Urteil des BVerwG vom 10.02.2006

Unterhaltsbeitrag, Post, Taschengeld, Fristversäumnis

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 DB 5.05
VG 20 K 1722/05.BDG
In dem Verfahren
der früheren Fernmeldeobersekretärin … ,
…,
Beteiligte:
Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch die Deutsche Telekom AG,
…,
…,
- Prozessbevollmächtigte:
…,
…,
…,
… -
hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht H e e r e n und den Richter
am Bundesverwaltungsgericht Dr. H e i t z
beschlossen:
Die Beschwerde der früheren Beamtin gegen den Beschluss
des Verwaltungsgerichts … vom 24. Oktober 2005 wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
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G r ü n d e :
I.
Durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2003 - BVerwG
1 D 26.02 - wurde die frühere Beamtin wegen eines Dienstvergehens aus dem
Dienst entfernt. Gleichzeitig wurde ihr auf die Dauer von zwölf Monaten ein Unter-
haltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts bewilligt. Das Verwal-
tungsgericht … bewilligte durch Beschluss vom 14. Februar 2005 der früheren Be-
amtin mit Wirkung vom 1. August 2004 auf die Dauer von weiteren zwölf Monaten
einen Unterhaltsbeitrag in derselben Höhe.
Mit Schreiben vom 26. August 2005 beantragte die frühere Beamtin er-
neut die Weiterbewilligung des Unterhaltsbeitrags und machte im Wesentlichen gel-
tend, sich erfolglos um eine Arbeit bemüht zu haben. Während des Verfahrens hat
sie u.a. mitgeteilt, sie werde voraussichtlich ab Oktober 2005 Arbeitslosengeld II in
geschätzter Höhe von 1 200 € beziehen. Zusätzlich erhalte sie Kindergeld in Höhe
von 999 €; ihr Sohn Sven beziehe im zweiten Lehrjahr 514 € netto und ihre Tochter
Julia erhalte als Verkäuferin 900 € brutto.
Durch Beschluss vom 24. Oktober 2005 lehnte das Verwaltungsgericht
den Antrag auf erneute Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags ab und führte zur Be-
gründung u.a. aus, die frühere Beamtin habe trotz gerichtlicher Aufforderung eine
Bedürftigkeit nicht nachgewiesen. Es könne dahinstehen, ob sie angesichts des von
ihr geltend gemachten Familieneinkommens wirtschaftlich überhaupt bedürftig sei.
Jedenfalls habe sie trotz der im Beschluss vom 14. Februar 2005 enthaltenen aus-
führlichen Belehrung sowie der Aufforderung und Fristsetzung im vorliegenden Ver-
fahren Belege für ein ausreichendes Bemühen um Arbeit nicht vorgelegt.
Gegen den ihr am 29. Oktober 2005 zugestellten Beschluss hat die frü-
here Beamtin mit einem am 15. November 2005 bei Gericht eingegangenen Schrift-
satz Beschwerde eingelegt.
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Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. In der
Begründung des Nichtabhilfebeschlusses hat es ausgeführt, die Fristversäumnis se-
he das Gericht als unverschuldet an, weil die Beschwerde ausweislich des Post-
stempels auf dem Briefumschlag bereits am 11. November 2005 zur Post gegeben
worden sei.
Während des Beschwerdeverfahrens hat die frühere Beamtin eine Auf-
listung von zwölf in D. ansässigen Firmen vorgelegt, bei denen sie sich erfolglos tele-
fonisch um eine Beschäftigungsstelle bemüht haben will. Außerdem hat sie Fotoko-
pien von 42 handschriftlichen Bewerbungen bei D. Firmen eingereicht, die die Daten
24. Februar (zweimal) 3., 5., 6., 12., 14. (zweimal) und 21. März, 1., 5., 10., 13., 15.,
18., 22., 25. und 30. April, 5., 11., 17., 23., 27. (zweimal) Mai, 1., 5., 12., 19., 24., 28.
(zweimal) und 30. Juni, 3., 10., 13. (zweimal), 17., 21., 23., 25. und 28. Juli sowie
2. September 2005 tragen.
Nachdem die Beteiligte die Richtigkeit dieses Vortrags nach stichpro-
benartigen Überprüfungen bei den angeblich angeschriebenen Firmen bezweifelt und
auch der Senat die betreffenden Firmen um Auskunft nach einer schriftlichen
Bewerbung der früheren Beamtin gebeten hat, hat diese ihren Vortrag korrigiert und
nunmehr behauptet, sie habe die Umschläge ihrem fünfzehnjährigen Sohn mit Geld
für die Briefmarken mitgegeben, da dieser auf seinem Schulweg täglich an einem
Postamt vorbeigehe. Nachdem sie misstrauisch geworden sei, habe der von ihr zur
Rede gestellte Sohn "gebeichtet", er habe das Geld "für andere Sachen" verwendet
und die Umschläge vernichtet. Ihr Sohn erhalte 16 € Taschengeld und habe dieses
mit dem Geld für die Briefmarken aufbessern wollen.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 110 Abs. 6 i.V.m. § 79 BDO zulässig.
Das Verfahren auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 110
Abs. 2 BDO fällt nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002
als Annexverfahren zum abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren, welches
hinsichtlich des Ausspruchs zum Unterhaltsbeitrag der Sache nach fortgesetzt wird,
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unter die Fortführungsklausel des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG (Beschluss vom 15. Ja-
nuar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - ZBR 2002, 436 = DÖD 2002, 97 = DokBer B 2002,
95). Dies hat zur Folge, dass das Neubewilligungsverfahren im Beschwerdeverfahren
nach dem bisherigen Recht der Bundesdisziplinarordnung "fortzuführen" ist.
Der früheren Beamtin ist gegen die Versäumung der Beschwerdefrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; denn die Fristversäumnis des
§ 79 Abs. 2 BDO ist unverschuldet. Bei einem ausweislich des Briefumschlags am
11. November 2005 zur Post gegebenen Schreiben durfte die frühere Beamtin damit
rechnen, dass ihre Beschwerdeschrift vor Ablauf des 14. November 2005 und somit
rechtzeitig bei Gericht eingehen werde.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Der früheren Beamtin steht ab
dem 1. August 2005 kein weiterer Unterhaltsbeitrag mehr zu.
Die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags richtet sich nach Inkrafttre-
ten des Bundesdisziplinargesetzes auch materiellrechtlich zwar weiterhin nach den
Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung (§§ 110, 77), wenn - wie hier - die Erst-
bewilligung auf § 77 BDO beruht (vgl. Beschluss vom 15. Januar 2002 - BVerwG
1 DB 34.01 - a.a.O.). Nach § 110 Abs. 2 Satz 2 BDO kann ein Unterhaltsbeitrag aber
nur erneut bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO
vorliegen, wenn also die frühere Beamtin nach ihrer wirtschaftlichen Lage der Unter-
stützung bedürftig und ihrer nicht unwürdig ist. Von einer Würdigkeit der früheren
Beamtin kann im vorliegenden Verfahren keine Rede mehr sein.
Im Beschluss vom 14. Februar 2005 im Verfahren - 20 K
2621/04.BDG - hat das Verwaltungsgericht die frühere Beamtin in Übereinstimmung
mit der Rechtsprechung des Senats ebenso verständlich wie eindringlich darüber
belehrt, welche Anforderungen an ein Bemühen um eine neue Beschäftigungsstelle
zu erfüllen und nachzuweisen sind, wenn die Weiterbewilligung des Unterhaltsbei-
trags begehrt wird. Dass die dem Gericht vorgelegten Bewerbungen der Wahrheit
entsprechen müssen, ist selbstverständlich und bedarf keiner ausdrücklichen Beleh-
rung. Wer sich als Empfänger von Leistungen hieran nicht hält und falsche Angaben
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macht, kann sich möglicherweise eines versuchten Betrugs nach § 263 StGB strafbar
machen.
Die von der früheren Beamtin im Beschwerdeverfahren vorgelegten
Bewerbungsunterlagen sind nicht geeignet, einen Anspruch auf Weiterbewilligung
des Unterhaltsbeitrags zu begründen. Im Streit ist die Weiterbewilligung ab dem
1. August 2005. Die von der früheren Beamtin im Beschwerdeverfahren vorgelegten
Unterlagen decken dem Datum nach zwar den davor liegenden Zeitraum ab; der
Senat hält sie aber für unglaubhaft. Ihrem Antrag auf Weiterbewilligung vom
26. August 2005 an das Verwaltungsgericht war kein einziger Beleg beigefügt, was
sie auf Anfrage des Gerichts damit zu erklären versuchte, ihr fehle das Geld, um Fo-
tokopien anfertigen zu können. Es hätte zunächst keiner mit Kosten verbundenen
Fotokopien bedurft, um dem Gericht handschriftlich die Anschriften und das Datum
der von ihr behaupteten Bewerbungen vorzutragen. Im Übrigen ist der früheren Be-
amtin nach Mitteilung der Behörde in der Vergangenheit ein monatlicher Unterhalts-
beitrag (einschließlich Kindergeld) in Höhe von mindestens 2 000 € zugeflossen. Die
Beamtin hätte daher Fotokopien oder aber Durchschriften ihrer Bewerbungen von
Ende Februar bis Anfang September anfertigen können, um sie als Beleg gegebe-
nenfalls bei Gericht vorzulegen. Die dafür anfallenden Kosten hätten sie nicht über-
mäßig belastet. Darüber hinaus hat sie im Nachhinein durchaus Fotokopien als Dup-
likate ihrer angeblichen Bewerbungen vorlegen können. Sie hat ausdrücklich in Ab-
rede gestellt, diese nachträglich - als Kopieersatz - angefertigt zu haben. Dann aber
hätten diese Fotokopien bereits vor der Absendung des Originals angefertigt worden
sein müssen; so wäre es auch möglich gewesen, diese dem Gericht sogleich - ohne
Anfertigung weiterer Zweitschriften der Fotokopien - vorzulegen.
Die im Beschwerdeverfahren vorgetragene Version, ihr fünfzehnjähriger
Sohn habe das ihm mitgegebene Geld zweckentfremdet verwendet, um sein Ta-
schengeld aufzubessern, nimmt der Senat der früheren Beamtin nicht ab. Bei einer
von ihr vorhersehbar größeren Anzahl von Bewerbungen ist es schlechterdings un-
vorstellbar, dass sie bei keinem Fall Briefmarken zur Hand gehabt haben will und der
fünfzehnjährige Sohn sämtliche Bewerbungen vernichtet haben soll. Wenn es der
früheren Beamtin um ernsthafte Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit gegangen
wäre, hätte es überdies nahe gelegen, dem Sohn die besondere Bedeutung der
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Briefe klar zu machen. Da die ersten Bewerbungen bereits in den Monaten Februar,
März und April 2005 abgeschickt bzw. vernichtet worden sein sollen, hätte es der
früheren Beamtin auffallen müssen, dass in keinem einzigen Fall eine Antwort der
angeschriebenen Firma kam. In einem solchen Fall hätte es nahe gelegen, sich zu-
mindest telefonisch bei der angeblich angeschriebenen Firma zu erkundigen. Die
frühere Beamtin hat nichts dergleichen getan, sondern die Angelegenheit einfach auf
sich beruhen lassen. Auch waren die Bewerbungsschreiben ihrem Inhalt nach derart
nachlässig und interesselos verfasst, dass sie beim Empfänger die Vorstellung, hier
von einer dringend oder doch zumindest ernsthaft Arbeit suchenden Person ange-
sprochen zu werden, kaum hervorrufen konnten. Selbst wenn also die frühere Beam-
tin zum jeweils angegebenen Zeitpunkt derartige Bewerbungen tatsächlich geschrie-
ben und stets ihrem Sohn mit entsprechendem Portogeld mit auf den Weg gegeben
haben sollte, könnte das Gesamtverhalten der früheren Beamtin nicht als ein ernst-
haftes - geschweige denn intensives - Bemühen um eine Erwerbstätigkeit angesehen
werden.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die frühere Beamtin erst
im Beschwerdeverfahren auf den Vorhalt der Behörde und auf Grund der Anfrage
des Senats begonnen hat, für den davor liegenden Zeitraum Bewerbungen im Nach-
hinein zu konstruieren. Nach alledem ist sie unwürdig, weitere Unterhaltsbeiträge zu
erhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 118 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BDO.
Albers Heeren Dr. Heitz
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: nein
Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrages (Altfall)
Rechtsquellen:
BDO §§ 77; 79; 110 Abs. 2 und 6
BDG § 85 Abs. 3 Satz 1
StGB § 263
Stichworte:
Frühere Beamtin; keine Weiterbewilligung des Unterhaltsbeitrags; unglaubhafte An-
gaben zum Bemühen um eine neue Beschäftigungsstelle.
Beschluss des Disziplinarsenats vom 10. Februar 2006 - BVerwG 1 DB 5.05
I. VG … vom 24.10.2005 - Az.: VG 20 K 1722/05.BDG -