Urteil des BVerwG vom 20.03.2012

Beurlaubung, Leiter, Im Bewusstsein, Luftwaffe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 18.11
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberstleutnant …,
…,
- Bevollmächtigter:
…,
… -
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß,
den ehrenamtlichen Richter Oberst Ahrens und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Streitenberger
am 20. März 2012 beschlossen:
Die an das Personalamt der Bundeswehr gerichteten
Schreiben des Leiters des Amtes für … der Bundeswehr
vom 19. April 2010 und vom 20. September 2010 sowie
der Beschwerdebescheid des Amtschefs des Luftwaffen-
amtes vom 9. Juli 2010 und der Beschwerdebescheid des
Inspekteurs der Luftwaffe vom 21. Februar 2011 werden
aufgehoben.
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Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesver-
waltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Ver-
fahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden
dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen zwei an das Personalamt der Bundeswehr
gerichtete Schreiben des Leiters des Amtes für … der Bundeswehr, in denen
dieser für den Antragsteller eine Entwicklungsprognose bis zur allgemeinen
Laufbahnperspektive festgestellt und empfohlen hat, die dem Antragsteller zu-
letzt 2008 bescheinigte individuelle Förderperspektive A 15 zu überprüfen.
Der Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf
des … 2014 enden wird. Zum Oberstleutnant wurde er mit Wirkung vom 1. April
1994 ernannt. Seit dem 1. August 1996 wird er im Amt für … der Bundeswehr in
F. - seit Juli 2002 als Dezernatsleiter … - verwendet. Vom 1. Oktober 2003 bis
zum 30. September 2011 wurde er unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge
zur Wahrnehmung einer hauptberuflichen Tätigkeit bei der D. GmbH beurlaubt.
Zum 30. September 2003 hatte der Antragsteller seine letzte planmäßige Be-
urteilung vor der Beurlaubung erhalten. Darin empfahl der beurteilende Vorge-
setzte den Antragsteller im Rahmen der „Verwendungsvorschläge“ auf weitere
Sicht für „fachbezogene Verwendung im technisch/betrieblichen Bereich höhere
Kommandobehörden/Kommandobehörden auf herausgehobenem Dienstposten
(A 15)“. Unter anderem mit diesem Verwendungsvorschlag erklärte sich der
nächsthöhere Vorgesetzte in seiner Stellungnahme einverstanden. Mit Be-
scheid vom 31. Oktober 2008 teilte das Personalamt der Bundeswehr dem An-
tragsteller mit, dass ihm in der Perspektivkonferenz I im Jahr 2008 die individu-
elle Förderperspektive A 15 zuerkannt worden sei.
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Während der Beurlaubung wurden mit dem Antragsteller bei der D. insgesamt
fünf Mitarbeitergespräche geführt, die am 24. Januar 2005, am 14. Dezember
2005, am 23. März 2007, am 19. Februar 2008 und am 27. Februar 2009 statt-
fanden.
Am 22. März 2010 eröffnete der Leiter des Amtes für … der Bundeswehr dem
Antragsteller folgendes Schreiben an das Personalamt im Entwurf:
„OTL … wird seit 01.10.2003 als beurlaubter Soldat
bei der D. eingesetzt. Die Beurlaubung endet am
30.09.2011. Mit Schreiben PersABw II 1 vom
31.10.2008 wurde er letztmalig über seine individuel-
le Förderperspektive A 15 unterrichtet. Bereits für
2009 wurde ihm die Verwendung auf einem heraus-
gehobenen Dienstposten bei WaSysKdoLw angebo-
ten. Dieses Angebot hat er unter Anführung von fa-
miliären Gründen und der Bindung an seinen Wohn-
ort abgelehnt. Daraufhin wurde seine Beurlaubung
verlängert.
In der D. wurde OTL … zunächst im Mode S Pro-
gramm als Programmmanager mit Führungsverant-
wortung eingesetzt. Mitte 2008 wechselte er in die
Funktion Referent Qualitätsmanagement, in der er
keine Führungsverantwortung wahrnimmt.
Mir liegen inzwischen die Protokolle von insgesamt
vier Mitarbeitergesprächen der DFS mit OTL … vor.
Die Auswertung ergibt, dass seine Leistung im Ein-
satz als Programmmanager im Durchschnitt den Er-
wartungen entsprach. In der Verwendung als Refe-
rent wird die Gesamtleistung als ‚übertrifft die Erwar-
tungen häufig’ bewertet. Durchgängig durch alle Ge-
spräche bewegen sich die Einzelbewertungen zwi-
schen 4 (‚entspricht den Erwartungen’) und 5 (‚über-
trifft die Erwartungen häufig’). Lediglich in der Kate-
gorie Fachkenntnis und Selbstständigkeit werden
vereinzelt höhere Bewertungen (6 = ‚übertrifft die
Erwartungen regelmäßig’) erzielt. Herausragende
Bewertungen, also 7 (‚übertrifft die Erwartungen re-
gelmäßig in besonderem Maße’) werden in keinem
Fall abgegeben. Insgesamt entspricht sein Leis-
tungsbild in der D. also überwiegend den Erwartun-
gen.
Diese Feststellung des Führungspersonals in der D.
deckt sich mit dem mir bekanntgewordenen Feed-
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back aus verschiedenen Veranstaltungen mit militäri-
schen Vertretern, an denen OTL … beteiligt war.
Auch meine eigenen Beobachtungen aus persönli-
chen Gesprächen mit OTL … ergänzen dieses Bild
nahtlos.
Das somit entstandene Leistungsbild von OTL …
lässt nach meiner Auffassung nicht das notwendige
und auch kein weiteres, für eine Verwendung auf der
Ebene A 15 zu erschließendes Potenzial erkennen.
Sein Leistungsbild hält einem Vergleich mit anderen
Stabsoffizieren aus meinem Bereich, denen ebenfalls
eine solche Perspektive zuerkannt wurde, nicht
stand. Darüber hinaus ist das für einen erfolgreichen
Werdegang als Offizier der Luftwaffe erforderliche
Kriterium der Mobilität nicht in hinreichendem Maße
zu erkennen, da sich sein örtlicher Verwendungsbe-
reich auf die Nähe zu seinem Wohnort begrenzt.
Ich sehe daher eine Entwicklungsprognose bis zur
allgemeinen Laufbahnperspektive und empfehle, die
Förderperspektive dahingehend zu überprüfen.
I.
Oberst“
Dieses Schreiben sandte der Leiter des Amtes für … der Bundeswehr unter
dem Datum des 19. April 2010 an das Personalamt, ohne eine Stellungnahme
des Antragstellers abzuwarten oder das Schreiben mit ihm zu erörtern.
Mit Schreiben an den Amtschef des Luftwaffenamtes vom 16. Mai 2010 be-
schwerte sich der Antragsteller gegen den Amtsleiter und erklärte, seine Be-
schwerde stehe im Zusammenhang mit den Vorkommnissen am 22. März
2010; Beschwerdeanlass sei das Schreiben vom 19. April 2010 an das Perso-
nalamt, das ihm in Kopie am 21. April 2010 zugegangen sei. Zur Begründung
führte er aus, er habe am 22. März 2010, seinem ersten Arbeitstag nach länge-
rer Erkrankung und einer mehrstündigen Operation am 27. Januar 2010, ein
Gespräch mit Oberst I. geführt. Dieser habe ihm den Entwurf des beurteilungs-
ähnlichen Schreibens an das Personalamt bekanntgegeben und erklärt, darin
darstellen zu wollen, dass seine, des Antragstellers, Leistungen während der
Beurlaubungszeit nicht ausreichend gewesen seien, um die Förderperspektive
A 15 aufrechtzuerhalten. Er, der Antragsteller, habe erfolglos versucht, gegen
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die Absicht des Amtsleiters zu argumentieren. Dieser habe ihn aufgefordert, für
die Folgewoche mit dem Vorzimmer einen Gesprächstermin zu verabreden.
Gegen 13 Uhr an diesem Tag habe er, der Antragsteller, seinen Hausarzt auf-
gesucht, dessen Untersuchung eine Verschlechterung seines Gesundheitszu-
stands ergeben habe. Seit dem 25. März 2010 sei er arbeitsunfähig. Er habe
deshalb den zunächst vereinbarten Gesprächstermin am 29. März 2010 absa-
gen müssen. Das Schreiben vom 19. April 2010 sei ohne sein Einverständnis
und ohne die gemäß Nr. 618 ff. ZDv 20/6 und § 29 Abs. 5 SG vorgeschriebenen
Verfahren zur Anhörung und Erörterung an das Personalamt versandt worden.
Er sei nach wie vor krank und nicht arbeitsfähig.
In der Sache rüge er, dass Oberst I., der seit Juli 2008 sein nächster Diszipli-
narvorgesetzter sei, nur vier Mitarbeitergespräche erwähne, obwohl tatsächlich
fünf Mitarbeitergespräche mit ihm stattgefunden hätten. In dem aktuellsten Mit-
arbeitergespräch aus dem Jahr 2009 werde ihm ausdrücklich das „Potenzial für
eine Führungskarriere“ bescheinigt. Grundlagen für die Zuerkennung der För-
derperspektive seien nach seiner Auffassung seine guten militärischen Leistun-
gen als Dezernent und zuletzt als Dezernatsleiter … im Amt für … der Bundes-
wehr gewesen. In Kenntnis und unter entsprechender Berücksichtigung der
Protokolle sei ihm die A 15-Perspektive erneut zugesprochen und anschließend
ein nach Besoldungsgruppe A 15 bewerteter Dienstposten angeboten worden.
Überdies weise er darauf hin, dass die derzeitig gültigen Beurteilungssysteme
der Bundeswehr und der D. - nicht nur nach seiner Meinung - prinzipiell nicht
direkt vergleichbar seien. Im Beurteilungssystem der D. werde sehr stark auf
die mit dem Mitarbeiter getroffenen Zielvereinbarungen reflektiert. Damit werde
die vergleichende Bewertung von Leistungen zwischen einzelnen Mitarbeitern
in direkter Weise abhängig vom Erfüllungsgrad der vereinbarten Ziele. Ohne
Kenntnis der Zielvereinbarung sei die Wertung der D.-Gespräche nahezu un-
möglich und könne nicht Grundlage für einen Leistungsvergleich sein. In Anlage
9/2 zur ZDv 20/6 werde auf eine Sonderregelung für die zur D. beurlaubten
Soldaten hingewiesen. In der insoweit maßgeblichen „Vorläufigen Richtlinie für
die Förderung von Offizieren, die unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge zur
Wahrnehmung hauptberuflicher Tätigkeiten bei der D. GmbH beurlaubt sind“
vom 20. Juni 1997 sei festgelegt, dass für die Dauer der Beurlaubung keine
Beurteilungen nach den Bestimmungen der ZDv 20/6 erstellt werden. Die Richt-
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linie betreffe im Übrigen die Verfahren zur Auswahl, Beförderung und Dienst-
postenbesetzung für Dienstposten innerhalb der D. . Der einschlägige Fall der
Förderung eines mit A 15-Perspektive zur D. beurlaubten Stabsoffiziers auf ei-
nen Dienstposten außerhalb der D. (also auf einen A 15-Bundeswehr-
Dienstposten) sei in dieser Richtlinie hingegen nicht geregelt. Die Hinweise im
Schreiben vom 19. April 2010 auf das dem Leiter „bekanntgewordene Feed-
back aus verschiedenen Veranstaltungen mit militärischen Vertretern“ verstie-
ßen eindeutig gegen die Beurteilungsbestimmungen der ZDv 20/6. Das Schrei-
ben habe Beurteilungscharakter. Ihm sei nicht erläutert worden, welche Veran-
staltungen oder welche militärischen Vertreter hier - aus seiner Sicht wider-
rechtlich - angeführt würden. Dabei könne es sich wohl kaum um korrekte Be-
urteilungsbeiträge handeln. Er habe in einem Telefongespräch am 19. April
2010 Oberst I. erklärt, dass er für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit nicht in
der Lage sei, eine Stellungnahme zu verfassen. Er sei deshalb davon ausge-
gangen, dass das ganze Verfahren ruhe, bis er wieder in der Lage sei, die ihm
nach der ZDv 20/6 zustehenden Möglichkeiten zur Erörterung und Stellung-
nahme wahrzunehmen.
Unter dem 16. Juni 2010 nahm der Leiter des Amtes für … der Bundeswehr
gegenüber dem Luftwaffenamt zu der Beschwerde des Antragstellers Stellung
und führte aus, aufgrund seiner Beobachtungen in den beiden zurückliegenden
Jahren sei er zu dem Schluss gekommen, dass die Perspektive A 15 für den
Antragsteller nicht mehr sachgerecht sei. Im Bewusstsein, dass für beurlaubte
Soldaten keine Beurteilungen erstellt würden, habe er sich dennoch in der
Pflicht gesehen, einschlägige Erkenntnisse an das Personalamt weiterzugeben.
Hinsichtlich der kurz zurückliegenden Beurteilungsrunde für die Stabsoffiziere
und der zum Zeitpunkt der Ereignisse bevorstehenden Potenzialkonferenzen
sei es seine Absicht gewesen, dem Personalamt „entlang den Regeln der
ZDv 20/6“ noch rechtzeitig vor der Potenzialkonferenz seine Erkenntnisse mit-
zuteilen und eine Neuberatung bzw. Neufestsetzung der Perspektive für den
Antragsteller zu erwirken. Er erläuterte im Einzelnen den Ablauf des Gesprächs
am 22. März 2010 und erklärte abschließend, der Vorgang werde, sobald er die
formalen Kriterien erfülle, in der Personalnebenakte dokumentiert werden.
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Mit Beschwerdebescheid vom 9. Juli 2010 wies der Amtschef des Luftwaffen-
amtes die Beschwerde des Antragstellers mit der Begründung zurück, diesem
fehle die erforderliche Beschwer. Das angefochtene Schreiben seines nächsten
Disziplinarvorgesetzten an das Personalamt stelle einen internen Vorgang der
Willensbildung dar. Derartige vorbereitende Handlungen unterlägen nicht der
Nachprüfung in einem Beschwerdeverfahren, weil sie keine unmittelbare Aus-
wirkung auf den Soldaten hätten. Daher liege bei innerdienstlichen Vorgängen,
die eine abschließende Entscheidung lediglich vorbereiteten, noch keine Be-
schwer vor. Selbst die Ergebnisse der Beratungen von Perspektivkonferenzen
dienten nur der Vorbereitung von Personalentscheidungen.
Die dagegen eingelegte weitere Beschwerde des Antragstellers vom 10. August
2010 wies der Inspekteur der Luftwaffe mit Beschwerdebescheid vom 21. Fe-
bruar 2011 zurück. Er führte darin aus, dass das Schreiben vom 19. April 2010
einen verwaltungsinternen Vorgang darstelle, der der Willensbildung habe die-
nen sollen. Das persönliche Verhalten von Oberst I. sei in der Gesamtschau als
pflichtgemäß, vorschriftenkonform und dem Antragsteller gegenüber als trans-
parent zu erachten. Oberst I. habe die Absicht gehabt, dem Personalamt unter
Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften insbesondere der ZDv 20/6
noch rechtzeitig vor der Perspektivkonferenz seine Erkenntnisse mitzuteilen
und eine Neuberatung bzw. Neufestsetzung der Perspektive für den Antragstel-
ler zu erwirken. Bei Aushändigung des Entwurfs des Schreibens sei der Antrag-
steller ausdrücklich auf die Möglichkeit der schriftlichen Äußerung hingewiesen
worden. Diese Möglichkeit habe der Antragsteller wahrnehmen wollen. Bisher
sei es aber nicht zu einem Erörterungsgespräch gekommen, weil der Antrag-
steller seit dem damaligen Zeitpunkt krank zu Hause sei. Um dem Personalamt
dennoch das Schreiben rechtzeitig vor der Perspektivkonferenz zur Kenntnis zu
bringen, habe Oberst I. nach Absprache mit dem Personalamt diesem eine Ab-
lichtung des ausgehändigten Entwurfs vorgelegt und dabei ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass dieses Dokument noch nicht nach den Vorgaben der
ZDv 20/6 formell eröffnet worden und eine schriftliche Stellungnahme des An-
tragstellers zu erwarten sei. Ziel des Personalamts sei es gewesen, den Vor-
gang in der Personalkonferenz zu öffnen, ihn jedoch für eine Sonderberatung
zurückzustellen, bis die formalen Erfordernisse erfüllt seien. Die beurteilungs-
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ähnlichen Erkenntnisse, die Oberst I. als nächster Disziplinarvorgesetzter ge-
wonnen habe, stützten sich ohne Rechtsfehler auf die Mitarbeitergespräche mit
dem Führungspersonal der D. GmbH, auf eigene und auf ergänzende Beobach-
tungen von Mitarbeitern des Amtes für … der Bundeswehr, die ihm berichtet
worden seien. Insgesamt sei ein Verstoß gegen Nr. 618, Nr. 619 ZDv 20/6 oder
gegen § 29 Abs. 5 SG nicht zu erkennen.
Gegen diesen ihm am 22. Februar 2011 zugestellten Bescheid hat der Antrag-
steller durch seinen Bevollmächtigten am 21. März 2011 die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Den Antrag hat der Inspekteur der Luft-
waffe mit Schreiben vom 29. März 2011 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Unter dem 20. September 2010 hat der Leiter des Amtes für … der Bundes-
wehr dem Personalamt ein mit dem Entwurf vom 22. März 2010 und mit dem
Text vom 19. April 2010 wortgleiches Schreiben übersandt und darin vermerkt,
dass eine Erörterung mit dem Antragsteller nicht erfolgt sei.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens wiederholt der Antragsteller
sein Beschwerdevorbringen und führt ergänzend insbesondere aus:
Die Stellungnahmen vom 19. April 2010 und vom 20. September 2010 hätten
Beurteilungscharakter. Sie seien einer dienstlichen Beurteilung gleichzustellen.
Davon gehe auch der Amtsleiter selbst aus, wenn er in seiner Äußerung vom
16. Juni 2010 von beurteilungsähnlichen Erkenntnissen spreche. Der Amtschef
des Luftwaffenamtes habe dies in seiner Stellungnahme vom 30. November
2010 ebenfalls so gewertet. In den angefochtenen beurteilungsähnlichen Stel-
lungnahmen bündelten sich die bereits im Beschwerdeverfahren gerügten
Rechtsverstöße. Der Disziplinarvorgesetzte habe im Zeitpunkt der Abgabe sei-
ner Stellungnahmen keinen ausreichenden Kenntnisstand über die Leistungen
und die Leistungsfähigkeit des zu Beurteilenden gehabt. Er habe sich auch
nicht bemüht, aktuelle Kenntnisse darüber zu erlangen. Dies stelle keine aus-
reichende Basis für eine derartig weitgreifende negative Aussage dar, wie
Oberst I. sie vorgenommen habe. Eine Kommunikation zwischen ihm, dem An-
tragsteller, und Oberst I. habe insoweit nicht stattgefunden. Der vorliegende Fall
zeige, dass im Zuge der Privatisierung der Flugsicherung und der Beurlaubung
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der Soldaten der ganz wesentliche Bereich der Personalführung nicht ausrei-
chend und nicht praxistauglich geregelt worden sei. Dies werde durch den
Amtsvorgänger von Oberst I., Oberst a.D. D., in dessen schriftlicher Äußerung
vom 3. Juni 2010 bestätigt. Das mangelhafte Regelungswerk ermögliche erst
einen Fall wie den vorliegenden. Militärische Beurteilungen gebe es nicht. Die
Beurteilungen der D.-Vorgesetzten seien nicht aussagekräftig genug. Da von
dem nächsten Disziplinarvorgesetzten keine förmlichen Beurteilungen im Sinne
der ZDv 20/6 erstellt werden könnten, fehle auch das Regulativ durch Stellung-
nahmen der nächsthöheren Vorgesetzten.
Der Antragsteller beantragt,
die an das Personalamt der Bundeswehr gerichteten be-
urteilungsähnlichen Stellungnahmen des Leiters des Am-
tes für ... der Bundeswehr vom 19. April 2010 und vom
20. September 2010 aufzuheben.
Der Inspekteur der Luftwaffe beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er verteidigt den Inhalt seines Beschwerdebescheids vom 21. Februar 2011.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Schriftsätze der Beteiligten und der Akten Bezug genommen. Die Beschwerde-
akte des Inspekteurs der Luftwaffe - Fü L RB 25-05-11/B ... mit eingehefteter
Beiakte - und die Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, ha-
ben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
1. Der Sachantrag des Antragstellers ist zulässig.
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Er ist sach- und interessengerecht dahin auszulegen, dass der Antragsteller
nicht nur die Aufhebung der beanstandeten Schreiben des Leiters des Amtes
für … der Bundeswehr vom 19. April 2010 und vom 20. September 2010 bean-
tragt, sondern auch die Aufhebung der Beschwerdebescheide des Amtschefs
des Luftwaffenamtes sowie des Inspekteurs der Luftwaffe vom 9. Juli 2010 bzw.
vom 21. Februar 2011.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 22, § 21 Abs. 1,
Abs. 2 Satz 1 WBO) ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig, wenn
der Antragsteller eine dienstliche Maßnahme oder Unterlassung angreift und
dabei eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines
Vorgesetzten ihm gegenüber geltend macht. Das setzt voraus, dass die Maß-
nahme oder Unterlassung des Vorgesetzten unmittelbar gegen den Soldaten
gerichtet ist oder - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechts-
verletzung oder eines Verstoßes gegen Vorgesetztenpflichten in seine Rechts-
sphäre hineinwirkt. Maßnahmen in diesem Sinne können auch - unabhängig
von ihrer Gestaltungsform - schriftliche oder mündliche Äußerungen sein, die
der Vorgesetzte im militärischen Über- und Unterordnungsverhältnis über einen
Soldaten abgibt (stRspr: vgl. z.B. Beschlüsse vom 6. November 1991 - BVerwG
1 WB 42.91 - BVerwGE 93, 186 = NZWehrr 1992, 163, vom 18. November
1997 - BVerwG 1 WB 46.97 - BVerwGE 113, 158 = Buchholz 236.1 § 10 SG
Nr. 27 = NZWehrr 1998, 26 und vom 22. Dezember 2004 - BVerwG 1 WB
30.04 -). Insoweit stellen insbesondere dienstliche Beurteilungen wehrdienstge-
richtlich anfechtbare Maßnahmen im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO dar,
weil sie in die Rechte des beurteilten Soldaten auf gleichmäßige Einhaltung der
Beurteilungsgrundsätze und des Beurteilungsverfahrens eingreifen können
(stRspr: z.B. Beschlüsse vom 26. Mai 2009 - BVerwG 1 WB 48.07 - BVerwGE
134, 59, Rn. 27
Nr. 14>, vom 25. Oktober 2011 - BVerwG 1 WB 51.10 - Rn. 19
chung in BVerwGE und in Buchholz vorgesehen> und vom 13. Dezember 2011
- BVerwG 1 WB 8.11 - Rn. 21). Überlegungen, Bewertungen, Stellungnahmen
oder Zwischenentscheidungen, die lediglich der Vorbereitung von truppen-
dienstlichen Maßnahmen oder Personalmaßnahmen dienen, sind hingegen als
Elemente innerdienstlicher Meinungsbildung noch keine die Rechte eines Sol-
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daten unmittelbar berührenden Maßnahmen; sie sind einer selbstständigen ge-
richtlichen Nachprüfung nicht zugänglich (stRspr: z.B. Beschluss vom
27. Februar 2003 - BVerwG 1 WB 55.02 - Buchholz 311 § 17 WBO Nr. 51 =
NZWehrr 2003, 171).
Die angefochtenen Schreiben des Leiters des Amtes für … der Bundeswehr
stellen unter Beachtung dieser Maßgaben anfechtbare truppendienstliche Maß-
nahmen dar.
a) Der Leiter des Amtes für … der Bundeswehr hat als truppendienstlicher Vor-
gesetzter des Antragstellers gehandelt.
Die Beschäftigung beurlaubter Soldaten bei der D. GmbH erfolgt auf arbeitsver-
traglicher Grundlage. Das ergibt sich aus Nr. 1 letzter Satz des Erlasses über
die „Beurlaubung von Soldaten unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge zur
Wahrnehmung hauptberuflicher Tätigkeiten bei der D. GmbH
lass>“ - BMVg P II 1 - Az.: 16-35-00/2 vom 24. Januar 1994 - Stand: Oktober
2005 (Referat PSZ I 1) - und aus § 4 Abs. 8 der Vereinbarung zwischen dem
Bundesministerium für Verkehr und dem Bundesministerium der Verteidigung
über die Wahrnehmung der Flugsicherungsaufgaben für den überörtlichen mili-
tärischen Luftverkehr durch die D. GmbH vom 18. Januar 1994 i.d.F. vom
29. August 1996. Nach Nr. 5 des Beurlaubungserlasses werden die Soldatinnen
und Soldaten, soweit nichts anderes bestimmt wird, vor der Beurlaubung zum
Amt für … der Bundeswehr versetzt; sie haben sich dort zum Dienstantritt zu
melden. Die truppendienstliche Unterstellung bleibt dann für die Dauer der Be-
urlaubung unverändert. Insoweit bestimmt die „Vorläufige Richtlinie für die För-
derung von Offizieren, die unter Wegfall der Geld- und Sachbezüge zur Wahr-
nehmung hauptberuflicher Tätigkeiten bei der D. GmbH beurlaubt sind“ - BMVg
P II 1 - Az.: 16-02-09/-05-18/-30-00/-32-01 - vom 20. Juni 1997 in Abschn. II. 2,
dass der Leiter des Amtes für … der Bundeswehr nächster Disziplinarvorge-
setzter der zur D. beurlaubten Offiziere ist.
b) Die strittigen Schreiben des Leiters des Amtes für … der Bundeswehr sind
nicht als lediglich vorläufige Bewertungen oder interne Vorgänge der Willensbil-
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dung ohne Außenwirkung zu qualifizieren. Vielmehr stellen sie materiell eine
Beurteilung des Antragstellers dar.
Das ergibt sich bereits aus und der beiden Schreiben. Der Amts-
leiter hat sie so gegliedert, dass er zunächst die vom Antragsteller bei der D.
wahrgenommenen Aufgaben und Tätigkeiten im Einzelnen beschrieben, ferner
seine eigenen Beurteilungsgrundlagen benannt und sodann die Aufgabenerfül-
lung durch den Antragsteller nach einer in der D. verwendeten Wertungsskala
mit den Sätzen beurteilt hat: „Die Auswertung ergibt, dass seine Leistung im
Einsatz als Programmmanager im Durchschnitt den Erwartungen entsprach.“
und „Insgesamt entspricht sein Leistungsbild in der D. also überwiegend den
Erwartungen.“ Diese beurteilungsgleichen Wertungen hat der Amtsleiter im
Rahmen der Wiedergabe seiner weiteren Beurteilungserkenntnisse durch Aus-
sagen Dritter untermauert. Er hat anschließend aus dem Inhalt seiner Wertun-
gen - im Leistungsvergleich mit anderen Stabsoffizieren seines Bereichs -
Schlussfolgerungen für die Verwendung des Antragstellers auf der Ebene der
Besoldungsgruppe A 15 gezogen. Die Schreiben enden mit einer abschließen-
den Aussage zum Potenzial des Antragstellers und mit einer definitiven Erklä-
rung zu der aus Sicht des Amtsleiters für den Antragsteller gebotenen Entwick-
lungsprognose.
Dieser Aufbau und der Inhalt des Textes korrespondieren mit den wesentlichen
Strukturelementen einer förmlichen (planmäßigen) Beurteilung, wie sie insbe-
sondere in Nr. 603, Nr. 607 und Nr. 609 i.V.m. Anlage 4 ZDv 20/6 für den be-
urteilenden Vorgesetzten und in Nrn. 904 ff., Nr. 910 ZDv 20/6 für den Stellung
nehmenden nächsthöheren Vorgesetzten festgelegt sind. Daran ändert sich
nichts durch den Umstand, dass am Schluss der Schreiben nur eine „Empfeh-
lung“ zur Überprüfung der Förderperspektive gegeben wird. Damit hat der
Amtsleiter lediglich der ebenfalls in der ZDv 20/6 verankerten Tatsache Rech-
nung getragen, dass für Perspektivkonferenzen nicht die beurteilenden Vorge-
setzten zuständig sind, sondern die Personalführung (Nr. 102 Buchst. c ZDv
20/6).
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Die Stellungnahmen vom 19. April 2010 und vom 20. September 2010 sollten
außerdem nach dem Willen des Amtsleiters, wie dieser in seiner Äußerung vom
16. Juni 2010 selbst ausgeführt und der Inspekteur der Luftwaffe im Beschwer-
debescheid unterstrichen hat, als faktische aktuelle Beurtei-
lung des Leistungsstandes des Antragstellers „entlang den Regeln der ZDv
20/6“ gelten. Das Schreiben vom 19. April 2010 sollte „beurteilungsähnlich“ sein
und dem Personalamt mit diesem Inhalt noch vor der anstehenden Perspektiv-
konferenz zur Kenntnis gebracht werden. Erklärtes Ziel des Amtsleiters war es,
auf dieser Basis eine Neufestsetzung der Perspektive für den Antragsteller zu
erwirken und die ihm in der Perspektivkonferenz 2008 zuerkannte Perspektive
A 15 überprüfen zu lassen. Daher hatte der Amtsleiter eine Absprache mit dem
Personalamt getroffen, diesem schon das Entwurfsschreiben ohne vorherige
Erörterung mit dem Antragsteller und ohne Abwarten seiner angekündigten
Stellungnahme unmittelbar vorzulegen. Absicht des Personalamts war es dann,
den Vorgang „in der Perspektivkonferenz zu öffnen“, ihn also jedenfalls schon in
die Perspektivkonferenz einzuführen.
Die Schreiben vom 19. April 2010 und vom 20. September 2010 sollten an-
schließend (wie Beurteilungen) in die Personalgrundakte des Antragstellers
aufgenommen werden. Das ist auch so geschehen.
c) Der Antragsteller hat darüber hinaus - wie dies § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO vo-
raussetzt - eine Verletzung seiner ihm zustehenden Rechte geltend gemacht,
namentlich seines Rechts auf Einhaltung der Regelungen über das Beurtei-
lungsverfahren.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Die Schreiben des Amtsleiters vom 19. April 2010 und vom 20. September
2010 sind rechtswidrig, weil sie unter Verletzung von Verfahrensvorschriften
zustande gekommen sind, die zur Wahrung des Grundsatzes der Chancen-
gleichheit im Beurteilungsverfahren einzuhalten waren. Sie verletzen den An-
tragsteller daher in seinem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).
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Der Amtsleiter hat seine Stellungnahmen abgegeben, ohne dazu durch die ver-
fahrensregelnden Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung über die
Leistungsbewertung der zur D. beurlaubten Soldaten ermächtigt zu sein.
Die zitierte Vorläufige Richtlinie vom 20. Juni 1997 legt in Abschnitt I fest, dass
Beurteilungen nach den Bestimmungen der ZDv 20/6 für die Dauer der Be-
urlaubung nicht erstellt werden. Beim Vergleich der zur D. beurlaubten Offiziere
in den jeweiligen Werdegängen der Offiziere des Truppendienstes bzw. der Of-
fiziere des militärfachlichen Dienstes untereinander müssen für die zu erstellen-
den Verwendungs- und Beförderungsreihenfolgen u.a. Assessmentcenter-
Ergebnisse, Leistungsnachweise und Leistungstestate sowie betriebsinterne
Reihungen der D. herangezogen werden. Leistungstestate und D.-interne Rei-
hungen basieren auf dem „Führungs- und Fördersystem (FFS)“ der D. Nach
Abschnitt II. 2 der Richtlinie bleibt die Zuständigkeit für die Personalbearbeitung
gemäß ZDv 14/5 B 125 unverändert bei der bisherigen personalbearbeitenden
Stelle. Diese Stelle ist auch während der Beurlaubung für den Verwendungs-
aufbau und die Förderung der Offiziere verantwortlich. Die vertrauensvolle, en-
ge Zusammenarbeit der personalbearbeitenden Stelle mit der D. wird vom Bun-
desministerium der Verteidigung in der Richtlinie als Voraussetzung für eine
sachgerechte Personalführung der beurlaubten Offiziere bezeichnet. Zwischen
D. und personalbearbeitender Stelle ist deshalb durch geeignete Maßnahmen
der gleiche Informationsstand über beurlaubte Soldaten sicherzustellen; dazu
stellt die D. der personalbearbeitenden Stelle alle wesentlichen Personalunter-
lagen (z.B. Beurteilungen, Erlaubnisse, Berechtigungen) zur Verfügung.
Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass nur die D. selbst „Lieferant“ des bei ihr
entstandenen Materials ist, das der personalbearbeitenden Stelle die weitere
Verwendungsplanung und den Verwendungsaufbau der beurlaubten Offiziere
ermöglichen soll. Der Leiter des Amtes für … Bundeswehr ist zwar nächster
Disziplinarvorgesetzter der beurlaubten Offiziere, aber nach der eindeutigen
Regelung in Abschn. II. 2 der Richtlinie nur für die Organisation der Zusam-
menarbeit zwischen der D. und der personalbearbeitenden Stelle verantwortlich
(„Die Zusammenarbeit mit der D. erfolgt deshalb grundsätzlich über das
A…Bw“). Diese Zusammenarbeit erstreckt sich auch auf die Übermittlung der
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Beurteilungen der D. Eine eigenständige Beurteilungskompetenz wird dem
Amtsleiter in der Richtlinie jedoch weder ausdrücklich noch inzident zugewie-
sen. Erst recht ist ihm eine Beurteilung der beurlaubten Offiziere nach den Be-
stimmungen der ZDv 20/6 oder eine beurteilungsgleiche Äußerung „entlang den
Regeln der ZDv 20/6“ untersagt.
b) Selbst wenn - außerhalb dieser Richtlinie - im Geschäftsbereich der perso-
nalbearbeitenden Stellen eine ständige Verwaltungspraxis bestehen sollte, dem
Amtsleiter speziell für die Perspektivkonferenzen, in die auch die beurlaubten
Offiziere einbezogen werden, eine Beurteilung über deren Potenzial und eine
Aussage zur Entwicklungsprognose zu gestatten, sind die angefochtenen Stel-
lungnahmen rechtswidrig, weil eine derartige Verwaltungspraxis nicht mit höher-
rangigem Recht zu vereinbaren ist.
Die normative Ermächtigungsgrundlage in § 2 SLV bestimmt formelle und mate-
rielle Mindeststandards für die Beurteilung der Soldatinnen und Soldaten. Dazu
gehört als zentrale Bestimmung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 SLV das Prinzip der
Zweistufigkeit der Beurteilung, das durch die Bewertungen eines Erstbeurteilers
und durch die hinzutretende eigenständige Stellungnahme des nächsthöheren
Vorgesetzten gekennzeichnet ist. Nach dem ausdrücklichen Norminhalt und
den eng formulierten Ausnahmebestimmungen in § 2 Abs. 3 Satz 2 und 3 SLV
stellt die Zweistufigkeit der Beurteilung den Regelfall dar. Diese Grundstruktur
soll einerseits die hinreichende „Nähebeziehung“ des beurteilenden Vorgesetz-
ten zu dem beurteilten Soldaten (vgl. dazu Beschluss vom 26. Mai 2009
- BVerwG 1 WB 48.07 - BVerwGE 134, 59 = Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002
Nr. 14 ) und andererseits die etwas distanzierte, auch den
übergreifenden Eignungs- und Leistungsvergleich einbeziehende Überprü-
fungsfunktion des nächsthöheren Vorgesetzten sicherstellen. Die Zweistufigkeit
der Beurteilung erschöpft sich damit nicht in einer Verfahrensgestaltung, son-
dern enthält grundlegende materielle Garantien für den beurteilten Soldaten; sie
soll gewährleisten, dass der nächsthöhere Vorgesetzte seine eigenständige
„verantwortliche Einschätzung“, also die inhaltliche Kontrolle der Wertungen des
Erstbeurteilers tatsächlich leisten kann (§ 2 Abs. 3, Abs. 8 Satz 2 Nr. 2 SLV).
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Mit dieser normativen Vorgabe ist eine Verwaltungspraxis, in der die zur D. be-
urlaubten Offiziere faktisch nur von einem einzigen Disziplinarvorgesetzten be-
urteilt werden, nicht zu vereinbaren.
Wenn das Bundesministerium der Verteidigung eine truppendienstliche Beurtei-
lung der zur D. beurlaubten Offiziere für erforderlich hält, um Ungleichbehand-
lungen der beurlaubten und der nicht beurlaubten Offiziere in den Perspektiv-
konferenzen zu vermeiden, muss es dazu eine an den Vorgaben des § 2 SLV
orientierte Verwaltungsvorschrift erlassen und das geltende Beurteilungsverbot
aufheben. Diese Voraussetzung ist aber zur Zeit nicht erfüllt.
c) Angesichts der dargelegten Rechtsfehler bei der Erstellung der strittigen
Schreiben kann offen bleiben, ob sie verfahrensfehlerhaft zustande gekommen
sind, weil der Amtsleiter sie dem Personalamt der Bundeswehr übermittelt hat,
ohne die nach Nr. 618 bis Nr. 620 ZDv 20/6 erforderliche Erörterung mit dem
Beurteilten durchzuführen und ohne eine förmliche Stellungnahme des Antrag-
stellers abzuwarten.
d) Die angefochtenen Schreiben des Amtsleiters und die dazu ergangenen Be-
schwerdebescheide vom 9. Juli 2010 und vom 21. Februar 2011 sind deshalb
gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO aufzuheben. Auch
das zweite Schreiben des Amtsleiters vom 20. September 2010 unterliegt der
Aufhebung, obwohl der Antragsteller es nicht gesondert mit der Beschwerde
angefochten hat. Gegen dieses Schreiben musste der Antragsteller nach den
Grundsätzen der „wiederholenden Verfügung“ (vgl. dazu Beschluss vom
13. Oktober 2008 - BVerwG 1 WDS-VR 14.08 - Rn. 28 m.w.N.) keinen geson-
derten Rechtsbehelf einlegen, weil sein Inhalt wortidentisch mit dem Schreiben
vom 19. April 2010 ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1
WBO.
Golze Dr. Frentz Rothfuß
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