Urteil des BVerwG vom 30.01.2003

Aufschiebende Wirkung, Vorrang, Ausweisung, Strafurteil

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 VR 4.02 (1 C 29.02)
OVG 18 A 2065/96
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Januar 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am
Bundesverwaltungs-
gericht R i c h t e r und die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
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Die aufschiebende Wirkung der Klage des An-
tragstellers gegen seine Ausweisung in der
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom
8. September 1992 wird wieder hergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Antrags-
verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Antragsverfahren auf 2 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung
seiner Klage gegen die Ausweisungsverfügung des Antragsgegners
vom 8. September 1992 wieder herzustellen, ist zulässig. Das
Bundesverwaltungsgericht, bei dem das Revisionsverfahren
hinsichtlich der streitigen Ausweisungsverfügung anhängig ist,
ist als Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO
berufen, über diesen Antrag zu entscheiden.
Der Antrag ist auch begründet. Bei der hier gebotenen Abwägung
zwischen dem Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss
des Revisionsverfahrens in Deutschland zu bleiben, und dem öf-
fentlichen Interesse daran, dass der ausreisepflichtige An-
tragsteller das Bundesgebiet (vorläufig) verlässt, kommt dem
Interesse des Antragstellers gegenwärtig Vorrang zu. Das Bun-
desverwaltungsgericht hat die Revision zur Klärung der Fragen
zugelassen, welcher Zeitpunkt nach gemeinschaftsrechtlichen
Maßstäben für die Beurteilung einer Ausweisungsverfügung, die
einen türkischen Staatsangehörigen mit vom Berufungsgericht
unterstelltem assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrecht
betrifft, durch die Gerichte maßgeblich ist und unter welchen
Voraussetzungen insbesondere eine positive Entwicklung des
Ausländers nach der letzten Behördenentscheidung zu
berücksichtigen ist. Damit ist derzeit offen, ob die
Ausweisung des Antragstellers rechtlich Bestand haben wird.
Die angefochtene Ausweisungsverfügung ist inzwischen
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jedenfalls nicht mehr offensichtlich rechtmäßig. Erweist sie
sich nachträglich als rechtswidrig, so wären insbesondere die
familiären Belange des Antragstellers, der sich seit 1976 in
Deutschland aufhält und dessen Kinder und Eltern in
Deutschland leben, durch eine erzwungene Ausreise bzw.
Abschiebung aus dem Bundesgebiet in schwerwiegender Weise
verletzt. Der Antragsteller befindet sich seit Oktober 1998
nicht mehr in Haft. Die zur Bewährung ausgesetzte Restfrei-
heitsstrafe aus dem Strafurteil vom 7. Oktober 1991 ist ihm
nach Ablauf der Bewährungszeit im Dezember 2002 erlassen wor-
den. Der Antragsgegner macht im vorliegenden Verfahren nicht
geltend, es sei nach wie vor zu besorgen, dass der Antragstel-
ler erneut straffällig werde. Unter diesen Umständen fallen
inzwischen die gegen die weitere Anwesenheit des
Antragstellers sprechenden öffentlichen Belange nicht mehr so
erheblich ins Gewicht, dass ihnen der Vorrang vor den
Interessen des Antragstellers gebührt.
Der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der in
der Verfügung des Antragsgegners vom 8. September 1992 enthal-
tenen Abschiebungsandrohung bedarf es nicht. Das Berufungsge-
richt hat im Berufungsurteil überzeugend dargestellt, dass
diese Abschiebungsandrohung inzwischen gegenstandslos ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 i.V.m. § 20
Abs. 3 GKG.
Eckertz-Höfer Richter Beck