Urteil des BVerwG vom 16.01.2008

Einwilligung, Anforderung, Personalakte, Hauptsache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 33.07
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Stabsbootsmann ... L.,
...kommando ..., ..., K.,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Fregattenkapitän Windmeier und
den ehrenamtlichen Richter Oberstabsbootsmann Kreck
am 16. Januar 2008 beschlossen:
Der Antrag wird als unzulässig verworfen.
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G r ü n d e :
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Der Antragsteller wendet sich gegen die Vorlage seiner Personalgrundakte an
das Bundesverwaltungsgericht durch den Bundesminister der Verteidigung.
Der 1955 geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Zuletzt wurde er am 1. Feb-
ruar 2002 zum Stabsbootsmann befördert. Derzeit wird der Antragsteller als
Truppenversorgungsbearbeiter beim Stab... des ...kommandos ... in K. verwen-
det.
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2006 kündigte die (damalige) Stammdienst-
stelle der Marine dem Antragsteller an, dass beabsichtigt sei, ihn wegen Über-
schreitens der für ihn geltenden besonderen Altersgrenze (Vollendung des
53. Lebensjahres) mit Ablauf des 31. Januar 2008 in den Ruhestand zu verset-
zen. Hiergegen erhob der Antragsteller unter dem 9. Februar 2007 Beschwer-
de; unter dem 5. Juli 2007 legte er eine Untätigkeitsbeschwerde ein. Der Bun-
desminister der Verteidigung - PSZ I 7 - wertete die Untätigkeitsbeschwerde
nach Rücksprache mit dem Antragsteller als Antrag auf gerichtliche Entschei-
dung und legte diesen dem Senat mit seiner Stellungnahme vom 10. August
2007 vor. Zusammen mit der Stellungnahme übersandte der Bundesminister
der Verteidigung außerdem die Beschwerdeakte Az.: 561/07 und die Personal-
grundakte des Antragstellers. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen
BVerwG 1 WB 29.07 geführt.
Mit Schreiben an das Bundesministerium der Verteidigung vom 7. September
2007 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen den Leiter des Referats
PSZ I 7 wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen über die Führung der Per-
sonalakten der Soldaten sowie wegen Verstoßes gegen das Bundesdaten-
schutzgesetz. Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - wertete auch
diese Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den er mit seiner
Stellungnahme vom 17. September 2007 dem Senat vorlegte.
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Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Das Bundesministerium der Verteidigung habe seine Personalgrundakte an das
Gericht übersandt, ohne dass dieses die Vorlage der Akte verlangt habe. Einem
solchen Verlangen hätte er, der Antragsteller, mit Sicherheit zugestimmt. Da die
Akte jedoch ohne seine Einwilligung vorgelegt worden sei, hätte ihm das Bun-
desministerium der Verteidigung gemäß eigener Erlasslage Inhalt und
Empfänger schriftlich mitteilen müssen; dies sei bis heute nicht erfolgt. Die Pra-
xis, Personalakten ohne Anforderung durch das Gericht auf Verdacht bzw. nach
dem Grundsatz „das machen wir immer so“ zu versenden, sei weder vom
Bundesdatenschutzgesetz noch von der Verwaltungsgerichtsordnung gedeckt.
Die Vorgehensweise verstoße zudem gegen die vom Bundesministerium der
Verteidigung selbst erlassenen Bestimmungen über die Führung der Personal-
akten der Soldaten, die ihm erst am 5. September 2007 zugänglich gemacht
worden seien; seine Beschwerde sei daher auch nicht verfristet. Zum Ausgleich
für den Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung stün-
den ihm nach dem Bundesdatenschutzgesetz Rechte auf Unterrichtung, auf
Auskunft, auf Berichtigung, auf Löschung, auf Sperrung, auf Folgenbeseitigung,
auf Widerspruch, auf Schadensersatz, auf Beantragung der Einleitung eines
Bußgeldverfahrens und auf Strafantrag zu.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag sei unzulässig, weil die Frist des § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO versäumt
sei. Auch liege kein Fall des § 7 WBO vor; eine Rechtsbehelfsbelehrung sei nur
bei einer truppendienstlichen Erstmaßnahme, nicht jedoch bei einer rein tat-
sächlichen Handlung wie der Übersendung einer Personalakte erforderlich. Im
Übrigen fehle dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis; er habe selbst er-
klärt, dass er der Übersendung seiner Personalgrundakte zugestimmt hätte,
falls das Gericht eine Vorlage verlangt hätte.
Unabhängig davon sei die Vorlage der Personalgrundakte an das Bundesver-
waltungsgericht ohne Anforderung bzw. ohne vorherige Einwilligung des An-
tragstellers auch rechtmäßig. Das Bundesministerium der Verteidigung beab-
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sichtige, weiterhin in dieser Weise zu verfahren. Zwar sei zunächst das aus
dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung und damit das Recht des Soldaten, selbst über die Preisga-
be und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen, vorrangig. Nach § 99
Abs. 1 Satz 1 VwGO seien Behörden jedoch zur Vorlage von Akten verpflichtet.
Wegen dieser Verpflichtung spiele es auch keine Rolle, ob die Akten auf Anfor-
derung des Gerichts oder aber von Amts wegen übersandt würden. Auch eine
Einwilligung des Betroffenen sei nicht erforderlich; im Übrigen habe der An-
tragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung selbst die Ursache
für die Vorlage seiner Personalgrundakte gesetzt und damit sein diesbezügli-
ches Einverständnis konkludent zu erkennen gegeben. Ein Verstoß gegen das
Bundesdatenschutzgesetz liege nicht vor. Zum einen sei § 99 VwGO die spe-
ziellere Norm. Zum anderen sei die Übermittlung personenbezogener Daten an
öffentliche Stellen nach § 15 Abs. 1 BDSG zulässig, wenn sie zur Erfüllung von
deren Aufgaben erforderlich sind und die Voraussetzungen vorliegen, die eine
Nutzung nach § 14 BDSG zulassen würden, was hier der Fall sei. Soweit der
Antragsteller eine schriftliche Mitteilung über Inhalt und Empfänger begehre,
fehle es ihm wiederum am Rechtsschutzbedürfnis, weil der Stellungnahme des
Bundesministers der Verteidigung vom 10. August 2007 unter „Anlage 3“ die
Übersendung der Personalgrundakte an das Bundesverwaltungsgericht zu ent-
nehmen sei. Im Übrigen bestehe im Rahmen von § 99 VwGO kein Anspruch
auf eine schriftliche Mitteilung.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bun-
desministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 786/07, die Gerichtsakte BVerwG
1 WB 29.07 und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat
bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
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1. Der Antragsteller hat keinen förmlichen (Sach-) Antrag gestellt. Bei sach- und
interessengerechter Auslegung seines Vorbringens beantragt er sinngemäß,
festzustellen, dass die in dem Antragsverfahren BVerwG 1 WB 29.07 erfolgte
Vorlage seiner Personalgrundakte an das Bundesverwaltungsgericht durch den
Bundesminister der Verteidigung rechtswidrig war. Dieser Antrag umfasst die im
Einzelnen beanstandeten Punkte, nämlich dass die Akte ohne ein entspre-
chendes Verlangen durch das Gericht, ohne seine - des Antragstellers - Einwil-
ligung und ohne schriftliche Mitteilung über Inhalt und Empfänger übersandt
worden sei.
Dieser Antrag unterliegt der Beurteilung durch den Wehrdienstsenat als dem für
die Hauptsache (BVerwG 1 WB 29.07) zuständigen Gericht. Zwar entscheidet
gemäß § 99 Abs. 2 VwGO ein spezieller Fachsenat (§ 189 VwGO) darüber, ob
eine der Aktenvorlage durch eine Behörde aus den in § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO genannten Geheimhaltungsgründen rechtmäßig ist; nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entscheidet der Fachsenat
darüber hinaus auch in dem - umgekehrten - Falle der von Akten, wenn
ein Verfahrensbeteiligter hiergegen Geheimhaltungsgründe im Sinne von § 99
Abs. 1 Satz 2 VwGO einwendet (Beschlüsse vom 14. August 2003 - BVerwG
20 F 1.03 - BVerwGE 118, 350 = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 33 und vom
12. Januar 2006 - BVerwG 20 F 12.04 - BVerwGE 125, 40 = Buchholz 310 § 99
VwGO Nr. 39). Ob sich die Zuständigkeit des Fachsenats in entsprechender
Anwendung von § 99 Abs. 2 VwGO auch auf die Aktenvorlage im Rahmen von
Antragsverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung erstreckt, kann hier
dahinstehen. Denn im vorliegenden Fall fehlt es zum einen an der
- gegebenenfalls vor der Befassung des Fachsenats herbeizuführenden - Ent-
scheidung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO über die Aktenvorlage durch die zu-
ständige oberste Aufsichtsbehörde (hier: das Bundesministerium der Verteidi-
gung - PSZ IV/Z; siehe Anlage 5 Nr. 3.1.3 der „Bestimmungen über die Führung
der Personalakten der Soldaten und der Personalunterlagen mit Perso-
nalaktenqualität“ des Bundesministeriums der Verteidigung - PSZ IV/Z - Az.:
16-26-01 - vom 8. August 2001). Zum anderen und vor allem aber wendet sich
der Antragsteller nicht gegen die Aktenvorlage als solche, mit der er sich viel-
mehr ausdrücklich einverstanden erklärt hat; ihm geht es vielmehr darum, dass
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bei der Aktenvorlage das korrekte Verfahren eingehalten wird, was seiner Auf-
fassung nach nicht geschehen ist. Für diese Verfahrensfragen, die mit einer
möglichen Geheimhaltungsbedürftigkeit des Akteninhalts nichts zu tun haben,
gilt die Sonderzuweisung an den Fachsenat nicht.
Hinsichtlich der in dem Schriftsatz vom 27. Oktober 2007 abstrakt aufgelisteten,
aber nicht weiter ausgeführten Rechte nach dem Bundesdatenschutzgesetz
(auf Unterrichtung, Auskunft, Berichtigung, Löschung, Sperrung, Folgenbeseiti-
gung, Widerspruch, Schadensersatz, Beantragung der Einleitung eines Buß-
geldverfahrens und Strafantrag) nimmt der Senat an, dass der Antragsteller
diese nicht bereits in dem vorliegenden Verfahren geltend machen, sondern
sich ihre Geltendmachung lediglich für den Fall der Feststellung, dass die Vor-
lage der Personalgrundakte rechtswidrig war, vorbehalten will.
2. Der Feststellungsantrag ist unzulässig.
Zwar läge unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein berechtigtes
Interesse an der Feststellung vor (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in entsprechender
Anwendung). Der Antragsteller führt im Zusammenhang mit der ihm ange-
kündigten Versetzung in den Ruhestand mehrere Verfahren bei den Wehr-
dienstgerichten; weitere Rechtsstreitigkeiten erscheinen nicht ausgeschlossen.
Der Bundesminister der Verteidigung hat ausdrücklich erklärt, dass er auch
künftig an der von dem Antragsteller beanstandeten Praxis der Aktenvorlage
festhalten werde.
Der Antrag ist jedoch unzulässig, weil die Vorlage einer Akte durch Vorgesetzte
oder Dienststellen der Bundeswehr in einem Antragsverfahren nach den §§ 17,
21 WBO keine Maßnahme ist, die zum Gegenstand eines selbständigen Ver-
fahrens vor den Wehrdienstgerichten gemacht werden kann.
Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung kann gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1
WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) nur geltend gemacht werden, dass
eine dienstliche Maßnahme oder die Unterlassung einer solchen Maßnahme
rechtswidrig sei. Der Begriff der Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift setzt da-
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bei eine dem öffentlichen Recht zugehörige Handlung eines Vorgesetzten oder
einer Dienststelle der Bundeswehr voraus, die im Verhältnis der Über- und Un-
terordnung getroffen oder erbeten wird; dabei kommt es nicht darauf an, ob sie
auch auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen abzielt (stRspr, grundlegend:
Beschlüsse vom 25. März 1976 - BVerwG 1 WB 105.75 - BVerwGE 53, 160
<161> und vom 12. November 1986 - BVerwG 1 WB 127.83, 97.84 - BVerwGE
83, 242 <246>).
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass Handlungen oder Unterlas-
sungen des Dienstherrn in einem Verfahren keine
Maßnahmen im Sinne der Wehrbeschwerdeordnung darstellen (Beschluss vom
28. Juli 1965 - BVerwG 1 WB 19.65 - BDHE 7, 163). Dasselbe gilt für Handlun-
gen oder Unterlassungen im
nach den §§ 17, 21 WBO (vgl. Beschlüsse vom 17. November 1969 - BVerwG
1 WB 70.69 - BVerwGE 43, 28, vom 25. März 1976 - BVerwG 1 WB 105.75 -
BVerwGE 53, 160 sowie zuletzt vom 26. Juni 2007 - BVerwG 1 WB 40.06 -).
Erklärungen der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren können daher nicht ver-
selbständigt und zum Gegenstand eines eigenständigen Wehrbeschwerdever-
fahrens gemacht werden.
Diese Grundsätze gelten auch für die hier strittige Vorlage von Akten.
Die Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der
im Antragsverfahren nach den §§ 17, 21 WBO entsprechend anwendbar ist,
dient dem öffentlichen Interesse an der Wahrheitsfindung, der umfassenden
Aufklärung des Sachverhalts, zu der die Wehrdienstgerichte gemäß § 18 Abs. 2
Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) von Amts wegen verpflichtet
sind, sowie der Kenntnis der Beteiligten von den maßgeblichen Vorgängen; sie
bildet insofern eine Konkretisierung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19
Abs. 4 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 -
BVerfGE 101, 106 <124>). Das Gericht muss die tatsächlichen Grundlagen
seiner Entscheidung selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung un-
abhängig von der Exekutive, deren Handeln es kontrolliert, gewinnen und be-
gründen. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG schließt deshalb ein,
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dass alle Verwaltungsvorgänge dem Gericht zur Verfügung stehen, soweit sie
für die Beurteilung der behördlichen Entscheidung und der geltend gemachten
Rechtsverletzung von Bedeutung sein können (vgl. BVerfG, Beschluss vom
27. Oktober 1999 a.a.O. S. 122 f.). Mit der Vorlage von Akten handelt der Bun-
desminister der Verteidigung somit nicht aufgrund seiner Vorgesetztenstellung
gegenüber dem Soldaten, sondern in Erfüllung einer ihm im gerichtlichen Ver-
fahren obliegenden Verpflichtung.
Eine selbständige Anfechtung der Aktenvorlage scheidet daneben auch unter
dem Gesichtspunkt aus, dass eine Zersplitterung des Gerichtsverfahrens in
Nebenstreitigkeiten, einschließlich der damit einhergehenden Verzögerungen,
vermieden werden soll. Die Beteiligten sollen sich gegen einzelne Verfahrens-
handlungen grundsätzlich nicht isoliert, sondern nur im Rahmen ihres Vorbrin-
gens zur Hauptsache (hier: das Verfahren BVerwG 1 WB 29.07) sowie etwaiger
Rechtsmittel gegen die in der Hauptsache ergehende Gerichtsentscheidung
wenden können. Ausprägungen dieses auch im Verfahren nach der Wehrbe-
schwerdeordnung geltenden Grundsatzes sind im (allgemeinen) Verwaltungs-
prozessrecht die Vorschriften des § 44a Satz 1 VwGO, wonach Rechtsbehelfe
gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die
Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden kön-
nen, und des § 146 Abs. 2 VwGO, wonach - unter anderem - prozessleitende
Verfügungen, Aufklärungsanordnungen und Beweisbeschlüsse nicht selbstän-
dig mit der Beschwerde anfechtbar sind. Die einzige hier in Betracht kommende
Ausnahme von dem Grundsatz stellt das bereits genannte Verfahren beim
Fachsenat gemäß § 99 Abs. 2 VwGO dar, dessen Voraussetzungen im Falle
des Antragstellers jedoch nicht vorliegen (siehe oben 1.).
Da eine Maßnahme, die zum Gegenstand eines selbständigen Verfahrens vor
den Wehrdienstgerichten gemacht werden kann, nicht vorliegt, muss die Frage
nicht mehr geklärt werden, ob der Antragsteller die Frist des § 7 Abs. 1 WBO
eingehalten hat. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob ein schlichtes
oder tatsächliches Verwaltungshandeln, dieses eine anfechtbare Maß-
nahme darstellt, einer Rechtsbehelfsbelehrung bedarf bzw. ob deren Fehlen
oder Unrichtigkeit die Rechtsfolge des § 7 Abs. 2 WBO auslöst.
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3. Mit Rücksicht auf das ausführliche Vorbringen der Beteiligten in der Sache
weist der Senat ergänzend darauf hin, dass der Antrag auch unbegründet ge-
wesen wäre. Die Vorlage der Personalgrundakte des Antragstellers durch den
Bundesminister der Verteidigung war - auch in der konkreten Art und Weise, in
der sie erfolgte - rechtmäßig.
a) Die Rechtmäßigkeit der Aktenvorlage an ein Wehrdienstgericht im Rahmen
eines Antragsverfahrens nach §§ 17, 21 WBO bemisst sich ausschließlich nach
§ 99 VwGO (in entsprechender Anwendung).
Die Bestimmungen über die Aktenvorlage in den gerichtlichen Verfahrensord-
nungen (neben § 99 VwGO etwa auch § 27 BVerfGG, § 29 BDG, § 86 FGO und
§ 119 SGG) gehen als spezielle Vorschriften den Bestimmungen des
Dienstrechts über die Personalakten vor (vgl. für das Soldatenrecht Scherer/
Alff, SG, 7. Aufl. 2003, § 29 Rn. 10 sowie für das allgemeine Beamtenrecht
Battis, BBG, 3. Aufl. 2004, § 90d Rn. 2 und Lemhöfer, in: Plog/Wiedow/
Lemhöfer/Bayer, BBG/BeamtVG, Bd. 1, Stand Oktober 2007, § 90d BBG
Rn. 12; ebenso im Übrigen auch Anlage 5 Nr. 3 der oben 1. genannten Be-
stimmungen über die Führung der Personalakten vom 8. August 2001). Die
Einschränkungen des § 29 Abs. 3 Satz 5 SG, der an Stellen außerhalb des
Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung nur aus
der Personalakte, nicht aber die Übermittlung der Personalakte selbst oder
einzelner Personalaktenteile zulässt (Beschluss vom 11. Dezember 2003
- BVerwG 1 WB 14.03 - BVerwGE 119, 341 <346 f.> = Buchholz 311 § 17 WBO
Nr. 52 = NZWehrr 2004, 163), gelten damit nicht für die Aktenvorlage an den
Senat.
§ 99 VwGO geht als Rechtsvorschrift des Bundes, die (auch) die Erhebung und
Verarbeitung personenbezogener Daten regelt, außerdem gemäß § 1 Abs. 3
BDSG den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes vor (vgl. Werner, in:
Roßnagel , Handbuch Datenschutzrecht, 2003, Kap. 8.2 Rn. 111 ff.).
b) Die Personalgrundakte des Antragstellers unterliegt der Vorlagepflicht nach §
99 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Vorlagepflicht umfasst alle Akten, deren Inhalt der umfassenden Sachauf-
klärung durch das Gericht und der Gewinnung von Grundlagen für die Prozess-
führung durch die Beteiligten überhaupt dienlich sein kann (stRspr, vgl. Be-
schluss vom 9. November 1962 - BVerwG 7 B 91.62 - BVerwGE 15, 132 =
Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 3, sowie nach der Neufassung von § 99 VwGO
durch Gesetz vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987, Beschluss vom 24. No-
vember 2003 - BVerwG 20 F 13.03 - BVerwGE 119, 229 = Buchholz 310 § 99
VwGO Nr. 36). Über die Frage, welche Akten danach rechtlich erheblich sein
können, befindet - nach seiner Rechtsauffassung - das für die Hauptsache zu-
ständige Gericht, nicht die vorlagepflichtige Behörde (vgl. Beschlüsse vom
9. November 1962 a.a.O., vom 24. November 2003 a.a.O. und vom 12. Januar
2006 - BVerwG 20 F 12.04 - BVerwGE 125, 40 <42> = Buchholz 310 § 99
VwGO Nr. 39).
Der Senat zieht in ständiger Praxis in Antragsverfahren von Soldaten nach der
Wehrbeschwerdeordnung nicht nur die den Streitgegenstand unmittelbar
betreffenden Verfahrens- und Beschwerdeakten, sondern auch die Personal-
grundakte des jeweiligen Antragstellers heran; diese Praxis ist aus den Grün-
den der Senatsentscheidungen ersichtlich, weil dort die bei der Beratung des
Senats vorliegenden Akten stets aufgeführt sind. Die Heranziehung der Perso-
nalgrundakte erfolgt - nicht zuletzt im Interesse des Antragstellers -, um den
Sachverhalt unabhängig von dem Vortrag der Beteiligten überprüfen zu können
und in der Beratung alle für die rechtliche Beurteilung möglicherweise relevan-
ten Gesichtspunkte vor Augen zu haben. Dabei spielt auch eine Rolle, dass
Voraussetzungen und (rechtliche wie praktische) Folgen truppendienstlicher
Maßnahmen innerhalb des militärischen Werdegangs des Soldaten in der Regel
in einem über die jeweilige Maßnahme hinausgreifenden weiteren Zusam-
menhang stehen, der für eine sachgerechte Beurteilung mitzubetrachten ist.
Gerade im Verfahren BVerwG 1 WB 29.07, in dem der Antragsteller Fehler der
personalführenden und -bearbeitenden Dienststellen der Bundeswehr geltend
macht und daraus eine Vielzahl von Ansprüchen aus dem Soldatengesetz her-
leitet, ist es offenkundig, dass die Personalgrundakte in diesem Sinne Informa-
tionen enthält, die für die Entscheidungsfindung des Gerichts von Bedeutung
sein können.
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c) Nicht zu beanstanden ist schließlich das von dem Bundesminister der Ver-
teidigung - auch im Falle des Antragstellers - praktizierte Verfahren der Akten-
vorlage.
aa) Für die Aktenvorlage nach § 99 Abs. 1 VwGO ist die des An-
tragstellers nicht erforderlich. Die Vorschrift des § 29 Abs. 3 Satz 5 SG, die eine
Einwilligung des Soldaten (für Auskünfte aus seiner Personalakte an Stellen
außerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung)
vorsieht, ist im gerichtlichen Verfahren nicht anwendbar (siehe oben 2 a).
bb) Der Bundesminister der Verteidigung durfte die Personalgrundakte des An-
tragstellers auch durch den Senat vorlegen.
§ 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO statuiert eine Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage.
Die Vorschrift enthält jedoch keine Aussage darüber, in welcher Form die
vorzulegenden Akten im Einzelfall zu bestimmen sind. Die Literatur zum Ver-
waltungsprozessrecht geht allgemein davon aus, dass die Aktenvorlage ein
entsprechendes „Verlangen“ bzw. eine „Anforderung“ durch das Gericht vor-
aussetzt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 99 Rn. 5; Rudisile,
in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand September 2007, § 99
Rn. 9). Eine Behörde handelt jedoch auch dann in Erfüllung ihrer Verpflichtung
aus § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wenn sie aufgrund der ihr bekannten Praxis des
Gerichts, in einer bestimmten Verfahrensart (hier: in Antragsverfahren von Sol-
daten nach der Wehrbeschwerdeordnung) stets bestimmte gleichartige Akten
(hier: neben den Akten des Beschwerdeverfahrens auch die Personalgrundakte
des Soldaten) heranzuziehen, diese Akten von sich aus vorlegt.
Gegen diese Vorgehensweise bestehen keine rechtlichen Bedenken. Sie steht
im Einklang mit § 99 Abs. 1 VwGO und trägt Besonderheiten der gesetzlichen
Ausgestaltung des Wehrbeschwerdeverfahrens Rechnung.
Die Aktenvorlage auf „Verlangen“ bzw. „Anforderung“ entspricht dem typischen
Ablauf eines Verfahrens vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten. Dort erhebt
der Kläger die Klage bei dem Gericht (§ 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO); der Vor-
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sitzende fordert mit der Zustellung der Klage an den Beklagten (§ 85 Satz 1
VwGO) diesen zumeist nicht nur zu einer schriftlichen Äußerung auf (§ 85
Satz 2 VwGO), sondern ordnet zugleich die Vorlage der einschlägigen Akten an
(§ 87 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Verfahren vor den Wehrdienstgerichten unter-
scheidet sich von diesem Ablauf. Hier wird der Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung von dem Antragsteller nicht bei dem Gericht, sondern bei dem für die
Entscheidung über die weitere Beschwerde zuständigen (oder den in § 17
Abs. 4 Satz 2 WBO genannten) Vorgesetzten gestellt; dieser legt ihn sodann
mit seiner eigenen Stellungnahme dem Gericht vor (§ 17 Abs. 4 Satz 1 und 3
WBO, ggf. i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1, § 22 WBO). Im Hinblick auf diesen gleich-
sam „umgekehrten“ Ablauf bei der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens bie-
tet es sich an und ist jedenfalls nicht zu beanstanden, dass der zuständige Vor-
gesetzte, hier: der Bundesminister der Verteidigung, zusammen mit seiner Stel-
lungnahme ohne Weiteres auch die einschlägigen Akten vorlegt. Der Vorge-
setzte trägt auf diese Weise dazu bei, das Verfahren zu beschleunigen und un-
nötigen Schriftverkehr zu vermeiden; er ermöglicht sowohl dem Gericht als
auch dem Antragsteller (ggf. im Wege der Akteneinsicht, § 100 Abs. 1 VwGO),
die Darstellung des Sach- und Streitstands in dem Vorlageschreiben sofort an-
hand der Akten zu überprüfen.
Die Aktenvorlage „ohne vorherige Aufforderung“ widerspricht auch nicht der
Rechtsprechung des Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts, wonach in
der Regel ein Beweisbeschluss oder eine sonstige förmliche Äußerung des
Hauptsachegerichts erforderlich ist, wenn die vorzulegenden Akten geheimhal-
tungsbedürftige Vorgänge (z.B. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse) enthal-
ten, die dritten Verfahrensbeteiligten, insbesondere wirtschaftlichen Wettbe-
werbern, im Falle der Aktenvorlage zugänglich werden (vgl. Beschlüsse vom
24. November 2003 a.a.O. und vom 12. Januar 2006 a.a.O.). Diese Rechtspre-
chung hat ihren tragenden Grund darin, dass das Gericht in den beschriebenen
Fallkonstellationen seine Auffassung über die Entscheidungserheblichkeit des
Akteninhalts förmlich verlautbaren soll, weil diese auch von Einfluss auf die
Abwägung ist, die die zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO zwischen den Belangen der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung
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und des individuellen Rechtsschutzes einerseits und denen des Geheimnis-
schutzes andererseits vorzunehmen hat.
Im Antragsverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung stellen sich derartige
Probleme der Geheimhaltung gegenüber dritten Verfahrensbeteiligten nicht.
Zwar gehören Personalakten zu den Vorgängen im Sinne von § 99 Abs. 1
Satz 2 VwGO, die ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen (vgl.
Beschluss vom 19. August 1964 - BVerwG 6 B 15.62 - BVerwGE 19, 179
<184 f.> = Buchholz 232 § 90 BBG Nr. 4; Urteile vom 4. Juni 1970 - BVerwG
2 C 5.68 - BVerwGE 35, 225 <227> = Buchholz 232 § 90 BBG Nr. 8 und vom
4. August 1975 - BVerwG 6 C 30.72 - BVerwGE 49, 89 <93 f.> = Buchholz 232
§ 90 BBG Nr. 19). Das Antragsverfahren nach §§ 17, 21 WBO ist jedoch - an-
ders als das Klageverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung - nicht als
(kontradiktorischer) Parteiprozess ausgestaltet. Es kennt weder die formelle
Beteiligtenstellung eines Antragsgegners noch die eines Beigeladenen im Sinne
von § 65 VwGO; einziger formeller Verfahrensbeteiligter ist vielmehr der An-
tragsteller (vgl. Böttcher/Dau, WBO, 4. Aufl. 1997, Einf. Rn. 95). Da das Recht
auf Einsicht in die dem Gericht vorgelegten Akten (§ 100 Abs. 1 VwGO) an die
Beteiligtenstellung geknüpft ist, muss der Antragsteller nicht befürchten, dass
Dritte Zugang zu Informationen über seine persönlichen Verhältnisse erlangen.
Dementsprechend erübrigt sich insoweit auch eine Entscheidung gemäß § 99
Abs. 1 Satz 2 VwGO durch die zuständige oberste Aufsichtsbehörde (vgl. auch
Anlage 5 Nr. 3.1.3 der Bestimmungen über die Führung der Personalakten vom
8. August 2001, wonach eine Entscheidung durch das Bundesministerium der
Verteidigung - PSZ IV/Z - nur dann, wenn das Bekanntwerden des Inhalts der
Personalakten dem Wohle des Bundes oder eines Landes erhebliche Nachteile
bereiten würde, also nur im Falle des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO, herbei-
zuführen ist).
cc) Soweit sich der Antragsteller schließlich dagegen wendet, dass ihm Inhalt
und Empfänger der vom Bundesminister der Verteidigung vorgelegten Perso-
nalgrundakte nicht worden seien, ist die Vorschrift des § 29
Abs. 3 Satz 6 SG, die eine solche Mitteilungspflicht vorsieht, im gerichtlichen
Verfahren nicht anwendbar (siehe oben 2 a).
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Allerdings wird der Antragsteller von sämtlichen Anordnungen des Gerichts be-
nachrichtigt (§ 87 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung); ihm werden
sämtliche im gerichtlichen Verfahren eingehenden Schriftsätze übermittelt (§ 86
Abs. 4 Satz 3 VwGO in entsprechender Anwendung). Dementsprechend hat
der Antragsteller der ihm vom Senat übermittelten Stellungnahme vom 10. Au-
gust 2007 entnehmen können, dass der Bundesminister der Verteidigung als
Anlage zu dieser Stellungnahme auch die Personalgrundakte vorgelegt hat.
4. Dem Antragsteller waren keine Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil die
Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO nicht vorlie-
gen.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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