Urteil des BVerwG vom 15.07.2008

Fachhochschule, Universität, Anschluss, Diplom

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 WB 1.08
In dem Wehrbeschwerdeverfahren
des Herrn Leutnant zur See ...,
hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den ehrenamtlichen Richter Kapitän zur See Hügelmann und
die ehrenamtliche Richterin Oberleutnant zur See Grethe
am 15. Juli 2008 beschlossen:
Der Bescheid des Personalamts der Bundeswehr vom
19. Juni 2007 und der Beschwerdebescheid des Bundes-
ministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 3. Dezember
2007 werden aufgehoben.
Der Bundesminister der Verteidigung wird verpflichtet, den
Antrag des Antragstellers vom 17. Mai 2007, ihm zu er-
möglichen, im Anschluss an den Bachelor-Abschluss ein
Master-Studium im Fachhochschul-Studiengang Wirt-
schaftsinformatik zu absolvieren, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesver-
waltungsgericht erwachsenen notwendigen Auslagen wer-
den dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
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Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Bundesministers der Verteidi-
gung, ihm zu ermöglichen, das von ihm derzeit an einer öffentlichen Fachhoch-
schule absolvierte Studium der Wirtschaftsinformatik nach dem Abschluss Ba-
chelor of Science mit dem Studienziel Master of Science fortzusetzen.
Der 1985 geborene Antragsteller ist Soldat auf Zeit mit einer Verpflichtungszeit
von 12 Jahren, die am 30. Juni 2016 endet. Mit Wirkung vom 1. Juli 2007 wurde
er zum Leutnant zur See befördert. Seit September 2005 studiert der An-
tragsteller Wirtschaftsinformatik an der öffentlichen Fachhochschule W. in W.;
sein Betreuungstruppenteil ist das Kommando ...systeme in W.
Mit Schreiben vom 9. Juni 2004 hatte das Personalamt der Bundeswehr dem
Antragsteller mitgeteilt, dass er das Annahmeverfahren für die Laufbahn der
Offiziere des Truppendienstes erfolgreich abgeschlossen habe und zum 1. Juli
2004 im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit eingestellt werde. Wegen feh-
lender Studienplatzkapazitäten an einer Universität der Bundeswehr sei ge-
plant, dass er das gewünschte Studium der Betriebswirtschaftslehre (FH) an
einer zivilen Bildungseinrichtung durchführe.
Mit Bescheid vom 3. Januar 2005 gab das Personalamt einem Antrag des An-
tragstellers vom 23. Juli 2004 auf Teilnahme am Studium Wirtschaftsinformatik
an der Fachhochschule W. in W. statt. Mit Verfügung vom 7. April 2005 wurde
der Antragsteller für die Zeit vom 20. September 2005 bis 31. August 2008 zum
Studium kommandiert.
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Unter dem 17. Mai 2007 ersuchte der Antragsteller um die Möglichkeit, im An-
schluss an den Bachelor-Abschluss ein Master-Studium im Studiengang Wirt-
schaftsinformatik zu absolvieren.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2007, dem Antragsteller ausgehändigt am 9. Juli
2007, lehnte das Personalamt diesen Antrag ab. Gemäß den Richtlinien für das
Studium von Offizieranwärtern und Offizieren der Marine an öffentlichen Fach-
hochschulen vom 17. Januar 2005 ende das Studium regelmäßig mit der er-
folgreichen Bachelor-Prüfung. Diese und weitere Studienbedingungen seien
dem Antragsteller mit dem Bescheid vom 3. Januar 2005 eröffnet und von ihm
akzeptiert worden. Für eine Änderung des Studienziels in Master of Science
bestehe daher keine Veranlassung.
Mit Schreiben vom 20. Juli 2007 erhob der Antragsteller hiergegen Beschwer-
de. Ihm sei im Einstellungsbescheid das zivile Fachhochschulstudium als Ersatz
für das Studium an einer Universität der Bundeswehr zugesagt worden. Wegen
der Studiendauer von neun Semestern im Diplomstudiengang habe er sich
ursprünglich auf 13 Jahre verpflichtet. Im Jahre 2005 seien dann an den
Fachhochschulen die Studiengänge auf das neue zweistufige Bildungssystem
Bachelor/Master umgestellt worden. In diesem Zeitraum sei auf seinen Wunsch
hin auch das Studienfach von Betriebswirtschaftslehre in Wirtschaftsinformatik
geändert und gleichzeitig die Verpflichtungszeit auf 12 Jahre verkürzt worden.
Das Personalamt habe ihm erläutert, dass es für den Masterabschluss noch
keine Regelungen gebe und sich Weiteres im Laufe des Studiums ergeben
werde; er solle zunächst einmal den Bachelor erwerben. Aus der damaligen
Umstellung der Studienabschlüsse resultierten auch die Richtlinien vom 17. Ja-
nuar 2005, die jedoch erst nach seiner Einstellung und nach seiner konkreten
Studieneinplanung in Kraft getreten seien. Zwar betrage an den Universitäten
der Bundeswehr die Regelstudienzeit im Master-Studiengang nur vier Jahre
(12 Trimester) und damit ein Jahr weniger als beim zivilen Master-Studium. Mit
der ursprünglich geplanten Verpflichtungszeit von 13 Jahren würde sich für die
Bundeswehr jedoch kein Nachteil ergeben, weil seine Truppenverwendungszeit
dann ebenso wie bei Absolventen der Bundeswehruniversitäten (mit 12-jähriger
Verpflichtungszeit) acht Jahre betragen würde.
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Mit Bescheid vom 3. Dezember 2007, dem Antragsteller ausgehändigt am
13. Dezember 2007, wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - die
Beschwerde zurück. Die Beschwerde sei unzulässig, weil keine neue Entschei-
dung vorliege, die mit Rechtsmitteln angreifbar wäre. Das Personalamt habe in
dem Bescheid vom 19. Juni 2007 lediglich darauf verwiesen, dass dem Antrag-
steller bereits mit dem Bescheid vom 3. Januar 2005 eröffnet worden sei, dass
ein Fachhochschulstudium regelmäßig mit der erfolgreichen Bachelor-Prüfung
ende und er diese Entscheidung akzeptiert habe.
Im dienstaufsichtlichen Teil des Beschwerdebescheids wurde ausgeführt, dass
die Entscheidung des Personalamts auch im Ergebnis nicht zu beanstanden
sei. Es habe keine Veranlassung bestanden, das Anliegen des Antragstellers in
entsprechender Anwendung des § 51 VwVfG erneut aufzunehmen. Der Antrag-
steller habe es versäumt, gegen die Festlegungen und Nebenbestimmungen in
dem Bescheid vom 3. Januar 2005 Rechtsmittel einzulegen. Auch habe sich die
Sach- und Rechtslage nicht nachträglich zu seinen Gunsten entwickelt.
Vielmehr sei jetzt ausdrücklich geregelt, dass das Studium regelmäßig mit dem
erfolgreich abgelegten Fachhochschulabschluss Diplom/Bachelor ende. Dem
Antragsteller sei auch keine anderweitige Zusage erteilt worden. Im Übrigen
wäre diese mit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Master-Ab-
schlüsse nicht mehr verbindlich. Es bestehe derzeit kein dienstliches Interesse,
dem Antragsteller einen höherwertigen Studienabschluss zu genehmigen und
von der getroffenen bestandskräftigen Entscheidung abzuweichen.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2007 beantragte der Antragsteller die Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Die Adressierung des Schreibens
lautet:
„Bundesministerium der Verteidigung
PSZ I 7
Postfach 13 28
53003 Bonn
Auf dem Dienstweg“.
Das Schreiben trägt außer einem Datumsstempel des Kommandos ...systeme
vom 21. Dezember 2007 keine weiteren Eingangsstempel, Eingangsvermerke
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oder Handzeichen. Der S 1-Offizier des Kommandos ...systeme leitete die An-
tragsschrift unter dem 21. Dezember 2007 an das Bundesministerium der Ver-
teidigung weiter, wo sie am 28. Dezember 2007 einging und vom Bundesminis-
ter der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom 7. Januar 2008
dem Senat vorgelegt wurde.
Zur Begründung trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Der Antrag sei fristgerecht gestellt, weil er bereits am 21. Dezember 2007 beim
Kommando ...systeme vorgelegen habe. Da der S 1-Offizier die Antragsschrift
noch am selben Tage „im Auftrag“ zuständigkeitshalber an das Bundesministe-
rium der Verteidigung weitergeleitet habe, sei zudem davon auszugehen gewe-
sen, dass das Schreiben auch rechtzeitig dort eingehen würde. Für die Frist-
einhaltung sei unerheblich, ob der Kommandeur des Kommandos ...systeme
als nächster Disziplinarvorgesetzter sich noch selbst mit dem Antrag befasst
habe oder nicht. Er, der Antragsteller, habe davon ausgehen müssen und dür-
fen, dass der S 1-Offizier als Personaloffizier des Kommandos zur Entgegen-
nahme des Schriftstücks befugt gewesen sei und dieses auch noch vor Fristab-
lauf in den Herrschaftsbereich des Kommandeurs überführt habe. Der Bescheid
vom 19. Juni 2007 stelle auch nicht bloß eine Wiederholung des be-
standskräftigen Bescheids vom 3. Januar 2005 dar. Aus der Genehmigung des
Fachhochschulstudiums Wirtschaftsinformatik mit dem Studienziel Bachelor of
Science lasse sich nicht ableiten, dass dadurch das weiterführende Studium
zum Master of Science ausgeschlossen sein solle. Für ihn, den Antragsteller,
habe kein Anlass bestanden, sich gegen den Bescheid vom 3. Januar 2005 zu
wenden, weil zu diesem Zeitpunkt noch völlig offen gewesen sei, ob es mit dem
Bachelor-Studium sein Bewenden haben werde oder er darauf aufbauend das
Master-Studium absolvieren könne.
Der Antrag sei auch in der Sache begründet. Die Bewilligung des Bachelor-Stu-
diums sei zu einer Zeit erfolgt, als eine Entscheidung, wie die Studien und Stu-
dienabschlüsse für Offiziere und Offizieranwärter als Reaktion auf den „Bolog-
na-Prozess“ gestaltet werden sollten, noch nicht getroffen gewesen sei. Er, der
Antragsteller, sei deshalb immer wieder auf eine spätere Regelung verwiesen
worden, die sich an der für die Bundeswehruniversitäten orientieren würde. Der
Bachelor-Abschluss unterscheide sich qualitativ von dem bisherigen Diplom-
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Abschluss; der Bachelor sei mit dem Vordiplom, der Master mit dem Diplom zu
vergleichen. Mittlerweile werde allen Soldaten der Laufbahn der Offiziere des
Truppendienstes, die an einer Universität der Bundeswehr studierten, ein Mas-
ter-Studiengang angeboten. Er, der Antragsteller, habe es nicht zu vertreten,
dass er stattdessen auf ein Studium an einer zivilen Fachhochschule verwiesen
worden sei. Dies habe vielmehr allein an einer Umstrukturierung der Ausbildung
des Heeres gelegen, durch die es seinerzeit und wohl auch heute noch zu Ka-
pazitätsproblemen an den Bundeswehruniversitäten gekommen sei und kom-
me. Es stelle eine mit den Verwendungsgrundsätzen des § 3 Abs. 1 SG nicht
vereinbare Benachteiligung dar, dass Studierenden an einer Universität der
Bundeswehr bei einem Notendurchschnitt von 3,0 das Master-Studium ermög-
licht werde, während dies ihm versagt werde, obwohl sein Notendurchschnitt
- wie sich aus einer Bescheinigung über erbrachte Leistungen vom 19. Juli
2007 ergebe - voraussichtlich deutlich besser sein werde.
Der Antragsteller beantragt,
den Bescheid des Personalamts der Bundeswehr vom
19. Juni 2007 und den Beschwerdebescheid des Bun-
desministers der Verteidigung - PSZ I 7 - vom 3. Dezem-
ber 2007 aufzuheben und den Amtschef des Personal-
amts der Bundeswehr zur Neubescheidung unter Beach-
tung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsge-
richts zu verpflichten.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antrag sei unzulässig, weil er erst nach dem Ablauf der Antragsfrist beim
Bundesministerium der Verteidigung eingegangen sei. Er sei auch nicht inner-
halb der Frist bei dem Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers eingelegt wor-
den; es liege keine Paraphe oder ein sonstiger Hinweis darauf vor, dass der
Kommandeur des Kommandos ...systeme das Schreiben vom 20. Dezember
2007 zur Kenntnis genommen habe. Der S 1-Offizier sei nicht zum wirksamen
Empfang für den Disziplinarvorgesetzten berechtigt gewesen. Eine entspre-
chende Regelung sei weder der Geschäftsordnung der Dienststelle noch der
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Dienstpostenbeschreibung des S 1-Offiziers in der Stärke- und Ausrüstungs-
nachweisung zu entnehmen; durch letztere könnten im Übrigen auch keine Be-
fugnisse des Disziplinarvorgesetzten an andere Personen abgetreten werden.
Es sei daher der Risikosphäre des Antragstellers zuzurechnen, wenn er einen
Rechtsbehelf an einem Freitag vor den Weihnachtsfeiertagen bei seinem Ver-
band einreiche anstatt ihn an das Bundesministerium der Verteidigung zu sen-
den. Der Antrag sei ferner deshalb unzulässig, weil der Bescheid vom 19. Juni
2007 lediglich eine Wiederholung der Regelungen des Bescheids vom
3. Januar 2005 darstelle, der keine eigene Rechtserheblichkeit zukomme. Bes-
tenfalls könne aus der Formulierung, wonach für eine Änderung des Studien-
ziels von Bachelor auf Master keine Veranlassung bestehe, auf eine Ablehnung
des Wiederaufgreifens des Verfahrens geschlossen werden. Die Ablehnung
wäre in diesem Falle jedoch zu Recht erfolgt, weil nach den maßgeblichen
Richtlinien die für den Dienstherrn wesentlich kostspieligere akademische Aus-
bildung von Soldaten, die an einer zivilen Universität studierten, mit dem Ba-
chelor ende. Auch im Übrigen sei der Antrag jedenfalls unbegründet. Insoweit
werde auf die Ausführungen im dienstaufsichtlichen Teil des Beschwerdebe-
scheids verwiesen.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Be-
teiligten gewechselten Schriftsätze und der Akten Bezug genommen. Eine Akte
des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - Az.: 1158/07 - mit einer Zu-
sammenstellung von Schriftstücken aus dem Beschwerdeverfahren und die
Personalgrundakte des Antragstellers, Hauptteile A bis D, haben dem Senat bei
der Beratung vorgelegen.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.
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Gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO (hier i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) ist der
Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Be-
kanntgabe des ablehnenden Bescheids einzulegen und zu begründen. Der Be-
schwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung vom 3. Dezember
2007 wurde dem Antragsteller am 13. Dezember 2007 gegen Empfangsbe-
kenntnis ausgehändigt. Die Antragsfrist endete daher mit Ablauf des 27. De-
zember 2007 (§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Bis zu diesem Tag ist der
Antrag zwar nicht beim Bundesminister der Verteidigung als dem gemäß § 17
Abs. 4 Satz 1 WBO i.V.m. § 21 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 WBO zuständigen
Vorgesetzten eingereicht worden; das vom S 1-Offizier des Kommandos
...systeme an das Bundesministerium der Verteidigung weitergeleitete Schrei-
ben des Antragstellers vom 20. Dezember 2007 (Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung mit Begründung) ist dort erst am 28. Dezember 2007 eingegangen.
Die Frist ist gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 WBO i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO je-
doch dadurch gewahrt worden, dass das Schreiben vom 20. Dezember 2007
bereits am 21. Dezember 2007 dem Kommandeur des Kommandos ...systeme
als dem nächsten Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers zugegangen ist;
der Empfang des Schreibens durch den S 1-Offizier ist dem Kommandeur zu-
zurechnen.
Ein bei einem zuständigen Disziplinarvorgesetzten einzulegender Rechtsbehelf
nach der Wehrbeschwerdeordnung (Beschwerde, weitere Beschwerde, Antrag
auf gerichtliche Entscheidung) kann - außer bei diesem selbst - wirksam auch
bei einer anderen Person eingereicht werden, wenn diese für den Disziplinar-
vorgesetzten empfangszuständig ist. Die Empfangszuständigkeit kann ihre
Grundlage beispielsweise in der Dienst- oder Geschäftsordnung für den Zu-
ständigkeitsbereich des Vorgesetzten (vgl. hierzu Beschluss vom 30. April 2008
- BVerwG 1 WB 44.07 -) oder in einer von diesem speziell erteilten Ermächti-
gung finden. Die Empfangszuständigkeit kann sich aber auch aus der einge-
richteten Organisation des Truppenteils ergeben, wenn diese dauerhaft und für
die unterstellten Soldaten erkennbar einen Dienstposten ausweist, der sich
gleichsam als „verlängerter Arm“ des Vorgesetzten in Rechtsbehelfsangelegen-
heiten darstellt. Ein solcher Dienstposten ist der des S 1-Offiziers, der streitkräf-
teweit für das Führungsgrundgebiet Personalwesen, einschließlich Disziplinar-
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und Beschwerdeangelegenheiten, zuständig und dessen Funktion jedem Sol-
daten bekannt ist. Ein an den Disziplinarvorgesetzten gerichteter Rechtsbehelf
nach der Wehrbeschwerdeordnung ist diesem deshalb mit der Übergabe an
den S 1-Offizier zugegangen.
Diese Auslegung trägt praktischen Bedürfnissen Rechnung und steht nicht im
Widerspruch zu dem persönlichen Charakter der Stellung des Disziplinarvorge-
setzten. Zwar gilt der Grundsatz der an die Dienststellung und die Person des
Inhabers der Dienststellung gebundenen Disziplinargewalt (§ 27 Abs. 2 Satz 1
und 2 WDO) nicht nur für die Ausübung der Disziplinargewalt nach der Wehr-
disziplinarordnung, sondern darüber hinaus für alle Entscheidungen, die nur ein
Disziplinarvorgesetzter treffen darf (vgl. Böttcher/Dau, WBO, 4. Aufl. 1997, § 9
Rn. 25 f. und 66), also auch für Entscheidungen in Wehrbeschwerdeangele-
genheiten (vgl. Beschluss vom 29. Januar 2008 - BVerwG 1 WB 4.07 - DokBer
2008, 174). Daraus folgt, dass der Disziplinarvorgesetzte seine Zuständigkeit
und seine persönliche und sachliche Verantwortung nicht auf Dritte delegieren
darf. Nicht ausgeschlossen - und in der Praxis ganz üblich - ist jedoch, dass der
Disziplinarvorgesetzte sich bei der Ausübung seiner Zuständigkeit durch Dritte
unterstützen und beraten lässt. Der Vorgesetzte, der auf diese Weise die prak-
tischen Vorteile einer arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung in Anspruch nimmt,
muss sich dabei allerdings auch das Handeln der von ihm eingeschalteten
Hilfspersonen zurechnen lassen. So trägt der Disziplinarvorgesetzte etwa die
Verantwortung für eine Beschwerdeentscheidung - selbstverständlich - auch
dann, wenn er sich diese vom S 1-Offizier vollständig hat entwerfen lassen.
Nichts anderes gilt für tatsächliche Handlungen wie den Empfang von Schrift-
stücken. Der Disziplinarvorgesetzte kann sich auch insoweit durch die Einschal-
tung von Hilfspersonen von unnötigen Störungen und nebensächlichen Verwal-
tungstätigkeiten entlasten; zugleich muss er allerdings den Zugang bei der er-
mächtigten Hilfsperson gegen sich selbst gelten lassen.
Nach diesen Grundsätzen ist das Schreiben des Antragstellers vom 20. De-
zember am 21. Dezember 2007 fristwahrend bei dem Kommandeur des Kom-
mandos ...systeme eingegangen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 WBO). Der Antragsteller
hat das Schreiben an das Bundesministerium der Verteidigung „auf dem
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Dienstweg“ adressiert; das Schreiben sollte damit bestimmungsgemäß auch
über den Kommandeur des Kommandos ...systeme laufen. Dementsprechend
ist der S 1-Offizier des Kommandos ...systeme bei der Übermittlung des Schrei-
bens an das Bundesministerium der Verteidigung nicht als Bote des Antragstel-
lers, sondern als „verlängerter Arm“ des Kommandeurs tätig geworden; dies er-
gibt sich auch aus der Zwischennachricht vom 21. Dezember 2007, mit der der
S 1-Offizier „im Auftrag“ für das Kommando ...systeme den Eingang der An-
tragsschrift bestätigte und den Antragsteller über deren Weiterleitung informier-
te. Unerheblich ist, ob der Kommandeur von dem Schreiben des Antragstellers
vom 20. Dezember 2007 Kenntnis genommen hat. Auch wenn - worauf das
Fehlen eines Handzeichens und die weiteren Umstände (Kommandeurwechsel
am 21. Dezember 2007) hindeuten - eine solche Kenntnisnahme nicht erfolgt
sein sollte, gilt der Empfang durch den S 1-Offizier als Zugang beim Komman-
deur als dem nächsten Disziplinarvorgesetzten des Antragstellers. Sofern die
Vorgehensweise des S 1-Offiziers nicht dem Willen des Kommandeurs ent-
sprochen haben sollte, beträfe dies allein das (Innen-)Verhältnis zwischen dem
Kommandeur und dem S 1-Offizier, nicht aber die Wirksamkeit der Einlegung
des Rechtsbehelfs durch den Antragsteller.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist schließlich auch nicht deshalb un-
zulässig, weil es sich bei dem angefochtenen Bescheid des Personalamts vom
19. Juni 2007 um eine sog. wiederholende Verfügung, das heißt um die bloße
Wiederholung einer bereits ergangenen Entscheidung ohne neue eigene Rege-
lung (vgl. hierzu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 51
Rn. 46 ff., insb. 57 ff.), handelt. Mit dem Bescheid vom 3. Januar 2005 hatte das
Personalamt der Bundeswehr einem Antrag des Antragstellers auf Teilnahme
am Studium Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule W., das mit dem
Abschluss Bachelor of Science endet, stattgegeben. Mit dem hier streitge-
genständlichen Bescheid vom 19. Juni 2007 hat das Personalamt hingegen ein
Gesuch um Weiterführung des Studiums über den Bachelor-Abschluss hinaus
bis zum Erwerb des Master of Science abgelehnt. Unabhängig davon, dass der
Bescheid vom 19. Juni 2007 in den Gründen maßgeblich auf den Bescheid vom
3. Januar 2005 zurückgreift, handelt es sich schon vom Tenor her offenkundig
um zwei Entscheidungen mit unterschiedlichem Regelungsinhalt. Im Übrigen
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hat das Personalamt seinen Willen, eine - damit auch anfechtbare - Regelung
zu treffen, dadurch zum Ausdruck gebracht, dass es die Form eines gegen
Empfangsbekenntnis förmlich ausgehändigten Bescheids gewählt hat.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Der ablehnende Bescheid vom 19. Juni 2007 in der Gestalt des Beschwerde-
bescheids vom 3. Dezember 2007 ist rechtswidrig, weil das Personalamt der
Bundeswehr und der Bundesminister der Verteidigung das ihnen eingeräumte
Ermessen in wesentlichen Punkten nicht ausgeübt haben. Der Bundesminister
der Verteidigung ist verpflichtet, den Antrag des Antragstellers vom 17. Mai
2007, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, im Anschluss an den Bachelor-Ab-
schluss ein Master-Studium im Studiengang Wirtschaftsinformatik zu absolvie-
ren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden
(§ 19 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO).
Ein Soldat hat grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte Verwendung.
Dies gilt auch für die Zulassung zu Ausbildungen. Die Entscheidung darüber, ob
einem Soldat ermöglicht wird, an einer bestimmten Ausbildung teilzunehmen,
steht vielmehr grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Stellen und setzt
Bedarf und Eignung (§ 3 Abs. 1 SG) des Bewerbers voraus. Das Wehr-
dienstgericht kann im Falle einer ablehnenden Entscheidung nur überprüfen, ob
der zuständige Vorgesetzte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens über-
schritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entspre-
chenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO in entsprechender An-
wendung; stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 24. Januar 2006 - BVerwG 1 WB
9.05 - Buchholz 449.2 § 40 SLV 2002 Nr. 1 m.w.N.). Hat der Bundesminister
der Verteidigung oder eine von ihm beauftragte Stelle das Ermessen in Verwal-
tungsvorschriften - wie hier den Richtlinien für das Studium von Offizieranwär-
tern und Offizieren der Marine an öffentlichen Fachhochschulen (Az.: Fü M I 1
- 38-30-00/18) vom 17. Januar 2005 - gebunden, ist vom Gericht auch zu prü-
fen, ob diese unter dem Blickwinkel des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3
Abs. 1 GG) eingehalten worden sind (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 29. Ja-
nuar 2008 - BVerwG 1 WB 2.07 - DokBer 2008, 171).
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Das Personalamt und dezidiert vor allem der Bundesminister der Verteidigung
haben ihre Entscheidung darauf gestützt, dass über das Begehren des An-
tragstellers, im Anschluss an den Bachelor-Abschluss ein Master-Studium im
Studiengang Wirtschaftsinformatik besuchen zu können, bereits durch den Be-
scheid des Personalamts vom 3. Januar 2005 bestandskräftig entschieden sei
und eine erneute Entscheidung (sog. Zweitbescheid) deshalb allenfalls unter
den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 VwVfG) in
Betracht käme, die im Falle des Antragstellers nicht vorlägen. Eine solche weit-
reichende Regelung ist dem Bescheid vom 3. Januar 2005 indes nicht zu ent-
nehmen. Mit dem Bescheid vom 3. Januar 2005 hat das Personalamt einem
Antrag des Antragstellers auf Teilnahme am Studium Wirtschaftsinformatik an
der Fachhochschule W. stattgegeben. Der Studiengang Wirtschaftsinformatik
an der Fachhochschule W. schloss zum damaligen Zeitpunkt und schließt auch
heute noch (Informationen der Fachhochschule im Internet) mit dem Erwerb
des Bachelor of Science ab. Die Formulierung in Nr. 4.1 des Bescheids vom
3. Januar 2005, wonach Studienziel der Abschluss Bachelor of Science sei, ist
deshalb als Hinweis auf die Ausgestaltung des Studiengangs durch die
Fachhochschule, nicht jedoch als Ablehnung eines - so nicht beantragten -
Master-Studiums zu verstehen. Ebenso ist Nr. 4.6 des Bescheids, wonach das
Fachhochschulstudium regelmäßig mit der erfolgreich abgelegten Bachelor-
Prüfung ende, als allgemeiner Hinweis auf die Vorschriftenlage, nicht aber als
einzelfallbezogene ablehnende Entscheidung hinsichtlich eines Master-
Studiums zu werten.
Das Gesuch des Antragstellers vom 17. Mai 2007, ihm die Möglichkeit zu eröff-
nen, im Anschluss an den Bachelor-Abschluss ein Master-Studium im Studien-
gang Wirtschaftsinformatik zu absolvieren, stellt damit einen neuen, erstmalig
zu bescheidenden Antrag dar, der nicht allein mit einem Verweis auf den be-
standskräftigen Bescheid vom 3. Januar 2005 abgelehnt werden durfte und der
auch nicht den Einschränkungen des § 51 VwVfG unterliegt. Ermessensfehler-
haft ist eine Entscheidung auch dann, wenn die Behörde - wie hier das Perso-
nalamt und der Bundesminister der Verteidigung - eine in Wahrheit nicht beste-
hende Beschränkung ihres Ermessensspielraums annimmt (vgl. Kopp/
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Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 114 Rn. 14). Eine Entscheidung, die von ei-
nem zutreffenden rechtlichen Rahmen für die Ermessensausübung ausgeht, ist
damit über den Antrag vom 17. Mai 2007 bislang nicht ergangen. Die Feststel-
lungen des Bundesministers der Verteidigung im dienstaufsichtlichen Teil des
Beschwerdebescheids genügen hierfür schon deshalb nicht, weil sie nur im öf-
fentlichen Interesse getroffen sind und der gerichtlichen Nachprüfung nicht un-
terliegen.
Bei der erforderlichen erneuten Bescheidung des Antrags ist von den genann-
ten Richtlinien für das Studium von Offizieranwärtern und Offizieren der Marine
an öffentlichen Fachhochschulen vom 17. Januar 2005 auszugehen. Gemäß
Nr. 10 dieser Richtlinien endet das Studium „regelmäßig mit dem erfolgreich
abgelegten FH-Abschluss (Diplom/Bachelor)“. Die Regelung für das Studium an
einer öffentlichen Fachhochschule unterscheidet sich damit von Nr. 1.2 der
„Personellen Bestimmungen für das Studium von Offizieren, Offizieranwärterin-
nen und Offizieranwärtern an einer Universität der Bundeswehr in Bachelor-
und Masterstudiengängen“ (BMVg - PSZ I 1 <40> - Az.: 16-26-00/8) vom
24. September 2007, wonach es Regelstudienziel für die an einer Bundes-
wehruniversität studierenden Soldaten ist, in dem Studiengang, in den sie ein-
geplant wurden, über den Bachelor-Abschluss den Master-Abschluss zu errei-
chen. Unabhängig davon ist mit der genannten Festlegung des „regelmäßigen“
Studienabschlusses die Teilnahme an einem Master-Studium auch an einer öf-
fentlichen Fachhochschule nicht schlechterdings ausgeschlossen, sondern je-
denfalls im Ausnahmefall möglich.
Das Personalamt hat deshalb darüber zu befinden, ob dem Antragsteller in die-
sem Sinne „ausnahmsweise“ die Teilnahme an dem Master-Studium ermöglicht
werden kann. Neben den allgemeinen Voraussetzungen - wie insbesondere der
Bedarfslage auf Seiten der Marine und der in den bisherigen Studienleistungen
zum Ausdruck kommenden Eignung des Antragstellers - sind im Rahmen der
Ermessensausübung auch die vom Antragsteller dargelegten besonderen Um-
stände im Zusammenhang mit der Umstellung der Studienabschlüsse von dem
einstufigen Diplomstudium (mit Vordiplomprüfung) auf das zweistufige Bache-
lor-/Master-Modell zu berücksichtigen. Der Antragsteller wendet insoweit
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- sinngemäß - vor allem ein, dass er ursprünglich für ein (dem Master-Studium
entsprechendes) Diplom-Studium vorgesehen gewesen sei, dass die Durchfüh-
rung des Studiums an einer öffentlichen Fachhochschule auf Kapazitätsprob-
lemen an den Universitäten der Bundeswehr beruhe, die er nicht zu vertreten
habe, dass seine konkrete Einplanung zum Studium bereits vor dem Inkrafttre-
ten der Richtlinien vom 17. Januar 2005 erfolgt sei und dass ihm nach der Um-
stellung der Studienabschlüsse die Möglichkeit einer Teilnahme am Master-
Studium unter ähnlichen Voraussetzungen wie für die Studierenden an den
Bundeswehruniversitäten in Aussicht gestellt worden sei. Die Situation des in
einer „Umbruchphase“ eingestellten Antragstellers unterscheidet sich insofern
jedenfalls in einem tatsächlichen Sinne von der Situation etwa der aktuellen Of-
fizierbewerber, als diese eine klare Vorschriftenlage zu den Ausbildungsoptio-
nen und den damit verbundenen Weichenstellungen vorfinden. Auch insoweit
unterliegt es allerdings grundsätzlich dem Ermessen des Personalamts, wel-
ches Gewicht es diesen Umständen zumisst.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2
Satz 1 WBO.
Golze Dr. Frentz Dr. Langer
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