Urteil des BVerwG vom 21.07.2011

Beurteilungsspielraum, Soldat, Polizei, Sicherheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 12.11
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberfeldwebel …,
…,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Major Kaminski und
den ehrenamtlichen Richter Stabsfeldwebel Kadach
am 21. Juli 2011 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in
seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3)
durch den Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Verteidigung.
Der 1985 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit mit einer festgesetzten
Dienstzeit von zwölf Jahren, die mit Ablauf des 30. September 2016 enden
wird. Zum Oberfeldwebel wurde er am 25. September 2009 ernannt. Zum
1. Oktober 2008 war er zur .../Bataillon … in F. versetzt worden. Dort ist er seit
dem 17. Mai 2010 bei der .../Bataillon … eingesetzt. Seit dem 3. August 2010
übt er keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr aus.
Für den Antragsteller wurde zuletzt am 15. April 2010 eine erweiterte Sicher-
heitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) ohne Einschränkungen ab-
geschlossen.
Mit Nachberichten vom 7. April 2010 und vom 3. August 2010 teilte der Sicher-
heitsbeauftragte des Bataillons … dem Militärischen Abschirmdienst mit, dass
sich zur Person des Antragstellers sicherheitserhebliche Erkenntnisse ergeben
hätten. Im Rahmen des nach § 16 Abs. 2 SÜG eingeleiteten Prüfungsverfah-
rens wurde bekannt, dass das Amtsgericht F. mit Strafbefehl vom 20. Juli 2010
(Az.: 43 Cs - 3 Js 4447/10), rechtskräftig seit dem 16. August 2010, wegen ei-
ner am 5. April 2010 begangenen Trunkenheit im Straßenverkehr mit einer
Blutalkoholkonzentration von 1,40 ‰, wegen Gefährdung des Straßenverkehrs
sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine Gesamtgeldstrafe von
65 Tagessätzen zu je 30 € gegen den Antragsteller festgesetzt, ihm die Fahrer-
laubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von neun Monaten
angeordnet hatte. Wegen dieses Sachverhalts wurde gegen den Antragsteller
ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet, in dem nach Auskunft des
Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 5. Juli 2011 der Vorsitzende
der zuständigen Kammer des Truppendienstgerichts den Erlass eines Diszipli-
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nargerichtsbescheids (Beförderungsverbot für die Dauer von 18 Monaten) an-
gekündigt hat.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 hörte der Geheimschutzbeauftragte im
Bundesministerium der Verteidigung den Antragsteller zu den genannten si-
cherheitserheblichen Erkenntnissen an. In seiner Stellungnahme vom
20. Oktober 2010 legte der Antragsteller dar, er habe sich eingehend mit seiner
Trunkenheitsfahrt und deren Folgen beschäftigt. Er übernehme die volle Ver-
antwortung für seine Tat und deren Folgen. Er habe sich nach der Tat selbst bei
der Polizei gemeldet. Ihm sei auch bewusst, dass die Folgen wesentlich
schlimmer hätten ausfallen können und zum Glück niemand zu Schaden ge-
kommen sei. Er bedauere, dass er andere Menschen in Gefahr gebracht und er
sich nicht seiner Stellung bei der Bundeswehr entsprechend verhalten habe.
Nach Auskunft des Bundesministers der Verteidigung hat der Disziplinarvorge-
setzte des Antragstellers am 27. Oktober 2010 eine befürwortende Äußerung
über den Antragsteller abgegeben und diesem sehr gute dienstliche Leistungen
bescheinigt; er hat darauf hingewiesen, dass der Antragsteller für die Rettung
eines Kameraden während eines Einsatzes im ... Deutschen Einsatzkontingent
in Afghanistan verschiedene Auszeichnungen erhalten habe und als absolut
zuverlässig gelten könne.
Mit Schreiben vom 3. November 2010, dem Antragsteller am 10. November
2010 eröffnet, teilte der Geheimschutzbeauftragte dem Antragsteller mit, dass
er die Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen und ein Sicherheitsrisiko festge-
stellt habe. Zur Begründung verwies er auf das strafrechtlich geahndete Fehl-
verhalten des Antragstellers und betonte insoweit, das unerlaubte Entfernen
vom Unfallort wiege besonders schwer; damit habe der Antragsteller gezeigt,
dass er nicht zu seinen Fehlern stehe und nicht bereit sei, die notwendigen
Konsequenzen zu tragen. Sein Verhalten begründe die Besorgnis, dass er ge-
gebenenfalls persönliche Interessen vor die Rechtsordnung und die sich daraus
ergebenden Pflichten stellen könne. Gerade bei der Wahrnehmung einer si-
cherheitsempfindlichen Tätigkeit komme es auf die genaue Beachtung und Ein-
haltung von Vorschriften, Befehlen und Gesetzen an. Es bestünden erhebliche
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sicherheitsrechtliche Zweifel, dass der Antragsteller bei Verstößen gegen VS-
Vorschriften oder bei Verlusten von VS-Material nicht uneingeschränkt und ver-
zugslos zu seinen Fehlern stehen werde, sodass es zu nicht absehbaren Fol-
gen für den Dienstherrn kommen könne. Aufgrund der Einlassung des An-
tragstellers, dass er sich nach dem Vergehen bei der Polizei gemeldet habe,
angesichts der von ihm geäußerten Einsicht in sein Verhalten sowie im Hinblick
auf die positive Bewertung seiner Person durch seinen Vorgesetzten erklärte
der Geheimschutzbeauftragte, dass bereits nach Ablauf von drei Jahren bei
Bedarf eine Wiederholungsüberprüfung eingeleitet werden könne.
Mit Bescheid vom 3. November 2010 stellte der Geheimschutzbeauftragte fest,
dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3)
Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten; die Entscheidung
schließe auch einen Einsatz des Antragstellers in einer sicherheitsempfindli-
chen Tätigkeit nach Ü 1/Ü 2 aus. Die Feststellung des Sicherheitsrisikos gelte
bis zum Ablauf des Oktober 2013. Das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung
wurde dem Antragsteller am 11. November 2010 durch die Stammdienststelle
der Bundeswehr eröffnet.
Mit Schreiben vom 23. November 2010 legte der Antragsteller gegen die Ent-
scheidung des Geheimschutzbeauftragten „Einspruch“ ein. Diesen Rechtsbe-
helf hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - als Antrag auf gerichtli-
che Entscheidung gewertet und den Antrag mit seiner Stellungnahme vom
21. März 2011 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller insbe-
sondere vor:
Zum Unfallzeitpunkt habe er unter Schock gestanden und sei aufgrund seiner
Alkoholisierung nicht dazu in der Lage gewesen, den Vorfall zu verstehen und
objektiv zu beurteilen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt habe er realisiert, was
vorgefallen sei. Natürlich sei er dann bereit gewesen, die Verantwortung dafür
zu übernehmen. Seine Vorgesetzten hätten ihm bestätigt, dass er in ihren Au-
gen weiterhin vertrauenswürdig sei. Im Umgang mit VS-Material werde er nie-
mals fahrlässig vorgehen und diesbezügliche Fehler unverzüglich seinen Vor-
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gesetzten melden. Er sei bereit, sich zum Ausschluss einer Alkoholgewöhnung
einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Im Übrigen verstehe er nicht,
warum er in drei Jahren vertrauenswürdiger sein solle als jetzt.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er trägt vor, das strafrechtlich sanktionierte Verhalten des Antragstellers sei
geeignet, Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicher-
heitsempfindlichen Tätigkeit zu begründen. Bereits das Führen von Kraftfahr-
zeugen im öffentlichen Straßenverkehr mit einer hohen Blutalkoholkonzentrati-
on lasse auf ein nachhaltig mangelndes Verantwortungsbewusstsein schließen.
Das Führen von Kraftfahrzeugen unter erheblicher Alkoholisierung bedeute eine
Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs und damit auch eine Gefahr für
Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer. Erschwerend komme die Ver-
kehrsunfallflucht hinzu, die erkennen lasse, dass der Antragsteller nicht bereit
sei, sich den unangenehmen Folgen eines von ihm verursachten Unfalls zu
stellen. Dem Umstand, dass sich der Antragsteller wenige Stunden nach dem
Unfall in Begleitung seiner Eltern bei der Polizei gemeldet habe, komme dabei
keine wesentliche Bedeutung zu. Der vom Antragsteller geltend gemachte
Schock im Zeitpunkt des Unfalls führe zu keiner anderen Bewertung seines
Fehlverhaltens. Er müsse sich insoweit vorwerfen lassen, sich durch seinen
Alkoholkonsum und die anschließende Autofahrt erst in die Situation begeben
zu haben, die letztlich zu der Unfallflucht geführt habe. Dieses Verhalten zeuge
von mangelndem Verantwortungsbewusstsein. Im Rahmen der Prognose be-
dürfe es noch eines längeren Zeitraums, in dem der Antragsteller weiterhin
durch sein Verhalten im inner- und außerdienstlichen Bereich zeigen müsse,
dass er zuverlässig sei und verantwortungsbewusst handle. Die Meldung des
Antragstellers bei der Polizei, seine gezeigte Einsicht und die positive Bewer-
tung seiner Person durch seine Vorgesetzten habe dazu geführt, dass der Zeit-
raum für eine Wiederholungsüberprüfung von fünf Jahren auf drei Jahre habe
verkürzt werden können.
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Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der
Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bun-
desministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 1349/10 - und die Personal-
grundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
1. Der Bundesminister der Verteidigung hat den „Einspruch“ des Antragstellers
vom 23. November 2010 zutreffend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung
durch das Bundesverwaltungsgericht gewertet (§ 21 Abs. 1 WBO). Das hat
auch der Antragsteller mit seinem Schriftsatz vom 17. Februar 2011 klargestellt.
Der Antragsteller hat keinen förmlichen Sachantrag gestellt. Bei sach- und inter-
essengerechter Auslegung seines Vorbringens beantragt er sinngemäß, den
Bescheid des Geheimschutzbeauftragen im Bundesministerium der Verteidi-
gung vom 3. November 2010 über die Feststellung eines Sicherheitsrisikos auf-
zuheben.
2. Dieser Antrag ist zulässig.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach
ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des ent-
sprechenden Bescheids angefochten werden (vgl. Beschlüsse vom 24. Mai
2000 - BVerwG 1 WB 25.00 -
111, 219 und in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 9>, vom 20. Januar 2009
- BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 18 m.w.N., vom 21. Juli 2010 - BVerwG 1 WB
68.09 Rn. 17 - und vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 25).
3. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Bundesministerium der Ver-
teidigung vom 3. November 2010 ist - unter Berücksichtigung des Begrün-
dungsschreibens des Geheimschutzbeauftragten vom selben Tag - rechtmäßig
und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle dieses Bescheides ist die Sach- und
Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister
der Verteidigung an den Senat (stRspr, Beschlüsse vom 27. September 2007
- BVerwG 1 WDS-VR 7.07 -
§ 14 SÜG Nr. 13>, vom 11. März 2008 - BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130,
291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 und vom 21. Juli 2010
- BVerwG 1 WB 68.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 23 Rn. 21).
Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist
eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit aus-
schließen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 11. März 2008 a.a.O.
Rn. 23> m.w.N.). Die Beurteilung des Sicherheitsrisikos, die zugleich eine
Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Soldaten und seiner
Verhältnisse darstellt, darf sich dabei nicht auf eine vage Vermutung oder eine
rein abstrakte Besorgnis stützen, sondern muss auf der Grundlage tatsächlicher
Anhaltspunkte getroffen werden. Dabei gibt es keine „Beweislast”, weder für
den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr
bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass
der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig
nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001
- BVerwG 1 WB 54.01 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 S. 17, vom 8. März
2007 - BVerwG 1 WB 63.06 Rn. 22 - und vom 22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB
53.08 Rn. 24 -; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -
BVerfGE 39, 334 <353>).
Zuständig für die Entscheidung, ob in der Person des Antragstellers ein Sicher-
heitsrisiko vorliegt, ist hier gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbindung
mit Nr. 2416 ZDv 2/30 der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der
Verteidigung.
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a) Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Per-
son eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur ein-
geschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle
beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzli-
chen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige
Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen
Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr. des Bundesverwaltungsgerichts,
vgl. z.B. Urteile vom 15. Februar 1989 - BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258
<264> = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2 und vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C
33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> = Buchholz 442.40 § 29d LuftVG Nr. 1; Be-
schlüsse vom 11. März 2008 a.a.O. , vom 1. Oktober 2009
- BVerwG 2 VR 6.09 - juris Rn. 15, vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB
16.10 Rn. 30 und vom 1. Februar 2011 - BVerwG 1 WB 40.10 - Rn. 22 jeweils
m.w.N.).
An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung aus
den nachfolgenden Erwägungen fest:
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet einen möglichst lückenlosen gerichtlichen
Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe
der öffentlichen Gewalt (vgl. - auch zum Folgenden - die ständige Rechtspre-
chung des BVerfG, z.B. Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerf-
GE 103, 142 <156 f.> und zuletzt Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 -
juris Rn. 68 ff.). Aus diesem Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle
folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Akte der öffentli-
chen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen.
Beruht die angefochtene Entscheidung auf der Anwendung unbestimmter
Rechtsbegriffe, ist deren Konkretisierung ebenfalls grundsätzlich Sache der Ge-
richte, die die Rechtsanwendung der Exekutive uneingeschränkt nachzuprüfen
haben. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes schließt es aber nicht aus, dass
durch den Gesetzgeber eröffnete Gestaltungs-, Ermessens- und Beurteilungs-
spielräume sowie die Tatbestandswirkung von Exekutivakten die Durchführung
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der Rechtskontrolle durch die Gerichte einschränken. Gerichtliche Kontrolle
kann nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Instanz, deren
Entscheidung überprüft werden soll; sie endet deshalb dort, wo das materielle
Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhal-
ten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und
Auswahlspielraum belässt.
Mit den Begriffen „Eignung, Befähigung und fachliche Leistung“ eröffnet Art. 33
Abs. 2 GG dem Dienstherrn bei dem prognostischen Urteil über die dienstrecht-
liche Eignung eines Bewerbers um ein öffentliches Amt einen Beurteilungsspiel-
raum, dessen gerichtliche Kontrolle sich darauf beschränkt, ob der Dienstherr
von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Be-
griff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, ver-
kannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen
angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Dieser Beurtei-
lungsspielraum besteht vornehmlich bei dienstlichen Beurteilungen mit Pro-
gnosecharakter (vgl. z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2002 - 2 BvR
723/99 - DVBl 2002, 1203 = NJW 2003, 127) sowie bei Entscheidungen über
die Berufung in das Beamtenverhältnis und über die beamtenrechtliche Beför-
derung (BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334
<354>; Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - BVerfGE 108, 282
<296>; Kammerbeschluss vom 11. Mai 2011 - 2 BvR 764/11 - juris Rn. 10). § 3
Abs. 1 SG übernimmt die Maßstäbe des Art. 33 Abs. 2 GG in das Soldatenrecht
sowohl für den statusrechtlichen Bereich der Ernennung als auch für die Ver-
wendung von Soldaten. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats besteht
deshalb auch bei der prognostischen Beurteilung der Eignung eines Soldaten
für eine bestimmte Verwendung ein Beurteilungsspielraum des zuständigen
(militärischen) Vorgesetzten, und zwar bei dienstpostenbezogenen Eignungsur-
teilen für höherwertige Dienstposten (Beschlüsse vom 16. Dezember 2008
- BVerwG 1 WB 19.08 - BVerwGE 133, 13 = Buchholz 449 § 3 SG Nr. 50
weils Rn. 46> und vom 23. Februar 2010 - BVerwG 1 WB 36.09 -
nicht veröffentlicht in Buchholz 449.2 § 2 SLV 2002 Nr. 17> jeweils m.w.N.) und
für Dienstposten, die im Wege der „Querversetzung“ nach den Richtlinien zur
Versetzung, zum Dienstpostenwechsel und zur Kommandierung von Soldaten
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(vom 3. März 1988 in der zuletzt geänderten Fassung vom
9. Juni 2009 ) besetzt werden sollen (vgl. z.B. Beschlüsse vom
20. Juli 2005 - BVerwG 1 WDS-VR 1.05 - Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 36, vom
30. November 2006 - BVerwG 1 WB 29.06 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 40
Rn. 29, vom 26. Februar 2008 - BVerwG 1 WB 47.07 - und vom 24. März 2009
- BVerwG 1 WB 46.08 -
Nr. 52>).
Die dienstrechtliche Eignung eines Soldaten für eine Verwendung, die mit dem
Zugang zu Verschlusssachen verbunden ist bzw. in einem formell festgelegten
Sicherheitsbereich stattfindet (§ 1 Abs. 2 SÜG) oder eine sicherheitsempfindli-
che Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 4, Abs. 5 SÜG darstellt, wird entscheidend
durch die Komponente geprägt, ob der Soldat die Gewähr bietet, die Sicher-
heitsinteressen der Bundeswehr zu wahren. Diese sicherheitsrechtliche Eig-
nung des Betroffenen ist Bestandteil seiner dienstrechtlichen Eignung für die
Verwendung; fehlt sie, kann der Soldat nicht in einer für ihn eingeplanten si-
cherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet werden (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1
SÜG, ferner z.B. Beschlüsse vom 28. April 1988 - BVerwG 1 WB 61.88 - und
vom 8. August 2007 - BVerwG 1 WB 52.06 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 12
Rn. 27). Entfällt die sicherheitsrechtliche Eignung des Soldaten nachträglich,
besteht nach Nr. 5 Buchst. g der zitierten Versetzungsrichtlinien ein dienstliches
Bedürfnis für die Wegversetzung von seinem bisher innegehabten Dienstposten
(vgl. z.B. Beschluss vom 26. Oktober 1999 - BVerwG 1 WB 29.99 -).
Die Entscheidung über die insoweit gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 SÜG erforder-
liche Sicherheitsüberprüfung hat der Gesetzgeber aber nicht den personalbear-
beitenden Dienststellen der Bundeswehr oder den für Auswahl- und/oder Ver-
wendungsentscheidungen zuständigen Vorgesetzten übertragen, sondern der
„zuständigen Stelle“ im Sinne des § 3 Abs. 1 SÜG. Deren Aufgaben nach dem
Sicherheitsüberprüfungsgesetz sind gemäß § 3 Abs. 1 Satz 3 SÜG von einer
von der Personalverwaltung Organisationseinheit wahrzunehmen.
Das ist hier gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 35 Abs. 3 SÜG i.V.m. Nr. 2416
ZDv 2/30 der Geheimschutzbeauftragte im Bundesministerium der Verteidi-
gung.
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Die sicherheitsrechtliche Prognose des zuständigen Geheimschutzbeauftragten
und seine abschließende Entscheidung über die Frage des Bestehens eines
Sicherheitsrisikos (§ 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG) binden die personalbearbei-
tenden Dienststellen der Bundeswehr und die zuständigen Vorgesetzten bei
ihren Verwendungsentscheidungen. Aufgrund der speziellen Ermächtigungs-
grundlage in § 35 Abs. 3 SÜG regelt die ZDv 2/30 (Teil C „Sicherheitsüberprü-
fung“) dazu Folgendes: Gemäß Nr. 2710 Abs. 1 Satz 1 ZDv 2/30 hat der Ge-
heimschutzbeauftragte, wenn er die Verwendung des Betroffenen in sicher-
heitsempfindlicher Tätigkeit wegen Vorliegens eines Sicherheitsrisikos ablehnt,
den Sicherheitsbeauftragten (mit Nebenabdruck für die personalbearbeitende
Stelle) und den Militärischen Abschirmdienst (als mitwirkende Behörde im Sinne
des § 3 Abs. 2 SÜG) zu unterrichten; der Sicherheitsbeauftragte der Beschäfti-
gungsstelle des Betroffenen unterrichtet unverzüglich den Dienststellenleiter
und leitet den Nebenabdruck der Mitteilung des Geheimschutzbeauftragten an
die zuständige personalbearbeitende Stelle weiter (Nr. 2710 Abs. 3 ZDv 2/30).
Die personalbearbeitende Stelle ist anschließend gemäß Nr. 2712 Abs. 1 ZDv
2/30 verpflichtet, die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten in eine
dienst- oder arbeitsrechtliche Maßnahme umzusetzen und den Betroffenen
über die Ablehnung der Verwendung in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit zu
unterrichten. Mit der Regelung in Nr. 2712 Abs. 1 ZDv 2/30 wird die Entschei-
dung des Geheimschutzbeauftragten also nicht dem Ermessen der personalbe-
arbeitenden Stelle unterstellt, eine Umsetzung erfolgen soll; vielmehr wird
deren originärer Beurteilungsspielraum dergestalt übersteuert, dass eine Um-
setzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten in eine dienst- oder
arbeitsrechtliche Maßnahme erfolgen . Damit nimmt den eignungsbezo-
genen Beurteilungsspielraum im Sinne einer „Letztentscheidungsbefugnis“ (vgl.
Grupp, in: FS Blümel, 1999, S. 139 ff <146>; BVerfG, Urteil vom 20. Februar
2001 - 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 <157>; Beschluss vom 31. Mai 2011
- 1 BvR 857/07 - juris Rn. 75) inhaltlich nicht mehr die personalbearbeitende
Stelle, sondern allein der Geheimschutzbeauftragte wahr. Mit diesem Inhalt wird
die ermessenslenkende und ermessensbindende Verwaltungsvorschrift in
Nr. 2712 Abs. 1 ZDv 2/30 in ständiger Verwaltungspraxis gehandhabt. Das ist
dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Verfahren bekannt. Diese ständige
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Verwaltungspraxis entspricht exakt der gesetzlichen Anordnung, dass ein Be-
troffener nur nach einer positiven sicherheitsrechtlichen Prognose im Sinne des
§ 5 SÜG in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet werden darf (§ 2
Abs. 1 Satz 1 SÜG; ausnahmsweise vorzeitig nach § 15 Abs. 1 SÜG schon vor
Abschluss der Sicherheitsüberprüfung).
Da die Überprüfung und die Feststellung der sicherheitsrechtlichen Eignung des
Betroffenen ausschließlich dem zuständigen Geheimschutzbeauftragten über-
tragen sind und ihr Ergebnis für die personalbearbeitende Stelle bei ihren Ver-
wendungsentscheidungen unmittelbare Bindungswirkung entfaltet, ist dem Ge-
heimschutzbeauftragten materiell insoweit ein Teilaspekt des dem Dienstherrn
hinsichtlich der Eignung eingeräumten Beurteilungsspielraums zur abschlie-
ßenden Entscheidung übertragen.
Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats, der dabei wiederholt
maßgeblich an den Eignungsaspekt angeknüpft hat (vgl. dazu: Beschlüsse vom
12. Dezember 1985 - BVerwG 1 WB 8.85 - BVerwGE 83, 90 <94 f.> = NZWehrr
1986, 204 und vom 12. Januar 1983 - BVerwG 1 WB 60.79 - BVerwGE 76, 52
<53> = NZWehrr 1983, 112). Der Beurteilungsspielraum des Geheimschutzbe-
auftragten ist außerdem im Fall eines beim Bundesnachrichtendienst verwende-
ten Berufssoldaten vom 6. Revisionssenat (Urteil vom 15. Februar 1989
- BVerwG 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <264> = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2
S. 6 f.), im Fall eines beim Bundesnachrichtendienst verwendeten Beamten
vom 2. Revisionssenat (Beschluss vom 1. Oktober 2009 - BVerwG 2 VR 6.09 -
juris Rn. 14 f.) sowie im Rahmen der Abgrenzung zur luftverkehrsrechtlichen
Zuverlässigkeit auch vom 3. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts
(Urteil vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 33.03 - BVerwGE 121, 257 <262> =
Buchholz 442.40 § 29d LuftVG S. 4 f.) bestätigt worden.
Der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare Beurteilungsspielraum des Ge-
heimschutzbeauftragten ist gesetzlich außerdem in § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG
verankert, wonach „im Zweifel“ das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen
Belangen hat. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift erschöpft sich nicht in ei-
ner formellen Verfahrenspflicht für den Geheimschutzbeauftragten, die Sicher-
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heitsinteressen mit anderen, insbesondere mit den persönlichen Belangen des
Betroffenen abzuwägen. § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG ordnet zusätzlich den mate-
riellen Vorrang der Sicherheitsinteressen an. Das entspricht der ausdrücklichen
Intention des Gesetzgebers, der in § 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG die Sicherheit des
Staates als einer verfassten Friedens- und Ordnungsmacht und die vom Staat
zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung als unverzichtbare Verfas-
sungswerte schützen will (Begründung des Entwurfs der Bundesregierung für
ein „Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüber-
prüfungen des Bundes vom 12. Februar
1993, BRDrucks 97/93, S. 64 f. zu § 14 mit Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom
1. August 1978 - 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 - BVerfGE 49, 24 <56 f.>). An die-
ser Stelle räumt der Gesetzgeber dem insoweit nach § 14 Abs. 3 Satz 1 SÜG
zuständigen Geheimschutzbeauftragten als einer besonders sachkundigen
Stelle bei der Prüfung und Abwägung der „Zweifel“ eine fachliche Einschät-
zungsprärogative ein, welches Gewicht den staatlichen Sicherheitsinteressen
- bezogen auf die jeweils in Rede stehende sicherheitsempfindliche Tätigkeit -
im Verhältnis zu anderen Belangen beizumessen ist. Diese fachliche Einschät-
zungsprärogative ist vornehmlich geprägt durch die sicherheitsrechtlichen As-
pekte der Herstellung und Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft (vgl. § 1
Abs. 5 Satz 2 SÜG), der Interessen und der Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland (vgl. § 4 Abs. 2 SÜG) und der Gefährdung durch Anbahnungs-
und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2, § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 17 SÜG). Die genannten Aspekte betreffen ange-
sichts ihrer ständigen Wandelbarkeit und Abhängigkeit von (verteidigungs-)
politischen Rahmenbedingungen Materien mit hoher Komplexität und besonde-
rer Dynamik, bei deren Überprüfung und Bewertung die Gerichte an die Funkti-
onsgrenzen der Rechtsprechung stoßen. Eine derartige Konstellation rechtfer-
tigt es, der zuständigen und mit einer speziellen fachlichen Expertise ausgestat-
teten Stelle der Exekutive - hier dem Geheimschutzbeauftragten - einen Beur-
teilungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 a.a.O.
und Kammerbeschluss vom 29. Mai 2002 - 2 BvR 723/99 - DVBl 2002, 1203 =
NJW 2003, 127; ein fachlich determinierter Beurteilungsspielraum - dort die na-
turschutzfachliche Einschätzungsprärogative der Planfeststellungsbehörde -
wird ebenso in den Urteilen vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - BVerwGE
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126, 166 = Buchholz 406.400 § 42 BNatSchG 2002 Nr. 1 und
vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 A 20.08 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 208
Rn. 60 bejaht).
Angesichts dessen kann offen bleiben, ob der Beurteilungsspielraum des Ge-
heimschutzbeauftragten zusätzlich darin seine Grundlage findet, dass mit der
Entscheidung über die Feststellung eines Sicherheitsrisikos die Sicherheitsinte-
ressen der Bundeswehr geschützt werden sollen, auf die sich im Rahmen der
Aufgabenerfüllung der Bundeswehr auch der verteidigungspolitische Beurtei-
lungsspielraum des Bundesministers der Verteidigung (vgl. Urteil vom 14. De-
zember 1994 - BVerwG 11 C 18.93 - BVerwGE 97, 203 <209> = Buchholz
442.40 § 30 LuftVG Nr. 5 S. 4) erstrecken kann.
Mit der Anerkennung eines eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspiel-
raums des Geheimschutzbeauftragten wird im Übrigen wirksamer Rechtsschutz
für betroffene Soldaten nicht in Frage gestellt. Das dokumentieren nicht zuletzt
Entscheidungen des Senats aus jüngerer Zeit, in denen die Feststellung eines
Sicherheitsrisikos wegen unrichtiger oder unvollständiger Erfassung des Sach-
verhalts, wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als einen
allgemeingültigen Wertmaßstab, wegen fehlerhafter Prognose oder wegen Ver-
fahrensfehlern aufgehoben bzw. im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
beanstandet worden sind (vgl. z.B. Beschlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG
1 WB 63.06 -, vom 26. Juni 2007 - BVerwG 1 WB 59.06 - Buchholz 402.8 § 5
SÜG Nr. 21 Rn. 25 f., vom 27. September 2007 - BVerwG 1 WDS-VR 7.07 -
Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 Rn. 23 ff., vom 24. November 2009 - BVerwG
1 WB 6.09 -, vom 24. November 2009 - BVerwG 1 WB 52.09 - und vom 15. De-
zember 2009 - BVerwG 1 WB 58.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 20 f.
und Rn. 28 f.).
Da dem Geheimschutzbeauftragten - wie dargelegt - die Einschätzung eines
dienstrechtlich relevanten Sicherheitsrisikos obliegt, handelt es sich bei seiner
Entscheidung nicht, wie der 2. Revisionssenat in seinem Urteil vom 31. März
2011 - BVerwG 2 A 3.09 - (juris Rn. 38) meint, um eine „Gefahrenprognose im
Bereich des Ordnungsrechts“. In diesem Urteil hat der 2. Revisionssenat die
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Auffassung vertreten, die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten unter-
liege einer unbeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Dem vermag sich der
beschließende Senat aus den dargelegten Gründen nicht anzuschließen. Da
der 2. Revisionssenat seine Auffassung allerdings ausdrücklich nur als obiter
dictum formuliert und seinen stattgebenden Urteilsausspruch auf einen anderen
Gesichtspunkt gestützt hat (vgl. a.a.O. Rn. 43), besteht keine Möglichkeit für
eine Vorlage an den Großen Senat des Bundesverwaltungsgerichts gemäß
§ 11 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 VwGO.
b) Die Feststellung des Geheimschutzbeauftragten im Bescheid vom
3. November 2010, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko
vorliegt, hält die Grenzen des Beurteilungsspielraums ein.
Der Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen oder unvollstän-
digen Sachverhalt ausgegangen.
Bei der Sachverhaltserfassung hat er zutreffend das Verhalten des Antragstel-
lers berücksichtigt, das dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts F.
vom 20. Juli 2010 zugrunde liegt. Den Ablauf des strafrechtlich geahndeten
Vorfalls hat der Antragsteller nicht bestritten, sondern ausdrücklich zugestanden
und eingeräumt, die Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen. Insoweit
hat der Geheimschutzbeauftragte die Stellungnahme des Antragstellers vom
20. Oktober 2010 berücksichtigt und außerdem zu dessen Gunsten seine nach-
trägliche Meldung des Vorfalls bei der Polizei, die von ihm geäußerte Einsicht in
sein Fehlverhalten und die positive Wertung seiner Person durch seine Diszipli-
narvorgesetzten in den zu würdigenden Sachverhalt einbezogen.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in den
strafrechtlich geahndeten Verfehlungen des Antragstellers hinreichende tat-
sächliche Anhaltspunkte für Zweifel an dessen Zuverlässigkeit bei der Wahr-
nehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit erkannt hat. Mit dieser Ein-
schätzung hat der Geheimschutzbeauftragte weder den anzuwendenden Begriff
noch den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt; er
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hat insoweit auch nicht allgemeingültige Wertmaßstäbe missachtet oder sach-
fremde Erwägungen angestellt.
Tatsächliche Anhaltspunkte, die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG in Verbin-
dung mit Nr. 2414 Satz 1 Nr. 1 ZDv 2/30 Teil C Zweifel an der Zuverlässigkeit
des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit
und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, können sich nach der Rechtspre-
chung des Senats auch daraus ergeben, dass der Betroffene eine Straftat be-
gangen hat, die ohne speziellen Bezug zu Geheimhaltungsvorschriften oder zur
dienstlichen Tätigkeit ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen
lässt (vgl. Beschlüsse vom 12. April 2000 - BVerwG 1 WB 12.00 -, vom
20. August 2003 - BVerwG 1 WB 15.03 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 16
S. 34 = NZWehrr 2004, 168 und vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB 22.08 -
Rn. 26 m.w.N.).
Ohne Rechtsfehler hat der Geheimschutzbeauftragte das Verhalten des An-
tragstellers als ein ernstzunehmendes sicherheitsrelevantes Fehlverhalten ge-
wertet. Das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr mit ei-
ner hohen Blutalkoholkonzentration (hier von 1,40 ‰) lässt auf ein mangelndes
Verantwortungsbewusstsein schließen (Beschlüsse vom 20. Januar 2009
- BVerwG 1 WB 22.08 - Rn. 28 und vom 21. Oktober 2010 - BVerwG 1 WB
16.10 - Rn. 39). Selbst dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein derartiges
Fehlverhalten im außerdienstlichen Bereich erfolgt, lässt die Art und Weise, wie
ein Soldat am Straßenverkehr teilnimmt, Rückschlüsse auf sein Verantwor-
tungsbewusstsein, seine charakterliche Zuverlässigkeit und seine moralisch-
persönliche Integrität zu. Auch die von einem Soldaten fahrlässig begangene
außerdienstliche Gefährdung des Straßenverkehrs stellt ein nicht leichtzuneh-
mendes Fehlverhalten dar. Entzieht sich ein Soldat (anschließend) durch eine
Verkehrsunfallflucht der Verantwortung für den von ihm angerichteten Schaden,
lässt er eine charakterliche Einstellung erkennen, aus der sich gewichtige Zwei-
fel an seiner Vertrauenswürdigkeit und an seiner dienstlichen Zuverlässigkeit
ergeben. Ein derartiges Verhalten zeigt in aller Regel eine verantwortungslose
Haltung des Kraftfahrers, der sich auf diese Weise nicht nur der Feststellung
seiner Person und seiner Beteiligung an dem Unfall, sondern auch den berech-
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tigten Ansprüchen des Geschädigten entzieht (vgl. zum Ganzen: Urteil vom
17. Oktober 2006 - BVerwG 2 WD 21.05 - Rn. 28, 30). Die Bereitschaft, sich
nach einem Verkehrsunfall sofort der Verantwortung für den verursachten
Schaden offen und ohne Ausflüchte zu stellen, weist im Hinblick auf die Zuver-
lässigkeit des Betroffenen einen ähnlichen Bezug zu geheimhaltungsbedürfti-
gen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen auf wie die Pflicht, in dienst-
lichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG). Diese Pflicht
hat nach der Rechtsprechung des Senats ein besonderes Gewicht für die si-
cherheitsrechtliche Beurteilung (vgl. Beschlüsse vom 6. September 2007
- BVerwG 1 WB 61.06 -, vom 12. August 2008 - BVerwG 1 WB 28.07 - und vom
22. Juli 2009 - BVerwG 1 WB 53.08 -). Beim Umgang mit sicherheitsrelevantem
Material kommt der Bereitschaft, etwaiges Fehlverhalten umgehend und wahr-
heitsgemäß offenzulegen und damit zur möglichst schnellen und umfassenden
Schadensbegrenzung beizutragen, besondere Bedeutung zu. Zweifel an dieser
Bereitschaft begründet, wer versucht, sich durch eine Verkehrsunfallflucht oder
durch unwahre Angaben in dienstlichen Angelegenheiten seiner Verantwortung
zu entziehen. Das hat der Geheimschutzbeauftragte in seinem Begründungs-
schreiben vom 3. November 2010 zutreffend ausgeführt.
Nicht zu beanstanden ist ferner die vom Geheimschutzbeauftragen getroffene
Prognose der künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers und
seiner Verhältnisse (zu den Voraussetzungen der Prognose im Einzelnen: Be-
schlüsse vom 8. März 2007 - BVerwG 1 WB 63.06 -, vom 27. September 2007
- BVerwG 1 WDS-VR 7.07 - a.a.O. und vom 20. Januar 2009 - BVerwG 1 WB
22.08 -). Der Geheimschutzbeauftragte hat im Einzelnen dargelegt, dass die
durch die strafrechtlich geahndeten Verfehlungen des Antragstellers begründe-
ten nachhaltigen Zweifel an seiner Zuverlässigkeit noch nicht ausgeräumt sind,
sondern noch einen gewissen Zeitraum der Bewährung erfordern. Diese prog-
nostische Bewertung begründet keine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprin-
zips als eines allgemeingültigen Wertmaßstabs. Vielmehr darf einem Betroffe-
nen noch über eine längere Zeit eine Bewährung abverlangt werden, die belegt,
dass eine Verhaltensänderung eingetreten ist, die auch eine nachhaltige Bestä-
tigung finden und von Bestand sein wird (Beschluss vom 21. Oktober 2010
- BVerwG 1 WB 16.10 - Rn. 40 m.w.N.).
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Die für den Antragsteller sprechenden Gesichtspunkte hat der Geheimschutz-
beauftragte mit der Zulassung der Wiederholungsüberprüfung bereits nach drei
Jahren und damit im Sinne einer Verkürzung der regelmäßigen Frist von fünf
Jahren (Nr. 2710 Abs. 2 Satz 1 ZDv 2/30) berücksichtigt. Er hat damit zugleich
einzelfallbezogen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.
c) Keine rechtlichen Bedenken bestehen dagegen, dass der Geheimschutzbe-
auftragte die Feststellung eines Sicherheitsrisikos auch auf die Verwendung
des Antragstellers in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der Überprü-
fungsarten Ü 1 und Ü 2 erstreckt hat. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit
des Antragstellers und die Risikoeinschätzung ergeben sich im vorliegenden
Fall insoweit keine von der erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheits-
ermittlungen (Ü 3) abweichenden Gesichtspunkte.
d) Weitere Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom
3. November 2010, wie etwa eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, sind
weder vom Antragsteller geltend gemacht noch für den Senat ersichtlich.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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