Urteil des BVerwG vom 28.09.2010

Beendigung, Geschwindigkeit, Vertrauensperson, Soldat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 11.10
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Oberbootsmann …,
…, …,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte …,
…, … -
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
die ehrenamtliche Richterin Oberstabsapotheker Dr. Ufermann und
den ehrenamtlichen Richter Oberbootsmann Lau
am 28. September 2010 beschlossen:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die vorzeitige Beendigung seiner besonde-
ren Auslandsverwendung beim … in Djibouti/Afrika.
Der 1982 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit mit einer auf 12 Jahre fest-
gesetzten Dienstzeit, die mit Ablauf des 1. Juni 2015 enden wird. Zum Ober-
bootsmann wurde er am 6. Juni 2006 ernannt. Derzeit wird er beim Marineflie-
gergeschwader … in … verwendet.
Das Flottenkommando kommandierte den Antragsteller mit Verfügung vom
23. Juni 2009 für die Zeit vom 10. Juli 2009 bis zum 28. Oktober 2009 zum … in
Djibouti/Afrika zur Einsatzgruppe …. Nach Vollzug der hier strittigen Repatri-
ierung des Antragstellers wurde der Kommandierungszeitraum mit zwei Korrek-
turen vom 9. Oktober 2009 und vom 6. November 2009 verkürzt und auf die
Zeit vom 11. Juli 2009 bis zum 6. Oktober 2009 festgesetzt. In der Einsatzgrup-
pe … war der Antragsteller als Flight Chief eingesetzt.
Die Einsatzgruppe … wird von einem Kommandeur geführt, der seinerseits dem
Kommandeur … - im Folgenden: Kontingentführer - untersteht. Die ent-
sprechende Organisationsweisung für das … vom 20. Februar 2009 bestimmt,
dass die Unteroffiziere und Mannschaften der Einsatzgruppe … dem
S 1-Offizier der Einsatzgruppe unterstellt sind.
Am 30. September 2009 verhängte der S 1-Offizier der Einsatzgruppe … gegen
den Antragsteller einen Strengen Verweis mit folgender Begründung:
„Er hat am 24.09.2009 in der Republik Djibouti, Afrika, um
ca. 14:00 Uhr die Strandstraße in Richtung Hotel Sheraton
mit einem deutschen Dienstfahrzeug (Mitsubishi Nativa,
Kennzeichen …) mit den Mitfahrern S…, Oberbootsmann,
Sp…, Oberbootsmann und E…, Obermaat, mit einer
Geschwindigkeit von teilweise über 70 km/h befahren,
wobei er so die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50
km/h überschritten hat, obwohl ihm die Regelungen und
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Verfahren zur Teilnahme am Straßenverkehr in Djibouti
durch die Einfliegerbelehrung vom 11.07.2009 sowie
durch eine erneute Belehrung vom 04.09.2009 durch die
Military Police und den Ständigen CTG-Befehl Nr. 14 des
… bekannt war(en). Er beschleunigte sein Fahrzeug auf
eine Geschwindigkeit von über 70 km/h und überholte das
vor ihm mit ca. 55 km/h fahrende Fahrzeug des COMFOR
BrigGen … in einer Weise, dass sich dieser durch den
Überholvorgang gefährdet fühlte, was er anschließend
dem Soldaten und auch dem … persönlich deutlich mach-
te.“
Die Disziplinarmaßnahme wurde am 1. Oktober 2009 durch Bekanntmachung
vor der Truppe vollstreckt und ist seit dem 3. November 2009 bestandskräftig.
In den „Weiteren Vermerken des nächsten Disziplinarvorgesetzten“ zu der Dis-
ziplinarmaßnahme heißt es:
„Im Rahmen der Maßnahmenbemessung wurde berück-
sichtigt, dass er bereits am 19.07.2009 im Rahmen einer
Kfz-Kontrolle durch die Feldjäger durch zu schnelles Fah-
ren auffällig wurde, sowie dass ihm im Vorfeld durch den
Technischen Offizier zwei mündliche Tadel wegen zu
schnellen Fahrens ausgesprochen wurden. Des Weiteren
wurden die Verhaltensweisen im Rahmen von Musterun-
gen angesprochen.“
Der S 1-Offizier der Einsatzgruppe … im … beantragte am 2. Oktober 2009 als
Disziplinarvorgesetzter die vorzeitige Beendigung der besonderen Auslands-
verwendung des Antragstellers. Zur Begründung führte er aus, dass er auf-
grund mehrfachen Fehlverhaltens des Antragstellers im Zusammenhang mit
dem Führen von Dienstkraftfahrzeugen im Straßenverkehr von Djibouti die er-
forderliche Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit im Kontingent als
zu belastet ansehe, um diese fortzuführen. Er bezog sich auf den mit dem
Strengen Verweis geahndeten Vorfall vom 24. September 2009, bei dem sich
drei dem Antragsteller unterstellte Soldaten im Fahrzeug befunden hätten. Am
18. Juli 2009 sei der Antragsteller außerdem durch die Military Police im Rah-
men einer Kraftfahrzeug-Kontrolle mit überhöhter Geschwindigkeit angehalten
worden. Auch damals seien dem Antragsteller unterstellte Soldaten im Fahr-
zeug anwesend gewesen. Im weiteren Verlauf des Einsatzes seien dem An-
tragsteller Ende Juli durch den zuständigen Technischen Offizier zwei mündli-
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che Tadel ausgesprochen worden. Trotz mehrfacher Belehrungen habe der
Antragsteller sein negatives Verhalten im Straßenverkehr nicht abgelegt und
zeige sich nachhaltig nicht einsichtig. Aufgrund seiner herausgehobenen Stel-
lung als Flight Chief innerhalb der Einsatzgruppe … nehme er eine besondere
Funktion wahr, in der ihm momentan acht Soldaten unterstellt seien. Er trage
die Verantwortung für die technische Sicherheit des Luftfahrzeugs und müsse
im Auftreten und Handeln stets ein Vorbild für seinen unterstellten Bereich sein.
Eine für den Dienstposten des Flight Chiefs unabdingbare vertrauensvolle Zu-
sammenarbeit sei aufgrund der geschilderten Vorfälle nicht mehr möglich.
Den Entwurf dieses Antrags hatte der Antragsteller am 30. September 2009
ausgehändigt erhalten; die Erörterung erfolgte am 1. Oktober 2009 im persönli-
chen Gespräch. Der Kommandeur der Einsatzgruppe … stimmte dem Rückfüh-
rungsantrag am 2. Oktober 2009 zu. Am selben Tag gaben der Antragsteller
und die zuständige Vertrauensperson jeweils schriftliche Stellungnahmen ab.
Die Endfassung des Antrags wurde dem Antragsteller ebenfalls am 2. Oktober
2009 eröffnet und mit ihm besprochen.
Am 3. Oktober 2009 entschied der Kontingentführer, die besondere Auslands-
verwendung des Antragstellers vorzeitig zu beenden und ihn mit sofortiger Wir-
kung nach Deutschland zurückzuführen. Zur Begründung führte er aus, das
Deutsche Einsatzkontingent befinde sich als Gast in Djibouti und repräsentiere
die Bundesrepublik Deutschland im Stationierungsland. Mit dem dargestellten
Verhalten habe der Antragsteller nicht nur die ihm unterstellten Soldaten, son-
dern darüber hinaus auch Unbeteiligte gefährdet und schlussendlich das Anse-
hen der Bundesrepublik Deutschland beschädigt. Für eine vertrauensvolle Zu-
sammenarbeit sehe er, der Kontingentführer, keine Basis, so dass er den An-
trag auf Repatriierung genehmige. In dem am selben Tag gefertigten Bescheid
vom 3. Oktober 2009 stützte der Kontingentführer seine Rückführungsent-
scheidung auf die Meldung vom 27. September 2009 über die Verkehrsgefähr-
dung bei der Nutzung von Dienstkraftfahrzeugen und den anschließend ver-
hängten Strengen Verweis.
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Diese Entscheidung wurde dem Antragsteller am 4. Oktober 2009 eröffnet. Er
wurde am 8. Oktober 2009 nach Deutschland zurückgeführt und legte am sel-
ben Tag Beschwerde gegen die Repatriierungsentscheidung ein. In seinem Be-
schwerdeschriftsatz führte er aus:
„Hiermit beschwere ich mich gegen diese Personalmaß-
nahme gegen meine Person. Des Weiteren wurde gegen
mich ein Strenger Verweis ausgesprochen, wogegen ich
mich nicht beschwere, da ich mein Fehlverhalten, was zu
dieser Disziplinarmaßnahme führte, voll und ganz aner-
kenne.“
Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr wies die
Beschwerde mit Beschwerdebescheid vom 30. Oktober 2009 zurück.
Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom
8. Dezember 2009 weitere Beschwerde ein und beantragte am 20. Januar 2010
die gerichtliche Entscheidung. Mit Schreiben vom 3. März 2010 legte er dem
Bundesverwaltungsgericht einen Untätigkeitsantrag vor. Zu diesem Antrag hat
der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der
Streitkräftebasis mit Schriftsatz vom 11. März 2010 Stellung genommen.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller insbe-
sondere vor:
Er sei vom 10. April 2010 bis zum 24. April 2010 erneut zur Einsatzgruppe …
nach Djibouti kommandiert worden. Dort sei das gesamte Umfeld identisch mit
dem zur Zeit seiner Repatriierung. Auch der französische Befehlshaber vor Ort,
der die damaligen Maßnahmen der deutschen Dienststellen eingeleitet habe,
befinde sich nach wie vor im Land. Durch seinen erneuten Auslandseinsatz
werde deutlich, dass seine Anwesenheit den Dienstbetrieb nicht unannehmbar
belaste und auch nicht unannehmbar belastet habe. Es sei nicht notwendig
gewesen, ihn im Jahr 2009 vom Einsatz abzulösen. Der Vorfall vom 18. Juli
2009 habe sich anders abgespielt, als im Repatriierungsantrag dargestellt. Er
sei seinerzeit von der Militärpolizei gestoppt worden, allerdings nicht wegen
überhöhter Geschwindigkeit. Die Behauptung seines Disziplinarvorgesetzten,
dass er am 11. Juli 2009 über eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50
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km/h belehrt worden sei, sei unzutreffend. Die Belehrung habe Frau Oberleut-
nant K… durchgeführt, die seinerzeit ausgeführt habe, die übliche Geschwin-
digkeit betrage 50 km/h; es sei jedoch auch unproblematisch, etwas schneller
zu fahren. Der dem Strengen Verweis zugrunde liegende Vorfall habe nicht zu
einer Gefährdung des französischen Generals geführt. Darüber hinaus habe
das Einsatzführungskommando bei seiner Ermessensentscheidung die Stel-
lungnahme der Vertrauensperson nicht berücksichtigt.
Der Antragsteller beantragt
festzustellen, dass die Ablösungsentscheidung des Kom-
mandeurs … vom 3. Oktober 2009 rechtswidrig ist.
Der Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Inspekteur der
Streitkräftebasis beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er trägt vor, für die vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwen-
dung des Antragstellers habe ein dienstliches Bedürfnis bestanden, weil das
Vertrauen der Vorgesetzten in dessen Zuverlässigkeit nicht mehr gegeben ge-
wesen sei. Der Antragsteller habe mehrfach die auch für das Einsatzkontingent
bestehende örtliche Regelung über die zulässige Höchstgeschwindigkeit von
50 km/h im Stadtgebiet missachtet. Dafür sei er mit einer bestandskräftigen
Disziplinarmaßnahme belegt worden, die er auch voll akzeptiert habe. Zutref-
fend habe der Disziplinarvorgesetzte des Antragstellers in der Begründung des
Ablösungsantrages darauf abgestellt, dass sich der Antragsteller uneinsichtig
zeige und ihm offenbar die potenzielle Gefährdung seiner mitfahrenden Unter-
gebenen nicht deutlich geworden sei. Gerade unter den besonderen Belastun-
gen von Auslandseinsätzen müssten sich die Vorgesetzten jedoch auf die strik-
te Einhaltung von Regeln verlassen können. Soweit der Antragsteller den Sach-
verhalt der gegen ihn verhängten Disziplinarmaßnahme vom 30. September
2009 in Zweifel ziehe, stehe deren Bestandskraft einer erneuten inhaltlichen
Prüfung entgegen. In seiner Beschwerde vom 8. Oktober 2009 habe er den
Strengen Verweis ausdrücklich anerkannt und dieses Anerkenntnis auch auf
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sein Fehlverhalten, das zu der Disziplinarmaßnahme geführt habe, erstreckt.
Der erneute, zwei Wochen umfassende Auslandseinsatz des Antragstellers im
April 2010 als temporäre Verstärkungskraft bei der Einsatzgruppe … sei nicht
geeignet, den eingetretenen Vertrauensverlust zu widerlegen. Überdies seien
die Vorgesetzten des Antragstellers - der Kommandeur …, der Führer Techni-
sche Gruppe und der Leiter Innendienst - sämtlich andere Personen als die
Vorgesetzten während des Einsatzes des Antragstellers im Jahr 2009.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akten Bezug ge-
nommen. Die Beschwerdeakten des Inspekteurs der Streitkräftebasis …, die
Beschwerdeakte des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr … und die
Akte des Einsatzführungskommandos … sowie die Personalgrundakte des An-
tragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg.
1. Der Feststellungsantrag ist zulässig.
Die Entscheidung des Kommandeurs des … vom 3. Oktober 2009, die beson-
dere Auslandsverwendung des Antragstellers mit sofortiger Wirkung vorzeitig
zu beenden, stellt eine truppendienstliche Maßnahme im Sinne des § 17 Abs. 3
Satz 1 WBO dar, die der Überprüfung durch die Wehrdienstgerichte - hier durch
das Bundesverwaltungsgericht (§ 22 WBO i.V.m. § 21 Abs. 1 WBO) - unterliegt.
Diese Maßnahme ist mit der tatsächlichen Rückführung des Antragstellers nach
Deutschland am 8. Oktober 2009 vollzogen worden und hat sich mit Ablauf des
ursprünglich festgesetzten Kommandierungszeitraums am 28. Oktober 2009
erledigt. Dieser Sachlage hat der Antragsteller Rechnung getragen, indem er
die Feststellung beantragt, dass die Entscheidung über die vorzeitige Beendi-
gung seiner besonderen Auslandsverwendung rechtswidrig war.
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Nach der Rechtsprechung des Senats stellt die Entscheidung über die vorzeiti-
ge Beendigung eines Auslandseinsatzes („Repatriierung“) einen Befehl dar
(Beschluss vom 12. August 2008 - BVerwG 1 WB 35.07 - BVerwGE 132, 1 =
Buchholz 450.1 § 19 WBO Nr. 2 = NZWehrr 2009, 69). Im Falle eines ausge-
führten oder anders erledigten Befehls ist ein Fortsetzungsfeststellungsantrag
gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO ohne Weiteres zu-
lässig, insbesondere unabhängig davon, ob der betroffene Antragsteller ein
Fortsetzungsfeststellungsinteresse dargelegt hat.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Die vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung war rechtmä-
ßig und hat den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt.
Ein Soldat hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte fachliche oder
örtliche Verwendung oder auf Verwendung auf einem bestimmten Dienst-
posten. Ein dahingehender Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorge-
pflicht ableiten. Vielmehr entscheidet der zuständige Vorgesetzte oder die zu-
ständige personalbearbeitende Stelle über die Verwendung nach pflichtgemä-
ßem Ermessen. Das ihm nach § 3 Abs. 1 SG zustehende Verwendungsermes-
sen hat das Bundesministerium der Verteidigung im Sinne der Gewährleistung
einer gleichmäßigen Verwaltungspraxis (Art. 3 Abs. 1 GG) unter anderem in
den Richtlinien zur Versetzung, zum Dienstpostenwechsel und zur Kommandie-
rung von Soldaten vom 3. März 1988 (VMBl S. 76), zuletzt geändert durch Er-
lass vom 9. Juni 2009 (VMBl 2009 S. 86) - im Folgenden: Versetzungsrichtlinien
- gebunden. Die Praxis orientiert sich auch in den Fällen der vorzeitigen
Beendigung einer besonderen Auslandsverwendung an den Versetzungsricht-li-
nien. Zu ihrer Umsetzung hat das Einsatzführungskommando der Bundeswehr
spezifische Regelungen in der Handakte „Personalführung und -bearbeitung für
Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr in besonderen Auslandsverwen-
dungen“ (EinsFüKdoBw - J 1 - Az. 16-01-00 vom 4. Januar 2008, Stand: Juli
2009) - im Folgenden: Handakte - getroffen. Diese Praxis ist, wie der Senat
wiederholt entschieden hat, rechtlich nicht zu beanstanden (Beschluss vom
12. August 2008 a.a.O. m.w.N.).
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Gemäß Nr. 4 1. Spiegelstrich der Versetzungsrichtlinien kann ein Soldat ver-
setzt - hier: vorzeitig von einer besonderen Auslandsverwendung abgelöst -
werden, wenn ein dienstliches Bedürfnis besteht. Die Fallkonstellationen eines
dienstlichen Bedürfnisses sind in Nr. 802 der Handakte - in Anlehnung an Nr. 5
der Versetzungsrichtlinien - näher bestimmt. Die unter Berücksichtigung des
dienstlichen Bedürfnisses zu treffende Ermessensentscheidung des zuständi-
gen Vorgesetzten kann von den Wehrdienstgerichten darauf überprüft werden,
ob der Vorgesetzte den Soldaten durch Überschreiten oder Missbrauch dienst-
licher Befugnisse in seinen Rechten verletzt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 WBO) bzw. die
gesetzlichen Grenzen des ihm insoweit zustehenden Ermessens überschritten
oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht hat (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 114 VwGO).
Die angefochtene Entscheidung des Kontingentführers vom 3. Oktober 2009
weist keine Ermessensfehler auf.
Für die vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des An-
tragstellers bestand ein dienstliches Bedürfnis.
Gemäß Nr. 802 5. Spiegelstrich der Handakte i.V.m. Nr. 5 Buchst. h der Ver-
setzungsrichtlinien liegt ein dienstliches Bedürfnis regelmäßig vor, wenn Stö-
rungen, Spannungen und/oder Vertrauensverluste, die den Dienstbetrieb un-
annehmbar belasten, nur durch vorzeitige Beendigung der besonderen Aus-
landsverwendung des Soldaten behoben werden können. Die zuständigen
Vorgesetzten haben zutreffend angenommen, dass Vertrauensverluste in die-
sem Sinne eingetreten waren.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung ist bei einem Fortset-
zungsfeststellungsantrag der Zeitpunkt, in dem sich die angefochtene Maß-
nahme erledigt hat (Beschluss vom 12. August 2008 a.a.O. m.w.N.). Das war
hier der 28. Oktober 2009, der Zeitpunkt, an dem die Kommandierung des An-
tragstellers zum … ursprünglich planmäßig enden sollte. Bis zu diesem Zeit-
punkt ergaben sich Vertrauensverluste im dargelegten Sinne aus dem Um-
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stand, dass der Antragsteller mehrfach ein Fehlverhalten im Zusammenhang
mit dem Führen von Dienstkraftfahrzeugen im Straßenverkehr von Djibouti ge-
zeigt hatte, das am 30. September 2009 mit einem Strengen Verweis geahndet
worden war, und aus der diesbezüglichen Uneinsichtigkeit des Antragstellers.
Vertrauensverluste, die den Dienstbetrieb unannehmbar belasten, können sich
nach ständiger Rechtsprechung des Senats entweder aus einem feststehenden
Dienstvergehen oder aus dem Verdacht einer schuldhaften Dienstpflichtverlet-
zung eines Soldaten ergeben (vgl. Beschlüsse vom 29. Mai 2008 - BVerwG
1 WDS-VR 10.08 - und vom 12. August 2008 a.a.O., jeweils m.w.N.). Mit der
am 3. November 2009 eingetretenen Bestandskraft des Strengen Verweises
steht fest, dass der Antragsteller das in dessen Sachverhalt mitgeteilte Dienst-
vergehen am 24. September 2009 tatsächlich begangen hat. Insofern kann der
Senat offenlassen, ob sich die Bindungswirkung dieser Disziplinarmaßnahme
nach § 23a Abs. 1 und 2 WBO i.V.m. § 145 Abs. 2 WDO nur auf die Entschei-
dung selbst oder auch auf den in ihr mitgeteilten Sachverhalt erstreckt (vgl. zum
Streitstand: Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 145, Rn. 7; Niedersächsisches
OVG, Beschluss vom 2. März 2007 - 5 ME 252/06 - NVwZ-RR 2007, 396 = juris
Rn. 26; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. April 2009 - 1 L
29/09 - DVBl 2009, 864 = juris Rn. 10). Denn in seiner Beschwerde vom
8. Oktober 2009 gegen die Repatriierungsentscheidung hat der Antragsteller im
Hinblick auf den Strengen Verweis ausdrücklich betont, dass er sein zu dieser
Disziplinarmaßnahme führendes „Fehlverhalten voll und ganz“ anerkenne.
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Dadurch hat der Antragsteller nicht nur den Ablauf des Vorfalls am 24. Sep-
tember 2009, insbesondere die erhebliche Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h mit einem Fahrtempo von teilweise über
70 km/h eingeräumt, sondern auch die Tatsache, dass er am 11. Juli 2009 und
erneut am 4. September 2009 Einfliegerbelehrungen unter anderem zum Ver-
halten im Straßenverkehr in Djibouti erhalten hat. Soweit er erstmals im gericht-
lichen Verfahren geltend macht, Frau Oberleutnant K… habe in der Belehrung
vom 11. Juli 2009 als übliche Geschwindigkeit 50 km/h genannt, „etwas schnel-
leres“ Fahren jedoch als „unproblematisch“ bezeichnet, bedurfte es keiner wei-
teren Sachaufklärung durch den Senat. Diesen behaupteten Belehrungsinhalt
als wahr unterstellt, versteht es sich von selbst, dass eine Fahrgeschwindigkeit
von teilweise über 70 km/h nicht als „etwas“ schnelleres Fahren als 50 km/h
qualifiziert werden kann.
Darüber hinaus hat der Antragsteller nicht bestritten, dass ihm bereits Ende Juli
durch den Technischen Offizier zwei mündliche Tadel wegen zu schnellen Fah-
rens ausgesprochen worden sind. Dazu hat der Technische Offizier in seiner
Stellungnahme vom 11. Februar 2010 Folgendes ausgeführt:
„Während des … Djibouti war mir Oberbootsmann … in
Funktion des Flight Chiefs direkt unterstellt. Er war Binde-
glied zwischen der Wartungsschicht und mir als zuständi-
gem Technischen Offizier, dabei hatte er eine herausge-
hobene Stellung inne.
In der ersten Hälfte des Kontingentzeitraums (11. Juli bis
25. Oktober 2009) fiel mir Oberbootsmann … durch seine
zügige Fahrweise auf. Hierbei beförderte er stets ihm an-
vertraute Soldaten. Auf seine besondere Fahrweise mach-
te ich ihn aufmerksam und mahnte ihn zur Anpassung und
Zügelung seines Fahrstils. Leider konnte der Soldat die
ihm übermittelten Hinweise nicht in vollem Umfang zielge-
richtet umsetzen.“
Damit steht das dem Antragsteller im Repatriierungsantrag vorgehaltene wie-
derholte Fehlverhalten im Straßenverkehr von Djibouti ebenso wie seine dies-
bezügliche nachhaltige Uneinsichtigkeit trotz erhaltener Ermahnungen fest.
Das wird durch den Umstand bestätigt, dass der Disziplinarvorgesetzte bei der
Würdigung dieses Verhaltens nicht nur einen schlichten, sondern einen Stren-
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gen Verweis im Sinne des § 23 Abs. 2 WDO als Disziplinarmaßnahme gewählt
hat.
Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob der Vorfall am 18. Juli
2009 als weitere Verkehrsverfehlung des Antragstellers feststeht. Er selbst hat
dazu - im Rahmen der Anhörung zur Repatriierung - in seiner Stellungnahme
vom 2. Oktober 2009 ausgeführt, dass er „meine Fehlverhalten und die Ver-
hängung einer Disziplinarmaßnahme“ voll und ganz anerkenne. Die Vertrau-
ensperson hat in ihrer Äußerung vom 2. Oktober 2009 in gleicher Weise von
den dem Antragsteller „zur Last gelegten Vergehen“ (im Plural) gesprochen und
damit ersichtlich auch das im Repatriierungsantrag dokumentierte Verhalten
des Antragstellers vom 18. Juli 2009 als Vorgehen gewertet, das zusätzlich in
die disziplinare Ahndung des Vorfalls vom 24. September 2009 eingeflossen ist.
Dies wird durch die Maßnahmeerwägungen im Weiteren Vermerk des nächsten
Disziplinarvorgesetzten zum Strengen Verweis bestätigt. Außerdem ergibt sich
aus der vorgelegten Tagebuch-Notiz der Militärpolizei in Djibouti vom 18. Juli
2009, dass der Antragsteller an diesem Tag wegen überhöhter Geschwindigkeit
im Stadtbereich von Djibouti einer Kraftfahrzeugkontrolle unterzogen worden ist.
Ungeachtet dessen belegen bereits die wiederholten Tadel des Technischen
Offiziers und der Vorfall am 24. September 2009 das mehrfache Fehlverhalten
des Antragstellers und seine diesbezügliche nachhaltige Uneinsichtigkeit. Des-
halb ist den ergänzenden Beweisanregungen des Antragstellers im Schriftsatz
seiner Bevollmächtigten vom 20. Januar 2010 zum Ablauf des Vorfalls am
18. Juli 2009 nicht nachzugehen. Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 2
Satz 2 WBO i.w.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO und § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO
darf ein Beweisantrag - und damit erst recht eine Beweisanregung - unter ande-
rem dann abgelehnt werden, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für
die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Das ist hier, wie dargelegt, der Fall.
Die Einschätzung des Kontingentführers, dass das gezeigte Fehlverhalten und
die nachhaltige Uneinsichtigkeit des Antragstellers im Hinblick auf die Notwen-
digkeit regelgerechten Agierens im Straßenverkehr in Djibouti bei seinen Vor-
gesetzten zu Vertrauensverlusten geführt hat, die den Dienstbetrieb im
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Einsatzkontingent und insbesondere in der Einsatzgruppe … unannehmbar
belasteten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Mit dem festgestellten Verhalten
wurde nicht nur die Vorbildfunktion des Antragstellers als Flight Chief gegen-
über seinen untergebenen Soldaten in Frage gestellt, sondern vor allem auch
das Vertrauen seiner Vorgesetzten in seine uneingeschränkte Integrität als
Repräsentant der Bundeswehr im Ausland. Dieser letztgenannte Aspekt ist
grundsätzlich geeignet, nicht behebbare Vertrauensverluste als dienstliches
Bedürfnis zu begründen (Beschluss vom 27. Juli 2006 - BVerwG 1 WB
22.06 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 38).
Die Einschätzung des Kontingentführers - und zuvor schon des Kommandeurs
der Einsatzgruppe …, dass die eingetretenen Vertrauensverluste nur durch eine
Repatriierung des Antragstellers behoben werden konnten, ist nachvollziehbar
und weist Rechts- oder Ermessensfehler nicht auf. Die Feststellung eines
Dienstvergehens, das sich obendrein zu Lasten des französischen Befehlsha-
bers des multinationalen Kontingents … ausgewirkt hatte, war geeignet, die
weitere dienstliche Zusammenarbeit der Vorgesetzten des Antragstellers mit
diesem grundsätzlich in Frage zu stellen, zumal der Vorfall vom 24. September
2009 den Endpunkt wiederholten Fehlverhaltens des Antragstellers beim Um-
gang mit Straßenverkehrsregeln darstellte.
Die dargelegten Umstände reichten aus, um das dienstliche Bedürfnis für die
vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des Antragstel-
lers zu begründen. Unerheblich ist insoweit, dass er vom 10. bis zum 24. April
2010 erneut im Deutschen Einsatzkontingent … in Djibouti eingesetzt worden
ist. Entgegen der Darstellung des Antragstellers hat sich das „gesamte Umfeld“
bei diesem wiederholten Einsatz durchgreifend verändert. Der Kontingentführer
Fregattenkapitän O…, der die angefochtene Entscheidung getroffen hat, hatte
am 14. Oktober 2009 seine Dienstgeschäfte an Fregattenkapitän M… überge-
ben (vgl. „Chronologie des Einsatzes der Seestreitkräfte im Rahmen der …“ in:
einsatz.bundeswehr.de: Aktuelle Einsätze / Einsatz der Bundeswehr …). Auch
die übrigen Vorgesetzten des Antragstellers - der Kommandeur seiner
Einsatzgruppe, der Führer der Technischen Gruppe und der Leiter Innendienst -
waren nach der unbestritten gebliebenen Stellungnahme des Inspekteurs der
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Streitkräftebasis vom 7. Juni 2010 im Einsatzzeitraum 2009 andere Personen
als im Einsatz vom 10. bis 24. April 2010. Davon abgesehen wird ein einmal bei
bestimmten Vorgesetzten eingetretener Vertrauensverlust nicht dadurch in Fra-
ge gestellt, dass ein Soldat durch Entscheidung seiner personalbearbeitenden
Stelle erneut zu derselben Einheit in einen Auslandseinsatz entsandt wird. Es
kommt hinzu, dass der Antragsteller im Jahr 2010 nicht wieder in der heraus-
gehobenen Stellung eines Flight Chiefs eingesetzt wurde.
Die Ermessensentscheidung des Kontingentführers ist auch im Übrigen recht-
lich nicht zu beanstanden. Es sind keine Umstände ersichtlich, die es als er-
messensfehlerhaft oder missbräuchlich erscheinen ließen, dass von der Mög-
lichkeit, den Antragsteller von seiner besonderen Auslandsverwendung abzulö-
sen, Gebrauch gemacht wurde. Entgegen der Auffassung des Antragstellers
war es nicht geboten, die von der Vertrauensperson vorgeschlagene Ablösung
von der Funktion des Flight Chief als milderes Mittel gegenüber der Repatriie-
rung in Erwägung zu ziehen. Denn die Ablösungsentscheidung ist entscheidend
von dem Aspekt getragen, dass durch das Verhalten des Antragstellers das An-
sehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland geschädigt worden ist.
Diesen Gesichtspunkt konnte der Kontingentführer ohne Rechtsfehler als we-
sentliche Erwägung dafür ansehen, den Antragsteller nach Deutschland zu-
rückzuführen und sich nicht auf dessen Herauslösung aus der herausgehobe-
nen Funktion des Flight Chief zu beschränken.
Formellrechtliche Fehler der angefochtenen Entscheidung des Kontingentfüh-
rers sind vom Antragsteller weder geltend gemacht noch für den Senat ersicht-
lich. Das Anhörungs-, Beteiligungs- und Eröffnungsverfahren nach Nummern
807, 808, 809 der Handakte ist eingehalten worden. Die zuständige Vertrau-
ensperson wurde vor der Entscheidung des Kontingentführers angehört. Der
Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ist in den Ent-
scheidungsgründen seines Beschwerdebescheids (auf Seite 3) auf die Stel-
lungnahme der Vertrauensperson eingegangen.
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Golze Dr. Frentz Dr. Langer