Urteil des BVerwG vom 19.10.2010

Lebensgemeinschaft, Absicht, Beweislast, Offenkundig

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 PKH 15.10 (1 C 11.10)
OVG 3 B 23.08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2010
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm für seine Revision gegen das
Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg
vom 23. April 2010 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und
einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
G r ü n d e :
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Bei-
ordnung eines Rechtsanwalts sind nicht gegeben, weil die Rechtsverfolgung
des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m.
§§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).
Der Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen das Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. April 2010. In dieser Entscheidung
ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger keinen An-
spruch auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu seiner im Bundesgebiet
lebenden deutschen Ehefrau hat. Zur Begründung hat es u.a. darauf hingewie-
sen, dass § 27 Abs. 1 AufenthG der Erteilung eines Visums entgegenstehe, da
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme gewichtige Zweifel am Willen der
Eheleute bestünden, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu führen, und der Klä-
ger insoweit die Beweis- und Darlegungslast trage (UA S. 6 ff.).
Hinsichtlich dieser - die Entscheidung selbstständig tragenden - Begründung ist
ein Verstoß gegen revisibles Recht nicht erkennbar. Der Senat hat mit Urteil
vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 7.09 - (DVBl 2010, 849 = AuAS 2010, 158 =
InfAuslR 2010, 350) die Auffassung des Berufungsgerichts zur Auslegung des
§ 27 Abs. 1 AufenthG bestätigt und entschieden, dass der ausländische Ehe-
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gatte, der ein Visum zum Familiennachzug begehrt, auch nach Einfügung des
§ 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG im Fall der Nichterweislichkeit des Vorliegens einer
Schein- oder Zweckehe die materielle Beweislast für die gemäß § 27 Abs. 1
AufenthG bedeutsame Absicht beider Eheleute trägt, eine eheliche Lebensge-
meinschaft im Bundesgebiet zu führen. Auf diese Entscheidung wurde der Klä-
ger mit Berichterstatterschreiben vom 15. September 2010 hingewiesen.
Nach dieser grundsätzlichen Klärung durch den Senat hat die Revision des
Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auf der Grundlage der das Re-
visionsgericht bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen
des Berufungsgerichts bestehen gewichtige Zweifel am Willen der Eheleute,
eine eheliche Lebensgemeinschaft zu führen. Diese wurden vom Berufungsge-
richt mit der aufenthaltsrechtlichen Vorgeschichte des Klägers, seinem Verhal-
ten gegenüber seiner Ehefrau sowie dem Umstand, dass sich die Eheleute seit
November 2005 nicht mehr gesehen haben und der Kläger seine Ehefrau of-
fenkundig nur sehr eingeschränkt an seinem Leben teilhaben lässt, begründet.
Die dieser Einschätzung zugrundeliegende Tatsachen- und Beweiswürdigung
ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die festgestellten Zweifel gehen zu Lasten des Klägers. Nach der Rechtspre-
chung des Senats trägt er auch nach Einfügung des § 27 Abs. 1a Nr. 1 Auf-
enthG (weiterhin) die materielle Beweislast für die gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG
bedeutsame Absicht beider Eheleute, eine eheliche Lebensgemeinschaft im
Bundesgebiet zu führen. Das gilt auch in Fällen, in denen der Nachweis einer
Schein- oder Zweckehe nicht erbracht werden kann.
Ist das Berufungsurteil hinsichtlich dieser - die Entscheidung tragenden - Be-
gründung nicht zu beanstanden, kommt es auf die von der Revision weiter gel-
tend gemachten Einwände gegen das Spracherfordernis nach § 28 Abs. 1
Satz 5, § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und auf die Frage, ob die Entschei-
dung insoweit mit Gründen versehen ist, nicht entscheidungserheblich an.
Eckertz-Höfer
Prof. Dr. Dörig
Fricke
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