Urteil des BVerwG vom 30.01.2014

Betroffene Person, Familie, Befragung, Meldepflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 32.13
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberstleutnant ...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Kuhnert und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Hoffmann
am 30. Januar 2014 beschlossen:
Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bun-
desministerium der Verteidigung vom 13. August 2012
wird aufgehoben.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesver-
waltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Ver-
fahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden
dem Bund auferlegt.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3).
Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit wird voraus-
sichtlich mit Ablauf des 31. Juli 20.. enden. Zum Oberstleutnant wurde er am
21. April 20.. ernannt. Seit dem 1. September 20.. wurde er auf dem Dienstpos-
ten eines ...-Stabsoffiziers beim ... in ... verwendet. Im Hinblick auf die strittige
Feststellung eines Sicherheitsrisikos wurde der Antragsteller zum 1. Oktober
2012 auf ein „dienstpostenähnliches Konstrukt“ (z.b.V.-Dienstposten) bei der
Schule für ... der Bundeswehr in ... versetzt; dort war er nicht mehr mit sicher-
heitsempfindlichen Tätigkeiten betraut. Seit dem 1. Januar 2014 wird er auf ei-
nem z.b.V.-Dienstposten beim Kommando ... der Bundeswehr in ... verwendet.
Für den Antragsteller war zuletzt am 18. Februar 2011 eine erweiterte Sicher-
heitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) ohne Auflagen, Einschrän-
kungen oder personenbezogene Hinweise abgeschlossen worden.
Nach Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung - R II 2 - ergab eine an-
lassbezogene erneute Prüfung der Sicherheitsüberprüfungsakte im Militäri-
schen Abschirmdienst (MAD), dass sicherheitserhebliche Erkenntnisse über
den Antragsteller nicht fehlerfrei bewertet worden waren; der MAD leitete daher
eine Prüfung nach § 16 Abs. 2 SÜG ein.
In seiner Sicherheitserklärung vom 22. September 2010 hatte der Antragsteller
die Frage unter Nr. 8.4 nach „sonstigen Beziehungen“ in Staaten gemäß § 13
Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG mit „ja“ beantwortet und unter Nr. 13 der Sicherheits-
erklärung die Daten zu der Person benannt, zu der er eine persönliche Verbin-
dung („pers. Vbdg.“) pflege. Dabei handelte es sich um die weißrussische
Staatsangehörige E. K., geboren am 6. Mai ..., wohnhaft in M./Weißrussland.
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Nach Mitteilung des Bundesministers der Verteidigung - R II 2 - hat der MAD
den Antragsteller am 29. August 2011 zu sicherheitserheblichen Erkenntnissen
befragt; dieser hat dabei Folgendes angegeben:
Die Angaben zu „sonstigen Beziehungen“ (Nr. 8.4 und Nr. 13 der Sicherheits-
erklärung) habe er getätigt, weil er als „pingelig“ bekannt sei und nichts zu ver-
schweigen habe. Er habe Frau K. bereits im Jahr 1995 kennengelernt. Zu die-
sem Zeitpunkt sei er in einem ... Sportverein aktiv gewesen. Dieser Sportverein
habe jährlich Sportler aus Osteuropa eingeladen. Sein bester Freund habe die
Zwillingsschwester von Frau K. geheiratet. Er selbst habe damals darüber
nachgedacht, ob Frau K. auch dauerhaft nach Deutschland einreisen solle. Da
dies zum damaligen Zeitpunkt nur über eine Eheschließung möglich gewesen
sei und er mit Schwierigkeiten bei einer Sicherheitsüberprüfung gerechnet ha-
be, habe er sich dagegen entschieden. Frau K. sei trotzdem jährlich von 1995
bis 2010 für vier Wochen nach Deutschland gekommen. Für das Visum habe
sie stets die Adresse ihrer Schwester angegeben; während ihrer Aufenthalte
habe sie aber ausschließlich bei ihm, dem Antragsteller, gewohnt. Man habe
sich einmal im Jahr getroffen und viel Spaß zusammen gehabt. Er selbst sei nie
nach Weißrussland gereist, sondern habe lediglich Telefonate geführt und eini-
ge Briefe geschrieben. In einer Sicherheitserklärung habe er Frau K. bisher nie
angegeben, weil er um seinen Sicherheitsbescheid gebangt habe. Aktuell habe
er während eines Auslandseinsatzes in Afghanistan erfahren, dass Frau K. am
13. Mai 2011 verstorben sei. An der Beisetzung habe er nicht teilnehmen kön-
nen, weil sein Auslandseinsatz bis Juli 2011 gedauert habe.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 gab der Geheimschutzbeauftragte im
Bundesministerium der Verteidigung dem Antragsteller Gelegenheit, unter Ver-
wendung eines beigefügten Beiblatts zu den sicherheitserheblichen Umständen
Stellung zu nehmen.
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In seiner schriftlichen Äußerung vom 10. April 2012 machte der Antragsteller
geltend, dass er Frau K. 1994 durch die freundschaftliche Verbindung mit
Hauptmann a.D. ... kennengelernt habe. Sie hätten damals Leistungssport im
Bereich des Langstreckenlaufs betrieben und über einen Sportverein viele Be-
gegnungen mit Läufern verschiedener Nationen (insbesondere aus Russland
und Kenia) gehabt, mit denen sie auch an Wettkämpfen und Meisterschaften
teilgenommen hätten. Dabei habe Herr ... eine weißrussische Läuferin, die Zwil-
lingsschwester von Frau K., kennengelernt, die er 1994 geheiratet habe. Frau
K. sei zu diesem Zeitpunkt bereits verlobt und dann von 1996 bis 2005 verheira-
tet gewesen. Frau K. sei fast jährlich zwischen 1994 bis 2010 (in den Monaten
Juli/August für vier bis fünf Wochen) mit Familie, aber auch allein nach A. ge-
reist und habe dabei ausschließlich bei der Familie ... gewohnt. Das Touristen-
visum bei der Deutschen Botschaft in M. sei mit dem Familienbesuch der
Schwester sowie mit der Teilnahme an Sportwettkämpfen begründet worden.
Es habe auch eine offizielle Einladung eines A. Leichtathletikvereins vorgele-
gen. Für ihn selbst hätten sich - vor allem aufgrund seiner beruflichen Situation
und der räumlichen Entfernung - etwa im Zweijahres-Abstand wenige Begeg-
nungen (meist an den Wochenenden) mit Frau K. und ihrer Familie ergeben.
Eine Heirat oder Beziehung mit Frau K. habe er mit Rücksicht auf ihre familiäre
Situation, ihr Alter, ihre Einsprachigkeit und im Hinblick auf seine sexuelle Ori-
entierung niemals in Erwägung gezogen. Sicherheitsüberlegungen hätten dabei
keine Rolle gespielt. Sicherlich sei ihm Frau K. sympathisch gewesen und sie
hätten gemeinsam einige Sportwettkämpfe und Ausflüge unternommen. Des-
halb habe er den lose bestehenden Kontakt zunächst nicht in die Sicherheits-
erklärung aufgenommen, weil er ihn nicht als sicherheitsrelevant erachtet habe.
Bis zu ihrem Tod im Mai 2011 sei Frau K. Sportlehrerin an einer Grundschule in
M. und aus seiner Sicht völlig unpolitisch gewesen. Sie habe zwar gewusst,
dass er Soldat sei, habe aber über weitergehende berufliche Hintergründe nie
mit ihm gesprochen und auch nie Fragen in diese Richtung gestellt. In seinen
Sicherheitserklärungen von 1996, 2002 und 2005 habe er die Frage in Nr. 8.4
des Formulars wahrheitsgemäß mit „nein“ beantwortet. Reisen, telefonische
oder schriftliche Verbindungsaufnahmen nach Weißrussland hätten seinerseits
nicht stattgefunden; mit (offiziellen) Vertretern dieses Staates habe er keine
Verbindung gehabt. Es habe sich nur um eine Bekanntschaft gehandelt und um
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einen sporadischen Kontakt, der in größeren Zeitabständen immer wieder auf-
genommen worden sei, weil er mit der Familie ... in Verbindung gestanden ha-
be. Dies stelle keine „Beziehung“ dar. In seiner letzten Sicherheitserklärung ha-
be er die Frage in Nr. 8.4 des Formulars erstmals mit „ja“ beantwortet, weil er
einem eventuellen Missverständnis in der Fragestellung habe vorbeugen wol-
len. Aus seiner Sicht habe er nicht wiederholt vorsätzlich oder grob pflichtwidrig
gehandelt. Eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsver-
suche fremder Nachrichtendienste könne er nicht erkennen; er habe die Ver-
bindung zu einem usbekischen Botschaftsangehörigen im Jahr 2001 im Rah-
men einer Initiativmeldung selbst bekanntgegeben. In seiner nunmehr fast
...-jährigen Dienstzeit habe er sich noch nie etwas disziplinar- oder dienstrecht-
lich Relevantes zuschulden kommen lassen.
Mit weiterem Anhörungsschreiben vom 9. Mai 2012 hielt der Geheimschutzbe-
auftragte dem Antragsteller vor, dieser habe in der Befragung durch den MAD
ausgeführt, dass Frau K. seit 1995 jedes Jahr für einige Wochen nach Deutsch-
land gereist sei und während ihrer Aufenthalte ausschließlich bei ihm, dem An-
tragsteller, gewohnt habe; wörtlich habe der Antragsteller erklärt, „man habe
sich so kennen und lieben gelernt“. Davon abweichend habe er nunmehr ange-
geben, dass Frau K. in den Jahren 1994 bis 2010 während ihrer Aufenthalte in
Deutschland ausschließlich bei ihrer Schwester gewohnt habe. Hierzu und zu
den Erwägungen über eine Eheschließung möge der Antragsteller Stellung
nehmen.
In seiner weiteren schriftlichen Äußerung vom 6. Juni 2012 legte der Antragstel-
ler dar, Frau K. sei von 1994 bis 2010 fast jährlich von M. nach A. gereist und
dabei ausnahmslos bei der Familie ... untergebracht gewesen. Aufgrund seiner
Tagebuchaufzeichnungen könne er rekonstruieren, dass er selbst ihr unregel-
mäßig begegnet sei; sie habe lediglich im Juni 1994 in Mü., im August 2007 in
K. und im August 2008 in B. jeweils eine Nacht in seiner Wohnung verbracht.
Aufgrund der Tatsache, dass er bis 1999 ausschließlich in der Gemeinschafts-
unterkunft gelebt habe und danach seine Wohnungen in weiterer Entfernung
von A. gelegen hätten, habe sich eine längere Unterbringung schwierig gestal-
tet. Eine gemeinsame Zeit mit Frau K. habe er in Hotelunterkünften bei kurzen
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Wochenendausflügen im Juli bzw. August 2006, 2008 und 2010 gehabt. Seine
Aussage, dass er Frau K. „kennen und lieben gelernt“ habe, sei differenziert zu
betrachten; dies beziehe sich mehr auf den physischen Aspekt. Über die Mög-
lichkeit einer Eheschließung mit Frau K. habe er sich auch offen mit Hauptmann
a.D. ... unterhalten und Überlegungen dazu angestellt, ihr durch eine Heirat den
Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu ermöglichen. Eine Vermählung
habe er aber mit Rücksicht auf die familiäre Situation von Frau K., im Hinblick
auf ihr Alter und auf ihre Einsprachigkeit sowie unter Berücksichtigung seiner
eigenen sexuellen Orientierung nicht in Erwägung gezogen. Mit Frau K. habe er
von 1996 (dem Jahr ihrer Eheschließung) bis 2005 nahezu keine Begegnung
gehabt. Deshalb sei aus seiner Sicht eine Angabe in der Sicherheitserklärung
nicht notwendig gewesen. Er habe dann 2009 (richtig: 2010) die Beziehung
erstmals angegeben, weil er mit Frau K. - wie erwähnt - in den Vorjahren einige
Male zusammengekommen sei und sie nach ihrer Scheidung 2005 Interesse an
einer Beziehung gezeigt habe, das er aber nicht erwidert habe.
Mit formularmäßigen Bescheid vom 13. August 2012, im Auftrag der personal-
bearbeitenden Stelle dem Antragsteller am 28. August 2012 eröffnet, stellte der
Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidigung fest, dass die
erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) Umstände
ergeben habe, die im Hinblick auf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ein Si-
cherheitsrisiko darstellten. Die Entscheidung schließe auch einen Einsatz in
einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der Überprüfungsarten Ü 1/Ü 2 aus.
Die Feststellung des Sicherheitsrisikos gelte bis zum 9. August 2017.
Mit Schreiben vom 13. August 2012 informierte der Geheimschutzbeauftragte
den Antragsteller über das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung und erklärte,
dass er ein Sicherheitsrisiko nach Nr. 2414 (1) ZDv 2/30 feststellen müsse. Der
Antragsteller habe weder in der Sicherheitserklärung vom 3. Juni 1996 noch in
den Sicherheitserklärungen vom 10. Juli 2002 und vom 8. April 2005 seine Be-
kanntschaft zu Frau K. angegeben. Eine Nachmeldung im Jahr 2010 könne
dieses Unterlassen nicht kompensieren, zumal er in jedem Fall mit seiner Un-
terschrift unter die jeweiligen Sicherheitserklärungen bestätigt habe, dass er alle
Angaben nach bestem Wissen, wahrheitsgemäß und vollständig getätigt habe.
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Jedes Mal habe er aufs Neue bestätigt, dass er über neue Beziehungen in
Staaten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG berichten werde. Diese Meldun-
gen habe er über Jahre hinweg nicht getätigt, sondern die Beziehung zu Frau
K. erst im Jahr 2010, nach deren Ableben angegeben. Es komme hinzu, dass
er über seine Beziehung zu Frau K. und zu ihrer Schwester wie auch zu deren
Ehemann wechselnde Auskünfte gegeben habe. Einerseits habe er darauf hin-
gewiesen, dass Frau K. seit 1995 jedes Jahr für einen Zeitraum von vier bis fünf
Wochen in Deutschland gewesen sei und dabei ständig bei ihm gewohnt habe.
Über die Jahre habe man sich „kennen und lieben gelernt“. In der Stellungnah-
me vom 10. April 2012 habe er hingegen ausgeführt, dass Frau K. bei ihren
jährlichen Aufenthalten in Deutschland ausschließlich bei der Familie ... ge-
wohnt habe. Auch habe der Antragsteller plötzlich erklärt, dass er eine andere
sexuelle Neigung und Frau K. aus diesem Grund nur sympathisch gefunden
habe. Einlenkend habe er dann in seiner zweiten Stellungnahme vom 6. Juni
2012 ausgeführt, dass er zusammen mit Frau K. ab und zu Zeit in Hotels ver-
bracht habe, und ein intimes Verhältnis mit ihr angegeben. Aufgrund der mehr-
fachen unvollständigen Angaben in den Befragungen durch den MAD und ge-
genüber ihm, dem Geheimschutzbeauftragten, bestünden begründete Zweifel
an der Ausprägung des Sicherheitsbewusstseins des Antragstellers sowie an
seiner Eignung zur Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit. Wahr-
heitswidrige Angaben bei Befragungen und unvollständige oder unterlassene
Meldungen zu sicherheitsempfindlichen Erkenntnissen des Betroffenen stellten
einen schwerwiegenden Verstoß gegen die einem Soldaten obliegenden
Dienstpflichten dar. Im Rahmen der Prognose bestünden nachhaltige Zweifel,
dass der Antragsteller beim Umgang mit oder beim Zugang zu Verschlusssa-
chen derart korrekt arbeite, dass bei eventuellen Verlusten mit uneingeschränk-
ter Zuverlässigkeit seiner Person und der dabei gebotenen Verantwortungsbe-
reitschaft gerechnet werden könne. Bei der Wahrnehmung einer sicherheits-
empfindlichen Tätigkeit komme es gerade in dieser Hinsicht auf absolute Zuver-
lässigkeit an; dies bedeute, dass der Betroffene nicht sein eigenes Interesse vor
das Allgemeininteresse stellen dürfe. Der Antragsteller müsse erst über einen
längeren Zeitraum beweisen, dass sich der Dienstherr uneingeschränkt auf sein
Wort und auf sein Verhalten verlassen könne. Zurzeit sei noch keine positive
Prognose möglich. Wegen des Präventivzwecks staatlichen Geheimschutzes
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habe das Sicherheitsinteresse im Zweifel Vorrang vor anderen Belangen. Auch
im Rahmen der Fürsorgeerwägungen habe keine Möglichkeit bestanden, von
der Feststellung eines Sicherheitsrisikos abzusehen.
Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller mit Schreiben seiner Bevoll-
mächtigten vom 28. September 2012 die Entscheidung des Bundesverwal-
tungsgerichts beantragt. Den Antrag hat der Bundesminister der Verteidigung
- R II 2 - mit seiner Stellungnahme vom 21. Mai 2013 dem Senat vorgelegt.
Zur Begründung trägt der Antragsteller ergänzend insbesondere vor:
Bei der angefochtenen Feststellung eines Sicherheitsrisikos sei unberücksich-
tigt geblieben, dass im Formular der Sicherheitserklärung lediglich nach „Bezie-
hungen“ in Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken, jedoch nicht nach „Kon-
takten“ gefragt werde. Im Widerspruch dazu stelle der Geheimschutzbeauftrag-
te im Schreiben vom 13. August 2012 auch auf Kontakte ab. Außerdem lasse
die Formulierung „sonstige Beziehungen“ in Nr. 8.4 im Vergleich zu Nr. 8.3, in
der lediglich nach nahen Angehörigen gefragt werde, den Schluss zu, dass die
„sonstigen Beziehungen“ wie Beziehungen zu nahen Angehörigen zu qualifizie-
ren sein müssten. Die Bekanntschaft mit bzw. den sporadischen Kontakt zu
Frau K. könne man danach nicht als „sonstige Beziehung“ werten. Angesichts
der seltenen Termine, an denen Frau K. bei ihm, dem Antragsteller, übernach-
tet habe, könne von einer Beziehung nicht die Rede sein. Insoweit habe er kei-
ne unwahren Angaben getätigt. Wenn der Geheimschutzbeauftragte ihm wider-
sprüchliche Aussagen vorhalte, sei zu beachten, dass sein Gespräch mit dem
MAD am Vortag seiner Verlegung nach Afghanistan stattgefunden habe. Sei-
nerzeit sei er gedanklich stark mit dem Auslandseinsatz beschäftigt gewesen.
Erst im Rahmen seiner schriftlichen Stellungnahme habe er seine Tagebuch-
aufzeichnungen zu Rate ziehen und die genauen Daten der Begegnungen mit
Frau K. verifizieren können. Nicht nachvollziehbar sei die Entscheidung des
Geheimschutzbeauftragten, auch einen Einsatz in sicherheitsempfindlichen Tä-
tigkeiten der Überprüfungsarten Ü 1 und Ü 2 auszuschließen. Zweifel an der
Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
der Überprüfungsstufe Ü 3 rechtfertigten noch nicht die Annahme, dass derarti-
ge Zweifel auch bei der Wahrnehmung von sicherheitsempfindlichen Tätigkei-
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ten in den anderen Überprüfungsarten begründet seien. Die Prognoseentschei-
dung sei ebenfalls fehlerhaft. Der Geheimschutzbeauftragte habe unberücksich-
tigt gelassen, dass er nach Abgabe der Sicherheitserklärung vom
22. September 2010 über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren weiterhin si-
cherheitsrelevante Tätigkeiten wahrgenommen habe. Noch nach Abgabe der
Sicherheitserklärung sei ihm unter dem 22. Dezember 2010 durch den MAD
das Zertifikat „...“ verliehen worden, das zum Zugang zu Verschlusssachen der
Stufe „Streng geheim“ ermächtige. Darüber hinaus hätten seine guten dienstli-
chen Leistungen und sein Einsatz im ISAF-Kontingent in Afghanistan keinen
Eingang in die Wertung des Geheimschutzbeauftragten gefunden.
Der Antragsteller beantragt,
die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den Ge-
heimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Vertei-
digung in der erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Si-
cherheitsermittlungen (Ü 3), ihm, dem Antragsteller, eröff-
net am 28. August 2012, aufzuheben.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er verteidigt den Inhalt der angefochtenen Entscheidung und weist ergänzend
darauf hin, dass der Antragsteller in seiner Befragung durch den MAD und in
seinen Äußerungen gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten widersprüchli-
che Angaben über Inhalt und Umfang seiner Beziehung zu Frau K. gemacht
habe. Insoweit habe er sich nicht nur widersprüchlich verhalten, sondern sei
auch seiner Pflicht zur Meldung einer Beziehung zu einer Staatsangehörigen
aus einem Staat nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG nicht gerecht geworden.
Die Meldepflicht finde ihre Grundlage in den Sicherheitserklärungen, in denen
es im letzten Satz vor der Unterschrift heiße: „Ebenso werde ich über neue Be-
ziehungen in Staaten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 17 SÜG berichten“. Bei Weißruss-
land handele es sich um einen Staat mit besonderen Sicherheitsrisiken im Sin-
ne des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG. Die Bekanntschaft des Antragstellers
mit Frau K. stelle nicht nur einen losen Kontakt dar, sondern eine meldepflichti-
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ge Beziehung. Dadurch, dass er es unterlassen habe, über diese Beziehung zu
einer weißrussischen Staatsangehörigen zu berichten, habe der Antragsteller
seine Meldepflicht gemäß § 13 Abs. 2 SG verletzt. Dieses Fehlverhalten stelle
ein Versagen im Kernbereich soldatischer Pflichten dar. Insbesondere von ei-
nem Geheimnisträger würden ein hohes Maß an Verlässlichkeit, Vertrauens-
würdigkeit und Verantwortungsbewusstsein gefordert und die Einhaltung von
Regeln und Vorschriften und der genaue Umgang mit Vorgaben zwingend er-
wartet. Wer diese Erwartungen nicht erfülle und sich über Vorschriften hinweg-
setze, müsse damit rechnen, dass das Vertrauen des Dienstherrn in ihn nach-
haltig gestört werde. Die Verstöße des Antragstellers gegen die genannten Vor-
schriften seien umso schwerwiegender, als er im Auslandseinsatz in sicher-
heitsempfindlicher Tätigkeit eingesetzt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund
komme den unzutreffenden Angaben des Antragstellers in seinen Sicherheits-
erklärungen 1996, 2002 und 2005 eine gravierende sicherheitsrechtliche Be-
deutung zu. Der Umstand, dass der Antragsteller noch nach Bekanntwerden
der sicherheitserheblichen Umstände an Auslandseinsätzen teilgenommen ha-
be und im sicherheitsempfindlichen Bereich eingesetzt gewesen sei, stehe ei-
ner derzeit noch negativen Prognose nicht entgegen. Die durch den MAD ge-
wonnenen Erkenntnisse könnten aus Gründen des Datenschutzes nicht pau-
schal an alle Dienststellenleiter bzw. an die für die Einplanung von Auslands-
einsätzen zuständige personalbearbeitende Dienststelle weitergegeben wer-
den. Diese hätten offensichtlich bei der Einplanung des Antragstellers für einen
weiteren Auslandseinsatz keine Kenntnis von den sicherheitserheblichen Um-
ständen gehabt. Zudem sei es allein Sache des Geheimschutzbeauftragten
festzustellen, wie sich sicherheitserhebliche Umstände auf den Sicherheitssta-
tus einer Person auswirkten. Bei seiner Verwendung an der Schule für ... der
Bundeswehr nehme der Antragsteller keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit
mehr wahr. Die positiven Leistungen des Antragstellers in sonstigen dienstli-
chen Bereichen könnten bestehende Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Ver-
trauenswürdigkeit nicht relativieren oder kompensieren.
Nach Feststellung des Geheimschutzbeauftragten im Begründungsschreiben
vom 13. August 2012 hat der Antragsteller in seinen Sicherheitserklärungen die
Frage in Nr. 7 („Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nach-
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richtendiensten der ehemaligen DDR, die auf einen Anbahnungs- oder Wer-
bungsversuch hindeuten können“) stets wahrheitsgemäß mit „ja“ beantwortet
und umfangreich berichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Ak-
ten Bezug genommen. Die Verfahrensakte des Bundesministers der Verteidi-
gung - R II 2 - Az.: ... - und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile
A - D, haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach
ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des ent-
sprechenden Bescheids angefochten werden. Die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO
(hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) folgende Zuständigkeit der Wehrdienstge-
richte für Streitigkeiten, die die dienstliche Verwendung eines Soldaten betref-
fen, erstreckt sich auch auf die Überprüfung sicherheitsrechtlicher Bescheide im
Sinne des § 14 Abs. 3 SÜG, weil mit der Feststellung des Geheimschutzbeauf-
tragten über die Frage des Bestehens eines Sicherheitsrisikos im Kern über die
sicherheitsrechtliche Eignung eines Soldaten für eine bestimmte dienstliche
Verwendung entschieden wird (vgl. zum Ganzen Beschluss vom 20. November
2012 - BVerwG 1 WB 21.12 und 1 WB 22.12 - juris Rn. 24 m.w.N.).
2. Der Antrag ist auch begründet.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid des Geheimschutzbeauf-
tragten im Bundesministerium der Verteidigung vom 13. August 2012 ist
rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
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a) Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken
ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit aus-
schließen soll (stRspr; vgl. z.B. Beschluss vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB
37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 jeweils Rn. 23
m.w.N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle - hier dem Geheimschutzbe-
auftragten im Bundesministerium der Verteidigung (Nr. 2416 ZDv 2/30) -, auf-
grund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamt-
würdigung des Einzelfalls die ihm übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die
vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3
Satz 1 und 2 SÜG).
Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person
eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur einge-
schränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle be-
schränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzli-
chen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige
Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen
Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr; vgl. Beschluss vom 21. Juli 2011
- BVerwG 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 = Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 25
jeweils Rn. 24 ff. m.w.N.; ferner Urteile vom 15. Februar 1989 - BVerwG 6 A
2.87 - BVerwGE 81, 258 <264> = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2 S. 6 f. und vom
15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> = Buchholz
442.40 § 29d LuftVG Nr. 1 S. 4 f.; Beschluss vom 1. Oktober 2009 - BVerwG
2 VR 6.09 - juris Rn. 15).
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Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des
hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko be-
reits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit
des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
und/oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversu-
che fremder Nachrichtendienste begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SÜG,
Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZDv 2/30). Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsin-
teresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststel-
lung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zu-
verlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich nicht auf eine vage
Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine
„Beweislast”, weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinte-
ressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für
die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht ge-
worden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr; vgl. Beschlüs-
se vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG
Nr. 11 S. 17, vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 - Rn. 22 und vom 22. Juli
2009 - BVerwG 1 WB 53.08 - Rn. 24; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai
1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 <353>).
Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeit-
punkt der Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung durch den Bun-
desminister der Verteidigung beim Senat (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom
21. Juli 2010 - BVerwG 1 WB 68.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 23 Rn. 21
= NZWehrr 2010, 254 und vom 28. August 2012 - BVerwG 1 WB 10.12 -
Rn. 26). Bis zu diesem Zeitpunkt -und damit auch durch einen Beschwerdebe-
scheid oder durch das Vorlageschreiben - können tatsächliche Anhaltspunkte
für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos einschließlich der dabei zu treffenden
Prognose in Ergänzung zu der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten in
das Verfahren eingeführt werden (vgl. Beschlüsse vom 27. September 2007
- BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 Rn. 23 und vom
11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8
§ 14 SÜG Nr. 14 jeweils Rn. 35).
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b) Die Feststellung im Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesmi-
nisterium der Verteidigung, dass in der Person des Antragstellers ein Sicher-
heitsrisiko vorliegt, weist unter Berücksichtigung dieser Vorgaben keine rechts-
fehlerfreie Prognose auf. Überdies trägt sie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit
als einem allgemeingültigen Wertmaßstab nicht Rechnung, weil die fundierte
Prüfung unterblieben ist, ob ein milderes Mittel als die Feststellung eines Si-
cherheitsrisikos bis zum 9. August 2017 in Betracht kommt.
Der Geheimschutzbeauftragte hat seine Feststellung darauf gestützt, dass die
in den Sicherheitserklärungen von 1996, 2002 und 2005 unterlassenen Mel-
dungen des Antragstellers über seine Beziehung zu Frau K. und seine unter-
schiedlichen Angaben in der Befragung durch den MAD am 29. August 20.. und
in seinen Stellungnahmen gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten vom
10. April 2012 und vom 6. Juni 2012 über Inhalt und Charakter seiner Verbin-
dung zu Frau K. tatsächliche Anhaltspunkte darstellten, die Zweifel an seiner
Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG i.V.m. Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30).
Die vom Bundesminister der Verteidigung - R II 2 - in der Vorlage an den Senat
wiedergegebene Einschätzung, dass dieses Verhalten des Antragstellers auch
tatsächliche Anhaltspunkte für eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs-
und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
SÜG i.V.m. Nr. 2414 Satz 1 Nr. 2 ZDv 2/30) begründe, ist im weiteren Verlauf
des gerichtlichen Verfahrens nicht aufrechterhalten worden (Schriftsatz des
Bundesministers der Verteidigung - R II 2 - vom 10. Juli 2013).
aa) Zwar hat der Geheimschutzbeauftragte den entscheidungserheblichen
Sachverhalt im Wesentlichen vollständig erfasst. Er hat die - unstreitige - Tatsa-
che zugrunde gelegt, dass der Antragsteller seine Bekanntschaft mit Frau K.,
die seit 1994 bestand, in den Jahren 1996, 2002 und 2005 in den damals abzu-
gebenden Sicherheitserklärungen nicht gemeldet hat. Er hat ferner den Inhalt
der Angaben zu Frau K. in der Sicherheitserklärung des Antragstellers vom
22. September 2010 aufgegriffen. Weiterhin hat er im Einzelnen die
- unterschiedlichen - Angaben des Antragstellers in seiner Befragung durch den
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MAD am 29. August 20.. und in den Stellungnahmen vom 10. April 2012 und
vom 6. Juni 2012 im Sicherheitsüberprüfungsverfahren wiedergegeben und
gewürdigt. Darüber hinaus sind die positiven dienstlichen Leistungen und die
Weiterverwendung des Antragstellers in einer sicherheitsempfindlichen Tätig-
keit im Rahmen seines Auslandseinsatzes zulässigerweise nachträglich in der
Vorlage an den Senat in die Sachverhaltserfassung einbezogen worden.
Den für die Prognose relevanten Sachverhalt hat der Geheimschutzbeauftragte
allerdings insofern unrichtig festgestellt, als er in seinem Begründungsschreiben
vom 13. August 2012 dem Antragsteller vorhält, die Beziehung zu Frau K. „erst
im Jahr 2010, nach deren Ableben“ angegeben zu haben. Im Zeitpunkt der Ab-
gabe der Sicherheitserklärung vom 22. September 2010 lebte Frau K.. Sie ist
erst - nach Darstellung des Antragstellers „für alle sehr überraschend“ - im Mai
2011 gestorben.
bb) Ohne Rechtsfehler hat der Geheimschutzbeauftragte zunächst in dem Um-
stand, dass der Antragsteller gegenüber dem MAD und gegenüber ihm, dem
Geheimschutzbeauftragten, widersprüchliche Angaben über Inhalt, Intensität
und Charakter seiner Beziehung zu Frau K. gemacht hat, tatsächliche Anhalts-
punkte gesehen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der
Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen.
Tatsächliche Anhaltspunkte im vorgenannten Sinne können sich nach der stän-
digen Rechtsprechung des Senats daraus ergeben, dass der Betroffene eine
Dienstpflichtverletzung begangen hat (vgl. z.B. Beschluss vom 21. Oktober
2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1 Rn. 38 m.w.N.).
In Übereinstimmung hiermit nennt Hinweis Nr. 9 zu Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1
ZDv 2/30 (Anlage C 18) als Beispiel für entsprechende Anhaltspunkte Verstöße
des Betroffenen gegen Dienstpflichten. Der insoweit relevanten Pflicht, in
dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG), ein-
schließlich der damit in enger Verbindung stehenden Meldepflicht (§ 13 Abs. 2
SG), kommt ein besonderes Gewicht für die sicherheitsrechtliche Beurteilung zu
(vgl. z.B. Beschluss vom 14. Dezember 2010 - BVerwG 1 WB 13.10 - Rn. 29).
Nicht nur, aber gerade auch im Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Tatsa-
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chen, Gegenständen oder Erkenntnissen muss sich die militärische Führung
auf die Richtigkeit abgegebener Meldungen, Erklärungen und Aussagen sowie
auf die unaufgeforderte Erfüllung von Meldepflichten jederzeit und grundsätzlich
ohne weitere Nachprüfung verlassen können.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Soldat als Betroffener einer Si-
cherheitsüberprüfung in seinen Äußerungen im Rahmen der Befragung durch
den MAD (§ 3 Abs. 2, § 35 Abs. 3 SÜG i.V.m. Nr. 2604 [4] Nr. 1 ZDv 2/30) und
im Rahmen seiner Anhörung nach § 6 Abs. 1 und 3 SÜG an die Wahrheits-
pflicht nach § 13 Abs. 1 SG gebunden (vgl. - auch zum Folgenden - Beschluss
vom 20. November 2012 - BVerwG 1 WB 21.12, 1 WB 22.12 - Rn. 59, 60).
Zu den „dienstlichen Angelegenheiten“ im Sinne des § 13 Abs. 1 SÜG gehören
- neben den unter Berücksichtigung des § 13 Abs. 5 SÜG abgegebenen Si-
cherheitserklärungen (vgl. dazu Beschluss vom 28. Februar 2012 - BVerwG
1 WB 28.11 - Rn. 35 m.w.N.) - auch Erklärungen eines Soldaten als betroffene
Person im Rahmen der Befragung durch die mitwirkende Behörde (MAD) und
im Rahmen der Anhörung nach § 6 Abs. 1 und 3 SÜG, wenn er von der Gele-
genheit zur Stellungnahme Gebrauch macht. Diese Äußerungen stehen nicht
im Kontext eines „repressiven“ Straf- oder gerichtlichen Disziplinarverfahrens,
das mit der Verfahrensgarantie des Grundsatzes, dass niemand verpflichtet ist,
sich selbst zu belasten (Selbstbelastungsfreiheit), ausgestattet ist. Die Sicher-
heitsüberprüfung verfolgt demgegenüber ausschließlich präventive Ziele zum
Schutz der Sicherheitsinteressen der Bundeswehr. Das ergibt sich aus § 1 und
§ 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Se-
nats, der zufolge die Feststellung eines Sicherheitsrisikos eine Maßnahme der
vorbeugenden Gefahrenabwehr mit einer prognostischen Risikoeinschätzung
darstellt (vgl. z.B. Beschluss vom 15. Dezember 2009 - BVerwG 1 WB 58.09 -
Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 29). Die Äußerungen des betroffenen Sol-
daten in diesem Verfahren erfolgen im engsten Sinne im Rahmen einer „dienst-
lichen Angelegenheit“. Denn sie stehen im unmittelbaren sachlichen Zusam-
menhang mit der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzun-
gen die dienstliche Verwendung des betroffenen Soldaten in einer sicherheits-
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empfindlichen Tätigkeit in Betracht kommt (§ 2 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 und 3
SÜG und § 35 Abs. 3 SÜG in Verbindung mit Nr. 2604 (4) Nr. 1 ZDv 2/30).
Zutreffend hat der Geheimschutzbeauftragte hiernach festgestellt, dass der An-
tragsteller seiner Wahrheitspflicht in seinen Äußerungen gegenüber dem MAD
und im Sicherheitsüberprüfungsverfahren nicht nachgekommen ist. Der Antrag-
steller hat im August 20.. zunächst erklärt, dass er Frau K. seit 1995 jedes Jahr
für einen Zeitraum von vier bis fünf Wochen in Deutschland getroffen und dass
sie in dieser Zeit immer bei ihm gewohnt habe. In seiner schriftlichen Stellung-
nahme vom 10. April 2012 hat er seine Beziehung zu Frau K. dagegen dahin
relativiert, dass er nie an eine Heirat gedacht und dass Frau K. bei ihren Auf-
enthalten in Deutschland ausschließlich bei Familie ... gewohnt habe. Er habe
Frau K. im Zwei-Jahres-Abstand getroffen; sie hätten gemeinsam einige Sport-
wettkämpfe und Ausflüge unternommen. In seiner weiteren Stellungnahme vom
6. Juni 2012 hat der Antragsteller andererseits erklärt, dass er mit Frau K. nur
im Juni 1994, im August 2007 und im August 2008 gemeinsame Hotelaufenthal-
te gehabt habe. Über die Möglichkeit einer Eheschließung mit ihr habe er nach-
gedacht und auch mit Hauptmann a.D. ... gesprochen. In den Jahren 1996 bis
2005 habe er nahezu keine Begegnungen mit ihr gehabt.
Diese widersprüchlichen Angaben hat der Antragsteller nicht plausibel und
nachvollziehbar erklären können. Soweit er geltend macht, er sei bei der Befra-
gung durch den MAD gedanklich mit dem unmittelbar bevorstehenden Aus-
landseinsatz beschäftigt und deshalb in seinen Äußerungen unpräzise gewe-
sen, erklären sich daraus jedenfalls nicht die erheblichen inhaltlichen Wider-
sprüche in seinen beiden Stellungnahmen gegenüber dem Geheimschutzbeauf-
tragten. Seine Äußerungen in den Anhörungen entsprechen daher in wesentli-
chen Punkten nicht der Wahrheit.
cc) Der Senat lässt dahinstehen, ob der Geheimschutzbeauftragte tatsächliche
Anhaltpunkte im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG auch aus der Tatsache
herleiten durfte, dass der Antragsteller die zwischen ihm und Frau K. seit 1994
bestehende Bekanntschaft in drei Sicherheitserklärungen nicht angegeben hat.
Insoweit kann offen bleiben, ob - und gegebenenfalls ab wann - es sich bei die-
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ser Bekanntschaft um eine meldepflichtige „sonstige Beziehung“ gemäß Nr. 8.4
des Formulars der Sicherheitserklärung handelte.
dd) Denn der Geheimschutzbeauftragte hat im vorliegenden Verfahren mit einer
unzureichenden prognostischen Einschätzung des Sicherheitsrisikos die Gren-
zen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten.
Bei der Beurteilung, ob ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, hat sich der zu-
ständige Geheimschutzbeauftragte prognostisch zur künftigen Entwicklung der
Persönlichkeit des betroffenen Soldaten und seiner Verhältnisse zu äußern,
weil das Sicherheitsüberprüfungsverfahren in besonderem Maße einer vorbeu-
genden Risikoeinschätzung dient, hingegen nicht der - zusätzlichen - repressi-
ven Ahndung eines Fehlverhaltens (vgl. dazu Beschlüsse vom 15. Dezember
2009 - BVerwG 1 WB 58.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 29 m.w.N.
und vom 24. April 2012 - BVerwG 1 WB 62.11 - juris Rn. 31).
In seinen Prognose-Erwägungen im Begründungsschreiben vom 13. August
2012 hat sich der Geheimschutzbeauftragte inhaltlich nur auf die Wahrheits-
pflichtverletzungen des Antragstellers bezogen, die er in der vorangegangenen
„Bewertung der sicherheitserheblichen Erkenntnisse“ als „Versagen im Kernbe-
reich der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit“ beurteilt hatte. Die allein
retrospektive Betrachtung eines (dienst-)pflichtwidrigen Verhaltens des Betrof-
fenen in der Vergangenheit ohne Herstellung eines Bezuges zu seinem erwart-
baren Verhalten in der näheren Zukunft trägt aber den Anforderungen an eine
profunde Prognose nicht hinreichend Rechnung.
In die Prognose hätte hier vor allem der Umstand einbezogen werden müssen,
dass der Antragsteller - wie der Geheimschutzbeauftragte an anderer Stelle
selbst darlegt - in den Sicherheitserklärungen stets wahrheitsgemäße Angaben
zu „Kontakten zu ausländischen Nachrichtendiensten“ im Sinne der Nr. 7 des
Sicherheitserklärungsformulars gemacht und umfassend über diese Kontakte
berichtet hat. Diese Tatsache dokumentiert, dass dem Antragsteller nicht pau-
schal ein gestörtes Verhältnis zu seiner soldatenrechtlichen Wahrheitspflicht
vorgehalten werden kann. Überdies ist für die Prognose von Bedeutung, dass
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der Antragsteller die „persönliche Verbindung“ zu Frau K. noch zu deren Leb-
zeiten im September 2010 in der Sicherheitserklärung offengelegt hat, zu einem
Zeitpunkt also, als diese Verbindung noch „aktiv“ war und sich eventuelle Risi-
ken im Kontext ihres Heimatstaates als eines Staates mit besonderen Sicher-
heitsrisiken mit einer höheren Wahrscheinlichkeit realisieren konnten. Bei seiner
Sachverhaltsfeststellung hat der Geheimschutzbeauftragte hingegen fälschlich
zugrunde gelegt, dass die Meldung der Verbindung zu Frau K. erst nach deren
Ableben erfolgt sei; daraus hat er sinngemäß den Vorwurf hergeleitet, dass der
Antragsteller diese Bekanntschaft nicht zeitnah, sondern erst dann offenbart
habe, als es sozusagen „ungefährlich“ geworden war.
Diese einzelfallbezogenen Gesichtspunkte hätten - gerade auch im Hinblick auf
das Gebot der Verhältnismäßigkeit (zu dessen Geltung im Sicherheitsüberprü-
fungsrecht: Beschluss vom 24. November 2009 - BVerwG 1 WB 6.09 -
Rn. 25 ff.) - eine sorgfältige Prüfung notwendig gemacht, ob anstelle der Fest-
stellung eines Sicherheitsrisikos mit der Festsetzung einer fünfjährigen Gel-
tungsdauer im Fall des Antragstellers bestimmte Auflagen oder Einschränkun-
gen im Sinne der Nr. 2705 Abs. 1 ZDv 2/30 ausgereicht hätten oder ob zumin-
dest eine Verkürzung der Frist für die Durchführung einer Wiederholungsüber-
prüfung in Betracht gekommen wäre. Als Auflage wäre zum Beispiel eine spe-
zielle Meldepflicht für „sämtliche Kontakte“ zu bestimmten Personen oder in
Staaten gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG in Betracht gekommen (vgl. da-
zu im Einzelnen Beschluss vom 27. Februar 2003 - BVerwG 1 WB 51.02 -
Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 15). Diese Prüfung ist bis zur Vorlage des Verfah-
rens an den Senat unterblieben.
Der angefochtene Bescheid ist deshalb aufzuheben (§ 19 Abs. 1 Satz 1 in Ver-
bindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO).
Der Geheimschutzbeauftragte hat von Amts wegen eine neue Entscheidung
über die Frage zu treffen, ob in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsri-
siko besteht, sofern dieser wieder in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit verwen-
det werden soll.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit
§ 20 Abs. 1 WBO.
Dr. von Heimburg Dr. Frentz Dr. Langer
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