverwendungen nicht substantiiert in Zweifel gezogen. Ob der
bestehende Bedarf an WaSysOffz unter Umständen durch die Versetzung von
anderen Soldaten aus anderen Verbänden/Einheiten ausgeglichen werden
könnte, ist eine Frage, die das planerische Ermessen und damit organisatori-
sche und militärpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen betrifft, die ihrerseits
aus den dargelegten Gründen einer gerichtlichen Entscheidung nicht zugänglich
sind.
Hiernach besteht kein dienstliches Interesse am Abbau eines personellen
Überhangs an WaSysOffz durch Freistellung des Antragstellers. Die auf dieser
Grundlage getroffene ablehnende Ermessensentscheidung des PersABw in der
Gestalt des Beschwerdebescheides des BMVg vom 27. April 2006 ist rechtlich
nicht zu beanstanden. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass das PersABw
von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hätte. Ins-
besondere ist das Ermessen des PersABw nicht in der Weise eingeschränkt,
dass es fehlerfrei nur noch so ausgeübt werden könnte, dass der Antragsteller
vom militärischen Dienst in der beantragten Weise freizustellen wäre. Eine Er-
messensbindung für das PersABw ist auch nicht unter dem Aspekt des Art. 3
Abs. 1 GG festzustellen.
Konkrete Anhaltspunkte für eine mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbare Ungleich-
behandlung des Antragstellers gegenüber anderen WaSysOffz oder Flugzeug-
führern, die Freistellungsanträge gestellt haben, sind schon deshalb nicht er-
sichtlich, weil der Antragsteller derartige Fälle nicht substantiiert bezeichnet hat.
Der BMVg - PSZ I 7 - hat von sich aus im Schriftsatz vom 28. Februar 2007
lediglich einen Fall dokumentiert, in dem das PersABw der vorzeitigen Freistel-
lung eines WaSysOffz vom militärischen Dienst zur Durchführung einer Fach-
ausbildung lediglich für den - kurzen - Zeitraum vom 1. Juni bis zum 30. No-
vember 2007 zugestimmt hat. Dieser Fall ist nach Darlegung des BMVg mit der
Situation des Antragstellers nicht vergleichbar, weil sich der Zeitraum der bean-
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tragten Freistellung insgesamt auf lediglich sechs Monate erstreckt, während
der Antragsteller eine Freistellung seit dem 1. März 2006 beantragt hat und im
Übrigen noch über eine deutlich längere Restdienstzeit und eine sehr gute
fachliche Qualifikation verfügt. Diesen Ausführungen ist der Antragsteller nicht
entgegen getreten.
Dr. Frentz
Prof. Dr. Widmaier
Dr. Deiseroth