Urteil des BVerwG vom 18.05.2010

Erstellung, Disziplinarverfahren, Formfehler, Soldat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 25.09
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Kapitänleutnant ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Fregattenkapitän Zwirtz und
den ehrenamtlichen Richter Kapitänleutnant Sommer-Weisheit
am 18. Mai 2010 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller begehrt die Aufhebung seiner planmäßigen dienstlichen
Beurteilungen für die Jahre 2005 und 2007.
Der 1961 geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet
voraussichtlich mit Ablauf des 31. Mai 2016. Zum ... wurde er am 13. Februar
2008 befördert. Seit 1. April 2007 wird er in F. als Informatikoffizier verwendet.
Im Zeitraum von September 2003 bis Januar 2008 waren gegen den
Antragsteller ein Straf- und ein gerichtliches Disziplinarverfahren anhängig. Mit
rechtskräftigem Urteil ... verurteilte ihn das Landgericht Detmold wegen
sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. In dem teilweise sachgleichen,
weitere disziplinare Vorwürfe einbeziehenden gerichtlichen Disziplinarverfahren
löste sich das Truppendienstgericht Süd von den Feststellungen des Strafurteils
und sprach den Antragsteller mit rechtskräftigem Urteil ... frei.
Der Antragsteller wurde zu den Terminen 31. März 2005 (Beurteilung vom 11.
Februar 2005), 31. März 2007 (Beurteilung vom 8. Dezember 2006) und 30.
September 2008 (Beurteilung vom 2. Oktober 2008) planmäßig beurteilt.
Mit Schreiben vom 2. September 2008 beantragte der Antragsteller beim
Personalamt der Bundeswehr die Aufhebung der planmäßigen Beurteilungen
aus den Jahren 2005 und 2007. Gemäß Nr. 407 Buchst. a ZDv 20/6 seien
während eines laufenden Disziplinarverfahrens Beurteilungen nur nach
vorheriger Entscheidung der personalbearbeitenden Stelle zu erstellen. Eine
solche Entscheidung sei in seinem Falle unterblieben, weshalb ein Formfehler
vorliege.
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Mit Bescheid vom 11. September 2008 lehnte das Personalamt der
Bundeswehr die Aufhebung der Beurteilungen ab. Die Erstellung einer
Beurteilung während eines schwebenden Verfahrens sei nicht grundsätzlich
ausgeschlossen. Die planmäßigen Beurteilungen zu den Terminen 31. März
2005 und 31. März 2007 seien durch die beurteilenden Vorgesetzten erstellt,
der personalbearbeitenden Stelle vorgelegt und anschließend ordnungsgemäß
abgeschlossen worden. Ein Formfehler sei daher nicht zu erkennen.
Mit Schreiben vom 30. September 2008 legte der Antragsteller hiergegen
Beschwerde ein. Zur Begründung verwies er auf sein Antragsschreiben sowie
ergänzend auf die Regelung des Förderungsverbots während schwebender
strafrechtlicher und disziplinarer Verfahren in Nr. 135 ZDv 20/7.
Mit Bescheid vom 16. März 2009 wies der Bundesminister der Verteidigung -
PSZ I 7 - die Beschwerde zurück. Die Beurteilungen aus den Jahren 2005 und
2007 seien bestandskräftig, sodass ihre Aufhebung nur nach den Grundsätzen
über das Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen Verfahrens, deren
Voraussetzungen hier nicht vorlägen, zu prüfen gewesen wäre. Unabhängig
davon habe das Personalamt zu Recht das Vorliegen eines Formfehlers,
insbesondere eines beachtlichen Verstoßes gegen Nr. 407 Buchst. a ZDv 20/6,
verneint. Zwar sehe die Vorschrift vor, dass zunächst eine Entscheidung der
personalbearbeitenden Stelle zu erwirken sei; damit sei jedoch nicht
ausgeschlossen, dass die personalbearbeitende Stelle erst bei Vorlage der
Beurteilung entscheide, ob sie diese für erforderlich halte. So sei im Falle des
Antragstellers verfahren worden. Das Personalamt habe die Erforderlichkeit der
Beurteilungen aus den Jahren 2005 und 2007 angenommen und die
Beurteilungen unbeanstandet zu den Personalakten genommen. Für den
Antragsteller mache es keinen Unterschied, ob der Disziplinarvorgesetzte vor
der Erstellung der planmäßigen Beurteilung die Zustimmung erwirke oder das
Personalamt die Zustimmung mit der Annahme der Beurteilung zu den Akten
stillschweigend zum Ausdruck bringe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht
aus Nr. 135 ZDv 20/7. Die dortige Härtefallregelung erlaube in besonders
gelagerten Fällen eine Ausnahme vom Verbot der Förderung des Soldaten
während schwebender Verfahren; dies betreffe jedoch nicht die Frage der
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Erstellung einer Beurteilung. Schließlich komme nach Nr. 901 ZDv 20/6 eine
Aufhebung von Beurteilungen im Wege der Dienstaufsicht nur solange in
Betracht, als die nächstfolgende planmäßige Beurteilung noch nicht
abgeschlossen sei. Da die Beurteilung zum 31. März 2008 inzwischen
bestandskräftig sei, bestehe nunmehr auch ein rechtliches Hindernis für die
Aufhebung vorangegangener Beurteilungen.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 23. April 2009 beantragte der
Antragsteller hiergegen die gerichtliche Entscheidung durch das
Bundesverwaltungsgericht. Der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 -
legte den Antrag zusammen mit seiner Stellungnahme vom 4. Mai 2009 dem
Senat vor.
Zur Begründung trägt der Antragsteller ergänzend insbesondere vor:
Nr. 407 Buchst. a ZDv 20/6 sehe vor, dass während eines schwebenden
Verfahrens zunächst die Entscheidung der personalbearbeitenden Stelle zu
erwirken sei, ob eine Beurteilung zu diesem Zeitpunkt erforderlich sei oder ob
die endgültige Klärung des dem schwebenden Verfahren zugrunde liegenden
Sachverhalts abgewartet werden solle. Eine derartige Entscheidung sei
unstrittig nicht herbeigeführt worden. Die Aussetzung der planmäßigen
Beurteilungen diene auch dem Schutz des zu beurteilenden Soldaten. Es könne
nicht ausgeschlossen werden, dass die ihm, dem Antragsteller, im Straf- und im
Disziplinarverfahren gemachten Vorwürfe Einfluss auf die planmäßigen
Beurteilungen gehabt hätten. Erst mit dem freisprechenden Urteil des
Truppendienstgerichts seien die Verdachtsmomente gegen ihn entfallen. Es sei
daher von einem beachtlichen Verstoß gegen Nr. 407 Buchst. a ZDv 20/6
auszugehen, der zu einer Aufhebung der Beurteilungen aus den Jahren 2005
und 2007 führen müsse.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag sei bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil eine
Aufhebung der dienstlichen Beurteilungen aus den Jahren 2005 und 2007
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gemäß Nr. 901 ZDv 20/6 im Wege der Dienstaufsicht nicht mehr möglich sei. Im
Übrigen sei der Antrag jedenfalls aus den Gründen des Beschwerdebescheids
unbegründet. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die Formvorschrift
der Nr. 407 Buchst. a ZDv 20/6 keine drittschützende Wirkung zugunsten des
Antragstellers entfalte. Die Feststellung der Erforderlichkeit der Beurteilung
bemesse sich nicht nach möglichen Nachteilen wegen der im Raume
stehenden Vorwürfe gegen den betroffenen Soldaten, sondern ausschließlich
danach, ob ein dienstliches Interesse an der Beurteilung bestehe, weil
gegebenenfalls Entscheidungen zur Verwendungsplanung, etwa zu einer
Versetzung, getroffen werden müssten. Die Entscheidung der
personalbearbeitenden Stelle habe nichts mit der Befürchtung des
Antragstellers zu tun, dass die schwebenden Verfahren Einfluss auf den Inhalt
seiner Beurteilung hätten. Im Übrigen habe es dem Antragsteller freigestanden,
sich mit der Beschwerde gegen die Beurteilungen zu wenden. Die jetzt für
deren Aufhebung herangezogenen Argumente hätten bereits nach Eröffnung
der Beurteilungen vorgebracht werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der
Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 458/09 - hat dem Senat bei der Beratung
vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
Der Antragsteller hat keinen bestimmten Sachantrag gestellt. Sein
Rechtsschutzbegehren ist sach- und interessengerecht dahin auszulegen, dass
er unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide die Verpflichtung des
Bundesministers der Verteidigung begehrt, seine zu den Terminen 31. März
2005 und 31. März 2007 erstellten planmäßigen dienstlichen Beurteilungen
aufzuheben.
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Der in dieser Form zulässige Antrag ist unbegründet. Der Bescheid des
Personalamts der Bundeswehr vom 11. September 2008 und der
Beschwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 16.
März 2009 sind rechtmäßig. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf
Aufhebung der genannten planmäßigen dienstlichen Beurteilungen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erwächst die dienstliche
Beurteilung eines Soldaten, die nicht fristgerecht im Beschwerdeweg
angefochten wird, in Bestandskraft, sofern sie nicht ausnahmsweise nach den
entsprechend anwendbaren Grundsätzen des § 44 VwVfG nichtig ist (vgl.
zuletzt ausführlich Beschluss vom 23. Februar 2010 - BVerwG 1 WB 36.09 -
Rn. 48 ff. m.w.N.
vorgesehen>). Der Antragsteller hat die planmäßigen dienstlichen
Beurteilungen vom 11. Februar 2005 (zum Termin 31. März 2005) und vom 8.
Dezember 2006 (zum Termin 31. März 2007), eröffnet jeweils am selben Tage,
nicht mit der Beschwerde angefochten. Ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 44
VwVfG ist weder nach dem Vortrag des Antragstellers noch sonst erkennbar.
Insbesondere würde der vom Antragsteller geltend gemachte Verstoß gegen
Nr. 407 Buchst. a der Bestimmungen über die Beurteilungen der Soldatinnen
und Soldaten der Bundeswehr (ZDv 20/6), sein Vorliegen unterstellt, keinen
besonders schwerwiegenden und zudem offensichtlichen Fehler darstellen, der
entsprechend § 44 Abs. 1 VwVfG die Nichtigkeit der Beurteilungen zur Folge
hätte.
Nach Eintritt der Bestandskraft kann der Soldat nur unter den Voraussetzungen
der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 51 VwVfG eine Entscheidung
über die Änderung oder Aufhebung der Beurteilung beanspruchen (vgl.
Beschluss vom 23. Februar 2010 - BVerwG 1 WB 36.09 - Rn. 51 m.w.N.). Die
dort geregelten Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens
liegen im Falle des Antragstellers ersichtlich nicht vor. Insbesondere hat sich
die den Beurteilungen vom 11. Februar 2005 und 8. Dezember 2006 zugrunde
liegende Sach- oder Rechtslage nicht nachträglich zugunsten des Antragstellers
geändert (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Die von ihm beanstandete
Vorgehensweise der beurteilenden Vorgesetzten und des Personalamts und die
hierfür maßgebliche Rechtslage stellen sich heute nicht anders dar als zur Zeit
der Erstellung der Beurteilungen.
Die Möglichkeit, dienstliche Beurteilungen zu überprüfen und diese
gegebenenfalls zu ändern oder aufzuheben, steht dem Personalamt der
Bundeswehr als personalbearbeitender Stelle im Übrigen ausschließlich im
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Rahmen der Dienstaufsicht zu. Allerdings wird die Dienstaufsicht allein im
öffentlichen Interesse wahrgenommen (vgl. Beschluss vom 9. August 2007 -
BVerwG 1 WB 51.06 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 62 = NZWehrr 2007,
252). Sie obliegt dem zuständigen Vorgesetzten nicht gegenüber den
Untergebenen und dient damit nicht im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO der
Wahrung der Rechte eines Soldaten; der betroffene Soldat hat deshalb keinen
Anspruch darauf, dass seine Beurteilung außerhalb eines förmlichen
Beschwerdeverfahrens in Ausübung der Dienstaufsicht durch einen höheren
Vorgesetzten oder - hier - durch seine personalbearbeitende Stelle aufgehoben
wird; die Unterlassung einer dienstaufsichtlichen Prüfung stellt - ebenso wie das
Ergebnis einer dienstaufsichtlichen Prüfung in Gestalt eines Bescheides -
gegenüber dem betroffenen Soldaten keine anfechtbare truppendienstliche
Maßnahme gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO dar.
Unabhängig davon, dass der Bundesminister der Verteidigung sein Ermessen
bei der Ausübung der Dienstaufsicht dahingehend gebunden hat, dass nach
Abschluss der nächstfolgenden planmäßigen Beurteilung - hier der
Bestandskraft der Beurteilung vom 2. Oktober 2008 - eine Aufhebung
vorangegangener Beurteilungen im Wege der Dienstaufsicht nicht mehr erfolgt
(Nr. 901 Satz 3 ZDv 20/6), hatte der Antragsteller daher von vorneherein keinen
rechtlichen Anspruch darauf, dass seine Beurteilungen vom 11. Februar 2005
und 8. Dezember 2006 durch das Personalamt in Ausübung der Dienstaufsicht
überprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden.
Die Tatsache, dass das Personalamt und (im Beschwerdeverfahren) der
Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 -, obwohl sie hierzu nicht verpflichtet
waren,
eine
inhaltliche Überprüfung vorgenommen und das
Aufhebungsbegehren auch in der Sache beschieden haben, eröffnet dem
Antragsteller keine zusätzlichen Rechtsschutzmöglichkeiten.
Die
personalbearbeitenden Stellen sind im Rahmen des durch die ZDv 20/6
geregelten Beurteilungsverfahrens nicht für die Erstellung von Beurteilungen
zuständig; ihre Möglichkeiten, korrigierend einzugreifen, sind beschränkt auf die
ihnen konstitutiv zugewiesenen Befugnisse der Dienstaufsicht (vgl. zu den
insoweit beschränkten Kompetenzen der personalbearbeitenden Stellen
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Beschluss vom 15. Mai 2003 - BVerwG 1 WB 10.03 - BVerwGE 118, 197 <198
f.> = Buchholz 236.110 § 2 SLV 2002 Nr. 2 m.w.N.). Ein dienstaufsichtliches
Tätigwerden aber kann der Antragsteller, wie dargelegt, nicht beanspruchen.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer