Urteil des BVerwG vom 04.11.2014

Beendigung, Vertrauensperson, Recht auf Akteneinsicht, Kompanie

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 18.14
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberleutnant ...,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Mirow und
den ehrenamtlichen Richter Oberleutnant Weisheit
am 4. November 2014 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die vorzeitige Beendigung seiner besonde-
ren Auslandsverwendung beim 29. Deutschen Einsatzkontingent ISAF in ...
Der 19.. geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit; seine Dienstzeit ist auf
12 Jahre festgesetzt und wird voraussichtlich mit Ablauf des 30. Juni 20.. en-
den. Mit Wirkung vom 1. Januar 2009 wurde er zum Oberleutnant ernannt. Seit
dem 1. September 20.. wurde er als Panzergrenadieroffizier/Kompanieein-
satzoffizier bei der ... Kompanie, seit dem 1. Mai 20.. bei der ... Kompanie des
Panzergrenadierbataillons ... in ... verwendet. Im Anschluss an die hier streitbe-
fangene Repatriierung war er ab dem 19. November 2012 zur Dienstleistung
beim ... des Panzergrenadierbataillons ... eingesetzt. Seit dem 2. Dezember
2013 wird er als Controller A/Einsatzoffizier Streitkräfte beim ...amt ... in B. ver-
wendet.
Das Panzergrenadierbataillon ... kommandierte den Antragsteller mit Verfügung
vom 6. Juni 2012 für die Zeit vom 7. August 2012 bis zum 28. Februar 2013
zum 29. Deutschen Einsatzkontingent ISAF in .... Im Rahmen dieser besonde-
ren Auslandsverwendung war er als Kompanieeinsatzoffizier und als Leiter der
... der Stabs-/Versorgungskompanie der ... eingesetzt. Er war Vertrauensperson
der Offiziere der ...
Der Kommandeur ... als (damaliger) nächsthöherer Disziplinarvorgesetzter er-
öffnete dem Antragsteller am 15. Oktober 2012 den am 13. Oktober 2012 gefer-
tigten Entwurf eines Antrags auf vorzeitige Beendigung seiner besonderen Aus-
landsverwendung aus dienstlichen Gründen. Dem Antrag war eine Stellung-
nahme des Hauptmann G. vom 14. Oktober 2012 beigefügt, der damals Kom-
paniechef der Stabs-/Versorgungskompanie ... und nächster Disziplinarvorge-
setzter des Antragstellers war.
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In der Begründung seines Repatriierungsantrags führte der Kommandeur im
Wesentlichen aus, dass der Antragsteller hinreichend verdächtigt sei, Dienst-
pflichtverletzungen begangen zu haben, indem er zu einem nicht näher be-
stimmbaren Zeitpunkt im September 2012 im... im Shelter ... im Camp ..., nach
dem Mittagessen gegenüber einem Oberfeldwebel und in Anwesenheit eines
Hauptgefreiten (jeweils Angehörigen der Stabs-/Versorgungskompanie ...) sinn-
gemäß geäußert habe, dass man mit Waffengewalt gegen den Kompaniechef
vorgehen müsse und dass er, der Antragsteller, diesen am liebsten erschießen
würde. Dabei habe der Antragsteller seine Pistole P 8 aus dem Holster gezogen
und diese in Richtung der Wand des Nachbarraumes gerichtet, in dem sich das
Büro des Kompaniechefs befand, obwohl der Antragsteller gewusst habe bzw.
habe wissen müssen, dass der spielerische Umgang mit Waffen verboten sei.
Außerdem habe er am Abend des 27. September 2012 gegen 21.00 Uhr bis
über 22.30 Uhr hinaus zunächst im, später vor dem Shelter ... im Camp ... mit
einem anderen Soldaten mehr als zwei Dosen Bier zu 0,33 l getrunken, obwohl
er gewusst habe bzw. habe wissen müssen und können, dass nach der ein-
schlägigen Befehls- und Weisungslage für das Camp ... der Konsum von alko-
holhaltigen Getränken nur im Zeitraum von 20.00 Uhr bis 22.30 Uhr erlaubt, der
tägliche Höchstkonsum von Bier auf zwei Dosen je 0,33 l begrenzt und der
Konsum alkoholhaltiger Getränke außerhalb der Betreuungseinrichtungen im
Camp ... verboten sei. Darüber hinaus habe er am Abend des 27. September
2012 nach 22.00 Uhr gegenüber Mannschaften und Portepee-Unteroffizieren
der Stabs-/Versorgungskompanie ... vor dem Shelter ... im Camp ... sinngemäß
geäußert,
- man müsse notfalls mit Waffengewalt gegen den Kompaniechef vorge-
hen,
- am liebsten würde er den Kompaniechef erschießen,
- die Unteroffiziere der Kompanie hätten kein Rückgrat,
- der Kompaniechef und der Spieß seien ein Arschloch und hätten keine
Ahnung,
- der Kompaniechef und der Kompaniefeldwebel hätten keinen Arsch in
der Hose,
- im Bereich der Stabs-/Versorgungskompanie laufe alles Scheiße und
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- er habe zu Major T. (...) gesagt, dieser solle sich seinen Kopf in den
Arsch stecken, dann sei er seinem Gehirn näher.
Die Ermittlungen hätten außerdem ergeben, dass sich der Antragsteller gegen-
über Mannschaften und Unteroffizieren der Kompanie regelmäßig (mehrfach in
der Woche bis täglich) abfällig über die Kompanieführung geäußert habe, etwa
mit Äußerungen wie „In der Kompanieführung sitzen nur Idioten“ oder „Der
Kompaniechef weiß nicht, wie er seine Arbeit zu machen hat“. Abfällige Äuße-
rungen über den Kompaniechef habe er auch gegenüber der Truppenpsycholo-
gin in einem nicht vertraulichen Gespräch in Anwesenheit eines Hauptgefreiten
getätigt.
Das Verhalten des Antragstellers, mit dem er gegenüber Angehörigen der
Kompanie und Außenstehenden in vollkommen unangemessener Weise Kritik
an Vorgesetzten und Kameraden übe, lasse eine vertrauensvolle Zusammen-
arbeit innerhalb der Kompanie, aber auch innerhalb des Stabes ... nicht länger
zu. Die mangelnde Zurückhaltung des Antragstellers und dessen offen zur
Schau gestellte Abneigung gegen Vorgesetzte und Kameraden habe ein sol-
ches Ausmaß erreicht, dass das von ihm als Verbandsführer in den Antragstel-
ler gesetzte Vertrauen irreparabel geschädigt sei. Erschwerend komme hinzu,
dass sich das unsachliche Verhalten des Antragstellers insbesondere gegen
Offiziere der ... richte und der Antragsteller damit auch sein Amt als Vertrau-
ensperson der Offiziere der ... beschädigt habe. Aufgrund der Vielzahl und
Schwere der Vorwürfe sowie der Tatsache, dass offenkundig das Arbeitsver-
hältnis zu mehreren Soldaten auch unterschiedlicher Dienstgradgruppen und
Einheiten zerrüttet sei, handele es sich nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht
um einen Einzelfall; ein Verbleib des Antragstellers im Einsatzland auf einem
anderen Dienstposten erscheine deshalb nicht angebracht.
Der Repatriierungsantrag wurde am 16. Oktober 2012 mit dem Antragsteller im
persönlichen Gespräch erörtert. Dieser gab am 17. Oktober 2012 eine Stel-
lungnahme ab, in der er die ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen bestritt. Die
Vertrauensperson der Offiziere ... wurde am 18. Oktober 2012 zur vorzeitigen
Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des Antragstellers angehört.
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Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2012 entschied der Kom-
mandeur des 29. Deutschen Einsatzkontingentes ISAF, die besondere Aus-
landsverwendung des Antragstellers vorzeitig zum 24. Oktober 2012 zu been-
den. Zur Begründung führte er aus:
„Sie sind seit dem 08.08.2012 Angehöriger des DEU
EinsKtgt ISAF und in der St/VersKp ... als Kompanieein-
satzoffizier eingesetzt.
Gegen Sie wurde in meinem Auftrag wegen des Ver-
dachts der Begehung von Dienstvergehen disziplinar er-
mittelt. Nach diesen Ermittlungen steht nach meiner Über-
zeugung fest, dass Sie gegen Ihre Dienstpflichten versto-
ßen haben. Unter anderem haben Sie sinngemäß geäu-
ßert, dass man mit Waffengewalt gegen den KpChef vor-
gehen müsse und Sie ihn am liebsten erschießen würden.
Dabei zogen Sie Ihre Pistole P 8 aus dem Holster und
richteten die Waffe in Richtung der Wand des Nachbar-
raumes, in dem sich das Büro des KpChefs befand. Des
Weiteren haben Sie sich gegenüber Mannschaften und
Unteroffizieren der Kompanie regelmäßig abfällig über die
Kompanieführung geäußert. Darüber hinaus haben Sie an
dem Abend des 27.09.2012 mehr als zwei Dosen Bier zu
sich genommen und somit gegen die Camp Ordnung ver-
stoßen.
Aufgrund der benannten sowie weiterer Sachverhalte ist
mit der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens
zu rechnen.
Ihr Verhalten, in dem Sie Kritik an Vorgesetzten und Ka-
meraden üben, lässt eine vertrauensvolle Zusammenar-
beit nicht länger zu. Ihre offen zur Schau gestellte Abnei-
gung, insbesondere gegenüber dem KpChef, hat ein sol-
ches Ausmaß erreicht, dass ich mich entschieden habe,
Ihre besondere Auslandsverwendung vorzeitig zum
24.10.2012 zu beenden.“
Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller, der am 24. Oktober 2012
nach Deutschland zurückgeführt wurde, mit Schreiben seines Bevollmächtigten
vom 19. November 2012 Beschwerde ein. Er machte die formelle Rechtswidrig-
keit der Repatriierungsverfügung geltend. Es sei nicht zu erkennen, ob man die
Vertrauensperson in vollem Umfang über die wahren Gründe der Ablösung in
Kenntnis gesetzt habe. Die Stellungnahme der Vertrauensperson sei ihm selbst
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vor der Entscheidung über die vorzeitige Beendigung der besonderen Aus-
landsverwendung nicht eröffnet worden. Er habe also keine Möglichkeit gehabt,
sich dazu zu äußern. In der Sache sei nicht nachvollziehbar, wie der Komman-
deur des Deutschen Einsatzkontingents ISAF zu seiner Ablösungsentscheidung
gekommen sei. Konkrete Dienstpflichtverletzungen unter Bezeichnung von Ort,
Datum und Art der Dienstpflichtverletzung benenne die Verfügung nicht. Soweit
der Antrag des nächsthöheren Disziplinarvorgesetzten dazu nähere Angaben
enthalte, sei ihm, dem Antragsteller, im Zusammenhang mit den disziplinaren
Ermittlungen die beantragte Akteneinsicht verwehrt worden. Eine gezielte Ver-
teidigung sei daher nicht möglich gewesen. Darin liege die Verletzung rechtli-
chen Gehörs. Die ihn belastenden Zeugenaussagen seien unter Druck zustan-
de gekommen. Es sei auch fraglich, ob sein nächster Disziplinarvorgesetzter,
Hauptmann G., überhaupt gegen ihn habe ermitteln dürfen. Er selbst sei ge-
wählte Vertrauensperson gewesen.
Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr wies die
Beschwerde des Antragstellers mit Beschwerdebescheid vom 5. März 2013
zurück. Die weitere Beschwerde des Antragstellers vom 10. April 2013, in der er
die erhobenen Vorwürfe weiterhin bestritt, „massive Spannungen“ im Verhältnis
zu Hauptmann G. einräumte und die fehlende Prüfung seiner anderweitigen
Verwendung im Einsatz als Ermessensfehler rügte, wies der Generalinspekteur
der Bundeswehr mit Beschwerdebescheid vom 1. Oktober 2013 zurück.
Gegen diese ihm am 8. Oktober 2013 eröffnete Entscheidung hat der Antrag-
steller am 8. November 2013 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
beantragt. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat den Antrag mit seiner
Stellungnahme vom 24. März 2014 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens vertieft der Antragsteller sein
Beschwerdevorbringen und trägt ergänzend insbesondere vor:
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Die Repatriierungsentscheidung sei rechtswidrig. Er habe nach seinem Eintref-
fen im Einsatzland aufgrund von fehlenden Führungsstrukturen und Führungs-
versagen ein ziemliches Chaos vorgefunden. Seine Kompanie habe bis zu drei
„Herren“ gleichzeitig dienen müssen, ohne dass Unterstellungen oder Diszipli-
narstufen klar und transparent geregelt gewesen wären. Diese Verhältnisse
hätten ihn veranlasst, nach vier Wochen im Einsatz zwei Beschwerden zu
schreiben. Parallel dazu habe sein damaliger Kompaniechef Hauptmann G.
diverse Dienstvergehen und sogar Wehrstraftaten begangen. In einem Vier-
Augen-Gespräch habe er Hauptmann G. mitgeteilt, dass er dieses Verhalten
nicht mittragen werde. Zeitgleich habe er von zwei im Heimatland verbliebenen
Kompaniechefs die Information erhalten, dass Hauptmann G. ihn, den Antrag-
steller, loswerden wolle. In der Folge sei es dann zu Anschuldigungen gekom-
men, deren Berechtigung in keiner Weise nachgeprüft worden sei. In den Be-
schwerdebescheiden seien alle Vorwürfe nur unreflektiert übernommen worden.
Entlastende Aussagen seien vollkommen ignoriert worden. So werde die ihm
angelastete Geste des Schießens nicht durch Zeugen bestätigt. Er könne auch
nicht akzeptieren, dass Generalmajor P. als Kommandeur des Deutschen Ein-
satzkontingents zuerst über seine Ablösung und dann im Heimatland als Divisi-
onskommandeur auch noch über die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinar-
verfahrens entschieden habe. Angebliche Äußerungen aus einem Gespräch mit
der Truppenpsychologin könnten ihm nicht entgegengehalten werden, weil die-
se einer Schweigepflicht unterliege. Sowohl der Kommandeur ..., Oberst S., als
auch der Kommandeur des Deutschen Einsatzkontingents hätten ein Interesse
daran gehabt, ihn, den Antragsteller, aus dem Einsatz zu entfernen.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 28. Mai 2014 ist der Antragsteller
erneut im Einzelnen den strittigen Vorwürfen entgegengetreten, die im Wesent-
lichen auch Gegenstand der Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwalt-
schaft für den Bereich der ... Panzergrenadier ... vom 9. Juli 2013 sind.
Der Antragsteller beantragt,
1. die Entscheidungen des Kommandeurs des Deutschen
Einsatzkontingents ISAF vom 19. Oktober 2012 und
des Befehlshabers des Einsatzführungskommandos der
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Bundeswehr vom 5. März 2013 sowie des Generalin-
spekteurs der Bundeswehr vom 1. Oktober 2013 aufzu-
heben,
2. festzustellen, dass die Repatriierungsverfügung vom
19. Oktober 2012 rechtswidrig war.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er trägt unter Bezugnahme auf seinen Beschwerdebescheid vor, dass für die
vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des Antragstellers
ein dienstliches Bedürfnis bestanden habe. Gegen den Antragsteller habe der
Verdacht schuldhafter Dienstpflichtverletzungen bestanden, der insbesondere
durch die Aussagen der Zeugen Oberfeldwebel I., Hauptgefreiter B. und Haupt-
gefreiter H. bestätigt werde. Anhaltspunkte für eine fehlende oder verminderte
Glaubwürdigkeit der vorgenannten Zeugen seien nicht erkennbar. Entgegen der
Einlassung des Antragstellers seien entlastende Zeugenaussagen nicht igno-
riert worden. Zu der allgemeinen Behauptung des Antragstellers, die relevanten
Zeugenaussagen seien unter Druck zustande gekommen, lägen keine Erkennt-
nisse vor. Der Kommandeur des Deutschen Einsatzkontingents ISAF habe sein
Auswahlermessen korrekt ausgeübt. Die ordnungsgemäße und effektive Auf-
gabenerfüllung des Einsatzkontingents sei die entscheidende Leitlinie für die
Ermessensausübung gewesen. Die vorzeitige Beendigung der besonderen
Auslandsverwendung des Antragstellers sei im Ergebnis gerechtfertigt gewe-
sen, weil die im Einsatz besonders wichtige reibungslose Zusammenarbeit zum
Zweck der optimalen Aufgabenerfüllung nicht mehr sichergestellt gewesen sei.
Die Schwere des mutmaßlichen Fehlverhaltens des Antragstellers mit seinem
personalen Charakter und dem Bezug zu seiner damaligen Einheit habe das
Vertrauensverhältnis zu seinem Kompaniechef zerstört. Aufgrund der Vielzahl
der Verdachtsfälle und der inhaltlich ähnlichen Verfehlungen (des mangelnden
Respekts gegenüber Kameraden auch in Vorgesetztenposition) sei zu befürch-
ten, dass der Antragsteller diese disziplinlose Haltung zum weiteren Schaden
von Kameraden fortsetzen werde. Der Kommandeur des Deutschen Einsatz-
kontingents sei nicht verpflichtet gewesen, zum Zweck der Beseitigung der
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Spannungen den Antragsteller aus seiner bisherigen Unterstellung herauszulö-
sen und ihn im Einsatzland anderweitig zu verwenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Ge-
richtsakten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Generalinspekteurs
der Bundeswehr - BMVg R I 6 - Az: B1 03/13 -, die Beiakte des Bundesministe-
riums der Verteidigung - R I 6 - zur Bearbeitung der Eingabe des Antragstellers
an den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Az: B1 03/2013) und
die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A - D, haben dem Senat
bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
1. Der Aufhebungsantrag ist unzulässig.
Die Entscheidung des Kommandeurs des 29. Deutschen Einsatzkontingents
ISAF vom 19. Oktober 2012, die besondere Auslandsverwendung des Antrag-
stellers vorzeitig zum 24. Oktober 2012 zu beenden, stellt eine truppendienstli-
che Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO dar, die der Überprüfung
durch die Wehrdienstgerichte - hier durch das Bundesverwaltungsgericht (§ 22
i.V.m. § 21 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 1 WBO) - unterliegt.
Diese Maßnahme ist mit der tatsächlichen Rückführung des Antragstellers nach
Deutschland am 24. Oktober 2012 vollzogen worden; sie hat sich mit Ablauf
des ursprünglich angeordneten Kommandierungszeitraums am 28. Februar
2013 erledigt. Damit ging schon im Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf ge-
richtliche Entscheidung der Aufhebungsantrag ins Leere; denn für die mit ihm
angestrebte Fortsetzung der besonderen Auslandsverwendung des Antragstel-
lers im 29. Deutschen Einsatzkontingent ISAF fehlte in Ermangelung einer wei-
terbestehenden Kommandierung die tatsächliche und rechtliche Grundlage.
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Der Aufhebungsantrag ist daher als unzulässig zu verwerfen.
2. Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers kann nur in Gestalt eines
Fortsetzungsfeststellungsantrags gegen die Repatriierungsentscheidung weiter
verfolgt werden (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 22 und § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO).
Dabei ist Gegenstand der Überprüfung nicht (isoliert) die ursprüngliche Maß-
nahme, sondern die Maßnahme in der Gestalt, die sie durch die Entscheidung
über die Beschwerde und gegebenenfalls über die weitere Beschwerde erhal-
ten hat (Beschluss vom 12. August 2008 - BVerwG 1 WB 35.07 -
BVerwGE 132, 1 = Buchholz 450.1 § 19 WBO Nr. 2 jeweils Rn. 35 = NZWehrr
2009, 69; vgl. auch § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 23a Abs. 2 WBO). Dem
entspricht sinngemäß der zweite Sachantrag des Antragstellers.
a) Dieser Feststellungsantrag ist zulässig.
Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Entscheidung über die vorzeiti-
ge Beendigung eines Auslandseinsatzes bzw. einer besonderen Auslandsver-
wendung („Repatriierung“) einen Befehl dar (Beschlüsse vom 12. August 2008
- BVerwG 1 WB 35.07 - BVerwGE 132, 1 a.a.O., vom 28. September 2010
- BVerwG 1 WB 11.10 - und vom 1. Februar 2011 - BVerwG 1 WB 6.10 -). Im
Falle eines ausgeführten oder anders erledigten Befehls ist ein Fortsetzungs-
feststellungsantrag gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO
(hier in weiterer Verbindung mit § 22 WBO) ohne Weiteres zulässig, insbeson-
dere unabhängig davon, ob der betroffene Antragsteller ein Fortsetzungsfest-
stellungsinteresse dargelegt hat.
b) Der Feststellungsantrag ist jedoch nicht begründet.
Die vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des Antrag-
stellers war rechtmäßig und hat diesen nicht in seinen Rechten verletzt.
Ein Soldat hat keinen Anspruch auf eine bestimmte fachliche oder örtliche Ver-
wendung oder auf Verwendung auf einem bestimmten Dienstposten. Ein dahin-
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gehender Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten. Viel-
mehr entscheidet der zuständige Vorgesetzte oder die zuständige personalbe-
arbeitende Stelle über die Verwendung nach pflichtgemäßem Ermessen. Das
ihm nach § 3 Abs. 1 SG zustehende Verwendungsermessen hat das Bundes-
ministerium der Verteidigung im Sinne der Gewährleistung einer gleichmäßigen
Verwaltungspraxis (Art. 3 Abs. 1 GG) unter anderem in den Richtlinien zur Ver-
setzung, zum Dienstpostenwechsel und zur Kommandierung von Soldaten vom
3. März 1988 (VMBl S. 76), zuletzt geändert durch Erlass vom 9. Juni 2009
(VMBl S. 86) - im Folgenden: Versetzungsrichtlinien - gebunden. Die Praxis
orientiert sich auch in den Fällen der vorzeitigen Beendigung einer besonderen
Auslandsverwendung an den Versetzungsrichtlinien. Zu ihrer Umsetzung hat
das Einsatzführungskommando der Bundeswehr spezifische Regelungen in der
Handakte „Personalführung und -bearbeitung für Soldaten und Soldatinnen der
Bundeswehr in besonderen Auslandsverwendungen“ (EinsFüKdoBw - J 1 -
Az.: 16-01-00 vom 4. Januar 2008, für das vorliegende Verfahren maßgeblicher
Stand: März 2012) - im Folgenden: Handakte - getroffen. Diese Praxis ist, wie
der Senat wiederholt entschieden hat, rechtlich nicht zu beanstanden (Be-
schlüsse vom 12. August 2008 a.a.O. m.w.N., vom 28. September 2010
- BVerwG 1 WB 11.10 - und vom 22. März 2011 - BVerwG 1 WB 24.10 -
Rn. 31).
Gemäß Nr. 4 1. Spiegelstrich der Versetzungsrichtlinien kann ein Soldat ver-
setzt - hier: vorzeitig von einer besonderen Auslandsverwendung abgelöst -
werden, wenn ein dienstliches Bedürfnis besteht. Die Fallkonstellationen eines
dienstlichen Bedürfnisses sind in Nr. 806 der Handakte in Anlehnung an Nr. 5
der Versetzungsrichtlinien näher bestimmt. Die unter Berücksichtigung des
dienstlichen Bedürfnisses zu treffende Ermessensentscheidung des zuständi-
gen Vorgesetzten kann von den Wehrdienstgerichten darauf überprüft werden,
ob der Vorgesetzte den Soldaten durch Überschreiten oder Missbrauch dienst-
licher Befugnisse in seinen Rechten verletzt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO) bzw. die
gesetzlichen Grenzen des ihm insoweit zustehenden Ermessens überschritten
oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht hat (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 114 VwGO). Maß-
geblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung ist bei einem erledigten An-
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fechtungsantrag der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, spätestens
aber der Zeitpunkt, in dem sich die angefochtene Maßnahme erledigt hat (vgl.
Beschlüsse vom 12. August 2008 a.a.O. m.w.N., vom 28. September 2010
- BVerwG 1 WB 11.10 - und vom 1. Februar 2011 - BVerwG 1 WB 6.10 -). Das
war hier der 28. Februar 2013, der Zeitpunkt, an dem die Kommandierung des
Antragstellers zum 29. Deutschen Einsatzkontingent ISAF ursprünglich enden
sollte.
aa) Unter Beachtung dieser Maßgaben weist die Repatriierungsentscheidung
des - nach Nr. 801 Abs. 2 der Handakte dafür zuständigen - Kontingentführers
vom 19. Oktober 2012 in der Fassung des Beschwerdebescheids des General-
inspekteurs der Bundeswehr vom 1. Oktober 2013 keine materiellrechtlichen
Fehler auf.
Für die vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des An-
tragstellers bestand ein dienstliches Bedürfnis. Gemäß Nr. 806 4. Spiegelstrich
der Handakte (in Anlehnung an Nr. 5 Buchst. h der Versetzungsrichtlinien) liegt
ein dienstliches Bedürfnis regelmäßig vor, wenn unannehmbare Belastungen
des Dienstbetriebs durch Störungen, Spannungen oder Vertrauensverluste her-
vorgerufen werden, die nur durch vorzeitige Beendigung der besonderen Aus-
landsverwendung behoben werden können. Die generelle Frage, ob Störungen,
Spannungen und/oder Vertrauensverluste unter den beiden genannten Voraus-
setzungen ein dienstliches Bedürfnis für die Repatriierung begründen, ist in den
Grenzen des § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 114 VwGO gerichtlich voll überprüfbar.
Jedoch kommt, soweit es die prognostische Beurteilung betrifft, welche Auswir-
kungen das Verhalten des Antragstellers auf den - durch die besonderen ge-
genseitigen Pflichtenbindungen insbesondere der §§ 10 - 12 SG geprägten -
Dienstbetrieb hat, der Einschätzung des Kontingentführers (und im Beschwer-
deverfahren: der dort zuständigen Stellen) ein auch vom Gericht zu beachten-
der Vorrang zu (Beschluss vom 22. März 2011 - BVerwG 1 WB 24.10 - Rn. 34
m.w.N.).
Die angefochtene Repatriierungsentscheidung vom 19. Oktober 2012 in der
Fassung des Beschwerdebescheids des Generalinspekteurs der Bundeswehr
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gründet sich auf die im Ergebnis rechtsfehlerfreie Annahme, dass im Septem-
ber 2012 unannehmbare Belastungen des Dienstbetriebs im ... im
29. Deutschen Einsatzkontingent ISAF durch Vertrauensverluste zwischen dem
Antragsteller und seinem nächsten Disziplinarvorgesetzten eingetreten waren,
die nur durch die vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung
des Antragstellers behoben werden konnten. Die Vertrauensverluste finden ihre
Grundlage in dem bis zum maßgeblichen Zeitpunkt (28. Februar 2013) noch
nicht ausgeräumten Verdacht, dass der Antragsteller erhebliche schuldhafte
Dienstpflichtverletzungen begangen hat.
Allerdings enthält die Ausgangsentscheidung des Kommandeurs des Deut-
schen Einsatzkontingents ISAF Ermessensfehler. Denn diese Entscheidung ist
nicht von einer zutreffenden, vollständigen und richtig gedeuteten Tatsachenla-
ge ausgegangen (vgl. zu dieser Voraussetzung einer Ermessensentscheidung:
Beschluss vom 22. März 2011 - BVerwG 1 WB 24.10 - Rn. 35 m.w.N.) und trägt
auch den Abwägungserfordernissen einer Ermessensentscheidung über die
Repatriierung eines Soldaten nicht hinreichend Rechnung.
Der Kontingentführer stützt seine Entscheidung über die Ablösung des Antrag-
stellers darauf, dass „feststehe“, dass der Antragsteller gegen seine Dienst-
pflichten verstoßen habe. Der Antragsteller wendet insoweit zu Recht ein, dass
von einem feststehenden Dienstvergehen bisher nicht ausgegangen werden
kann, weil das gegen ihn eingeleitete gerichtliche Disziplinarverfahren bisher
nicht abgeschlossen ist. Mit seiner Einschätzung eines feststehenden Dienst-
vergehens geht der Kontingentführer inhaltlich auch über den Antrag des Kom-
mandeurs ... auf Ablösung des Antragstellers hinaus, der lediglich mit dem hin-
reichenden Verdacht von Dienstpflichtverletzungen des Antragstellers begrün-
det worden ist. Darüber hinaus mangelt es der Entscheidung des Kontingent-
führers teilweise an der hinreichenden Bestimmtheit der Vorwürfe, weil mit der
Feststellung, aufgrund „weiterer Sachverhalte“ sei mit der Einleitung eines ge-
richtlichen Disziplinarverfahrens zu rechnen, dem Antragsteller nicht ausrei-
chend erkennbar gemacht wird, welche einzelnen Aspekte insgesamt Grundla-
ge der Ablösungsentscheidung sein sollen. Nicht zuletzt lässt die Entscheidung
des Kontingentführers eine Abwägung zu der Frage vermissen, ob die Belas-
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tungen des Dienstbetriebs am Einsatzort nur durch eine vorzeitige Beendigung
der besonderen Auslandsverwendung behoben werden können oder alternative
Maßnahmen in Betracht kommen. Die Entscheidung vom 19. Oktober 2012 wä-
re aus den genannten Gründen - für sich betrachtet - deshalb rechtswidrig.
In dem hier vorliegenden Fall, dass dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung
ein Beschwerdeverfahren vorangegangen ist, ist jedoch - wie oben bereits dar-
gelegt - Gegenstand der Überprüfung nicht (isoliert) die ursprüngliche Maß-
nahme, sondern die Maßnahme in der Gestalt, die sie durch die Entscheidung
über die Beschwerde und gegebenenfalls über die weitere Beschwerde erhal-
ten hat. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat in dem Beschwerdebe-
scheid vom 1. Oktober 2013 den Eintritt des Vertrauensverlustes nicht auf ein
feststehendes Dienstvergehen, sondern ausdrücklich nur auf den Verdacht ge-
stützt, dass der Antragsteller ein Dienstvergehen begangen habe; er hat die für
die Repatriierung maßgeblichen Vorfälle im Einzelnen benannt und eine Bewer-
tung der dazu vorliegenden Zeugenaussagen vorgenommen .
Der Generalinspekteur der Bundeswehr war zu dieser Korrektur der Gründe
befugt. Die Beurteilung, ob ein dienstliches Bedürfnis im Sinne von Nr. 5
Buchst. h der Versetzungsrichtlinien und gemäß Nr. 806 der Handakte vorliegt,
ist nicht dem für die (Ausgangs-)Entscheidung über die vorzeitige Beendigung
der besonderen Auslandsverwendung zuständigen Kontingentführer persönlich
vorbehalten. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geht die Zuständigkeit für
diese Beurteilung vielmehr, wie auch sonst, auf den zur Entscheidung über die
Beschwerde bzw. die weitere Beschwerde berufenen nächsthöheren Diszipli-
narvorgesetzten über (vgl. dazu im Einzelnen: Beschluss vom 12. August 2008
a.a.O. Rn. 36).
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Die Annahme, dass bereits aufgrund des gegen den Antragsteller bestehenden
Verdachts eines Dienstvergehens ein dienstliches Bedürfnis für seine vorzeitige
Ablösung bestanden habe, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Vertrauensverluste, die den Dienstbetrieb unannehmbar belasten, können sich
nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur aus einem feststehenden
Dienstvergehen, sondern grundsätzlich auch schon aus dem Verdacht einer
schuldhaften Dienstpflichtverletzung durch einen Soldaten ergeben (stRspr, vgl.
Beschlüsse vom 29. Mai 2008 - BVerwG 1 WDS-VR 10.08 -, vom 12. August
2008 a.a.O., vom 28. September 2010 - BVerwG 1 WB 11.10 - und vom
25. Oktober 2011 - BVerwG 1 WB 36.11 - Rn. 34
fentlicht in Buchholz 449.7 § 23 SBG Nr. 9 = NZWehrr 2012, 77>). Hierfür ge-
nügen nicht beliebige aus der Luft gegriffene Beschuldigungen. Erforderlich ist
- je nach den Umständen des Einzelfalls - ein hinreichendes Maß an Konkret-
heit des Verdachts sowie ein hinreichendes Gewicht des Dienstvergehens, auf
das sich der Verdacht bezieht (Beschlüsse vom 12. August 2008 a.a.O. und
vom 25. Oktober 2011 a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Bereits am Einsatzort in ... wurden gegen den Antragsteller Ermittlungen mit
Vernehmungen des Antragstellers und zahlreicher Zeugen durchgeführt (§ 32
WDO), deren Ergebnisse die gegen ihn erhobenen Vorwürfe jedenfalls nicht als
haltlos erscheinen ließen. Von einer Haltlosigkeit der Vorwürfe könnte man
möglicherweise dann ausgehen, wenn der Antragsteller glaubhaft gemacht hät-
te, dass insbesondere zwischen ihm und Hauptmann G. eine ungetrübte Ar-
beitsbeziehung bestand. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Der Antragsteller hat
in der Begründung seiner weiteren Beschwerde (Schriftsatz vom 14. Juni 2013)
selbst dargelegt, dass zwischen ihm und dem Kompaniechef Hauptmann G.
„massive persönliche und fachliche Spannungen“ bestünden. Diese Spannun-
gen referiert der Antragsteller auch in seiner Eingabe an den Wehrbeauftragten
des Deutschen Bundestages vom 20. November 2012.
Die Frage, ob die am Einsatzort angehörten Zeugen im Rahmen ihrer mehrfa-
chen Vernehmungen am 2. Oktober 2012, am 7. Oktober 2012 und am
11. Oktober 2012 die gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe schlüssig
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bestätigt haben und in ihrer Person jeweils glaubwürdig sind oder nicht bzw. ob
einzelne Zeugen - unter Umständen mit Rücksicht auf die unterschiedlichen
Vernehmungspersonen - ihr Aussageverhalten verändert haben, wird das Trup-
pendienstgericht im gerichtlichen Disziplinarverfahren zu klären haben. Mit sei-
nem umfangreichen Vorbringen gegen die disziplinaren Vorwürfe im vorliegen-
den Verfahren verkennt der Antragsteller, dass das Beschwerdeverfahren zur
Überprüfung einer Repatriierungsentscheidung nicht an die Stelle eines (teil-
weise) sachgleichen gerichtlichen Disziplinarverfahrens tritt oder dessen Er-
gebnisse zu präjudizieren hat. Aufgabe des Repatriierungsverfahrens ist es al-
lein, der Sicherung und Aufrechterhaltung eines geordneten militärischen
Dienstbetriebs während eines Auslandseinsatzes zu dienen. Bei der hier in Re-
de stehenden Konstellation hängt die Zulässigkeit einer Repatriierung nicht da-
von ab, dass endgültig geklärt ist, ob der betroffene Soldat das Dienstvergehen,
dessen er verdächtig ist, schuldhaft begangen hat (Beschluss vom 25. Oktober
2011 a.a.O. Rn. 34).
Der gegen den Antragsteller bestehende Verdacht von schuldhaften Dienst-
pflichtverletzungen war am 28. Februar 2013 noch nicht ausgeräumt oder inso-
weit gemildert, dass er die Ablösung des Antragstellers nicht mehr hätte recht-
fertigen können. Vielmehr hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich
der ... Panzergrenadier... dem Truppendienstgericht ... unter dem 9. Juli 2013
eine Anschuldigungsschrift übermittelt, die die wesentlichen der strittigen Re-
patriierung zugrunde liegenden Vorwürfe (mit Ausnahme eines Verstoßes ge-
gen das Alkoholkonsumverbot) zum Gegenstand hat.
Dass die dem Antragsteller vorgehaltenen Verfehlungen - ihre Begehung unter-
stellt - ein erhebliches Gewicht haben, bedarf angesichts der spezifischen Ge-
fährdungslage in einer besonderen Auslandsverwendung, die auch der Antrag-
steller selbst wiederholt hervorhebt, keiner näheren Begründung. Mit der Auf-
gabe eines Kompanieeinsatzoffiziers im Auslandseinsatz, insbesondere der
Kompanieführung im täglichen Dienstbetrieb loyal zur Seite zu stehen, sind die
vorgehaltenen Verhaltensweisen des Antragstellers, die auch für dienstgrad-
niedrigere Soldaten der Kompanie wahrnehmbar waren, nicht in Einklang zu
bringen. Da die Zeugen I., H. und W. in ihren Vernehmungen vom 2. Oktober
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2012 bzw. vom 10. Oktober 2012 übereinstimmend ausgesagt haben, dass der
Antragsteller seinen Unmut über den Kompaniechef Hauptmann G. stets öffent-
lich sichtbar gemacht habe, offensichtlich ein Problem mit Hauptmann G. habe
und mehrmals pro Woche negative Äußerungen gegen die Kompanieführung
von sich gebe, ist auch die Einschätzung rechtlich nicht zu beanstanden, dass
die dadurch eingetretenen Vertrauensverluste eine unannehmbare Belastung
des Dienstbetriebs am Einsatzort darstellten.
Der vorzeitigen Beendigung des Auslandseinsatzes stand im Übrigen nicht ent-
gegen, dass der Antragsteller das Amt einer Vertrauensperson innehatte.
Eine Vertrauensperson genießt gegen eine (Rück-)Kommandierung aus dem
Ausland oder gegen die vorzeitige Beendigung einer besonderen Auslandsver-
wendung keinen zusätzlichen Schutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SBG (vgl. dazu
im Einzelnen: Beschluss vom 12. August 2008 a.a.O. Rn. 41). Für einen Ver-
stoß gegen das - hiervon unberührte - allgemeine Behinderungs- und Benach-
teiligungsverbot des § 14 Abs. 1 SBG gibt es keine Anhaltspunkte. Es ist vom
Antragsteller weder dargelegt noch für den Senat ersichtlich, dass die vorzeitige
Beendigung des Auslandseinsatzes in irgendeinem Zusammenhang mit der
Tätigkeit des Antragstellers als Vertrauensperson steht.
Die Einschätzung des Generalinspekteurs der Bundeswehr, dass die eingetre-
tenen unannehmbaren Belastungen des Dienstbetriebs nur durch eine vorzeiti-
ge Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des Antragstellers beho-
ben werden konnten, ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Rechtsfehler-
frei ist insofern insbesondere die Auffassung, dass ein weiteres Verbleiben des
Antragstellers im Einsatz im Hinblick auf die ordnungsgemäße und effektive
Auftragserfüllung des Einsatzkontingents nicht in Betracht gekommen sei, weil
der Antragsteller nicht die Gewähr dafür geboten habe, nicht mehr als „Störer-
quelle“ vor Ort zu wirken. Das von mehreren Zeugen detailliert geschilderte
Verhalten des Antragstellers legt den Schluss nahe, dass er nachhaltig und
wiederholt nicht nur seinen Aversionen gegen Hauptmann G. freien Lauf gelas-
sen hat, sondern auch anderen Personen der Kompanieführung und Soldaten
außerhalb der Kompanie (z.B. Major T.) ein abfälliges und von Aversionen ge-
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prägtes Auftreten entgegengebracht hat. Daher ist die Einschätzung plausibel
und nachvollziehbar, dass die Gefahr bestand, dass der Antragsteller auch bei
einer anderweitigen Verwendung im 29. Deutschen Einsatzkontingent ISAF an-
deren Soldaten, mit denen er im täglichen Dienstbetrieb sachlich und effektiv
zusammenarbeiten sollte, in einer Art und Weise hätte begegnen können, in der
er mögliche Vorurteile, persönliche Abneigung oder sonstige Friktionen direkt
und ungehemmt - auch gegenüber Dritten - zum Ausdruck bringt. Dass ein der-
artiges Verhalten angesichts der besonderen Anforderungen an Sicherheit und
Ordnung im Einsatzkontingent nicht hinnehmbar wäre, versteht sich von selbst.
bb) Die Repatriierungsentscheidung weist auch keine formellen Fehler auf.
Der Kommandeur ... war gemäß Nr. 807 der Handakte als (damaliger) nächst-
höherer Disziplinarvorgesetzter des Antragstellers für den auf dienstliche Grün-
de gestützten Repatriierungsantrag sachlich zuständig. Er hatte eine Stellung-
nahme des nächsten Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers eingeholt. Er
hat seinen Vorschlag gemäß Nr. 807 der Handakte ausführlich begründet und
dem Antragsteller im Rahmen einer Anhörung Gelegenheit gegeben, zu der
vorgeschlagenen vorzeitigen Beendigung der besonderen Auslandsverwen-
dung Stellung zu nehmen. Diese Anhörung ist verfahrensfehlerfrei durchgeführt
worden. Entgegen seiner gegenteiligen Behauptung hatte der Antragsteller hin-
reichende Gelegenheit, sich zu der beabsichtigten Maßnahme zu äußern. Eine
besondere Ausgestaltung der Anhörung - etwa durch die vorherige Gewährung
von Akteneinsicht - stand ihm in diesem Stadium des Verfahrens noch nicht zu.
Ein Recht auf Akteneinsicht im Vorgriff auf eine Repatriierungsentscheidung
ergibt sich weder aus § 3 Abs. 1 WDO, der über § 23a Abs. 1 WBO erst im
Wehrbeschwerdeverfahren anwendbar ist, noch aus der Handakte. Darauf ist
im Beschwerdebescheid des Generalinspekteurs der Bundeswehr zutreffend
hingewiesen worden.
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Der Umstand, dass die für die Offiziere des ... zuständige Vertrauensperson vor
der Entscheidung des Kontingentführers nicht förmlich angehört worden ist, hat
keine Rechte des Antragstellers verletzt.
Nach der Rechtsprechung des Senats folgt aus dem Soldatenbeteiligungsge-
setz im Falle der vorzeitigen Beendigung einer besonderen Auslandsverwen-
dung kein Anspruch auf Anhörung der Vertrauensperson; ein solcher Anspruch
kann auch nicht durch Ermessensselbstbindung der Bundeswehr begründet
werden (vgl. dazu im Einzelnen: Beschluss vom 25. Oktober 2011 - BVerwG
1 WB 36.11 - a.a.O. Rn. 43 ff.). In Betracht kam deshalb lediglich - wie auch in
Nr. 803 der Handakte vorgesehen - eine informelle Konsultation der Vertrau-
ensperson zu der beabsichtigten Repatriierung. Diese ist durchgeführt worden;
die Vertrauensperson hat sich am 18. Oktober 2012 zu der beabsichtigten Re-
patriierung des Antragstellers geäußert. Die Rügen des Antragstellers, die Ver-
trauensperson sei nicht voll umfänglich informiert worden und ihre Stellung-
nahme sei ihm, dem Antragsteller, nicht eröffnet worden, wirken sich deshalb
auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Ablösungsentscheidung nicht aus.
Das Vorbringen des Antragstellers zu Äußerungen der Truppenpsychologin und
zu Aspekten ihrer Schweigepflicht ist für die angefochtene Entscheidung eben-
falls ohne Relevanz, weil die Repatriierungsentscheidung nicht auf Äußerungen
der Truppenpsychologin gestützt ist.
Ohne Erfolg beanstandet der Antragsteller im Übrigen, dass Generalmajor P.
nicht berechtigt gewesen sei, einerseits die Repatriierungsentscheidung zu tref-
fen und andererseits die Einleitungsverfügung vom 6. März 2013 zu erlassen.
Die Zuständigkeit des Kontingentführers für die hier in Rede stehende Ent-
scheidung ergibt sich aus Nr. 801 Abs. 2 Satz 1 der Handakte. Eine mögliche
Koinzidenz dieser Zuständigkeit mit der wehrdisziplinarrechtlichen Zuständigkeit
des Generalmajor P., nach seiner Rückkehr aus dem Einsatz als Kommandeur
der ... Panzergrenadier... ein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen den
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Antragsteller einzuleiten, ist durch keine gesetzliche oder sonstige normative
Regelung ausgeschlossen.
Dr. von Heimburg
Dr. Frentz
Dr. Langer